Читать книгу ABSTINENZ - E. W. Schreiber - Страница 14
Allein
ОглавлениеMeine Frau leidet meiner Ansicht nach unter haarsträubenden Zwängen. Und die muss ich ihr irgendwie austreiben, finde ich. Matt sagt immer, dass ich auch so war und mich nicht so aufregen soll, wenn sich meine Frau nicht mit sich selbst beschäftigen kann. Ich weiß nicht was in sie fährt, wenn sie so komische Sachen tut, wie gerade.
Ich will mich kurz zurückziehen aus einer intensiven Diskussion mit ihr. Ich muss zum stillen Örtchen, und da führt jetzt einfach kein Weg vorbei. Und das sollte doch für jedermann und frau verständlich sein. Der Weg dorthin ist ein Spießrutenlauf, weil mich meine Frau observiert, bei jedem Schritt den ich tue. Sie läuft mir hinterdrein, wie ein Hündchen seinem Herrn. Gott, wie mich das nervt. Also gehe ich schneller, ich laufe geradezu aufs Klo. Doch umso schneller ich werde, desto mehr passt sich meine Frau meinem Tempo an. Ich kann ihr gar nicht entkommen. Die Klotüre ist meine einzige Chance, mein einziger wahrer Freund in jenem Moment. Ich habe Angst, dass sie mir den Weg versperrt und mir meinen rechtmäßigen Platz am Häusl wegnimmt, jetzt in meiner dringlichsten Angelegenheit. Aber für sie gibt es gerade Dringenderes, das sie jetzt mit mir tun muss. „Himmelherrgott“, schimpfe ich in mich hinein, aber immer noch laut genug, dass sie es noch hören kann, „kann es denn jetzt noch etwas Wichtigeres geben? Lass mich jetzt vorbei oder es geschieht ein Unglück.“
Noch im Lauf reiße ich mir den Hosenknopf und den Reisverschluss auf. „Warte auf mich“ ruft sie, aber ich bin schneller, und riegle die Türe ganz schnell zu. Yea, freu ich mich und balle meine Faust zu einer Siegespose, weil sie ihren Fuß dieses Mal nicht zwischen die Klotüre stellen kann, um mir beim Pipi machen in die Augen zu sehen. „Dieses Mal nicht, meine Liebe“, lache ich in mich hinein, und weiß, ich habe sie besiegt. „Mach doch die Türe auf“, ruft sie zu mir herein. „Beim Reden muss man sich in die Augen sehen, sonst wird das nichts. Verflixt. Mach die Türe auf!“
Ich weiß, dass meine Frau nicht gerne ohne mich ist, und ich verstehe sie ja auch, dass sie die Diskussion mit mir fortsetzen will. „Ja Süße“, rufe ich zu ihr nach draußen. Ich sage meistens zu allem ja wenn ich am Klo sitze, weil ich so schneller meine Ruhe habe. Und vielleicht ist es genau dieses Ja, das uns unsere Diskussionen erst einbringt. Meistens verstehe ich gar nicht, was sie mir durch die versperrte Türe erzählt und fragt, es ist für mich in dem Moment einfach nur lästig ihr zuhören zu müssen, daher sage ich zu allem einfach ja. Ich glaube das ist besser als nein zu sagen.
Ich hocke also am Klo und will ihren Worten nicht lauschen. „Ja, Süße“, ruf ich nochmal zu ihr raus. „Geh und warte auf mich, ich bin doch sowieso gleich wieder draußen, dann können wir weiterreden.“ „Ja“, sagt meine Frau, aber anstatt sich von der Klotüre wegzubewegen, höre ich, wie sie sich daran lehnt. Ich beginne zu singen. Das soll ihr verdeutlichen, wie ernst ich es meine, und dass ich ihr jetzt nicht zuhören mag. Ich hocke am Klo und singe immer lauter.
Meine Frau ist hartnäckig. Das ist eine Gabe, die ich an ihr schon immer bewundert habe. Aber jetzt treibt sie mich zum Wahnsinn, mit ihrem Zwang. Ich spüre Zorn in mir aufsteigen, als sie plötzlich noch lauter zu mir hereinruft. „Isa“, ruft sie. „Isa“, doch sie kann mein Lied nicht übertönen. Himmelherrgott, wenn sie so weitermacht, dann dreh ich noch durch. Und ich seh schon, wohin sie mich wieder treibt, meine Frau. Ich will die Scheidung. Sofort. Denke ich. „Verdammt“, schrei ich, „Nicht mal Scheißen kann man alleine!“ Und jetzt ist meine Frau zornig. Ich habe sie wohl beleidigt. Und für diese Ehekrise habe jetzt ich Schuld.
Meine Frau muss sich das jetzt endlich abgewöhnen.
„Siehst du“, sagt mir Matt und lacht mich dabei aus. „Sie kann und will einfach nicht allein sein. Und du bekommst jetzt alles zurück, was du mir in unserer Ehe angetan hast. Das nenne ich mal ausgleichende Gerechtigkeit.“
Ich verstehe Matt. Und es tut mir aufrichtig leid, dass ich ihn über so viele Jahre hinweg nicht hab ordentlich aufs Klo gehen lassen. Und ich bin mir meiner Mitschuld bewusst, dass er heute nicht umsonst an akuter Verstopfung leidet.
Vielleicht hocken die Männer deshalb stundenlang am Klo, so denke ich, und nehmen was zum Lesen mit, sobald sie ihre liebe Not verrichten, weil sie selbst allesamt ihre liebe Not mit den Frauen haben, die sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Ein bisschen Privatsphäre, wenigstens am stillen Örtchen zuzulassen, sollte wohl auch meiner Frau anzutrainieren sein, wollte ich nicht so wie Matt auch eines Tages an chronischer Verstopfung leiden. Wozu heißt es denn sonst stilles Örtchen.