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Оглавление1. Pessche bat Jehuda, eschet Schimon, HOMEYER Nr. 6
H: 140 cm B: 65 cm T: 12,5 cm
Pessie Levi (um 1776 bis 16.10.1830)
Die Angaben zu Ehemann und Tochter im Familienbuch des Landrabbinats1 sowie der Bericht des Wunstorfer Stadtvogts Wolbrecht an das Regierungskollegium des Calenberg-Grubenhagenschen Polizei- und Städtedepartements vom 31.8.18072 erlauben die Identifikation Pessches mit der Ehefrau des Kaufmanns Simon Aron (Nr. 6), der 1835 als Witwer und (Adoptiv-) Vater einer Tochter mit Namen Röschen stirbt.
Dem Bericht des Stadtvogts zufolge war Pessie Levi die Witwe des Schutzjuden Aron Marcus, einem Sohn von Marcus Hirsch und seiner Frau Mindel Schalom, und stellte mit ihrem Bräutigam Simon Aron aus Springe den Antrag, den Schutzbrief ihres verstorbenen Ehemanns auf diesen zu übertragen. Aron Marcus, der im Januar 1806 noch lebte, handelte mit »Ellenwaren«, also Waren (z. B. Stoffe), die nach Schnittlänge berechnet wurden. Außerdem betätigte er sich als Schlachter. Wolbrecht bescheinigte ihm am 10.1.1806 einen »exemplarisch guten Lebenswandel«3. Er war einer der drei Schutzjuden, die die Stadt im Dezember 1805 durch Fouragelieferungen an die in Wunstorf einquartierten russischen Truppen vor großen Schwierigkeiten bewahrte.4
Pessche, die aus Gronau (vermutlich Gronau a. d. Leine) stammte, und ihr (zweiter) Mann, der wie sein Vorgänger Kaufmann war, hatten – darauf lassen der Wortlaut ihrer Grabinschriften sowie das Chronogramm in Z. 10 schließen – innerhalb der jüdischen Gemeinde eine hervorgehobene Position. Ihr in Z. 4 offenbar angedeutetes Legat dürfte dem 1825/26 gegründeten »Krankenpflege- und Gesetzstudium-Verein« zugutegekommen sein.
1 FB Wunstorf; vgl. HOMEYER, S. 123.
2 SJ.
3 SJ.
4 Ebd.; vgl. zu Nr. 4 und 5.
Übersetzung
Hier ist begraben / eine Frau, die all ihre Tage handelte in Warmherzigkeit; / sie öffnete ihre Tür den Elenden Israels und der Völker; / und (Mittel für) Krankenspeisung [s. Komm.!] hat sie hinterlassen in einem Schriftwechsel. / [5] Und siehe! Die Tore der Güte und Barmherzigkeit sind ihr geöffnet (vgl. Ps 118,19). / Pessche, Tochter des verehrten Herrn Jehuda, s. A., Ehefrau / des verehrten Herrn Schimon, es behüte ihn sein Fels und sein Erlöser (vgl. Ps 19,15), verschied zur Trauer ihres Ehemannes / an Tag 3, dem 9. Marcheschwan (Dienstag, 16.10. [1830]), und wurde versammelt zu ihren Vorfahren (→F3) / zur Betrübnis ihrer einzigen Tochter an Tag 4, dem 10. desselben (Monats), / [10] in dem Jahr, das zählt 591 (bzw. »welches das Ende berechnete«) n. kl. Z. (Mittwoch, 17.10.1830) / Es sei ihre Seele eingebunden in das Bündel des Lebens! (→F4)
Kommentar
Z. 1–5: Am Beginn der Inschrift für Pessche bat Jehuda werden nicht, wie sonst üblich, die Eigenschaften der Ehefrau und Mutter gepriesen, sondern ihre Wohltätigkeit. Zedaka (»Gerechtigkeit«, »Wohltätigkeit«) ist ein zentraler Begriff der jüdischen Ethik. Wenn er hier auch nicht erscheint, sondern durch chammimut »Wärme«) ersetzt wird, zeigt die Schilderung ihres Tuns ein Vorbild an Engagement für die Mitmenschen. Dabei überschreitet ihr Bemühen sowohl religiöse wie zeitliche Grenzen, indem sie sich nicht nur ihren Glaubensgenossen, sondern – gemäß Lev 25,35 u. a. – auch Andersgläubigen ummot »Völker«) zuwendet und durch eine testamentarische Verfügung (Stiftung?) die Speisung von Kranken birja vgl. 2Sam 13,5;7;10, ein selten verwendetes Wort, jedoch vom Kontext her wahrscheinlichste Lesung) ermöglicht. Ihr Lohn im Jenseits ist ihr gewiss, wie in Anlehnung an Ps 118,19 versichert wird: »Die Tore der Güte und Barmherzigkeit sind ihr geöffnet«, wobei Güte chessed) und Barmherzigkeit rachamim; Pl. zu rechem »Mutterleib«) Eigenschaften Gottes darstellen, mithin die Tore der »Stadt Gottes«, des endzeitlichen Jerusalems (vgl. Ps 122; Jes 65,16–25), gemeint sind.
Z. 6–7: Pessche (Z. 6) leitet sich nach BEIDER, S. 478 f., nicht von der engl. Kurzform für Elisabeth, Bes[s], her (so ZUNZ 1837, S. 96), sondern von einer im mittelalterlichen Rheinland entstandenen aschkenasischen Form für Bat-schewa [Batseba]; bas ist die aschkenasische Lautung für bat »Tochter«. Der Name ist nach jiddischer/jüdisch-deutscher Orthographie geschrieben (Wiedergabe des e im Inlaut durch Ajin ]; He bezeichnet den vokalischen Auslaut, der hier zur wjidd./dt. Diminutivendung -che[n] gehört). Pessche ist eine Tochter des bereits verstorbenen (»s. A.«; »seligen Angedenkens«) Jehuda und mit Schimon verheiratet, der zur Zeit ihres Todes noch lebt, weshalb die Abk. mit dem Segenswunsch »es behüte ihn sein Fels und sein Erlöser« [Abk. f. jischmerehu zuro we-go'elo]) aufzulösen sein dürfte (Alternativen s. bei HÜTTENMEISTER, S. 190). Wie der religiöse Name des Vaters (Jehuda) nahelegt, ist Levi als Nebenform des Alltagsnamens Leib (»Löwe«) und nicht als Hinweis auf eine levitische Abstammung zu verstehen. Im sog. Jakobssegen (Gen 49,9) wird Juda von seinem Vater mit einem Löwen verglichen (siehe auch den Kommentar zu Nr. 88, Z. 3).
Z. 9: Sie hat eine einzige Tochter (n. Stadtvogt Wolbrecht [SJ; s. o.] aus erster Ehe), ein Umstand, der zur starken Betonung ihrer Wohltätigkeit beigetragen haben mag, galt doch Kinderreichtum und die Geburt wenigstens eines Sohnes für ein jüdisches Ehepaar als Zeichen göttlichen Segens. Z. 10: (591): Voranstellung des (1) lässt auf ein Chronogramm schließen; wahrscheinlich ist (et kez »das Ende«, Akk.) zu lesen, wobei mit der Mehrdeutigkeit von (chaschaw »bedenken«; »rechnen«, »zählen«) gespielt wird.
Äußere Form: Ältester erhaltener Grabstein des (neuen) jüdischen Friedhofs. Stele mit Dreiecksgiebel, erhabenem Rand (Zeltsilhouette im Giebel; vgl. Ps 15,1–2) und erhabener Schrift auf gerautem Schriftfeld.