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Die Schule
ОглавлениеBevor es 1832 zu einer ersten Regelung der Schulpflicht für jüdische Kinder kam und der Landrabbiner Instruktionen zur Ordnung des Unterrichts erließ, gab es in Wunstorf bereits einen cheder, d. h. eine auf Bibel- und Talmudunterricht beschränkte jüdische Schule. Für deren guten Ruf spricht, dass z. B. die Eltern des späteren Hannoverschen Bankiers Hirsch Oppenheimer vor 1818 ihren Sohn von Gronau a. d. Leine bis zu seiner Bar-Mizwa-Feier dorthin schickten.159
Die Regelungen der Jahre 1832 und 1842 führten wegen des Fehlens geeigneter Lehramtskandidaten zunächst nur zur Einrichtung einer Religionsschule. Erst 1856 gelang mit der Anstellung eines geprüften Elementarlehrers (Jacob Löwenstein) die Einrichtung einer jüdischen Volksschule.160 Bislang mussten die schulpflichtigen jüdischen Kinder die christliche Schule besuchen, was ihnen auch künftig freistand. Allerdings mussten die Eltern in diesem Fall neben den Kosten für den Besuch der christlichen Schule auch die Beiträge für die jüdische Schule weiterhin zahlen.161 Deren Höhe richtete sich anteilig nach dem allgemeinen Steuersatz des jeweiligen Gemeindemitglieds.162 Ergänzt wurden diese Beiträge seit den 1830er Jahren durch städtische Zuschüsse.163
Schulpflicht bestand seit der Verordnung von 1854 vom 6. bis zum 14. Lebensjahr. Sie konnte auf Antrag vom Landrabbiner »in einzelnen dringenden Fällen« um ein Jahr verkürzt werden (§ 2). Die Unterrichtsgegenstände waren für die jüdische Religionsschule:
a. Hebräisch lesen und jüdisch Schreiben [d. h. deutsch in hebräischer Schreibschrift; E. K.], b. hebräische Sprüche und Gebete, so wie die Übersetzung derselben, c. Übersetzung und Erklärung der heiligen Schrift, d. hebräische Grammatik, e. biblische und jüdische Geschichte, f. systematische Religionslehre und wo thunlich g. rabbinische Schriften und Gesang. (§ 34)
In der jüdischen Elementarschule wurden diese Lerninhalte ergänzt durch »deutsch Lesen und Schreiben, deutsche Sprache, Rechnen, Geographie, Geschichte, Naturkunde, so wie Denk- und Sprechübungen.« (§ 34)164
Während die religiöse Bildung auch nach 1854 zunächst noch etwa die Hälfte der erteilten Unterrichtsstunden einnahm,165 glich sich das Verhältnis bis zur Jahrhundertwende demjenigen in den christlichen Volksschulen immer mehr an. Im Vordergrund stand nun auch hier die Erziehung zum preußisch-deutschen Patrioten.166 Ein Unterschied zwischen Jungen- und Mädchenbildung bestand spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts an jüdischen Schulen nicht mehr.167
Während die einklassige jüdische Volksschule in Wunstorf 1901 noch von 13 Kindern besucht wurde,168 was in etwa dem Stand der 1870er Jahre (ca. 15)169 entsprach, verringerte sich diese Zahl bald darauf drastisch. 1905 war die Zahl auf 4 gesunken.170 1909 besuchte lediglich eines von insgesamt 8 schulpflichtigen Kindern die jüdische Schule.171 Die Gründe für diesen Rückgang dürften neben dem Wegzug jüdischer Familien in größere Städte an dem Wunsch nach einem höheren Bildungsabschluss und den ungünstigen räumlichen Bedingungen in dem alten Synagogen- und Schulgebäude gelegen haben. So hatten bereits in den 90er Jahren Israel und Bertha Blank, geb. Goldschmidt (Nr. 68), ihren jüngsten Sohn Paul auf die Jacobson-Schule in Seesen geschickt,172 eine von dem jüdischen Reformer Israel Jacobson gegründete Realschule, die auch christliche Schüler wie der Wunstorfer Bauunternehmersohn Henry Greiner173 besuchten. 1909 gingen sieben der acht jüdischen Schulkinder auf die 1904 als Privatinitiative gegründete »Höhere Knaben- und Mädchenschule« (seit 1910 »Scharnhorstschule«) in Wunstorf.174 Über den Unterrichtsraum der jüdischen Volksschule schreibt Meier Spanier im Gedenken an seinen Wunstorfer Lehrer und späteren Hamburger Kollegen Jonas Goldschmidt (1854–1920), einen Schwiegersohn des Kaufmanns Herz Mendel (Nr. 54) und seiner Frau Friederike, geb. Steinfeld (Nr. 58):
Ein kleines weissgetünchtes Zimmer, dessen Decke abbröckelte und von dessen Fussboden wir Kinder uns die glaubhafte Sage erzählten, dass einmal ein Lehrer durchgefallen und in die Küche darunter gesunken sei. Runzelige Bänke, die die Möglichkeit gaben, jeden Augenblick Plus- und Minusdistanz herzustellen. Der Raum war nicht schön. Aber der Lehrer, der den Religionsunterricht gab, war ein im Innersten frommer und gütiger Mensch.175
In dem von Oberregierungsrat Meyer und Regierungs- und Baurat Achenbach für den Landrat in Neustadt/Rbge. im Zuge der Verlegung der Synagoge in die Küsterstraße erstellten Gutachten vom 9. Juli 1912 heißt es u. a.:
Das jetzige Schulhaus ist ein ganz altes baufälliges Fachwerk-gebäude [!] mit niedrigen dumpfen Räumen. Im oberen Stockwerk, in dem sich die beiden Wohnzimmer des Lehrers befinden, beträgt die lichte Höhe nur 1,90 m. Unter dem Schulzimmer hat wiederholt Schwamm beseitigt werden müssen.176
Dass sich die jüdische Gemeinde, unterstützt vom Landrabbiner, beharrlich um den Erhalt der Volksschule bemühte und ihr dies bis 1924 auch gelang, lag an der Bedeutung der Lehrerstelle für die Kultusaufgaben und der in dieser Hinsicht freundlichen Haltung der staatlichen Stellen.177 So schreibt Landrabbiner Dr. Gronemann am 12. Februar 1906 an die Kgl. Regierung, Abt. für Kirchen und Schulwesen, in Hannover:
Die Zahl der Schulinteressenten ist in der Gemeinde Neustadt etwa die gleiche, wie die in Wunstorf, doch ist die Schülerzahl eine grössere. Hingegen findet in Neustadt schon seit längerer Zeit kein regelmässiger Sabbatgottesdienst statt, da hierzu mindestens 10 erwachsene Männer gehören und diese Zahl selten aufgetrieben werden kann. In Wunstorf indessen findet regelmässig noch Sabbatgottesdienst statt und ist dieser derart der Gemeinde Bedürfnis, dass sie nach dem Abgange des Lehrers Moses sich zu diesem Zwecke einen erwachsenen Schüler des Seminars kommen lässt. Ein Lehrer in Neustadt würde deshalb wohl den Religionsunterricht in Wunstorf erteilen, nicht aber die religiösen Funktionen am Sabbat versehen können, da er doch immerhin an diesem Tage die Gemeinde seines Wohnsitzes nicht wird verlassen können. Aus diesem Grunde bitte ich die Königliche Regierung, dahin zu wirken, dass in beiden Ortschaften die jüdischen Volksschulen weiter bestehen. (JSW)
Von 1924 bis Anfang 1933 wurde der Religionsunterricht von bei der Gemeinde fest angestellten Religionslehrern erteilt. Die Haushaltspläne von 1933 bis 1938 weisen anstelle des Religionslehrergehaltes deutlich niedrigere Beträge für »Erteilung des Religionsunterrichts« aus, so dass man nicht mehr von einer dauerhaften Unterrichtsversorgung ausgehen kann.178