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Der Vorsteher
ОглавлениеDie Leitung der Gemeinde oblag dem ehrenamtlichen Vorsteher (hebr.: parnas u-manhig, vgl. Nr. 37), dem normalerweise ein Rechnungsführer zur Seite stand.73 Die Übernahme beider Wahlämter musste von der (staatlichen) Obrigkeit bestätigt werden. Während der Rechnungsführer eine unentgeltliche Führung ablehnen konnte (was in Wunstorf offenbar nicht vorkam), war der Vorsteher bei Wahl durch die wahlberechtigten Gemeindemitglieder in der Regel verpflichtet, das Amt als reines Ehrenamt für die Amtszeit von drei Jahren zu übernehmen. Vorgeschrieben war eine Beeidigung, die, wenn die Wahlversammlung dies beschloss, durch ein »Gelöbnis an Eidesstatt« ersetzt werden konnte.
Für beide Amtsinhaber, besonders für den Vorsteher, dürfte die nebenberufliche Tätigkeit im Allgemeinen eine nicht geringe zusätzliche Belastung dargestellt haben. Zu den Aufgaben des Vorstehers gehörten u. a. die Aufsicht über die jüdische Schule (Anstellung und Aufsicht über den Lehrer; Kontrolle des regelmäßigen Schulbesuchs der Kinder u. a.) sowie die Ordnung in der Synagoge. Er vertrat die Gemeinde nach außen, z. B. gegenüber dem Magistrat, dem Landrabbiner oder vor Gericht. Wie die Akten von Gemeinde und Landrabbinat zeigen, war mit seinen Aufgaben ein umfangreicher Schriftverkehr verbunden.
Andererseits erhöhte das von der Gemeinde entgegengebrachte Vertrauen und ein erfolgreiches Wirken das Ansehen des jeweiligen Amtsträgers in Gemeinde und Stadt. Umgekehrt war es für die Gemeinde von Vorteil, eine bereits in der Stadt anerkannte Persönlichkeit zum Vorsteher zu wählen.
Vorsteher der Synagogengemeinde Wunstorf
Vor 1844: | |
1806 | Samuel Moses [Spanier] |
? | Simon Aron [Aronschild] (?) |
1819 | David Moses Spanier |
1825 | Moses [David] Spanier |
1827 | Abraham Moses Löwenberg |
1838 | Moses David Spanier |
Nach der Neuordnung des Gemeindegebietes (1843): | |
1844–1847 | Elias David Spanier |
1848–1850 | Moses David Spanier |
1851–1853 | Moses Abraham Löwenberg |
1854–1856 | Ephraim Abraham Spanier |
1857–1859 | Moses David Spanier |
1860–1862 | Aron Rosenberg |
1863–1865 | Moses Abraham Löwenberg |
1866–1871 | Moses David Spanier |
1872–1874 | Levy Abraham Löwenberg |
1875–1900 | Mendel Löwenstein |
1900–1939 | Albert (Jakob) Mendel |
1939–1940 (?) | Richard Lazarus |
Die aus den Akten74 teilweise rekonstruierbare Liste der Vorsteher zeigt, dass das Amt, von Ausnahmen abgesehen, im 19. Jahrhundert in der Hand der beiden angesehenen Familien (Abraham) Spanier und Löwenberg lag. Ausnahmen sind, neben dem aus Springe gebürtigen Simon Aron (Aronschild, Nr. 6), der zuvor zum Bürgervorsteher avancierte Ziegeleiverwalter Aron Rosenberg (Nr. 59/60) und der aus Luthe stammende Holzhändler Mendel Löwenstein (siehe den Kommentar zu Nr. 9), dessen Wirken auch außerhalb der jüdischen Gemeinde gewürdigt wurde, wie das Glückwunschschreiben des Magistrats (Bürgermeister Ernst Ouvrier) vom 10. Januar 1900 zu seinem drei Tage zuvor gefeierten 25. Amtsjubiläum zeigt:
Wie wir erfahren haben, blicken Sie bei der Wende des Jahrhunderts auf eine ununterbrochene Thätigkeit von 25 Jahren als Vorsteher der hiesigen Synagogen-Gemeinde zurück.
Mit dem Ausdruck der Freude, daß es Ihnen vergönnt gewesen ist, diesen wichtigen Tag zu feiern, verbinden wir denjenigen des Dankes, daß Sie stets es verstanden haben, Ordnung und Zucht in Ihrer Gemeinde, sowie Achtung vor dem Gesetz und Gotteswort aufrecht zu erhalten. Hierdurch, sowie durch die im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens aller verschiedenen Konfessionen von Ihnen stets geübte Geschäftsführung haben Sie sich ein nicht unerhebliches Verdienst um die hiesige Stadt und den Dank der städtischen Behörden erworben. Diesen Dank hiermit auszusprechen, ist der Zweck dieses Schreibens. Zugleich fügen wir den Wunsch an, daß Sie noch lange Ihr Amt in demselben Geiste fortführen, oder aber es Ihnen vergönnt sein möchte, auf diese Thätigkeit noch recht lange zurück blicken zu können.75
Den Nachfolgern Mendel Löwensteins als Vorsteher, Albert Mendel und Richard Lazarus, kam die schwere, ja aussichtslose Aufgabe zu, die Interessen der jüdischen Gemeinde gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern zu vertreten. Wie lange Richard Lazarus die Gemeindeleitung innehatte, lässt sich nicht exakt bestimmen. Der erste Beleg für seine Vorstehertätigkeit datiert vom 7. Juni 1939,76 also noch vor der »Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen« vom 4. August 193977, die der »Reichsvereinigung der Juden in Deutschland«78 das »Recht« zusprach, bei Gemeinden »ohne ordnungsmäßigen Vorstand« einen neuen Vorstand einzusetzen (§ 1).79 Er dürfte demnach noch von der Gemeinde gewählt worden sein. Letztmalig erscheint er als Gemeindevertreter in einem Vertrag über den Verkauf von Grundstücken der Synagogengemeinde vom 23. Oktober 1940, der von dem Wunstorfer Notar W. Dannheim beglaubigt wurde.80