Читать книгу Verhaltenstherapeutische Paartherapie - Elisa Ewald - Страница 17
3.2.1 Der Zwangsprozess
ОглавлениеDie Zwangsprozesshypothese zur Verschlechterung der Ehequalität (Patterson und Reid 1970; Patterson und Hops 1972) basiert im Wesentlichen auf der sozialen Lern- (Bandura 1971) und Austauschtheorie (Thibaut und Kelley 1959) und geht ursprünglich auf Forschungsarbeiten zu (negativen) Lerneffekten spezifischer Familieninteraktionen zurück. Anfang der 1970er Jahre wurden die sogenannten Zwangsprozesse i. S. kommunikativer Teufelskreise und Eskalationsspiralen auf Partnerschaften übertragen.
Ausgangspunkt ist der Wunsch eines Partners, den jeweils anderen zu verändern. Dieser Wunsch erwächst fast zwangsläufig aus den (natürlichen) Veränderungen im Rahmen einer Partnerschaft, die durch Enttäuschungen partnerschaftlicher Erwartungen (z. B. wenn beide Partner unterschiedliche Beziehungskonzepte mit in die Partnerschaft bringen oder anfängliche Idealisierungs- und Harmonisierungstendenzen abnehmen), kritische Lebensereignisse (z. B. Umzug, Arbeitslosigkeit) und den Familienzyklus (z. B. die Geburt eines Kindes) oder alltäglichen Kleinigkeiten (die erst durch die Häufigkeit ihres Auftretens aversiv werden) hervorgerufen werden können. Insbesondere in Krisenzeiten, aber auch in alltäglichen Situationen, bedienen sich Partner dann unterschiedlich hilfreicher Methoden, um den jeweils anderen zu Verhaltensänderungen zu bringen. Hierfür werden Belohnungen und Bestrafungen eingesetzt. Gelingt keine zufriedenstellende Adaptation an die neue Situation, die Erwartungen und Forderungen des jeweils anderen Partners oder kann keine von beiden Partnern akzeptierte Problemlösung erzielt werden, sodass der Wunsch nach Verhaltensänderung unbefriedigt bleibt, setzt ein sogenannter Zwangsprozess ein.
Partner A greift hierbei – meist nach Anwendung verschiedener erfolgloser Methoden (z. B. den Partner darum bitten, den Müll regelmäßig vor die Tür zubringen) – zu aversiven Maßnahmen, in dem er eine Veränderung durch Bestrafung (z. B. Nörgeln, Drohen) oder Entzug positiver Verstärker (z. B. nicht mehr aktiv zuhören, Verweigerung von Intimität und Zärtlichkeiten) durchzusetzen versucht. Hält Partner A diese aversiven Maßnahmen lange genug aufrecht, wird Partner B kurzfristig einlenken und sein Verhalten an die Wünsche von Partner A anpassen. Partner B wird dadurch negativ verstärkt; d. h., sie/er lernt, dass Partner A aufhört zu nörgeln, zu drohen, zu schreien, sobald er einlenkt. Gleichzeitig wird Partner A in seinem aversiven Verhalten positiv verstärkt, d. h., sie/er lernt, dass durch die aversiven Maßnahmen die gewünschte Verhaltensänderung endlich eintritt. Allerdings kann er sich nie darauf verlassen, dass seine Maßnahmen auch beim nächsten Mal Erfolg haben werden (intermittierendes Verstärken).
Infolge dieser Lernprozesse steigt zukünftig die Wahrscheinlichkeit bei beiden Partnern, dass aversive Methoden zur Durchsetzung eigener Interessen angewendet werden. Problematisch ist weiterhin, dass sich durch aversive Methoden keine dauerhaften Verhaltensänderungen hervorrufen lassen, sodass sich einerseits immer mehr ungelöste Konflikte anstauen und andererseits die Partner an die gezeigten Strafreize habituieren. Die aversiven Maßnahmen müssen somit in ihrer Intensität gesteigert werden, um noch eine Wirkung zu erzielen. Dies kann dazu führen, dass einer der Partner mit Tabubrüchen (»Dann sag ich Deiner Mutter, dass …«), Trennung, Suizid oder Gewalt droht bzw. diese Drohungen auch umsetzt werden ( Kap. 5.2.4). Begleitet wird diese negative Spirale durch eine reziproke Reduktion der positiven Interaktion in der Beziehung, die durch Gewöhnungsprozesse noch beschleunigt wird. Vor diesem Hintergrund nehmen die Attraktivität und Zuneigung langfristig ab, sodass andere Partner gleichzeitig an Attraktivität gewinnen. Aufgrund der Lernprozesse kann der Zwangsprozess jederzeit und sehr schnell ausgelöst werden, insbesondere wenn das Paar bspw. zum Erstgespräch in eine Paartherapie kommt und erstmalig von seinen Schwierigkeiten in der Partnerschaft und miteinander berichtet.