Читать книгу Kostrows Wahrheit - Emil Horowitz - Страница 13

Phase 11 \\ 9. August – 9:39 Uhr

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Meet the car of your life. Kostrow starrt missmutig den Monitor auf seinem Schreibtisch an. Seit einer Viertelstunde durchforscht er die farbenfrohe Glitzerwelt des Fahrzeugsortiments von Global Automotive, erduldet langweilige Besichtigungstouren durch das Modellangebot der zwölf GA-Marken mit ihren Produkten. Wozu eigentlich zwölf Marken? Die sehen doch alle gleich aus. Großvolumige Highwayboliden, denen die ökologische Unvernunft unter jeder Lichtkante hervorlugt.

Kostrow rollt die Produktseite des Marksman Rebel Cuperado herunter. Tolle Abgaswerte. Alle unter den gesetzlichen Vorgaben. Und der Verbrauch! Praktisch nicht der Rede wert. Reparaturanfälligkeit? Was sind das, Reparaturen? Dazu verlockende Finanzierungsmodelle, All-Inclusive-Servicepakete, Zusatzversicherungen, ein satellitengestütztes Diebstahlaufspürsystem. Er lässt die Fotos funkelnden Lacks, edler Innenraumausstattung und Eindruck schindender Hightechkultur auf sich wirken. Trotzdem kann er die Assoziation fabrikneuen Altmetalls nicht abschütteln. Die Sehnsucht nach seiner dreißig Jahre alten Vespa kommt in ihm hoch. Die müsste mal wieder bewegt werden, sonst wird sie noch schwermütig, und ich auch.

Obwohl ihm klar ist, dass er auf der Website nichts Erhellendes zu den inoffiziellen Unternehmensbereichen erfahren wird, sucht er weiter. Ein Klick öffnet den Bereich About GA. Das Credo des Unternehmens nimmt fast den gesamten Bildschirm ein. Create an Universe of Customer Fascination. Kostrow entschlüpft ein kurzes Schnauben. Sollte das ein Hinweise für Eingeweihte sein? Die Faszination der Kunden kann ich mir vorstellen, wenn sie unvermittelt mit einem übermenschlich intelligenten Kampfroboter konfrontiert werden.

Ansonsten wenig Erhellendes, in animierten Abschnitten dargestellt. 270.000 Mitarbeiter auf fünf Kontinenten. Man spricht 82 Sprachen. So drückt man heute wohl aus: "In unserem Weltreich geht die Sonne nicht unter. Ave CEO, morituri te salutant".

Kostrow wechselt zum Bereich Leadership, hoffend, zumindest hier Einstiegsinformationen zu erhalten, doch alles, was dargeboten wird, sind die Profile des Führungsteams. Die sehen alle so sympathisch aus, kaum vorstellbar, dass sie sich mit der dunklen Seite der Macht beschäftigen. Auch die Bereiche über die Unternehmensgeschichte und die Nachhaltigkeit liefern nichts Erhellendes. GA hat eine glorreiche Geschichte des Aufstiegs aus bescheidensten Anfängen hinter sich. GA ist führend bei umweltfreundlichen Produktionsverfahren. GA engagiert sich in zahlreichen sozialen Projekten. Und selbstverständlich bedeutet ein Engagement in GA-Anteile eine narrensichere Langzeitinvestition. Das dürfte wohl stimmen, sobald die ersten Kampfroboter-Schachpartien gelaufen sind.

Kostrow will sich dem rätselhaft klingenden Menüpunkt Usability Relevance zuwenden, als sich sein Smartphone mit Stephan Sieblat als Anrufer meldet. "Gut geschlafen?"

Kostrow lässt sich in seinen Sessel zurückfallen. "Es geht."

"Wie war's?"

"Wie war was?"

"Na, mit der Rothaarigen bei Corluccio."

"Was soll der Unsinn?"

"Na komm, vor mir musst du keine Geheimnisse haben."

"Wie kommst du nur auf eine so dämliche Idee?"

"Wie ich auf so eine Idee komme? Weil ich dich kenne, Partner. So etwas lässt du dir nicht entgehen."

"Du hältst mich wohl auch für einen manischen Aufreißer."

"Auch?"

"Ich meine, du ... nicht auch ... du weißt schon, was ich meine."

"Wer hält dich denn noch dafür?"

"Niemand."

"Und dieser Niemand – hat der auch einen Namen?"

"Jetzt hör endlich auf mit dem Unsinn."

"Na schön. Und – wie war's?"

"Es war ... in Ordnung."

"In Ordnung."

"Ja, in Ordnung. Sehr in Ordnung sogar." Kostrow muss grinsen.

"So was will ich hören! Und, wann trefft ihr euch wieder?"

"Gar nicht."

"Gar nicht? Was hast du angestellt, du Tölpel?"

"Überhaupt nichts. Das geht von mir aus."

"Von dir? Das glaube ich nicht. Du musst irgendwas verbockt haben, und zwar gründlich."

"Habe ich nicht. Ich bin eben zu dem Schluss gekommen, dass das keinen Sinn macht."

"Wie bitte? Die Fortsetzung einer Affäre mit diesem rothaarigen Rauschgoldengel macht keinen Sinn?"

"So ist es."

Kurzes Schweigen. "Entschuldigung, ich bin doch mit Kostrow verbunden?"

"Lass den Quatsch."

"Jokim Valerian Kostrow, der Liebesgott der postmodernen Datingkultur?"

"Liebesgott, von wegen."

"Irgendwas stimmt nicht mit dir."

"Was, weil ich nicht kopflos durch die Gegend vögeln möchte?"

"Und warum nicht, wenn ich fragen darf?"

"Weil ..." Ja, warum eigentlich?

"Aha, gutes Argument."

"Ich habe schon meine Gründe."

"Und möchtest du mich nicht an deiner plötzlichen Erleuchtung teilhaben lassen?"

"Das verstehst du sowieso nicht."

"Vielleicht bin ich ja gar nicht so bescheuert wie du glaubst."

"Ich verstehe es ja selbst noch nicht so richtig."

"Den Eindruck habe ich auch."

"Ich denke über verschiedene Dinge nach, die mir früher nicht so wichtig waren."

"Und jetzt schon?"

"Zumindest gewinnen sie an Bedeutung."

"Man sagt ja, dass es hilft, die Gedanken zu ordnen, wenn man mit jemanden darüber spricht."

"Schon möglich."

"Na, dann gib dir einen Ruck, und lass mich teilhaben."

"Das ist nicht so einfach. Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll."

"Dann lass mich mal. Ich denke, dein Gesinnungswandel geht auf äußere Einflüsse zurück."

"Wie kommst du denn darauf?"

"Der Niemand, der dich für einen Aufreißer hält, bietet sich da regelrecht an." Kostrow schweigt nachdenklich.

"Ich gehe noch einen Schritt weiter und vermute, dass es sich um eine Niemand handelt."

"Du hättest Privatdetektiv werden sollen."

"Bin ich doch."

"Nicht wirklich. Aber gut, du hast recht."

"Ich bin nicht wirklich ein Privatdetektiv? Das ist ja ein starkes Stück."

"Du bist Vermögensverwalter. Aber jetzt erklär mir mal, wie du darauf gekommen bist."

"Nur so ein Gefühl. Am Samstag reißt du eine Traumfrau auf, und am Montag willst du nichts mehr von ihr wissen. Da tippe ich doch auf einen interessanten Sonntag."

"Damit liegst du nicht ganz falsch."

"Und – wie wär's mit einem Namen?"

"Sira."

"Ah."

"Was soll das heißen, ah?"

"Das erklärt einiges."

"Und was?"

"Ich habe das Mädel ja nie getroffen, aber gerade deshalb kann ich mir wegen der über dich reflektierten Wahrnehmung ein objektives Bild machen."

"Ach, tatsächlich."

"Tatsächlich. Sira hat also dein Gewissen wachgerüttelt."

"Das kann man so nicht sagen."

"Dann drücken wir es so aus: Sie hat dir klar gemacht, dass deine intensive Neigung, dich an schönen Frauen zu erfreuen, kein gutes Licht auf dich wirft."

Kostrow richtet sich in seinem Sessel auf. "Woher weißt du das?"

"Nur ein wenig Empathie und Profiling. Ich denke, dass ich Siras Motive verstehe."

"Glaubst du, dass sie mich manipuliert?"

"Das würde ich nicht sagen. Sie hat dir gegenüber keine unlauteren Absichten, im Gegenteil."

"Und was ist das Gegenteil von unlauteren Absichten?"

"Sie glaubt an das, was sie dir vermittelt, und vielleicht stimmt es auch. Sie versucht ganz einfach, ein Umfeld zu schaffen, das ihrem Endziel förderlich ist."

"Und was wäre dieses Endziel?"

"Na komm, du musst mich nicht verarschen."

"Wieso verarsche ich dich?"

"Du wirst mir doch nicht erzählen, dass dir nicht klar ist, was Sira will?"

"Ich habe keinen blassen Schimmer."

"Das gibt's nicht. Und so was will privater Ermittler sein."

"Also, was will sie? Nun red' schon."

"Na was schon? Sie will dich heiraten."

Kostrow bleibt die Sprache weg. Dann begehrt alles in ihm auf. "Heiraten?" Er beginnt, schallend zu lachen.

"Schön, wenn ich dich aufheitern konnte."

"Also wirklich, Kumpel", sagt Kostrow unter wiederholtem Lachen. "Diesmal hast du echt danebengehauen. Sira ist die emanzipierteste Frau, die ich kenne, die ist an einer häuslichen Idylle wirklich nicht interessiert."

"Du denkst also, emanzipierte Frauen wollen nicht heiraten?"

"Ich kann nicht für alle sprechen, aber Sira sicher nicht."

"Und woraus schließt du das?"

Ja, woraus? "Wenn du sie persönlich kennen würdest, wäre dir das klar."

"Aber da ich sie nicht persönlich kenne, könntest du mir das nicht näher erläutern?"

"Also, Sira ist klug, abgeklärt, beruflich engagiert. Sie hat ganz andere Lebensziele."

"Und dass sie toll aussieht, spielt sicher keine Rolle."

"Woher willst du wissen, wie sie aussieht?"

"Von dir, Kumpel."

"Gut, schön, für mich spielt ihr Aussehen natürlich eine Rolle, aber für sie selbst doch nicht."

"Glaubst du wirklich?"

"Und selbst, wenn es für sie eine Rolle spielt, bedeutet es doch nicht, dass sie heiraten will."

"Das habe ich auch nicht behauptet."

"Du hast doch gerade gesagt, dass Sira heiraten will."

"Nein, ich habe gesagt, dass Sira dich heiraten will. Detail erkannt?"

"Das müsste dann aber bedeuten, dass ..."

"Na?"

"Nein, das kann nicht stimmen."

"Sprich es ruhig aus. Sira liebt dich."

"Tut sie nicht, hat sie selbst gesagt."

"Ach, das hat sie gesagt?"

"Ja, hat sie."

"Also, das interessiert mich jetzt. In welchem Kontext hat sie das gesagt?"

"Wenn du es genau wissen willst, ihr ist während unserer Unterhaltung der Satz herausgerutscht, dass man sich nicht aussuchen kann, wen man liebt. Aber sie hat dann gleich klargestellt, dass das nur ein Formulierungsfehler war und sich nicht auf uns bezieht."

"Ach was, ein Formulierungsfehler. Na, das ist ja ärgerlich."

"Ja, ein Formulierungsfehler. Kann jedem passieren."

"Hör mal, du Frauenversteher, ist dir nicht der Gedanke gekommen, dass das eine ganz klare Liebeserklärung war?"

"Eine Liebeserklärung? Du spinnst ja wohl! Sie hat es ganz eindeutig zurückgenommen."

"Und in der Erbse, die du als dein Gehirn missbrauchst, ist dir keine plausible Erklärung dafür eingefallen?"

"Erklärung?"

"Erklärung, ja! Sira hat versehentlich etwas verraten, was sie unbedingt für sich behalten wollte, nämlich die unverständliche Tatsache, dass sie dich liebt."

"Aber warum sollte sie das gleich wieder zurücknehmen?"

"Warum wohl. Um keinen Druck auf dich auszuüben, du Torfkopf."

"Das ist doch unsinnig. Wenn ich nicht erfahre, dass sie mich liebt, wie sollen wir jemals weiterkommen?"

"Und da kommst du nicht selbst drauf?"

"Ehrlich gesagt nicht."

Stephan seufzt. "Vielleicht, aber das ist nur so eine vage Vermutung von mir, vielleicht möchte sie sich dir nicht offenbaren, bevor sie die nicht ganz unwesentliche Information darüber erhält, ob du sie liebst."

In Kostrows Kopf breitet sich Leere aus. Liebe ich Sira? "Also, dass ich mich zuerst offenbare, ist in Ordnung, aber Sira darf in Deckung bleiben."

"Du musst entscheiden, ob das für dich in Ordnung ist. Vielleicht denkt Sira ja, dass ein Aufreißer wie du, der gewohnt ist, den ersten Schritt zu tun, das ja auch in dieser sensiblen Angelegenheit tun könnte."

Kostrow denkt darüber nach. "Guter Punkt."

"Schön, dass ich zu deiner Charakterbildung beitragen konnte. Aber deshalb habe ich eigentlich nicht angerufen."

"Denke ich mir."

"Ich bin bei Enzo Milano einen Schritt weitergekommen."

"Das höre ich gerne."

"Erinnerst du dich an Roberto Conti?"

Kostrow lässt sich wieder in seinen Sessel zurückfallen. "Der Name kommt mir entfernt bekannt vor, aber ich kann ihn im Moment nicht zuordnen."

"Conti war Journalist beim Giornale Sud in Reggio di Calabria. Sein Schwerpunkt war Enthüllungsjournalismus gegen die ´Ndrangheta. Das hat zur Verhaftung von rund vierzig capobastone, contabili und capi società geführt. Damit ist die Zeitung kurzzeitig weltweit bekannt geworden."

"Ja, jetzt weiß ich wieder. Was ist aus ihm geworden? Ich kann mich nicht mehr erinnern."

"Ich auch nicht. Aber etwas anderes ist mir dazu eingefallen."

"Und das wäre?"

"Dieser Conti war früher ziemlich vertraut mit Jannik Bornemann."

"Was, wirklich?"

"Entweder direkt, oder über einen anderen Journalisten, daran kann ich mich im Augenblick nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall wollte ich dich darauf aufmerksam machen."

"Das ist hervorragend. Ich werde Jannik darauf ansprechen. Vielleicht hat er noch Kontakt."

"Du hast es auf den Punkt gebracht, Tiger. Ich dachte mir, dass du das wissen möchtest."

"Und ob ich das möchte, danke dir."

"Immer gerne zu Diensten. Mach's gut." Stephan trennt die Verbindung.

Kostrow starrt auf den Bildschirm, wo der Mauszeiger noch immer über dem rätselhaften Begriff Usability Relevance auf der GA-Website schwebt. Die Neugierde über dessen Bedeutung wird durch den übermächtigen Impuls in den Hintergrund gedrängt, mit Roberto Conti in Kontakt zu treten. In einem neuen Tab öffnet er Facebook und gibt im Suchfeld den Namen des Journalisten ein. Wie befürchtet, erscheint eine endlose Liste gleichnamiger Personen. Nach kurzer Überlegung gibt er sein Vorhaben auf. Ohne weitere Informationen fische ich nur im Trüben. Schulterzuckend macht er sich daran, das Geheimnis hinter dem Begriff Usability Relevance zu lüften.

Kostrows Wahrheit

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