Читать книгу Kostrows Wahrheit - Emil Horowitz - Страница 5
Phase 3 \\ 5. August – 11:51 Uhr
ОглавлениеKostrow überlegt, ob er auf der Terrasse Platz nehmen soll. Die von der Mittagssonne durchglühten Steinplatten am Sebastiansplatz und die von ihnen aufsteigende Hitze sprechen trotz der großen Sonnenschirme dagegen. Kostrow betritt das angenehm gekühlte, noch schwach besetzte Restaurant.
Enzo Milano geht auf Kostrow zu. "Buona giornata, Signor Jokim."
"Hallo Enzo. Kann ich meinen üblichen Tisch haben?"
"Kein Problem." Der glatzköpfige Chef des Tartufo Nero weist mit einer vagen Geste in den hinteren Teil des Lokals, führt Kostrow dann zu einem kleinen Ecktisch neben dem großen, in die Wand eingelassenen Aquarium, in dem sich acht Kois tummeln.
Der athletische Wirt rückt Kostrow den Stuhl zurecht. Der Privatdetektiv zeigt auf das Aquarium. "Ehrlich gesagt, ich verstehe immer noch nicht, was das soll."
Milano lächelt. "Japanische Karpfen in einem italienischen Restaurant?"
"Kois sind schön, wunderschön sogar, aber hier – nichts für ungut – ist das nicht ein Stilbruch?"
Der Wirt lässt den Blick durch sein im modernen, italienischen Stil gehaltenes Restaurant schweifen. "Italienisches und japanisches Design haben verwandte Elemente."
"Tatsächlich?"
"In ihrer reinen Form neigen beide zu Minimalismus."
Nachdenklich blickt Kostrow auf die großzügig platzierten Tische und Stühle aus hellem Holz. "Ja, vielleicht."
Enzo Milano legt eine Speisekarte vor Kostrow auf den Tisch. "Ein Glas Montepulciano?"
"Nein, ich warte noch."
"In Ordnung."
Irgendetwas an den Kois stört Kostrow, hat ihn schon seit dem ersten Besuch gestört. "Wer kümmert sich eigentlich um die Fische? Kois verursachen doch jede Menge Aufwand."
Milano, der sich bereits abgewendet hat, dreht sich wieder um. "Das erledige ich selbst."
"Was, Sie? Bei all der Arbeit, die das Restaurant macht?"
Milano lächelt. "Jeder Mensch braucht ein Hobby." Er wendet sich ab, geht auf das Reservationspult zu.
Hobby, von wegen. Da steckt mehr dahinter. Nachdenklich versinkt er in den Anblick der farbenfrohen Fische, folgt ihren unermüdlichen Bahnen durch das große Bassin. Er stellt fest, dass sie sich mit einer gewissen Würde bewegen. Müssen sie wohl, beim Preis eines Kleinwagens pro Fisch. Er stellt sich vor, wie sich ein Koi-Aquarium in seinem Wohnzimmer ausmachen würde.
"Erde an Kostrow." Er erwacht aus seinem Tagtraum. Vor dem Tisch steht Miriam im schwarzen, kurzen Businesskostüm. In Kostrow macht sich Sonnenschein breit. "Auf welchem Planeten warst du?"
Er lächelt. "Auf dem Planeten Koi."
Miriam setzt sich über Eck neben ihn. "Lassen dir die Fische noch immer keine Ruhe?"
"Irgendetwas ist mit diesem Aquarium."
"Und Detektiv Kostrow muss der Sache auf den Grund gehen."
Er sieht sie an, taucht in ihre hellblauen Augen ein, doch nach kurzer Zeit zieht das Aquarium wieder seinen Blick auf sich. "Etwas in der Art, ja."
Miriam streicht mit zwei Fingern über seine Wange, die Berührung leicht, fast nicht spürbar. "Armer Jokim, immer ein Opfer seiner Berufung."
"Mach dich nur lustig."
"Tue ich gar nicht."
"Tust du schon."
"Na ja, ein bisschen vielleicht."
Kostrow schiebt ihr die Speisekarte zu. "Ich mag nichts", sagt Miriam.
Aufmerksam blickt er sie an. "Echt?"
"Um diese Tageszeit habe ich oft keinen Hunger."
"Aber du hast mir doch vorgeschlagen, zum Mittagessen zu gehen."
Sie blickt in seine Augen. "Ich wollte dich einfach sehen." Sie beugt sich zu ihm, haucht einen sanften Kuss auf seine Lippen.
Seine Besorgnis hält an. "Und sonst ist nichts?"
"Nein, wirklich nicht. Alles in Ordnung."
"Aber ein Glas Wein trinkst du mit?"
"Lieber ein Wasser."
Kostrow gibt Enzo Milano ein Zeichen. Der Restaurantchef tritt an den Tisch. "Was kann ich bringen?"
"Ihre Idee mit dem Montepulciano war gut, ein Glas für mich, bitte."
"Sehr gerne."
"Und ein San Pellegrino."
"Klein?"
Kostrow blickt Miriam fragend an. Sie nickt schweigend.
"Ja, klein."
Er sieht unentschlossen auf die Karte. "Die Fusilli Vongole wären heute zu empfehlen", sagt Milano.
"Posano Pesci?"
"Genau. Mit dem Kühlwagen direkt aus Mazarra del Vallo geliefert. Vor 16 Stunden aus dem Meer geholt."
"Das ist ein Wort. Einen großen Teller bitte."
"Vielen Dank." Der Wirt macht sich auf den Weg zur Küche.
Schweigend sehen sie sich an. "Du hast mir gefehlt", sagt Miriam nach einer Weile.
Schwierig, jetzt zu lügen. "Du hast mir auch gefehlt." Es kommt ohne Anstrengung über seine Lippen. Also bin ich ein gewissenloser Lügner? Er spürt seinen Gedanken nach, seinen Gefühlen, seinen Erinnerungen. Nein, das ist es nicht. Es war keine Lüge. Sie hat mir gefehlt, trotz Sira.
Sie versinken in Schweigen. Enzo Milano bringt die Getränke, geht wieder.
"Frau Geist findet den neuen Firmennamen protzig."
"Für welche Variante hast du dich nun entschieden?"
"Die lange."
Miriam blickt ins Leere. "Jokim Valerian Kostrow und Partner."
"Ist das wirklich zu protzig?"
"Es ist ganz in Ordnung."
"Aber es wäre nicht deine Wahl."
"Ich denke, das kannst du besser beurteilen."
"Also gefällt es dir nicht."
"Der Name muss dir gefallen, nicht mir. Außerdem würde ich die Verantwortung nicht übernehmen wollen."
"Verantwortung?"
"Wenn mein Vorschlag sich als schlechte Wahl herausstellt, möchte ich nicht hören, dass ich schuld am Ruin der Firma bin."
Nun ist es seine Hand, die sanft über ihre Wange streicht. "Kätzchen, mach dir keinen Kopf. Es ist ganz allein meine Entscheidung."
"Dann ist es ja gut."
Die Nudeln kommen. Kostrow macht sich hungrig darüber her. Er spießt zwei Nudeln und eine Muschel auf, hält sie Miriam entgegen. "Mal probieren?"
Sie schüttelt schweigend den Kopf. "Wie ist eigentlich Stephans Meinung dazu?"
"Dem Namen?", sagt Kostrow zwischen zwei Bissen. "Keine Ahnung, ich habe ihn noch nicht gesprochen heute."
"Dein geheimnisvoller Geschäftspartner. Wann lerne ich ihn endlich einmal kennen?"
"Der ist überhaupt nicht geheimnisvoll. Ein typischer stiller Teilhaber, der im allgemeinen Geschäftsbetrieb nicht auftaucht."
"Merkwürdig."
"Eigentlich nicht. Er meint, dass sich die Beteiligung an einer Detektei nicht gut mit seinem Hauptgeschäft kombinieren lässt."
"Und findest du das auch?"
"Kann ich nicht beurteilen. Ich habe ja keine Vermögensverwaltung."
Nachdenklich nimmt Miriam einen Schluck aus ihrem Glas. "Was ist so schlimm daran, an einer Detektei beteiligt zu sein?"
"Stephan sagt, es könnte die Vertrauensbasis zwischen der Firma und den Kunden beschädigen. Viele würden sich nicht wohl fühlen, wenn sie wüssten, dass das Unternehmen, dem sie Teile ihres Vermögens anvertrauen, auch Nachforschungen betreibt. Vertraulichkeit ist ein grundsätzliches Element der Branche."
Miriam blickt nachdenklich auf das Koi-Aquarium. "Klingt plausibel."
"Stephan ist eine wirkliche Bereicherung. Er ist ein Wahnsinnsanalyst."
"Bist du selbst auch."
"Nicht wie Stephan. Das ist manchmal schon übersinnlich."
Miriam sieht ihn an, lächelt. "Na gut, Schatz. Ich bin manchmal einfach zu misstrauisch."
Kostrow denkt an ihr Telefongespräch am Vormittag. "Ja, Kätzchen, das bist du manchmal wirklich."