Читать книгу Kostrows Wahrheit - Emil Horowitz - Страница 17
Phase 15 \\ 11. August – 10:28 Uhr
Оглавление"Wollen Sie etwas vom Bäcker?", ruft Frau Geist aus dem Empfangsraum herüber.
Geistesabwesend sieht Kostrow vom Computer hoch. "Was?"
"Vom Bäcker. Wollen Sie was? Ich gehe jetzt hin."
"Ach so, nein, vielen Dank."
Die Empfangskraft verlässt das Büro durch die Glastüren und geht auf den Lift zu. Kostrow vertieft sich wieder in seine Recherche. Er öffnet Facebook und gibt im Suchfeld Rocco Rossi ein. Wie befürchtet, erscheint auch dieses Mal eine nicht enden wollende Liste mit Personen gleichen Namens. Wieder, wie jedes Mal zuvor, flucht er über die eingeschränkten Fähigkeiten des Suchfelds, das keine Volltextrecherche wie beispielsweise Rocco Rossi Germania oder Rocco Rossi Deutschland erlaubt. Seufzend beginnt er mit der manuellen Suche. Nach fünf Minuten entdeckt er einen Eintrag ohne Profilbild, aber mit dem unerwarteten Zusatz giornalista.
Das kann er nicht sein. Ein ´Ndrangheta-Enthüllungsjournalist im Untergrund wird doch nicht so bescheuert sein und sein Pseudonym mit seiner wirklichen Berufsbezeichnung schmücken? Auf der anderen Seite muss es für Kontaktaufnahmen wie diese eine Möglichkeit geben, den richtigen herauszufinden. Unschlüssig sitzt Kostrow vor der Tastatur. Einen Versuch ist es wert. Er beschließt, den italienischen Kollegen, den ihm Bornemann genannt hat, als Türöffner zu benutzen. Er startet das Profil und klickt auf Nachricht senden. In das aufgehende Messengerfenster tippt er: Kennen Sie Frederico Mondalba? Gruß, Jokim. Eine halbe Minute lang sitzt er bewegungslos vor dem Computer, doch es trifft keine Antwort ein. Das wäre dann wohl doch zu einfach, nur Geduld. Seufzend wendet er sich dem nächsten Recherchethema zu.
Er verlässt Facebook und startet die Suchmaschine. Die Eingabe des Begriffs Enzo Milano hat eine Unzahl von Treffern zur Folge. Nach näherem Hinsehen erweisen sich alle als nutzlos. Der Großteil führt zu Unternehmen und Personen mit dem Namensteil Enzo, ansässig in Milano. Zahlreiche weitere Suchergebnisse weisen auf das Tartufo Nero. Einen gewissen Unterhaltungswert haben die automatisch erzeugten Verkaufsangebote zahlreicher Onlinekaufhäuser. Enzo Milano verkauft auf eBay – Günstige Preise von Enzo Milano. Kostrow folgt dem Link. Wie erwartet, ist nichts von Enzo Milano im Angebot. Was sollte er wohl verkaufen – Kois? Italienisch-japanisches Wohndesign? Kostrow kichert leise. Schließlich stolpert er über die Website eines brasilianischen Modelabels gleichen Namens. Nach kurzer Besichtigung ist klar, dass es keine Zusammenhänge geben kann.
Bei einer nochmaligen Suche auf Facebook stellt sich das gleiche Ergebnis ein wie bei seiner Suche nach Roberto Conti, respektive Rocco Rossi. Eine endlose Reihe gleichlautender Einträge macht jede gezielte Suche unmöglich. Wozu auch? Ich kann nicht erwarten, dass er ´Ndrangheta Executive in sein Profil schreibt. Ziellos rollt er die lange Liste herunter, dann hat er genug.
Kostrow lehnt sich zurück. Mit Sicherheit wird er nichts über Milanos Rolle auf der dunklen Seite der Macht im Internet entdecken. Dazu wäre eine Expedition ins Darknet erforderlich. Ich sollte Michail darauf ansetzen. Er macht sich eine mentale Notiz.
Frau Geist kehrt mit einer großen Papiertüte an ihren Arbeitsplatz außerhalb Kostrows Sichtfeld zurück. "War was?"
"Ein texanischer Multimilliardär hat angerufen, wollte Sie persönlich sprechen."
"Gut, dass ich gerade weg war." Er hört das Rascheln der Papiertüte.
Kostrows Smartphone meldet sich mit einem eingehenden Anruf von Dorian Mossner. Kostrow springt auf, schließt die Bürotür und stellt die Verbindung her. "Hallo, Herr Mossner."
"Guten Tag, Herr Kostrow. Ich weiß, wir haben keine Verabredung. Könnten Sie trotzdem kurz herunter kommen?"
"Herunter?"
"Nur bis vor die Haustür. Ich warte da auf Sie."
"Oh, ich verstehe. Selbstverständlich, ich bin sofort bei Ihnen." Er steckt das Smartphone in die Tasche und verlässt das Büro. "Bin gleich wieder da, Frau Geist."
"Schon in Ordnung." Die voluminöse Empfangskraft schiebt mit einer Hand Brösel von der Empfangstheke in die andere Hand.
Kostrow tritt im Erdgeschoss aus dem Bürogebäude. Direkt vor sich sieht er die schwarze Stretchlimousine in der Halteverbotszone stehen. Die hintere Tür ist halb geöffnet.
Allmählich ist das wie Nachhause kommen. Kostrow lässt sich auf den vertrauten Ledersitz fallen und zieht die Tür zu.
"Schön, dass Sie sich so spontan Zeit nehmen konnten", sagt Mossner.
"Gerne zu Diensten."
"Wir haben einige neue Erkenntnisse gewonnen, die Ihnen bei der Entwicklung Ihrer Undercoverstrategie helfen könnten."
"Das ist allerdings erfreulich."
"Es scheint ein Netzwerk zu geben, über das die nordkoreanischen Agenten, die uns angreifen, kommunizieren."
"Von dieser Annahme bin ich auch ausgegangen."
"Es ist mehr als wahrscheinlich, dass es sich um ein System getarnter Webpräsenzen handelt, die über das Darknet verbunden sind." Darknet – Thema des Tages. "Da sowohl die Websites als auch die Kommunikationskanäle verschlüsselt sind, stellt das natürlich ein massives Problem dar."
"Das sehe ich auch so."
"Wie es scheint, konnten wir eine Internetpräsenz ausmachen, die man als Einfalltor in das dunkle Netzwerk nutzen könnte."
"Wenn ich mir die Frage erlauben darf – wie sind Sie darauf gestoßen?"
"Unsere Weblogs haben ein nicht plausibles Nutzerverhalten bei einem unserer Mitarbeiter ausgemacht."
"Interessant."
"Einer unserer Kostenkontrolleure zeigt auffälliges Interesse für ein buddhistisches Kloster, das überall in Europa Niederlassungen betreibt."
"Ist das verdächtig? Viele Menschen unserer modernen Zivilisation wenden sich dem Buddhismus zu. Eine große Zahl von Klöstern bietet beispielsweise Managerseminare an."
"Das sehen wir auch so. Wir glauben aber, dass es sich dabei um Menschen handelt, die eine entsprechende Grundorientierung in ihrer allgemeinen Lebensauffassung aufweisen."
"Und das ist bei diesem Mitarbeiter nicht der Fall?"
"Nicht, wenn man sich sein übriges privates Internetverhalten ansieht."
"Sie dulden also die private Nutzung des Internets am Arbeitsplatz?"
"Unbedingt."
"Das findet man bei größeren Unternehmen eher selten. Ich nehme an, Sie möchten damit die Attraktivität Ihrer Arbeitskultur und die Mitarbeiterbindung fördern?"
"Ja, das auch."
"Es gibt noch weitere Gründe?"
Mossner lächelt. "Sie haben eben davon profitiert."
"Wie darf ich das verstehen?"
"Wenn wir immer einen ausführlichen Blick auf das Online-Nutzerverhalten unserer Mitarbeiter haben, sind wir in der Lage, eventuelle Fehlentwicklungen schon im Frühstadium zu erkennen."
"Sie denken zum Beispiel an subversive Kontakte?"
"Jetzt haben Sie es auf den Punkt gebracht."
"Keine schlechte Idee. Und welches Nutzerprofil haben Sie bei dem verdächtigen Mitarbeiter festgestellt?"
"Offenbar ist er Mitglied einer Ultra-Gruppe."
"Fußball?"
"Richtig."
"Klingt nicht sehr buddhistisch. Was noch?"
"Er hat sich die Software für ein Video-Strippokerprogramm heruntergeladen."
"Neckisch."
"Dann besucht er öfter rechtspopulistische Plattformen, Foren für Sportwaffenliebhaber und Jagdmagazine."
"Scheint ein echter Menschenfreund zu sein."
"Alles in allem passt alleine das buddhistische Zentrum nicht dazu."
"Das kommt mir auch so vor. Haben Sie derartige Besuche auch bei anderen Mitarbeitern festgestellt?"
"Nein. Wie es scheint, ist er der einzige."
Kostrow blickt grübelnd aus dem Fenster. "Merkwürdig."
"Wieso finden Sie das merkwürdig?"
"Sie sagten bei unserem letzten Treffen, dass Sie mehrere Agenten in Ihrer Belegschaft vermuten, was auch meine Meinung ist. Wieso kontaktiert dann nur dieser eine die Seite? Was ist denn das für eine merkwürdige Form der Vernetzung?"
Nachdenklich reibt Mossner sein Kinn. "Das ist eine gute Frage."
"Es sei denn ..."
"Ja?"
"Vielleicht ist er das schwache Glied in der Kette."
"Wie darf ich das verstehen?"
"Mehrere nordkoreanische Agenten haben Ihr Unternehmen unterwandert. Nur einer von Ihnen nutzt auf einem Unternehmenscomputer eine verdächtige Internetadresse. Vielleicht ist er der eine, der die Sicherheitsstandards missachtet? Der Idiot, der alles zum Einsturz bringt?"
"Sie meinen ..."
"Wenn ich ein nordkoreanischer Geheimdienstanalyst wäre und ein Projekt entwickeln würde, das die Sabotage und den Datendiebstahl bei einem ausländischen Unternehmen zum Ziel hätte, wäre einer meiner ersten und vordringlichsten Prämissen: keine konspirative Datennutzung auf Unternehmenscomputern."
"Da ist etwas dran."
"Und wenn ich feststelle, dass ein Volltrottel in meiner Einheit sich nicht daran hält, würde ich eines morgens aufwachen und feststellen, dass es ihn nicht mehr gibt, als hätte er nie existiert."
Mossner blickt ihn erstaunt an. "Herr Kostrow, wollen Sie damit andeuten, dass dieser Mitarbeiter bald das Zeitliche segnen wird?"
"Wenn ihm sein Führungsoffizier auf die Schliche kommt, sicherlich. Darum sollten wir rasch handeln, bevor diese wichtige Spur verweht."
"Da mögen Sie Recht haben." Mossner reicht ihm einen kleinen Zettel. "Ich wollte Ihnen das nicht mailen, sicher ist sicher."
Kostrow betrachtet die Notiz. Sie enthält die Internetadresse eines buddhistischen Zentrums, von dem er noch nie gehört hat. "Da wird sich unser Cyberspezialist freuen."
"Und einen möglichen Verdächtigen gibt es auch schon."
Geistesabwesend spielt Kostrow mit dem Zettel herum. "Möglicherweise ist aber auch nichts dran."
"Mit unserem Verdächtigen?"
"Es mag vielleicht unwahrscheinlich klingen, aber es könnte ebenso gut sein, dass ein rechtsnationaler Ultra den Buddhismus für sich entdeckt hat und auf dem Weg in eine erleuchtete Zukunft der Liebe und Harmonie ist."
"Sicher, möglich ist alles. Aber glauben Sie daran?"
"Was ich mir relativ früh in meiner beruflichen Laufbahn abgewöhnt habe, ist, Ermittlungen entlang eines Vermutungspfads zu betreiben. Das verstellt die freie Sicht auf die Tatsachen."
"Ich verstehe, was Sie meinen. Ermittlungen sollten ergebnisoffen verlaufen."
"Jedenfalls bin ich damit immer gut gefahren."
"Aber jetzt nur mal angenommen, unser Verdacht erweist sich als begründet, und der betreffende Mitarbeiter gehört tatsächlich einer nordvietnamesischen Agentengruppe an. Was dann?"
"Das ist Teil des Undercovereinsatzes, den ich gerade entwickle. Ich werde Ihnen Alternativen für die unterschiedlichen Zielsetzungen der Kampagne vorstellen."
"Was bedeutet in diesem Zusammenhang Zielsetzung?"
"Wenn wir eine Unterwanderung lokalisieren, gibt es verschiedene Strategien, darauf zu reagieren. Es gibt defensive, offensive und neutrale Verfahren."
"Und welche wäre in unserem Fall ratsam?"
"Das eben wird sich aus dem Ergebnis der Undercoveraktion ergeben. Zunächst müssen wir Umfang, Struktur und Ausrichtung des angreifenden Netzwerks aufdecken. Erst dann können wir uns für die richtige Gegenmaßnahme entscheiden."
"Müssen wir nicht in jedem Fall die enttarnten Agenten entfernen und die Informationslücken schließen?"
"Nicht unbedingt. Stellen Sie sich vor, wir finden heraus, dass die bei Ihnen aktive Gruppe Hand in Hand mit einer anderen Gruppe agiert und die Informationen an sie weitergibt."
"Gott steh uns bei!"
"In diesem Fall wäre es klüger, sich für eine neutrale Strategie zu entscheiden, um die kooperierende Gruppe identifizieren zu können."
"Sie meinen, wir sollten die Agenten einfach weiter machen lassen?"
"Aber unter unserer lückenlosen Überwachung. Dann können wir das Unkraut mit der Wurzel ausreißen."
"Die Idee, dabei zuzusehen, wie feindliche Agenten unsere Wissensbasis stehlen und unsere Entwicklung sabotieren, erfüllt mich nicht gerade mit Begeisterung."
"Das ist verständlich. Aber stellen Sie sich einmal vor, wir enttarnen nur die bei Ihnen aktive Gruppe und eliminieren sie. In diesem Fall hat die kooperierende Gruppe alle Möglichkeiten, einen neuen Angriff mit einer neuen Gruppe auf den Weg zu bringen."
"Ich verstehe. Allerdings könnte in diesem Fall auch eine neutrale Strategie keine endgültige Lösung garantieren. Die nordkoreanische Staatssicherheit werden wir nicht eliminieren können."
Kostrow lacht. "Nein, das sicher nicht. Aber wir können ihr eine Botschaft schicken."
"Tatsächlich?"
"Sicher. Indem wir ihre Kampagnen vollständig aufdecken, einschließlich aller kooperierenden Netzwerke, sagen wir Ihnen: 'Was ihr auch tut, wir kommen euch immer auf die Schliche. Also lasst es, es ist der Mühe nicht wert.'"
Mossner tippt sich nachdenklich an die Nase. "Gut möglich, dass Sie Recht haben. Wir werden im Führungskreis darüber sprechen. Aber das ist noch nicht aktuell. Wie Sie gesagt haben, erst muss Ihre Aktion Art und Umfang des Angriffs offenlegen."
"So ist es. Vielleicht hilft Ihnen dann ja auch unsere Auswertung bei der Wahl der richtigen Gegenstrategie weiter."
"Das sehe ich auch so. Herr Kostrow, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, wir sehen uns bald wieder." Er streckt ihm die Hand hin.
Kostrow schüttelt sie. "Keine Ursache. Ich melde mich, sobald das Konzept steht." Er öffnet die Tür.
Während er aussteigt, hört er Mossner mit dem Fahrer sprechen. "Friedrich, wir ziehen den Nachmittagstermin bei UCCNR vor. Machen Sie sich gleich auf den Weg, ich gebe denen eine Vorwarnung."
"In Ordnung, Herr Mossner", dringt es aus den Tiefen des großen Wagens zu ihm auf die Straße.
Die schwere Wagentür schlägt zu. Kostrow beobachtet wieder, wie sich die Stretchlimousine majestätisch in den fließenden Verkehr einfädelt und seinem Blick entschwindet. Ob der Gute bei Global Automotive überhaupt ein eigenes Büro hat? kommt Kostrow amüsiert in den Sinn. Er macht sich auf den Weg zurück in sein Büro.
Der Lift startet seine Aufwärtsfahrt. Vielleicht wohnt er sogar in dem Riesenkübel! Die Lifttür öffnet sich, Kostrow geht auf die Glastüren seines Büros zu. Und Friedrich serviert ihm den Frühstückstee. Mit breitem Grinsen betritt der den Eingangsbereich. Abends bereitet Friedrich ihm dann auf der Rückbank das Bettchen und schläft selbst im Kofferraum. Kostrow prustet los. Was heißt Kofferraum? Vielleicht schläft er ja bei Mossner im ...
"Gute Laune?"
Kostrow blickt auf Frau Geist. "Wenn ich Sie sehe, immer."
Frau Geist hält ihm ihre Bäckertüte entgegen. "Marzipanschnecke?"