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Phase 4 \\ 5. August – 15:28 Uhr

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Die Jahre lasten auf dir, alle, vom ersten an. Die einsame Gestalt im Garten fühlt, wie die Zeit sich gegen ihn wendet. Willkommener Erfahrungsschatz für die erste Lebenshälfte, dann mehr und mehr Ballast, ein bleiernes Senklot, das den Rücken krümmt, den Blick zum Himmel vereitelt.

Wie so oft in den letzten Monaten steigt in Paolo Forcone das Bild des Vaters auf. Ein Bild, das schon fast vergessen war, über die Jahrzehnte verblasst, überlagert vom ekstatischen Farbrausch eines außergewöhnlichen Lebens. Ein Leben, das keine Grenzen kennt, alles möglich erscheinen lässt, übliche Regeln außer Kraft setzt. Ein Leben, das sich seinen Weg bahnt wie Lava durch brüchiges Gestein bis zur Eruption über weitem Land, und schließlich der Sturz von der Klippe, der Blitzschlag aus wolkenlosem Himmel.

Es ist immer dasselbe Bild, das Paolo Forcone erscheint, wie ein verblasstes, zerknittertes und eingerissenes Foto, das man jahrelang ahnungslos mit sich herumträgt, um es in einem unterwarteten Moment aus einer nie genutzten Tasche zu ziehen. Papa. Es ist nicht leicht, dein Sohn zu sein, selbst heute, Jahrzehnte nach deinem Tod. Gefühl ist Schwäche. Rücksichtnahme ist Schwäche. Liebe ist Schwäche.

Forcone betrachtet das Bild in seinem Inneren, den herrischen Mann, der starr aufgerichtet an derselben Stelle sitzt wie jetzt er, im Schatten von Il Nonno, dem Urbaum des 130 Jahre alten Olivengartens neben dem Familienanwesen.

Alles, was du jemals wolltest, war ein Nachfolger. Einen capobastone, dessen du dich nicht zu schämen brauchtest. Einen Mann, der dein Werk fortführt. Was du nicht wolltest, war ein Sohn.

Forcone lässt den Blick durch den Olivengarten schweifen. Die schräg einfallende Sonne des fortgeschrittenen Nachmittags zeichnet durch das feine Blattwerk der alten Bäume rätselhafte Muster auf den Rasen. Vier Generationen haben den Hain entwickelt, gepflegt, kultiviert, seine Früchte geerntet, sie zu edlem Olio Extra Verigine gepresst. Er war immer stolz auf das Öl gewesen, sein Treuegelübde an das Land seines Herzens, Kalabrien, Gottes Paradiesgarten.

Nicht so Gianna Lucia. Bis zum Tag ihres Todes hatte sie den Garten gehasst. Niemals hatte er sie dazu bewegen können, neben ihm auf der Rundbank um Il Nonno den Sonnenuntergang zu betrachten. Der Garten ist eine Lüge, Paolo. Das waren ihre Worte gewesen, immer und immer wieder. Öl kann Blut nicht abwaschen. Ein wehmütiger Schmerz legt sich auf seine Brust. Gianna Lucia, Ehefrau und Ratgeberin. Sie war sein Halt gewesen, seine Inspiration. Sie hatte ihm Dinge gesagt, die andere mit dem Leben hätten bezahlen müssen. Möge dir die Erde leicht sein, meine Sonne.

So deutlich wie schon lange nicht mehr empfindet er die Last seiner achtundsiebzig Jahre. Seit Emanueles Tod hat sich alles geändert. Die schier endlose Kraft, die er immer zuverlässig aus seinem Inneren hatte schöpfen können, ist versiegt. Alles, was übrig bleibt, ist Resignation, Trauer, Müdigkeit. Und, darüber schwebend, alles überschattend, der unbändige Wunsch nach Rache. Emanuele, sein einziger Sohn, dem er all die Liebe und Zuwendung geschenkt hatte, die ihm vom eigenen Vater versagt geblieben war. Emanuele, der alle Anzeichen eines überragenden capobastone in sich getragen hatte, überragender als er selbst es jemals gewesen war. Was soll nun werden? Wer soll die Familie führen, wenn Gott mich ruft?

Hinter der hohen, aus roh behauenem Kalkstein zusammengefügten Gartenmauer hört er einen Wagen ankommen. Eine Minute später betritt ein hoch gewachsener, schlanker junger Mann in einem hellbeigen Anzug und dunkelbraunem, offenen Seidenhemd den Garten. Er blickt kurz um sich, bemerkt Forcone auf der Rundbank, geht auf ihn zu. "Salve, zio."

"Buonasera, nipote."

Raphaele Campovallo blickt seinen Onkel prüfend an. "Fühlst du dich wohl?"

"Mit Gottes Hilfe, es ist alles in Ordnung."

Raphaele, dem der gebrochene Blick des Alten nicht entgeht, ist beunruhigt. "Bitte verzeihe mir, Onkel, aber ich habe nicht den Eindruck."

Forcone zwingt sich ein schmales Lächeln ab. "Haben wir nicht alle bessere und schlechtere Tage?"

Die Unruhe des Neffen vertieft sich. "Vielleicht sollte ich Dottore Pasini bitten, dich zu besuchen."

"Beruhige dich, Raphaele, du musst dich nicht ängstigen. Es waren nur einige dunkle Gedanken. Sie kommen und gehen."

"Bist du sicher?"

"Absolut."

Raphaele setzt sich neben seinen Onkel auf die Bank, blickt ihn von der Seite an. "Ich habe eben mit Frederico Pescaro telefoniert."

"Wie steht die Sache?"

"Alles läuft programmgemäß. Die logistische Planung ist so gut wie abgeschlossen. Die Beschaffung der Ausrüstung ist bereits angelaufen."

"Das sind gute Nachrichten."

"Allerdings."

"Wie steht es mit den Teufeln? Werden sie kooperieren?"

Raphaele betrachtet seine Hände. "Da stehen wir ganz am Anfang. Die Kontaktaufnahme ist ein Hochseilakt. Ein falscher Schritt, und der Schuss geht nach hinten los."

"Aber wir werden es schaffen, nicht wahr?"

"Wenn Gott will. Wir tun, was wir können."

Forcone legt seinem Neffen beruhigend die Hand auf den Unterarm und drückt ihn sanft. "Ich habe volles Vertrauen zu dir."

"Onkel, wenn du erlaubst – ist die Einbindung der Teufel wirklich notwendig? Der Plan würde auch ohne sie zum Erfolg führen."

Forcone blickt Raphaele gerade in die Augen. Der Neffe bemerkt, wie ein Funke des alten Feuers in sie zurückkehrt. "So fragen normale Menschen. Aber du, Raphaele, bist kein normaler Mensch. Du wirst der capobastone von Palace sein, vielleicht auch mehr als das. Für dich gelten andere Maßstäbe."

In Raphaeles Gesicht zeigt sich Erschrecken. "Verzeih, Onkel, ich wollte nicht respektlos sein."

"Das ist keine Frage des Respekts, sondern der Führungsstärke."

"Onkel?"

"Als capobastone wird dir Macht verliehen, die du zum Wohl der Familie und der gesamten 'ndrina einsetzen musst. Versagst du, stürzt du alle, die auf dich vertrauen, ins Verderben."

"Ich weiß, Onkel."

"Was ich damit sagen will: Deine Pläne müssen besser sein als die normaler Menschen. Deine Pläne müssen alles, was möglicherweise geschehen kann, einbeziehen. Sie müssen sein, als hätte Gott selbst sie geschmiedet."

"Denkst du, Onkel, dass ich scheitern werde?"

"Hätte ich dich als capobastone vorgesehen, wenn ich das glauben würde?"

Raphaele senkt den Blick. "Nein, Onkel. Es ist nur ..."

"Was möchtest du sagen?"

"Mir ist bewusst, dass ich nicht der capobastone bin, den du dir gewünscht hättest. Es sind nur die tragischen Umstände, die mich in diese Position gehoben haben."

Wieder senkt sich ein bleiernes Gewicht auf Forcones Herz. Emanuele, geliebter Sohn. Was soll nun werden? Rasch drängt er die schwarzen Gedanken zur Seite. "Natürlich wäre mein Sohn die erste Wahl gewesen, das ist uns beiden klar. Aber da Gott es anders bestimmt hat, bin ich glücklich, einen so fähigen und verlässlichen Mann an meiner Seite zu haben, wie du es bist."

Raphaele blickt hoffnungsvoll auf seinen Onkel. "Ist das wirklich deine Ansicht?"

"Sei sicher, ich werde immer hinter dir stehen."

Raphaele greift sanft die rechte Hand seines Onkels, führt sie zum Mund und küsst sie. "Ich danke dir, Onkel."

"Mit Gottes Hilfe wirst du ein großer capobastone werden."

Schweigend blicken sich die Männer an. "Darf ich dich fragen, was das mit den Teufeln zu tun hat?"

"Ein guter Plan berücksichtigt Details, Dinge, die auf den ersten Blick keine Bedeutung haben, aber letztendlich über Erfolg oder Misserfolg entscheiden."

"Und die Einbeziehung der Teufel ist ein solches Detail?"

"Erst die Teufel machen das strategische Ziel möglich, das wir anstreben."

Raphaele versinkt in intensive Überlegungen. Inwiefern die Teufel das Projekt positiv beeinflussen können, ist ihm auch jetzt nicht klar. Trotzdem muss er das Thema ruhen lassen, um in der Wertschätzung seines Onkels nicht abzugleiten. Ein begriffsstutziger capobastone? Das würde sein Onkel, der selbst einer der Größten und ihnen ist, nicht dulden. Er wird die Antwort selbst finden müssen.

"Ich habe heute Nacht einen Telefontermin mit einem Vertrauten in der Botschaft, von der wir sprachen", berichtet er seinem Onkel. "Ich werde bei dieser Gelegenheit noch einmal Druck machen."

"Tu das, Neffe." Forcone fühlt bleierne Müdigkeit auf sich herabsinken.

Kostrows Wahrheit

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