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Ein Gemisch aus Schnee und Regen fiel aus schwerem Gewölk. Es will nicht Frühling werden, dachte Andrea, während sie über die mit Matsch bedeckten Felsplatten hinunterstieg. Trotz des Wetters war sie zur Hohen Platte aufgestiegen, hatte den Klettersteig kontrolliert, Bohrhaken ersetzt, Drahtseile festgemacht. Ein Auftrag des Tourismusvereins von Pratt. Sie war froh darüber, wegen der Reise nach Patagonien hatte sie keine Aufträge für den Frühling gebucht, und in dieser verregneten Saison meldeten sich die Sommergäste nur zögernd. Rock’n’Ice, ihre Kletterschule, steckte wieder mal tief in den roten Zahlen.

In der Blockwohnung in Pratt fühlte sie sich gefangen und gelähmt, sie hockte vor dem Computer, klickte im Internet herum. Buchhaltung? Nein danke! Ihren Freunden war am Cerro Torre eine Erstbesteigung geglückt, berichteten sie in einer E-Mail. Und sie? Sie hatte die Asche ihres alten Herrn auf den Berg getragen und sich mit Ämtern und Immobilienmaklern herumgeschlagen. Roberts letzte Rechnungen waren bezahlt, das Haus stand zum Verkauf.

Während sie auf dem Fusspfad zu Tal schritt, flötete ihr Handy, sie zog es aus der Windjackentasche, sah auf das Display. Eine unbekannte Nummer.

«Andrea?» Eine aufgekratzte Stimme. Es war Daniel.

«Ja», sagte sie, blieb stehen, starrte ins Schneetreiben.

«Wo bist du?»

«Am Berg.»

«Du hast Anita besucht. Ich hab dich gesehen.»

«Na und?» Sie hörte Stimmen im Hintergrund, Klappern und Klirren. Spitalgeräusch.

«Bist du noch dran?», fragte er nach einer Weile.

«Ja.»

«Es geht Anita nicht so gut.»

«Wird sie’s schaffen?»

«Ein bisschen Hoffnung gibt es immer.»

«Die Krebsdiät?»

«Gelegentlich hilft der Glaube, wenn die Wissenschaft versagt.»

Andrea schob mit der Schuhspitze den Schneematsch vom Weg, lauschte dem Klirren und Murmeln im Hörer und dem Rauschen des Bachs in der nahen Runse.

«Bist du noch da, Andrea?», fragte Daniel.

«Ja sicher», sagte sie.

«Ich wollte dich ansprechen im Spital, aber …»

Er schwieg, und auch Andrea blieb stumm. Seit ihrem Besuch bei Anita hatte sie seinen Anruf erwartet, hatte sich Antworten zurechtgelegt. Wir wollen doch nicht wieder von vorn beginnen. Du gehst deinen Weg, ich geh meinen, okay? Doch jetzt fand sie keine Worte, ihr Hirn war leer und ihr Herz klopfte.

«Können wir uns sehen?», fragte Daniel nach einer Weile.

«Wozu?»

«Ich möchte dich sehen. Einfach so …»

«Eigenartig», sagte sie vor sich hin.

«Was ist daran so eigenartig?»

Sie hatte sich vom Wind abgedreht, sah ihre Spur im Matsch auf dem Weg, der über Felsbändern zur Runse führte und zum Bach, der über eine Wandstufe sprang und im Nebel verschwand.

«Hier war früher kein Empfang mit dem Handy.»

«Wo bist du?»

«Auf dem Weg, wo wir damals die Frau geborgen haben.»

«Bist du sicher?»

«Hier war’s, beim Übergang über die Runse.»

«Sag mal, was suchst du dort oben bei dem Sauwetter?»

«Damals war hier noch kein Empfang. Man hat das überprüft bei der Untersuchung.»

«Es werden ständig neue Antennen aufgestellt.»

«Aber doch nicht hier im Tal. Wozu denn?»

«Damit ich dich erreiche.» Er lachte.

«Du hättest mich immer erreichen können.»

«Ich erklär dir alles. Wann sehen wir uns?»

Andrea hörte, wie jemand nach ihm rief.

«Hallo, Andrea? Ich muss leider … Ich ruf dich an.» Er hängte auf.

«Ich ruf dich an», sprach sie ins stumme Handy. Das hatte er gesagt, bevor er verreist war. Ich ruf dich an. So beginnen Beziehungen und so enden sie.

Bevor sie das Gerät einsteckte, sah sie auf das Display. Es zeigte ein starkes Signal. Sie schreckte auf, Steine fielen durch die Runse, schlugen unweit von ihr auf den Weg. Im nebligen Licht sah sie ein Tier den Hang queren. Es floh nicht, sondern blieb auf einem vorspringenden Felsen stehen. Ein Steinbock. Eine Weile betrachteten sie sich auf Distanz, der Bock neigte seinen Kopf, als wolle er seine mächtigen Hörner zeigen.

Andrea begann abzusteigen, blieb nach ein paar Schritten nochmals stehen, schaute sich um. Der Steinbock stand unbewegt wie eine Statue im Schneetreiben.

Spurlos

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