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Das Krankenzimmer lag im Halbdunkel, Licht filterte durch Lamellenstoren, warf ein Streifenmuster aufs Bett, das von Apparaten umstellt war. Monitore und Messgeräte, verbunden mit Kabeln und Schläuchen. Andrea blieb bei der Tür stehen, glaubte für einen Augenblick, sie habe sich im Zimmer geirrt. Das Gesicht auf dem Kopfkissen war ihr fremd. Bleiche Pergamenthaut spannte sich über Wangenknochen, der Kopf war kahl bis auf einen Kranz von Stoppeln am Haaransatz. Anita blinzelte mit einem Auge ins Licht der offenen Tür, das andere blieb geschloss en, das Lid schien am Augapfel zu kleben. «Andrea. Welche Überr aschung.» Von ihrer kräftigen Stimme war nur ein heiseres Krächzen geblieben.

Sie tippte mit einem Finger auf eine Taste. Summend fuhr die Kopfstütze hoch. Sie versuchte zu lächeln, ihr Mund verzerrte sich. Die Gesichtshälfte mit dem verklebten Auge bewegte sich nicht, sie war gelähmt.

Andrea trat ans Bett, beugte sich über Anita, küsste sie flüchtig auf beide Wangen. Der Schweissgeruch der Kranken stiess sie ab. «Wie geht es dir?»

«Ich mach Fortschritte. Schau mal.» Anita hob unter der Decke ein Knie ein wenig an. «Ich kann es wieder bewegen. Die neue Therapie hilft.» Fast ganz gelähmt sei sie gewesen, Metastasen im Hirn. Die Mistelkur habe nichts gebracht, jetzt versuche sie eine Krebsdiät auf Leinölbasis. Leinöl enthalte gute Fette, die zusammen mit Eiweiss den Stoffwechsel in der Leber anregten und die Krebs erzeugenden Stoffe unwirksam machten. «Die klassischen Mediziner belächeln mich, aber sie lassen mich machen. Schaden kann es ja nicht, sagen sie. Noch mehr Chemo und Bestrahlung vertrage ich nicht.» Ihr Atem ging keuchend, das Reden erschöpfte sie.

Andrea betrachtete das Plakat, das an der Wand über dem Bett hing. Anitas letzte Ausstellung, Bergzauber – Zauberberg. Flammend rotgelbe Pinselstriche, in denen man einen Berg erkennen konnte, wenn man wollte, oder den zornigen Wunsch, die Krankheit über alle Berge zu verbannen. Etwas in der Art hatte ein gescheiter Mensch an der Vernissage erklärt und dann offiziell bekannt gegeben, dass Anita an Lungenkrebs erkrankt sei. Schneller als sonst waren rote Punkte aufgetaucht unter ihren Bildern.

Die Tür öffnete sich, eine Pflegerin trat ins Zimmer, eine attraktive Frau mit roten Nägeln und getuschten Wimpern. «Schön, dass Sie Besuch haben, Frau Bender.» Sie machte sich an den Apparaturen zu schaffen, wechselte die Flasche für die Infusion, die über dem Bett hing, setzte eine Ampulle mit einem Medikament ein. «Frau Bender ist gut aufgehoben bei uns. Nicht wahr?»

Mit geschlossenen Augen deutete Anita ein Nicken an. «Daniel besucht mich.»

«Doktor Meyer vom Notfall», erklärte die Pflegerin. «Wollen Sie sich nicht setzen?» Sie deutete auf einen Stuhl.

Andrea schüttelte den Kopf. Sie musste gehen, Daniel wollte sie auf keinen Fall begegnen. Keine alten Geschichten aufwärmen.

Die Pflegerin hob Anitas Kopf sacht an, liess die Kopfstütze zurückfahren, beugte sich über sie und träufelte Tropfen in ihre Augen. Dann verliess sie das Zimmer.

«Gestern war ich im Dorf», sagte Andrea, weil ihr nichts anderes einfiel.

«Mein Gott, ist schon Frühling dort oben?» Anita seufzte.

«Auf der Alp liegt noch etwas Schnee.»

«Ich möchte wieder mal auf die Alp.» Tränen liefen über Anitas Wangen. Vielleicht waren es die Augentropfen.

Andrea setzte sich auf die Bettkante, ergriff ihre Hand, streichelte die welke Haut. Sie trug ihre indischen Fingerringe mit den bunten Steinen und Silberreifen am Handgelenk. «Sie wollen mir die ‹Alpenrose› wegnehmen», flüsterte sie, schloss ihre Augen. «Mein Haus, meine Galerie, mein Traum.»

Andrea erinnerte sich an eine Vernissage in den Kellergewölben der «Alpenrose», Leute aus der Kunstszene der Stadt waren gekommen. Eine Sängerin. Und sogar Einheimische, zu denen Anita einen Draht gefunden hatte.

«Der Gemeindeverwalter war hier. Möchtest du die ‹Alpenrose› übernehmen?»

«Ich hab doch kein Geld.»

«Es wäre schön …» Anitas Stimme war nur noch ein heiseres Hauchen. «Da ist nur … der Glockenturm …» Ihr Kopf sank zur Seite, sie bewegte sich nicht mehr, war weggetaucht, sah vielleicht den Turm der Kapelle vor sich, hörte im Dahindämmern den harten Klang der Glocke, der sie während Jahren Tag und Nacht begleitet hatte.

Andrea verliess das Zimmer leise. Im Korridor kam ihr ein Mann entgegen, leicht vorgebeugt mit unsicherem Schritt. Sein Blick glitt über den Boden, als klafften unter dem Linoleum versteckte Gletscherspalten. Er kam ihr bekannt vor, sie war ihm vielleicht schon begegnet, ein Hüttenwart oder Senn auf einer Alp. Sein rötlicher Bartkranz war zerzaust, ein Manchesteranzug schlotterte um seine Glieder. Sie sah sich um. Vor Anitas Zimmer blieb er stehen, klopfte. In der Hand trug er einen Bund Weidenkätzchen.

Spurlos

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