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Im Dorf parkte Andrea vor der «Alpenrose». Wolken waren aufgezogen, frühe Dämmerung lag über den Blockhäusern und der Kapelle mit dem frei stehenden Glockenturm. Aus Gewohnheit hatte sie angehalten, wie immer nach einer Bergtour. Doch heute gab es keinen Kaffee, das Restaurant war geschlossen. Anita, die Wirtin, lag im Spital.

Andrea blieb im Jeep sitzen, kein Mensch liess sich blicken, das Dorf schien ausgestorben. Dann bemerkte sie das Schild an der Tür. Sie stieg aus. Zu verkaufen stand darauf, dazu eine Telefonnummer. Anita würde also nicht mehr zurückkehren. Andrea hatte sie besucht, bevor sie nach Patagonien verreist war. Sie war zuversichtlich gewesen, hatte von einer Therapie auf natürlicher Basis gesprochen, einer Kur mit Mistelpräparaten.

Andrea lehnte sich an den Zaun am Rand des Parkplatzes, betrachtete das grosse Haus. Es musste sehr alt sein. In den Kellergewölben hatte Anita eine Kunstgalerie eingerichtet. Die Grundmauern aus Bruchstein waren meterdick, darauf stand Fachwerk, mit Schindeln verkleidet, die sich im Laufe der Jahrzehnte silbergrau verfärbt hatten. Der Dachstuhl war eingesunken.

«Interessiert Sie das Objekt?» Ein Mann trat hinter ihrem Jeep hervor, sie hatte ihn nicht bemerkt. Er war nicht viel grösser als sie, blond, mit nach hinten geklebten Haaren, trug einen Pullover aus Naturwolle unter der schwarzen Lederjacke, schwarze Jeans. «Peter Frey. Ich bin der Gemeindeverwalter.» Sein Händedruck war ohne Kraft.

«Andrea Stamm.»

«Ich habe von Ihnen gehört. Die Bergführerin, oft unterwegs in der Gegend.»

«Warum wird die ‹Alpenrose› verkauft?»

«Eine traurige Geschichte. Die Gemeinde musste das Haus übernehmen.»

Frey nahm seine Brille von der Nase, rieb die Gläser mit zwei Fingern am Pullover. «Das Haus wäre doch eine Basis für Ihre Kletterschule.» Er setzte die Brille wieder auf, trat so nahe neben Andrea, dass sie einen Schritt zurückwich.

«Leider bin ich ziemlich knapp bei Kasse.»

«Überlegen Sie es sich. Es ist ein Schnäppchen, unter uns gesagt. Ich kann Ihnen Kontakt zur Regionalbank vermitteln. Für Investitionen im Berggebiet gibt es Hypotheken zum Vorzugszins.»

Andrea griff nach der Türklinke des Jeeps, sah dann nochmals zur «Alpenrose». Düster und leblos die Fassade, die Fenster blind, vom Rauch vergilbte Vorhänge. Ein Fensterflügel hatte sich gelöst, schwang mit einem leichten Windstoss gegen den Rahmen. Sie dachte an Anita, die Wirtin und Künstlerin, die im Spital um ihr Leben rang. Die «Alpenrose» war ihr Traum gewesen. Und da kam einer und sprach von Schnäppchen und von Vorzugszins.

«Denken Sie in Ruhe über meinen Vorschlag nach.» Der Gemeindeverwalter zog eine Karte aus der Brieftasche. Dr. Peter Frey. Unternehmensberater. Eine Adresse im Dorf, eine zweite in der Stadt. E-Mail, Website, Mobilnummer.

Andrea steckte die Karte ein, übersah die ausgestreckte Hand, stieg in den Jeep. Er nickte ihr zu, lächelte breit und zeigte dabei sein Gebiss. Dann schritt er zum Glockenturm hinüber, neben dem ein silbergrauer BMW stand. Im Rückspiegel sah sie, wie er bei der Feriensiedlung am Dorfeingang den Blinker setzte und bergwärts abbog zu einer der Villen, die auf Betonpfeilern an den Hang gebaut waren. Schwer vorzustellen, warum sich ein Unternehmensberater in diesem abgelegenen Tal niederliess und die arme Gemeinde verwaltete.

Während Andrea durch die Dämmerung ins Tal fuhr, den Knopf ihres iPod im Ohr, begleitete sie Bonnie Tylers raue Stimme. It’s a heartache, nothing but a heartache. Hits you when it’s too late. Hits you when you are down.

Sie dachte an Vaters Reihenhaus in der Stadt. Ob es ein Testament gab? Vielleicht hatte er Erspartes oder eine Lebensversicherung hinterlassen. Ning, seine Partnerin im Alter, würde einen Teil erben. Den andern sie, die einzige Tochter, zumindest den gesetzlichen Pflichtteil. Sie hatte sich um all diese Fragen noch nicht gekümmert, seit sie zurückgekehrt war.

Spurlos

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