Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 11

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Ein leichtes Klicken ließ mich aufschrecken.

Ich brauchte zwei Sekunden, bis mir klar wurde, dass ich tatsächlich auf der Couch eingeschlafen war, die Eispackung noch immer auf meiner Stirn drapiert. Mittlerweile war es einigermaßen warm, also hatte ich schon eine ganze Weile geschlummert, tief und traumlos. Draußen war es immer noch dunkel. Wie spät mochte es jetzt bloß sein? Doch mir blieb keine Zeit, mein Handy nach der Uhrzeit zu checken, abermals vernahm ich den Grund meines Erwachens. Ein leichtes Klicken. Und noch eins.

Das kam von links, von meinem Balkonfenster. Mein Puls beschleunigte innerhalb einer Sekunde von null auf hundert, und ich benötigte all meine Selbstbeherrschung, nicht auf der Stelle hochzuschrecken. Da meine Couch mit dem Rücken zum Fenster stand, konnte das, was auch immer das Klicken an der Scheibe verursachte, mich nicht auf den ersten Blick wahrnehmen, was mir einen nicht unwesentlichen Vorteil verschaffte. Ich dankte in diesem Moment Gott im Himmel dafür, dass ich dieses eine Mal auf meine Mutter gehört hatte, die der Meinung gewesen war, es würde dem Wohnzimmer mehr Tiefe verleihen, wenn man das Sofa parallel zum Balkon stellte. Mir persönlich hätte es quer ja besser gefallen, aber Sie hätten mal den glücklichen Ausdruck auf Mamas Gesicht sehen sollen, als die Couch angeliefert und zurechtgerückt wurde. Sie war ein Einzugsgeschenk von ihr gewesen. Graues Alcantaraleder.

Das hatte Mama sich eine Stange kosten lassen.

Langsam, ganz langsam rollte ich mich auf die Seite und schob meinen Kopf millimeterweise über das eine Ende des Sofas hinaus. Nur nicht zu schnell – ich wusste ja nicht, was ich auf meinem Balkon vorfinden würde. Einer der Momente, in dem ich mich wegen meiner Vorliebe für gruselige Bücher und Horrorschinken innerlich verfluchte. Vielleicht war es ein glutäugiges Monster mit Fangzähnen und vier Armen, das nachts hungrig auf der Suche nach wehrlosen Jungfrauen durch die Straßen schlich und nun auf seinen Appetizer lauerte? Nein, wohl eher nicht, ich war schließlich keine Jungfrau mehr. Wobei ich es technisch gesehen schon wieder hätte geworden sein können, so lange wie mein letztes Mal her war, aber das war eine andere Geschichte. Dann war es vielleicht schon eher ein verrückter Serienkiller mit einer bluttriefenden Axt. Aber klopften Serienkiller ans Fenster? Eine Achterbahn war die reinste Seniorenkaffeefahrt gegen den Gedankenstrudel in meinem Geisteskino, als ich vorsichtig um das Kopfende meines Sofas spähte. Die Angst schnürte mir die Kehle zu, und kalter Schweiß begann bereits aus meinen schreckgeweiteten Poren zu tropfen. Für meine Hasenfüßigkeit geradezu todesmutig lugte ich schließlich ums Eck und sah – nichts. Niemanden. Ein Blick nach rechts und einer nach links, noch mal zurück. Nein, definitiv nichts.

Moment! Da lag etwas auf dem Balkonboden. Direkt neben meiner kleinen Zuckerhutfichte, die seit drei Jahren schon tapfer als Weihnachtsbaumersatz herhalten musste. Wozu ein echtes Bäumchen fällen, wenn man eins im Töpfchen weiterleben lassen konnte? Noch mal einen schnellen Sicherheitscheck, dann wagte ich mich allmählich von der Couch und glitt vorsichtig auf den Boden, sodass ich auf allen vieren aufkam. Dazu immer noch eine Menge Schiss. Aber wer wollte das einem auch verdenken, so als Frau alleine in der großen, bösen Stadt? Man las ja jeden Tag von so vielen Schauergeschichten, Vergewaltigung hier und Raubmord da!

Geduckt wie eine kleine Katze vor dem Sprung schlich ich mich langsam auf allen vieren an die Balkontür heran. Nur dass ich im Notfall nicht hätte angreifen wollen, sondern eher flüchten. Links von der Balkontür versteckte ich mich noch mal schnell hinter dem Vorhang, wobei das im Nachhinein betrachtet ein völlig sinnloses Manöver war. Der Vorhang war halbtransparent, und wenn jemand auf dem Balkon gestanden hätte, dann hätte er mich schon längst bei meiner albernen Krabbeltaktik erspäht.

Und sich wahrscheinlich vor Lachen in die Hosen gemacht.

Ein sich selbst einnässender Axtschwinger. Der Gedanke hatte was.

Wenn es mir geholfen hätte, dann hätte ich mich auch mit meinem blanken Hintern rückwärts zum Fenster bewegt. Aber da war wirklich niemand. Somit alle Theorie umsonst. Relativ beruhigt wagte ich mich allmählich wieder auf meine zwei Beine und schalt mich selbst wegen meiner Hysterie. Trotzdem war da etwas auf meinen Balkon gelangt, was eindeutig nicht von mir stammte und – noch eindeutiger – heute früh noch nicht dort gelegen hatte. Das wär mir sonst bei meinem allmorgendlichen Tee-trink-und-dabei-auf-die-Strasse-schau-Ritual aufgefallen. Definitiv.

Ich öffnete die Fenstertür und erschauerte in der kalten Novemberluft, die sich umgehend einer Hydra gleich um meine bisher warmen Kuschelklamotten schlängelte. Ein kurzes Blinzeln, dann blickte ich auf das, was neben meiner Zuckerhutfichte lag. Ein paar kleine Kieselsteinchen, die offenbar an mein Fenster geworfen worden waren. Und – ein Ast. Ich musste genauer hinschauen. Nicht irgendein Ast. Herzförmige Blätter, an den Rändern abgerundet und innen gezeichnet von kleinen, feinen Verästelungen. Unverkennbar. Das war ein Ast einer Pappel. Wie kam der hierher, auf meinen Balkon? Weit und breit gab es hier nicht einen einzigen meiner Lieblingsbäume, nur ein paar Birken säumten die zu dieser Uhrzeit menschenleere Straße. Ich trat in die kalte Nachtluft, der Regen hatte mittlerweile aufgehört. Vorsichtig bückte ich mich und hob den Ast auf. Da war etwas an ihm befestigt.

Ich musste mir noch mal kurz die Augen reiben, um sicher zu gehen, dass ich nicht noch immer träumte.

Eine Strähne.

Eine Strähne schwarzen Haares, an den Ast gebunden mit einer kleinen, ebenso schwarzen Satinschleife. Was hatte das zu bedeuten?

So langsam machte ich mir doch Gedanken, ob ich mich nicht mal zwicken sollte. Die Kälte allein war allerdings schon der beste Wachmacher, den man sich wünschen konnte. Erneut einmal geblinzelt, doch die zarte Satinschleife samt Haarsträhne befand sich noch immer an den Ast gebunden, und der Ast befand sich weiterhin in meiner rechten Hand. Erneut überzog mich eine Gänsehaut, und die kam diesmal nicht von der kalten Novemberluft.

Wer hatte mir diesen Ast auf den Balkon gelegt? Ein Blitz schoss mir durch den Kopf. Pappel.

Dunkles Haar.

Der Fremde aus dem Park.

Woher hatte er gewusst, wo ich wohnte?

Und war er vielleicht noch in der Nähe?

Leicht panisch lehnte ich mich über die Balkonbrüstung und spähte nach beiden Seiten. Nichts außer einer ruhigen verlassenen Straße und ein paar traurigen alten Fahrrädern, die an einer Laterne in der Nähe angekettet auf ihre Besitzer warteten. Oder auf ihre Verschrottung. Ich hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen, Angst schnürte mir die Kehle zu. Wenn dieser Fremde heute Nacht tatsächlich auf meinem Balkon gewesen sein sollte, warum hatte er mir dann diese Art Botschaft hinterlassen? Was sollte sie mir sagen? Warum hatte er nicht wie jeder halbwegs anständige Mann die Klingel benutzt und sich ordentlich vorgestellt? Fragen über Fragen prasselten im Sekundentakt auf mich ein, bis mir ein leichter Windhauch um die Nase strich und unter meinen Pulli fasste, sodass mich die Kälte erneut in die Realität zurückholte.

Wem war ich da bloß im Park begegnet und – noch viel interessanter – was wollte er von mir?

Die Linie der Ewigen

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