Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 23
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Pünktlich wie die Maurer stand Daron um sechs vor meiner Tür. Hatte ich gedacht, mich inzwischen einigermaßen an seinen umwerfenden Anblick gewöhnt zu haben, wurde ich erneut eines Besseren belehrt. Hörte dieser Kerl denn nie auf, so verdammt attraktiv zu sein? Schon als ich die Tür öffnete und mein Blick auf seine beeindruckende Erscheinung fiel – sein starker Körper umrahmt von seinem schwarzen Mantel – wurden mir schon wieder die Knie weich.
Und mein Hirn.
Und ich fühlte mich erneut wie ein kleines, dummes Weibchen, das nur darauf wartete, ins Schlafzimmer getragen zu werden. Allmählich hatte ich merkliche Probleme, meine innere Wildkatze in Darons Nähe im Zaum zu halten. Die Kolibris waren schon lange davongeflogen. Sehr gefährlich.
„Hallo, Kleines“, begrüßte mich mein sanfter Riese und gab mir einen kurzen, innigen Kuss. Schmacht.
Ja, Sie können mich jetzt gerne auslachen, aber in dem Moment fragte ich mich, ob all die Schundromane, die in den Buchhandlungen immer auslagen – die mit den wild knutschenden Pärchen in ihren wehenden Klamotten auf dem Cover – nicht vielleicht doch alle irgendwo ein kleines Körnchen Wahrheit enthielten. Nicht, dass ich je ein solches Covermodel gewesen wäre.
Daron dagegen schon.
Und wie.
Ganz besonders auf meinem Cover.
„Hallo“, war mal wieder das Einzige, was ich in so einem Moment zusammenbrachte, und ich gratulierte mir innerlich, dass ich diesmal zumindest nicht gestammelt hatte. Hatte ich doch nicht, oder?
„Bist du fertig?“, riss mich Daron aus meinen abermals abschweifenden Gedanken.
„Ja, bin ich. Wenn du mir allerdings gesagt hättest, wo es hingeht, dann hätte ich gewusst, was ich anziehen soll“, maunzte ich ihn ein klein wenig an. Doch anstatt etwas zu verraten, lachte er nur sein wunderbar dunkles Samtlachen, das mir wie ein Blitz durch meine Eingeweide schoss.
„Dann wäre es ja keine Überraschung mehr. Sei beruhigt, du siehst fantastisch aus. Hol dir noch deine Jacke, und dann fahren wir los.“
Brav nahm ich meinen schwarzen Mantel von der Garderobe und meine kleine, violette Ledertasche mit der Schleife vorne dran.
Vor dem Haus klickte Daron einmal auf seinen Türöffner. Ich hätte zwar nicht sagen können, was für ein Auto ich erwartet hatte, aber einen neuen Mercedes GL jedenfalls nicht. Okay, ein schwarzes Auto, ja, aber nicht so ein Luxusgefährt. Der war ja riesig. Gedanklich fiel mir gerade die Kinnlade auf den Bürgersteig.
„Kommst du?“, fragte mich Daron mit einem kleinen Grinsen, während er mir die Beifahrertür öffnete. Ihm war nicht entgangen, wie beeindruckt ich von seinem Schlitten war.
„Ja, natürlich“, begann ich wieder zu stammeln und maulte mich selbst dafür an, dass ich mich wie eines dieser typischen Weibchen benahm, die auf die Autos ihrer Dates Wert legten. Dem war nämlich nicht so. Wenn ich mich verliebte, dann konnte der Betreffende die letzte Schrottkarre der Welt fahren. Das sagte überhaupt nichts über seinen Charakter aus und war mir komplett unwichtig. Ebenso wie der Kontostand, der mir bisher immer egal gewesen war, was wahrscheinlich auch einer der Gründe dafür war, dass ich es bisher nicht in die Top Ten der Münchner High Society geschafft hatte. Aber da wollte ich ja auch gar nicht hin.
Daron half mir beim Einsteigen, denn der Offroader war höher, als er aussah. Der Innenraum war ausgestattet mit feinstem, dunklem Leder, und die Armaturen waren aus echtem Holz. Vorsichtig fuhr ich die weichen Löcher und Maserungen entlang, die in eine durchsichtige Schicht eingelassen waren, während Daron einstieg und den Motor startete.
„Pappel-Vogelaugen-Optik“, sagte er und ließ erneut ein Lächeln um seine Lippen spielen.
„Pappel?“, fragte ich verdutzt.
„Pappel-Vogelauge“, grinste er und strich sich eine Strähne hinters Ohr.
„Wieso wundert mich das jetzt nicht?“
„Keine Ahnung“, lachte Daron und fuhr aus der Parklücke heraus, um vorne an der Ampel links auf den Mittleren Ring abzubiegen.
Während der ganzen Fahrt an all den Hochhäusern und Spiegeltürmen entlang fragte ich mich, wo er wohl den ganzen Tag gewesen war und wohin er mich jetzt entführte. Je weiter wir fuhren, desto weniger kannte ich mich aus.
„Was ist los, Aline? Du bist so ungewöhnlich still heute.“
Wie selbstverständlich legte Daron seine rechte Hand auf mein Knie. Kurz durchfuhr mich ein Stromschlag, und ich hoffte, er hatte das nicht bemerkt. Ich benahm mich wie ein Teenie beim allerersten Date, und das passte mir gar nicht. Ich war doch sonst nicht so schüchtern und unsicher.
„Alles in Ordnung“, erwiderte ich. „Ich bin ehrlich gesagt nur etwas nervös und wüsste gerne, wo du mich hinbringst.“
„Wenn ich dir das sage, ist es doch keine Überraschung mehr. Du vertraust mir doch, oder?“ Gute Frage. Ich kannte ihn ja gerade mal zwei Tage, und die waren mit Merkwürdigkeiten gespickt gewesen. Trotzdem meldete sich eine kleine Stimme in meinem Bauch, die mir mit einer unumstößlichen Sicherheit signalisierte, ich könne mich wirklich auf ihn verlassen. Immer und überall.
Gefühl oder Vernunft, tja, das war hier die Frage.
„Ja, ich vertraue dir“, antwortete ich schließlich und legte wie zur Bestätigung meine Hand auf Darons.
„Dann weißt du auch, dass ich nichts tun würde, was dir nicht gefällt. Hab ein wenig Geduld, Kleines, wir sind gleich da.“
Mit diesen Worten nahm Daron die nächste Ausfahrt und bog im Anschluss rechts auf die Hauptstraße. Ich wusste nicht, in welchem Stadtteil wir uns nun befanden, aber es war mir auch relativ egal. Daron hatte mich um mein Vertrauen gebeten, und ich hatte es ihm gewährt. Dann musste ich jetzt auch damit zurechtkommen. Trotzdem, einige Antworten wollte ich heute noch haben, Vertrauen hin oder her. Ein Mädchen kann nie vorsichtig genug sein.
Vor einem verspiegelten Hochhaus lenkte Daron seinen Luxusschlitten rechts in eine Tiefgarage, und anstatt den Knopf für das Ticket zu drücken, hielt er einen Ausweis an ein kleines Lesegerät. Kurz flackerte das rote Kontrolllicht, und schon öffnete sich das Gitter. Langsam fuhren wir durch die Parkreihen, von denen nur wenige besetzt waren. Aber was da für Autos rumstanden, verschlug mir fast die Sprache.
Golf und Toyota suchte man vergeblich, stattdessen entdeckte ich mehrere Porsches, BMWs und diverse andere Nobelmarken. Auch einige weitere GLs standen hier und da verstreut, allerdings allesamt silberfarben. Überhaupt hielt sich die Farbskala der geparkten Autos im Rahmen, genauer gesagt gab es ausschließlich Silber und dunkle Farben von Anthrazit bis Schwarz. Recht einfallslos, wie ich fand. Aber ich hätte mir ja nicht einmal die bloße Holzarmatur von Darons Auto leisten können, geschweige denn den ganzen Wagen, also wer war ich da schon, über die Lackwahl anderer zu urteilen?
Behutsam lenkte Daron den GL in eine Parkbox, an deren Wand „D. McÉag“ stand.
„Du heißt McÉag? Wo kommt denn der Name her? Aus Schottland?“, fragte ich neugierig und freute mich, schon mal ein Häkchen hinter eine meiner Fragen setzen zu können.
„Nicht ganz“, antwortete Daron. „Er ist irisch. Mit keltischem Hintergrund.“
„Dann stammt deine Familie also aus Irland?“, bohrte ich nach.
„Sozusagen“, grinste Daron, während er den Motor abstellte und ausstieg.
Sozusagen?
Ja, wie denn nun?
Geduld, Aline, jetzt hast du schon mal einen Aufhänger, da kannst du dranbleiben, vertröstete ich mich selbst. Wir hatten ja noch den ganzen Abend Zeit. Also stieg ich ebenfalls brav aus und wurde Opfer meiner eigenen Tollpatschigkeit. Ich hatte die Höhe des Wagens nicht bedacht und fiel doch tatsächlich mehr aus dem Auto, als dass ich elegant und grazil meinem Sitz entstieg. Gott sei Dank war Daron innerhalb eines Wimpernschlags bei mir und fing mich auf, sodass ich ungeschickt gegen seine breite Brust stieß.
Na, ganz toll.
Entweder dachte er jetzt, ich hatte das absichtlich getan, oder er hielt mich für den größten Schussel in der gesamten westlichen Hemisphäre. Letzteres hatte durchaus seine Berechtigung, sodass ich ihm dann nicht mal hätte böse sein können. Stellen Sie einen Eimer Farbe auf eine leere, vier Meter breite Straße, und dann raten Sie mal, wer es schafft, hineinzutreten. – Richtig.
„Immer langsam, junge Dame“, grinste Daron mich an, hob mein Kinn und gab mir einen kleinen Kuss. „Wir haben es nicht eilig.“
„Würdest du nicht so eine verdammt hohe Kiste fahren, wäre das nicht passiert“, meckerte ich, konnte mir aber selber ein Grinsen nicht verkneifen, als ich in Darons vor Belustigung funkelnde Augen sah.
Er stupste mich auf die Nasenspitze, verschloss per Infrarotschaltung das Auto, nahm meine Hand und führte mich zu einer Tür an der gegenüberliegenden Seite, hinter der wir in einen Aufzug stiegen. Mir wurde etwas flau, als Daron den Knopf fürs Penthouse drückte. Penthouse?
Das wurde ja immer besser.
Was war er? Der Nachkomme eines irischen Adelsgeschlechts? Waren die nicht mittlerweile alle verarmt oder von der Queen aufgekauft worden? Ach, was wusste ich schon. Ich verkniff mir einen Kommentar und verfolgte angestrengt, wie ein Stockwerk nach dem nächsten auf der Anzeige aufleuchtete. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass Daron sich locker an die verspiegelte Wand des Lifts gelehnt hatte, die Arme lässig vor seinem Körper verschränkt. Ich glaube, er unterdrückte ein Lachen. Was war ich heute wieder komisch und wusste nicht mal, wieso.
„Warum lachst du mich aus?“, fragte ich ihn und drehte mich um, um ihn frontal anzublicken.
„Ich lache dich nicht aus, ich lache dich an“, erwiderte er völlig überrascht, doch das Funkeln in seinen Augen verriet, dass er genau wusste, was ich meinte.
„Ärgere mich nicht, das kann ich nicht leiden. Erst recht nicht, wenn ich nicht weiß, warum man über mich lacht“, fauchte ich und bedauerte es sogleich im nächsten Augenblick. „Entschuldige bitte, ich wollte nicht garstig sein. Es ist nur … Das hier ist alles so neu für mich, und ich weiß bisher so gut wie nichts über dich. Ich kann einfach nicht glauben, dass das hier alles passiert, und dabei weiß ich nicht mal, was genau überhaupt passiert.“ Ich schüttelte den Kopf und drehte mich weg, zu peinlich war mir mein Geständnis.
Zwei starke Arme legten sich von hinten um mich, und eine Stimme wie Seide flüsterte mir ins Ohr.
„Mach dir nicht so viele Sorgen, es ist alles in Ordnung so, wie es ist. Lass es einfach geschehen. Ich würde es nie wagen, mich über dich lustig zu machen, Aline. Dafür bedeutest du mir viel zu viel. Und jetzt entspann dich und freue dich auf einen schönen Abend.“
Sein Haar fiel mir über die Schultern und entführte mich mit seinem Geruch erneut für einen kurzen Moment in die Stille der Wüste, während seine Hände, die mich hielten, nach Wald und frischem Regen dufteten. Ich wog kurz meine Möglichkeiten ab.
Entweder weiter schmollen und damit Daron vergraulen – keine gute Idee. Oder die Dinge so nehmen, wie sie kommen, und schauen, wohin sie mich führen. Ich konnte ja jederzeit Nein sagen, wenn mir was nicht passte. Klang zwar auch nicht hundertprozentig überzeugend, war aber eindeutig die bessere Alternative.
„Okay“, sagte ich, „dann überrasche mich mal.“
„Nichts lieber als das“, erwiderte Daron und wollte mich gerade zu sich drehen, um mich zu küssen, als ein verdächtiges „Ping“ die Ankunft im Penthouse signalisierte.
„Schade“, seufzte er, „von mir aus hätten wir ruhig noch länger hier drin bleiben können. Aber nun gut, dann lass uns mal eintreten.“ Er zückte einen Schlüsselbund, steckte einen der vielen Schlüssel ins Schloss neben den Knöpfen, drehte ihn, und schon öffnete sich die Fahrstuhltür. Ich war überwältigt. Beeindruckt hätte es nicht annähernd getroffen.
Weicher, beigefarbener Teppich führte in einen riesigen Raum, an dessen rechter Seite ein knisterndes Feuer in einem Kamin loderte, während davor eine Sitzgruppe aus feinstem Leder um einen ungewöhnlichen Couchtisch stand. Die Oberfläche des Tisches war aus Glas und ruhte auf einem Sockel aus Holz. Es sah fast aus wie ein kleiner Baum, dessen Krone die Tischfläche bildete. Irgendwie konnte ich mir schon denken, um was für ein Holz es sich dabei handelte. An der Wand stand ein Regal mit allerlei Büchern und antik aussehenden Sachen. Als ich näher trat, erkannte ich unter anderem eine Schale mit Runen.
„Ein altes Familienerbe“, bemerkte Daron, als er sah, wie ich die schwarzen Steine betrachtete, „aber ich benutze sie nicht.“
„Dazu sind sie sicher zu wertvoll“, meinte ich.
Daron zuckte die Achseln.
„Mag sein. Ich habe mich nie dafür interessiert. Der ideelle Wert einer Sache ist mir immer wichtiger als der materielle.“
Sagt sich leicht, wenn man lebt wie ein König, schoss es mir durch den Kopf, doch glücklicherweise konnte ich gerade noch die Klappe halten. Meine Nervosität machte mich unleidlich, aber es war keine gute Idee, das an Daron auszulassen, zumal er nun wirklich nichts für seine offensichtlich außerordentlich privilegierte Situation konnte. Reiß dich zusammen, mahnte ich mich in Gedanken, du bist gerade dabei, dir was ganz Tolles zu versauen. Hatte mich Betty nicht heute Morgen erst gebeten, genau das nicht zu tun? Nein, ich würde versuchen, einfach mal die Zügel aus der Hand zu geben und den Abend zu genießen, auch wenn ich nicht wusste, was noch kommen sollte. Etwas mehr Flexibilität würde mir sicher gut tun.
Ich atmete tief durch und ging an der Wand entlang zur linken Seite des Raumes, die von einer breiten Fensterfront gesäumt war. Kein Balkon, einfach nur Glas vom Boden bis zur Decke, das mich von einem Sturz in die Tiefe trennte. Auch wenn die nächtliche Aussicht über das Lichtermeer der Stadt atemberaubend schön war, hatte ich doch ein mulmiges Gefühl, so nahe am Abgrund zu stehen, und trat einen Schritt zurück. Daron war neben mich getreten, seinen Mantel hatte er bereits aufgehängt. Ich musste kurz schlucken.
„Ganz schön hoch. Im wie vielten Stock sind wir hier noch mal?“
„Im vierzigsten.“
Ich legte meine Stirn in Falten. „Im vierzigsten? Das höchste Gebäude in der Stadt hat laut Touristeninfo nur 37 Stockwerke.“
„Das ist die offizielle Version“, lächelte Daron, „aber das McÉag-Building ist in Wirklichkeit das höchste. Auf diese Weise vermeiden wir Horden von knipsenden Japanern und anderen Touristen. Unbefugten ist zudem hier im ganzen Gebäude der Zutritt verboten.“
„Das McÉag-Building?“, fragte ich ungläubig. „Jetzt erzähl mir bitte nicht, dass dir dieses Hochhaus gehört!“
Daron zuckte die Schultern. „Tut es auch nicht. Es gehört meinem Vater.“
Mein Mund stand einen gefühlten Kilometer weit offen, und ich dachte, ich hätte mich verhört. Aline Heidemann, kleine Sachbearbeiterin in einer amerikanischen Kippenfirma, hatte sich offenbar den Spross einer Milliardärsfamilie geangelt. Ja klar, und aus meinem Hintern wuchsen Blumen.
Ohne eine Antwort abzuwarten nahm mir Daron meinen Mantel ab und führte mich an der Garderobe vorbei in die Küche nebenan. Es war die schönste Küche, die ich je gesehen hatte. Komplett in Weiß gehalten, mit jeder Menge Arbeitsfläche und Stauraum, das Spülbecken in einem separaten Element gegenüber vom Herd aufgebaut. Einfach umdrehen, und schon konnte man zwischen Herd und Spüle wechseln, wahrhaft raffiniert. Die Flächen waren aus feinstem Marmor, und in den Kühlschrank, den Daron soeben öffnete, hätte mein eigener locker dreimal reingepasst. Er fischte eine Flasche heraus, die mich am orangefarbenen Etikett sofort erkennen ließ, dass es sich um einen Veuve Cliquot handelte. Gekonnt köpfte Daron die Flasche und befüllte uns zwei Kristallgläser, die so fein gearbeitet waren, dass ich Angst hatte, der Stiel würde beim Anfassen zerbrechen.
„Auf uns“, sagte Daron, als er mir mein Glas reichte, „und auf einen wunderschönen Abend.“ Ich nickte.
„Auf uns“, war das Einzige, was ich im Moment herausbrachte, zu überwältigt war ich von all dieser für mich ungewohnten Pracht. Auf der Anrichte neben mir stand ein großer Strauß weißer Abigailrosen mit pinkfarbenem Rand, gleich der Rose, die er mir gestern geschenkt hatte. Sie sahen so wundervoll perfekt aus und passten so gut in diese Küche. Der Champagner prickelte verführerisch in meinem Mund, und als ich mich umsah, überlegte ich einen kurzen Moment lang, dass es hier fast ein klein wenig zu sauber aussah. So sauber, als würde hier nie gekocht, geschnippelt und gebraten. Nicht ein Fleck war zu sehen, und als ich neugierig eine Schublade aufzog, präsentierte sich mir edles Silberbesteck, sorgfältig poliert und aneinandergereiht.
„Du kochst hier wohl nicht oft?“, fragte ich ihn und zwinkerte Daron neckisch zu.
„Erwischt“, grinste er mich über den Rand seines Champagnerglases an, während sich die Blubberbläschen glitzernd von seinem dunkelvioletten Hemd abhoben. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir quasi im Partnerlook waren.
Was für ein Zufall.
Doch ehe ich etwas sagen konnte, fuhr Daron fort: „Ich habe leider nicht oft die Gelegenheit, diese Wohnung zu benutzen. Mein Job verschlingt viel Zeit, und ich bin ständig unterwegs. Aber wann immer es mir möglich ist, komme ich hierher und genieße den Blick auf die Stadt. Besonders nachts.“
Ich wusste was er meinte. Das Funkeln der abertausend Lichter hatte mich vom ersten Moment an in seinen Bann geschlagen. Ich durfte nur nicht zu nahe ans Fenster gehen, dann war alles im grünen Bereich.
„Was arbeitest du, dass du so viel unterwegs bist und dein Vater sich dieses imposante Häuschen leisten kann?“
Hey, er hatte mir einen Aufhänger gegeben, den musste ich nutzen.
Daron strich sich eine Strähne aus dem Gesicht hinters Ohr, während er sein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte. Sieh einer an, offensichtlich hatte diese Frage ihn nervös gemacht.
„Sagen wir, wir sind in der Versicherungsbranche“, antwortete er, „im weitesten Sinne.“
Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht interpretieren konnte. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte drauf getippt, dass er Angst hatte. Angst, wie ich reagieren würde. Was war an einem Versicherungsmakler denn so furchtbar? Mal abgesehen von so manchem Berater.
„Scheint ein lukratives Geschäft zu sein“, entgegnete ich und sah, wie sich augenblicklich seine Mimik entspannte. „Vielleicht sollte ich die Branche wechseln.“
Da musste er herzhaft lachen.
„Nein, lieber nicht, es gibt schon genug … von uns.“ Damit ging er zur Tür und hielt sie mit einer galanten Geste auf. „Darf ich bitten?“
Ich wusste nicht genau, was er mit diesem „von uns“ meinte, wollte aber nicht unhöflich sein und ging zurück ins Wohnzimmer, in dem der Kamin loderte. Auf dem Couchtisch, der vorhin noch völlig leer gewesen war, standen auf einmal zwei Gedecke zusammen mit mehreren zugedeckten Tellern. Verwirrt drehte ich mich um.
„Wo kommt das auf einmal her?“
Daron zuckte mit den Schultern und schenkte mir erneut sein spitzbübisches Lächeln.
„Heinzelmännchen“, lautete seine knappe Erklärung.
Ich ging zum Tisch und wollte schon nach der ersten Abdeckung greifen, als ich innehielt. Das war unhöflich. Schuldbewusst blickte ich Daron an.
„Verzeih, ich bin so schrecklich neugierig. Darf ich?“
„Nur zu“, schmunzelte er und wies mich mit einer Geste an, die Hauben zu lüften.
Ich entfernte die erste Abdeckung und blickte auf köstlich angerichtetes Carpaccio, bedeckt mit einigen Rucolablättern und feinen Parmesanstreifen. Der nächste Teller barg frisch geschnittenes Ciabattabrot, ein weiterer diverse Antipasti wie gefüllte Champignons und Paprika. Mein persönliches Highlight bildete allerdings der sich direkt vor meinem Gedeck befindliche Teller. Als ich den Deckel hob, entströmte dem Teller ein Aroma von Pasta und schwarzem Trüffel, dünn gerieben über eine leichte Knoblauchsahnesoße. Ich blickte Daron verwundert an.
„Woher wusstest du, dass ich Trüffel liebe?“, fragte ich ihn.
„War so eine Ahnung“, grinste er, offensichtlich sehr erfreut, dass seine Überraschung gelungen war. „Bitte, setz dich.“
Erst jetzt bemerkte ich den Weinkühler, in dem sich neben Eis und Wein auch eine Flasche San Pellegrino befand. Augenblicklich kroch Durst meine Kehle hoch, wohl von der Aufregung und der durch das Feuer freigesetzten Hitze im Raum. Daron hatte meinen Blick bemerkt, denn ohne zu fragen schenkte er mir von dem Wasser ein. Dankbar nahm ich das Glas entgegen und trank zwei große Schlucke.
„Dann lass uns mal anfangen“, sagte Daron, nahm gegenüber von mir Platz und begann, mir von jedem Teller einen Happen aufzufüllen.
„Wenn du weiter so viel auffüllst, passe ich morgen nicht mehr in meine Jeans“, gab ich zu bedenken, doch Daron wischte meine Bedenken weg mit der Bemerkung, dass Frauen, die nicht richtig essen konnten, auch nicht fähig seien, innig zu lieben. So hatte ich das noch nie gesehen, musste aber bei genauerem Nachdenken zustimmen. Wer immer nur Hunger hatte, hatte schlechte Laune, und mit schlechter Laune verliebte man sich eher selten bis gar nicht. Wenn Daron so viel an meinem leiblichen Wohl lag, dann wollte ich ihn nicht enttäuschen und genoss mit Wonne all die Köstlichkeiten, die sich vor uns türmten.