Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 26

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Ich erwachte von einem komischen Druck irgendwo unter meinem Ohr. Meine Augen waren noch geschlossen, und eigentlich wollte ich sie nicht öffnen. Auch wenn man sagte, man sei nach einer Ohnmacht verwirrt, so stimmte das nur bedingt. Ich war bereits einmal in meinem Leben in Ohnmacht gefallen dank einer Bauchoperation und einer nicht gerade zimperlichen Krankenschwester, die meinte, mich am Tag nach der Behandlung mit aller Macht aufsetzen zu müssen. Meine Einwände, mir würde schwindelig, hatte sie ignoriert. Bis ich einfach umgekippt und mit dem Kopf auf den Nachttisch geknallt war. Diesen Schmerz hatte ich noch registriert, nicht mehr aber, woher er stammte. Das Nächste, an das ich mich wieder erinnerte, waren vier Schwestern, die mich mittels eines Lakens ins Bett gehievt hatten. Ich hatte sofort gewusst, wo ich mich befand und was soeben geschehen war.

Nun war es genauso. Vor meinem inneren Auge sah ich bruchstückhaft die vergangenen Szenen, die mein Hirn zuletzt gespeichert hatte. Daron und ich auf dem Sofa. Mael und ich unter der Dusche. Daron und Mael vor der Dusche. Daron, wie er sich in diese abscheuliche Kreatur verwandelt hatte. Bei dem Gedanken daran schüttelte ich den Kopf. Ich wolle ihn nicht so sehen, weder live noch in meiner Erinnerung.

Mein sanfter Riese.

Ein schwarzes Monster.

Das wollte ich einfach nicht glauben.

„Ich glaube, sie wird wach“, hörte ich eine mir unbekannte männliche Stimme sagen, und der Druck unter meinem Ohr begann sich zu lösen. Im nächsten Moment spürte ich, wie mir etwas Kaltes auf die Stirn gelegt wurde.

O Gott, ich wollte nicht aufwachen. Ich wollte nur noch schlafen und vergessen. Doch mir war klar, dass das nicht ging und ich irgendwann aufwachen musste. Vorsichtig öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge. Und sah einen vollkommen Fremden neben mir sitzen, der mich mit einem freundlichen Lächeln bedachte.

„Alles klar, Aline? Geht es dir wieder besser?“

„Denke schon“, war alles, was mir in diesem Moment einfiel. Noch reichlich benommen fasste ich an die Stelle, an der ich kurz zuvor noch den sonderbaren Druck verspürt hatte.

„Esmarchscher Handgriff“, grinste mich der Fremde an. „Dadurch konntest du besser atmen. Hilft immer bei Ohnmacht.“

Hä?

Ich verstand nur Bahnhof, nickte aber dankbar und blickte mich um. Ich erkannte Darons Wohnzimmer mit dem flackernden Kamin. Man hatte mich offenbar auf die Couch gelegt, meine Beine waren erhöht auf einen Stapel Kissen gebettet. In dem Moment fiel mir ein, dass ich unter der Dusche gewesen war.

Nackt.

Wie man eben unter die Dusche geht.

Hastig blickte ich an mir herunter und fand mich in eine dicke, dunkle Decke eingewickelt vor. Na wenigstens etwas, dachte ich mir. Mich hatten heute schon zwei Männer so gesehen, wie Gott mich geschaffen hatte. Für einen Dritten war definitiv kein Platz mehr auf meiner Tanzkarte. Bei dem Gedanken nahm ich den Fremden etwas näher unter die Lupe. Seine kurzen, dunkelbraunen Haare standen in kleinen Stacheln nach oben und hatten die gleiche Farbe wie seine Augen, die mich freundlich anschauten. Seine Gesichtszüge glichen denen Darons, auch wenn seine Lippen etwas schmaler waren.

„Wer sind Sie?“, fragte ich und musste mich kurz räuspern. „Und wo ist Daron?“

In diesem Moment sah ich Daron aus der Küche kommen, in seinen Händen eine Kanne mit Wasser und ein Glas. Er trug mittlerweile einen dunklen Morgenmantel und sah wieder so aus, wie ich ihn kennengelernt hatte. Hatte ich das alles etwa doch geträumt? Als er mich sah, beeilte er sich, Kanne und Glas auf dem Couchtisch abzustellen, und kniete sich neben mich hin.

„Aline, Gott sei Dank bist du wach. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wie geht es dir?“ Vorsichtig legte er eine Hand auf meinen Kopf, dorthin, wo die angenehme Kühle herkam. Das mussten offenbar in ein Handtuch eingewickelte Eiswürfel sein. Instinktiv wollte ich vor Darons Berührung zurückschrecken, doch ich war einfach noch zu benommen, als dass mein Körper mir wieder richtig gehorchen wollte. Außerdem lag in seinem Blick so viel Sorge, dass es mir einen Stich in die Magengrube verpasste. Ich merkte, dass ich ihn nicht so traurig sehen wollte.

„Keine Ahnung“, stammelte ich. Panik stieg schlagartig in mir auf. „Mael …?“

„Keine Sorge Kleines, er kann dir nichts mehr tun. Du bist in Sicherheit.“

„Aber…“, begann ich zu protestieren.

„Nichts aber“, unterbrach mich Daron und streichelte mir sanft über den Kopf. „Das klären wir alles später, wenn es dir wieder besser geht.“

„Ist… ist er tot?“ Ich musste einfach wissen, was mit meinem Peiniger geschehen war, sonst hätte ich keine Ruhe gehabt.

„Nein, nur ziemlich ausgeknockt“, erwiderte Daron und räusperte sich. „Wir haben ihn zu jemandem gebracht, der sich um seine Verletzungen kümmert und aufpasst, dass er hier nicht mehr auftaucht. Er ist weg. Jetzt versuch dich zu entspannen.“

Das war wohl alles, was Daron mir im Moment an Informationen zu geben bereit war, und so blieb mir nichts anderes übrig, als zustimmend zu nicken.

„Ich mache mich dann mal daran, das Bad zu reinigen. Ihr zwei seid ja jetzt beschäftigt“, grinste der fremde Mann und reichte mir die Hand. „Ich bin übrigens Alan.“

„Aline“, erwiderte ich seinen Gruß.

„Ich weiß“, zwinkerte er mir zu, stand auf und verließ das Wohnzimmer. Er hatte den gleichen imposanten Körperbau wie Daron. Soweit ich das von hinten beurteilen konnte. Leise seufzte ich auf.

„Sag mir jetzt bitte nicht, dass Alan auch ein Bruder von dir ist.“

Da musste Daron lachen.

„Oh, Aline, bin ich froh, dass du deinen Zynismus nicht verloren hast. Dann geht es dir wirklich schon etwas besser. Ich muss dich allerdings enttäuschen – Alan ist tatsächlich mein Bruder.“

Verwirrt blickte ich ihn an. „Wie viele von euch gibt es denn?“

„Wir sind insgesamt acht Brüder“, antwortete Daron und strich sich mit seiner mir mittlerweile vertrauten Geste die Haare hinter sein Ohr.

„Wow“, rutschte es mir heraus, „acht Brüder. Das ist eine ganze Menge. Keine Schwestern?“

„Nein. Keine Schwestern.“

„Deine arme Mutter. Allein mit deinem Vater und acht Jungs, das muss hart sein.“

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, legte sich ein Schatten auf Darons Gesicht und Trauer verdrängte seine Erleichterung.

„Was ist?“, fragte ich verunsichert und konnte mir denken, dass ich wohl gerade in einen Fettnapf getreten war.

„Mutter ist nicht mehr bei uns. Es ist noch nicht lange her. Ich vermisse sie sehr.“

Jawohl, ein Riesenfettnapf.

Ich schob das dieses Mal auf den Knock out unter der Dusche.

Nur dieses eine Mal.

„Oh, verdammt, Daron, das tut mir leid, ich wollte nicht …“

„Ist schon in Ordnung“, unterbrach er mich erneut und lächelte mich traurig an, „du konntest das doch nicht wissen. Woher auch? Ich habe dir ja bisher nicht viel von mir erzählt.“

In diesem Moment blitzte die Szene im Badezimmer erneut vor mir auf.

Wie Daron Mael niedergestreckt hatte.

Wie er ihn getötet hatte.

Und wie er sich dabei in dieses hässliche Monster verwandelt hatte, das einem Albtraum entsprungen zu sein schien. Mein Atem beschleunigte sich bei diesem Gedanken. Nein, er hatte mir wirklich nicht viel von sich erzählt, und das war noch eine glatte Untertreibung.

„Daron, was ist im Bad passiert? Wie kam Mael hier rein? Ich … ich verstehe das alles nicht. Deine Haut ist wieder normal …“

So viele Fragen türmten sich in meinem Kopf, dass ich nicht wusste, welche ich zuerst stellen sollte. Oder ob ich überhaupt welche stellen und nicht lieber abhauen und das Weite suchen sollte. Doch dafür war es meiner persönlichen Meinung nach jetzt sowieso schon zu spät. Ich wusste, was ich gesehen hatte. Und eine kleine Stimme flüsterte mir ganz leise ins Ohr, dass ich überhaupt nicht davonlaufen wollte.

Daron wandte für einen Moment den Blick von mir ab, und sein langes, schwarzes Haar fiel ihm wie ein Vorhang vor sein Gesicht. Ich griff vorsichtig danach und strich es ihm hinter sein Ohr.

„Rede mit mir“, sagte ich zu ihm.

„Das ist nicht so einfach“, sagte er. „Aline, ich wollte nicht, dass du mich auf diese Weise siehst. Es tut mir so unendlich leid, genauso wie das, was Mael dir antun wollte. Das war mein Fehler. Ich hätte es wissen müssen.“

Ich fasste mit meiner Hand unter sein Kinn und drehte sein Gesicht in meine Richtung. Schwermut lag in seinem Ausdruck, und unwillkürlich durchfuhr mich ein scharfer Stich. Seine Last wurde in diesem Moment zu meiner, und ich spürte, dass mein Herz mir schon meilenweit vorausgeeilt war, ohne auf meinen Verstand zu warten, ungeachtet dessen, was im Badezimmer geschehen war.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du da gerade redest, Daron. Ich weiß zwar, dass ich mir fast vor Angst in die Hosen gemacht habe, nun ja … wenn ich denn welche angehabt hätte. Aber niemand ist für die Taten eines anderen verantwortlich, auch du nicht. Es war nicht dein Fehler. Im Gegenteil, du hast mich gerettet. Und wie du gesehen hast, bin ich zwar nicht unzerbrechlich, aber doch hart im Nehmen. Denkst du nicht auch, nach dem, was sich da heute ereignet hat, ist es Zeit, endlich die Karten auf den Tisch zu legen?“

In diesem Moment staunte ich über mich selbst und fragte mich, wo diese unglaubliche Vernunft herkam. Es mochte zum einen Neugier sein, die mich antrieb, Daron endlich zum Reden zu bewegen. Doch zum anderen spürte ich tief in mir genau, wie hin- und hergerissen dieser Mann war, der neben mir kniete. Dieser Mann, mit dem ich kurz zuvor so wunderbare Momente hier auf genau derselben Couch erlebt hatte. Der mir gesagt hatte, dass er mich liebte. Der offenbar ein so dunkles Geheimnis in sich trug, dass er fürchtete, er würde mich dadurch verlieren. Und wenn ich ehrlich war, war das, was ich gesehen hatte, wirklich zum Davonlaufen gewesen. Kein Horrorfilm der Welt hätte mich mehr ängstigen können. Doch ich wusste auch, dass mir dieser Mann, was immer er auch sein mochte, mittlerweile so unglaublich viel bedeutete, dass ich seine Qual nicht ertragen konnte. Ich holte tief Luft und sah ihm direkt in die Augen.

„Daron, was auch immer du bist, ich werde nicht weglaufen. Das verspreche ich dir.“

„Du kannst nichts versprechen, wenn du nicht weißt, was dich erwartet“, lächelte er mich traurig an. Da nahm ich all meinen Mut zusammen und setzte alles auf eine Karte:

„Doch, das kann ich. Weil ich nicht mehr auch nur einen Tag ohne dich sein will. Daron, ich liebe dich. Es tut mir leid, dass ich es vorhin nicht sagen konnte. Es war dumm von mir, ich … hatte einfach nur Angst.“

Verwunderung mischte sich in seinen Blick. Verwunderung und, wie ich bemerkte, ein klein wenig vorsichtige Freude. Da er nichts sagte, sprach ich weiter.

„Als ich dich aus dem Raum gehen sah, so enttäuscht und niedergeschlagen, da dachte ich fast, mir bricht das Herz. Ich hätte alles darum gegeben, hätte ich nur fünf Sekunden zuvor diese drei Worte sagen können. Es war falscher Stolz, der mich daran gehindert hat. Im Bad, da habe ich gesehen, was du … wie du werden kannst. Und obwohl du Angst einflößender ausgesehen hast, als ich mir das je hätte vorstellen können, hast du mich beschützt. Beschützt vor etwas, das mich wohl mein ganzes Leben lang verfolgt, vielleicht sogar zerstört hätte. Was so viel schlimmer hätte werden können als nur ein schwarzer Mann mit roten Augen und Flügeln.“

Da war es. Ich hatte es gesagt. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Erneut atmete ich tief durch.

„Daron, ich weiß, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die man sich nicht erklären kann. Ich selbst weiß das wirklich nur zu gut und wusste von Anfang an, dass du irgendwie anders bist. Trotzdem habe ich mich auf dich eingelassen. Weil ich dich kennenlernen wollte. Dich, so wie du bist, und nicht, wie du vorgibst zu sein. Ich wusste, dass es ein Risiko dabei gibt, das gibt es immer. Ich habe dir vertraut und tue es auch jetzt noch. Bitte vertraue auch du mir jetzt, wenn ich dir sage, dass ich dich, egal welches Geheimnis du besitzt, nicht einfach verlassen werde. Ich staune selber darüber, wie schnell das bei mir ging, Daron, aber es ist nun einmal so, und ich liebe dich schon viel zu sehr, als dass das überhaupt noch möglich wäre.“

Die ganze Zeit über hatte Daron wie versteinert neben mir gesessen und offenbar kaum zu atmen gewagt. Angst und Freude spiegelten sich in seinen Augen. In diesen wunderschönen, grünen Augen, die ich nicht mehr missen wollte. Ein vorsichtiges Lächeln spielte um seine Lippen.

„Ist das wahr?“, fragte er beinahe so leise, dass ich ihn kaum verstand.

„Ja, natürlich. Warum sollte ich dir das sagen, wenn es nicht stimmt? Ganz besonders nach dem, was geschehen ist? Ich kann es dir aber auch gerne schriftlich geben“, neckte ich ihn absichtlich, um ihn aus seiner Starre zu lösen.

Es klappte. Daron atmete einige Male tief durch, und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Sie liebt mich“, lachte er laut auf, und ehe ich mich versah, küsste er mich so tief und hingebungsvoll, dass es mir vor Überraschung beinahe den Atem nahm. Nie mehr wollte ich ohne ihn sein. Ohne seine Küsse, seine Umarmung, seinen Körper. Nie mehr.

„Na, wie mir scheint, hat sich die Patientin schnell wieder erholt“, hörte ich jemanden aus dem hinteren Teil des Zimmer sagen. Daron und ich lösten uns voneinander und schauten in die Richtung, in der Alan stand, sein weißes T-Shirt und die Jeans stellenweise mit Blut beschmutzt. „Das Bad ist wieder sauber, nur die Duschkabine müsste repariert werden.“

„Das hat Zeit“, erwiderte Daron schmunzelnd und blickte erneut zu mir.

„Ich hole dir schnell was zum Anziehen, und dann reden wir. Versprochen.“

„Na, dann mach ich uns mal Kaffee. Das könnte eine lange Nacht werden“, rief uns Alan zu, während er in Richtung Küche marschierte. Wir mussten beide lächeln, und als wir wieder alleine im Zimmer waren, nahm Daron meine Hände und legte so zarte Küsse in meine Handflächen, dass mir ein Schauer nach dem anderen den Rücken herunter lief.

„Egal, was passiert, Aline, oder was du gleich erfahren wirst, bitte bedenke immer, dass ich dich liebe und nie zulassen würde, dass dir etwas geschieht.“

Ich entzog ihm eine Hand und streichelte mit meinem Daumen sanft über seine Wange.

„Das weiß ich, Daron. Das weiß ich.“

Die Linie der Ewigen

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