Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 30

Оглавление

22

Der Kuss schien eine Ewigkeit zu dauern. Keiner von uns beiden wollte sich vom anderen lösen. Leider meldete sich irgendwann wieder dieser fiese Schmerz in meinem Kopf, und erinnerte mich daran, dass es mir eigentlich gar nicht gut ging. In dem Moment, in dem ich Daron nach einer Kopfschmerztablette fragte, meldete sich zudem mein Magen mit einem ohrenbetäubenden Knurren. Gott, ich hatte wirklich Hunger, und zwar nicht nur nach dem hünenhaften Leckerbissen vor mir. Daron lachte sein tiefes, perlendes Lachen, das mir wie eine warme Dusche in feinen Strömen die Arme herablief und meine Härchen am ganzen Körper aufrichtete.

„Im Badezimmer findest du in der rechten Schublade ein paar Aspirin. Ein Morgenmantel hängt hinter der Tür. Lass dir ruhig Zeit, ich kümmere mich derweil um unser Frühstück.“ Mit diesen Worten verließ Daron die weichen Laken, und erst jetzt bemerkte ich, dass er vollkommen nackt war. Ich betrachtete sein breites Kreuz bis hinunter zu diesen unglaublich schlanken Hüften, an deren Ende sich ein so knackiger Hintern befand, dass – hätte ich mich nicht so furchtbar mies in meiner Haut gefühlt – ich am liebsten in ihn hineingebissen hätte. Während Daron in eine enge Jeans schlüpfte, ließ ich immer und immer wieder meinen Blick über seinen durchtrainierten Körper wandern und sog jedes noch so kleine Detail förmlich in mich auf. Seine schwarzen Haare glänzten wie ein Wasserfall aus purer Seide im hellen Morgenlicht, das durch die halb geschlossenen Vorhänge fiel. Wie das gesamte Schlafzimmer waren sie in einer Art Korallton gehalten, der auf mich eine ungemein beruhigende Wirkung ausstrahlte. Eine kleine Kommode mit einem gold umrandeten Spiegel befand sich an der Seite gegenüber vom Bett und auch hier stand eine Vase mit einer einzelnen, weißen Abigailrose. Ich musste Daron irgendwann fragen, was es mit dieser Blume auf sich hatte. Aber nicht jetzt, jetzt brauchte ich erst einmal einen Schluck Wasser und eine Tablette, damit sich meine Kopfschmerzattacke von vor ein paar Tagen nicht wiederholte. Daron zwinkerte mir kurz zu und verließ barfuß sowie mit nacktem Oberkörper das Schlafzimmer. So hatte ich die Möglichkeit, mich in Ruhe ins Bad zu trollen, das sich rechts vom Bett befand.

Als ich eintrat, fuhr mir ein kleiner Schreck in die Glieder. Es handelte sich um eine exakte Kopie des Gästebades, wenn auch um einige Nummern geräumiger. Ich verspürte einen Moment der Panik, als ich an das Geschehene zurückdachte, riss mich dann aber tapfer zusammen und betrat die weißen, warmen Fliesen.

Fußbodenheizung, welch ein herrlicher Luxus.

Die Tür schloss ich dieses Mal hinter mir ab, sicher war sicher. Nicht, dass plötzlich einer von Darons anderen Brüdern meinte, mich auf der Toilette überraschen zu müssen. Eine neue Frage arbeitete sich aus den Untiefen meines Gehirns nach oben. Wie nur hatte sich Mael von Daron unbemerkt Zutritt zu dessen Wohnung verschaffen können? Hatte er einen Zweitschlüssel oder konnte er etwa durch Wände gehen? Bei dem Gedanken gefror mir das Blut in den Adern, denn in diesem Fall hätte kein Schloss der Welt etwas gegen den gestrigen Übergriff genützt.

Langsam schlich ich in Richtung Spiegel und wagte einen vorsichtigen Blick hinein. Ich sah zwar nicht aus wie das blühende Leben, aber es hätte wirklich schlimmer sein können. Neben dem Doppelwaschbecken befand sich eine kleine Kommode, auf der ich meine Handtasche entdeckte. Erleichtert schickte ich ein stilles Dankeschön in Darons Richtung, weil er daran gedacht hatte, sie mir hier reinzustellen. Ohne Kosmetik war ich verloren.

Ich reinigte zunächst mein Gesicht mit eiskaltem Wasser und fischte anschließend nach meinem kleinen Etui für Make-up-Notfälle. Ein Tiegelchen Feuchtigkeitscreme war ebenso mein ständiger Begleiter wie Make-up, Concealer und Mascara. Zudem hatte ich mir erst vor Kurzem ein kleines Reisezahnputzset zugelegt, weil das Essen in der Kantine immer einen so komischen Nachgeschmack hinterließ. Wie froh war ich jetzt über diese Investition. Eine kleine Bürste, ein Minihaarspray und ein Parfümzerstäuber mit meinem Lieblingsduft rundeten das Ensemble komplett ab. Als ich mich zehn Minuten später erneut im Spiegel ansah, war ich mit dem Ergebnis durchaus zufrieden.

In der obersten Schublade der kleinen Kommode befanden sich diverse Seifen und Shampoo. Die Aspirin lagen in der hinteren Ecke, und ich genehmigte mir gleich zwei davon. Sollte man eigentlich nicht auf nüchternen Magen, aber ich bekam ja sowieso gleich etwas zu essen. Den durchgeschwitzten Jogginganzug legte ich zusammengefaltet neben die Badewanne auf den Boden. Ich fühlte mich eklig und musste mich unbedingt waschen, wollte aber auf keinen Fall wieder unter die Dusche gehen. Da war ich jetzt doch ein bisschen paranoid.

Hey, wer konnte mir daraus einen Vorwurf machen?

Gott sei Dank hatte die Wanne einen separaten Duschkopf, sodass ich mich dort schnell abbrausen konnte.

Danach schlüpfte ich in einen kleinen, schwarzen Satinmorgenmantel mit goldenen Stickereien an den Ärmeln, der neben einem größeren, gleichfarbigen Mantel hing. Es war Darons Mantel, den er gestern Nacht in der Küche getragen hatte, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu berühren und mein Gesicht in ihm zu vergraben. Darons Geruch, der sich mit keinem auf der Welt vergleichen ließ, stieg mir in die Nase und brachte meine Wildkatze erneut dazu, sich schnurrend in meinem Bauch zu strecken.

Super, Aline, gestern erst eine Runde Sex, dann eine Beinahe-Vergewaltigung, und trotzdem bist du schon wieder spitz. Angesichts des Sachverhalts schämte ich mich ein klein wenig vor mir selbst, konnte es aber trotzdem nicht ändern. Sobald ich Daron auch nur roch, verließ das Blut mein Gehirn und staute sich einige Etagen tiefer mit einem aufregenden Prickeln an. Ich zwang mich, den Morgenmantel loszulassen, und setzte mich für einen Moment auf den Badewannenrand, um die vergangenen Ereignisse zu rekapitulieren. Ich war also die Geliebte des reinen Todes, der mich erst nach einer Art Aufnahmeprüfung offiziell zu seiner Frau und der Mutter seiner Kinder machen durfte.

Ich und Kinder.

Ha!

Welch Ironie.

Kinder waren für mich bisher nie ein Thema gewesen, einige fand ich durchaus nett, die meisten aber hielt ich für lästige Schreihälse.

Na, ist doch so.

Und dann gleich acht auf einen Schlag! - Danke fürs Gespräch.

Bei dem Gedanken daran musste ich lachen und stellte mir vor, wie es mit Daron und mir als Kopf einer solchen Rasselbande wohl aussehen könnte. Wo würden wir überhaupt leben? Blieben wir hier oder musste ich mit ihm in seine Welt? Wo war die überhaupt und wie sah sie aus? Und, verdammt noch mal, wieso tauchten ständig, wenn mir eine Frage beantwortet wurde, dafür gleich zwei neue auf?

Genervt schloss ich die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Memo an mich selbst: Ich musste Daron fragen, ob der Tod wenigstens irgendwo auf der Welt ein Grundstück mit Meerblick besaß. Für das Opfer, Achtlinge austragen zu müssen, sie zu wickeln, zu stillen und aufzuziehen, durfte er nämlich schon ein bisschen was rüberwachsen lassen. Und sich am Haushalt beteiligen. Hatte der Tod eigentlich eine Putzfrau?

„Aline, bleib sachlich!“, ermahnte ich mich selber und schaute vom Badewannenrand aus in den großen Spiegel gegenüber. Gut, das mit den Kindern konnte man später immer noch ausdiskutieren. Das Hauptproblem war eher, dass ich erst einmal so weit kommen musste. Es gab sieben Brüder, und für mindestens sechs von ihnen war ich potenzielles Frischfleisch. Bei Alan war ich mir nicht ganz so sicher. Er hatte sich heute Nacht rührend mit Daron um mich gekümmert, sodass ich mir das nicht wirklich vorstellen konnte, aber gut, man steckte ja nie im Kopf eines anderen drin. Und erst recht nicht im Kopf von jemandem, der einem mit einem bloßen Fingerschnipser das Licht ausblasen konnte. Apropos Licht: Im gleichen Moment ging mir eines auf: Ich wusste ja nicht einmal, wie das jetzt alles ablaufen sollte. Was für Regeln gab es, worauf musste ich achten?

Komm schon Aline, immer eins nach dem anderen! Daron wird dir schon mitteilen, wie es weitergeht. Schließlich ist er der Profi und nicht du. Du musst nicht immer die Kontrolle über alles haben. Und diese Kiste ist dir mal definitiv eine Nummer zu groß.

Überreizt ging ich hinüber zum Waschbecken, stützte meine Arme links und rechts daneben ab und schaute mich im Spiegel an.

Aline Heidemann, Todesbraut und potenzielle Mehrfachmutter.

Wer hätte das gedacht?

Ich schwor mir, im nächsten Leben würde ich Postbotin werden.

Die Linie der Ewigen

Подняться наверх