Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 21
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Nachdem ich mich beruhigt hatte, trug Daron mich ins Bett, zog die Bettdecke über mich und setzte sich neben mich auf den Boden. O Gott, der Klamottenhaufen auf dem Stuhl, war es mir noch kurz durch den Kopf geschossen, bis ich mich dazu entschloss, diesen Umstand einfach zu ignorieren. Wenn Daron wirklich in mich verliebt war, dann würde ihn auch ein zerknülltes Top auf einem Stuhl nicht davon abbringen. Vorsichtig hatte er mir über den Kopf gestreichelt und mich gefragt, was ich bloß geträumt hatte. Ich hatte nur den Kopf geschüttelt, weil ich nicht darüber reden wollte. Zumindest jetzt nicht. Ich war einfach zu aufgewühlt und fertig. Daron hatte sich damit zufrieden gegeben, mir allerdings das Versprechen abgerungen, dass ich ihm später alles erzählen würde. Ich wusste nicht, warum er das unbedingt wissen wollte, aber da mir der Traum selber nicht geheuer gewesen war, hatte ich mich einverstanden erklärt. Meine Träume waren normalerweise immer ziemlich wirr und von schnellen Szenenwechseln durchzogen, weshalb mich die Intensität und Geradlinigkeit dieser Nachtmahr umso mehr beschäftigte.
Was hatte Mael gesagt? Ich hatte Mut, mich mit einem Ewigen anzulegen? Einem Ewigen … Darauf konnte ich mir beim besten Willen keinen Reim machen. Und dass er Darons Bruder sein sollte, ängstigte mich umso mehr. Sollte das wirklich stimmen und ich gerade so etwas wie eine telepathische Begegnung der dritten Art mit Darons Sippschaft erlebt haben? Dann würde mir mein sanfter Riese schneller ein paar Takte mehr von sich erzählen müssen, als ihm vielleicht lieb war.
Irgendwann hatte Daron gemeint, er müsse sich langsam verabschieden. Da war es schon fast wieder Zeit zum Aufstehen. Er küsste mich auf die Stirn und bat mich für den folgenden Abend erneut um ein Wiedersehen. Natürlich sagte ich zu – zu wohl fühlte ich mich in seiner Nähe. Aber auch zu stark nagten an mir die Fragen, die sich im Traum vor ein paar Stunden in Gestalt eines blonden Blauauges erschreckend real visualisiert hatten.
„Bleib liegen. Ich finde den Weg raus schon alleine“, hatte Daron mir zugeflüstert. „Ich freue mich auf heute Abend. Ich hole dich gegen sechs Uhr ab.“
Auf meine Frage, wo er mit mir hin wollte, erntete ich nur einen zärtlichen Fingerstups auf meine Nase und ein kurzes Zwinkern dieser unfassbar grünen Augen. Am liebsten wäre ich in sie hinein gesprungen wie in einen klaren See inmitten schneebedeckter Berge an einem warmen Frühlingstag.
„Sei nicht so neugierig, erhalte dir die Spannung“, hatte Daron noch gelacht. Dann war er aufgestanden und aus dem Schlafzimmer gegangen. Ich hörte noch kurz Gläser klirren, war aber schon zu sehr erneut am Einschlafen, als dass ich mich darum gekümmert hätte. Auch das Klacken des Türschlosses, als Daron die Wohnung verließ, nahm ich schon nicht mehr richtig wahr. Ich wollte einfach nur schlafen. Und diesmal bitte ohne männlichen Besuch, gleich ob realer oder irrealer Art.
Geweckt wurde ich vom nervigen Klingeln meiner Türglocke. Sie gab so einen schrillen, hohen Ton von sich, dass man den Betreffenden freiwillig in die Wohnung ließ, nur damit er nicht weiter auf den Knopf drückte. Ja, selbst die Zeugen Jehovas, aber Gott sei Dank war ich von denen bisher verschont geblieben. Ein kurzer Blick auf meine kleine Wanduhr ergab zehn Uhr am Vormittag. Gut sechs Stunden geschlafen und das gänzlich ohne Traum. Na immerhin etwas.
Total tranig schlurfte ich zur Wohnungstür und linste durch den Spion. Ich hätte es mir ja fast denken können. Mit einem Seufzen öffnete ich die Tür.
„Hallo Betty. Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“
Betty, die mal wieder aussah wie der druckfrischen Cosmo entsprungen, wedelte mit einer Flasche Champagner vor meiner Nase herum und quiekte in den höchsten Tönen: „Überraschung! Frühschoppen!“
Im nächsten Moment aber verlor sich ihr Lachen und machte einem mehr als kritischen Gesichtsausdruck Platz.
„O mein Gott, Aline … Wie siehst du denn aus? Hab ich dich etwa geweckt?“
Na, das geht ja prima los, dachte ich mir. Warum hatte ich bloß vorher keinen Blick in den Spiegel geworfen, wie es sonst meine Art war? Die Nacht war einfach zu anstrengend gewesen, als dass ich mir jetzt darüber Gedanken machen wollte. Auch wenn es mir nicht gefiel – der Albtraum, sofern er einer gewesen war, hatte mich enorme Kraft gekostet. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte ich Glasscherben gegessen, die sich nun überall in meinen Muskeln verteilten und bei jeder Bewegung kleine Fasern durchschnitten.
„Ja, du hast mich geweckt“, entgegnete ich Betty, die ein sichtlich schlechtes Gewissen hatte,
„aber ist schon okay, ich schlafe eh nicht gern lang. Das heute war eine Ausnahme.“
„Aha, so so, eine Ausnahme“, neckte mich mein Cousinchen, während sie sich in ihrem cremefarbenen Mantel und den mit Strass besetzten Stiefeln an mir vorbeidrückte, um schnurstracks in der Küche zu verschwinden. Gläser klirrten und Teller klapperten, meine Kühlschranktür öffnete und schloss sich, hier schepperte Besteck und dort köchelte Wasser. Verschlafen schloss ich die Tür und folgte den geschäftigen Geräuschen, die aus meiner kleinen Küche drangen.
Ich traute meinen Augen nicht. Da stand Betty und deckte am Tisch hinter der Küchenzeile ein kleines Frühstücksbuffet. Erst jetzt sah ich die Einkaufstüte auf dem Boden stehen. Mein Cousinchen war offenbar extra vorher einkaufen gewesen, die Gute. Gerade war sie dabei, den Tee aufzugießen, und zauberte aus ihrem cremefarbenen Shopper eine Papiertüte, aus der es verdächtig lecker nach frischem Backwerk roch.
Kürbiskernbrötchen.
Meine Lieblingsbrötchen.
Auch wenn Betty manchmal wirklich nerven konnte – in diesem Moment hätte ich sie am liebsten geknutscht. Nach dem Zähneputzen, versteht sich.
„Setz dich, Alinchen, ich kümmere mich um alles“, befahl sie mir freundlich, und ich gehorchte dieser Anweisung nur zu gerne. Sich mal um nichts kümmern müssen, wie herrlich. Das war fast so gut wie Frühstück ans Bett. „So, wie es aussieht, habt Ihr ja gestern gut getrunken“, neckte Betty mich und deutete mit einem Kaffeelöffel auf die Weingläser, die in der Spüle standen. Daron musste sie dort am Morgen offenbar noch hineingestellt haben. Ich ging nicht darauf ein. Mein Hirn wollte im Moment nicht anfangen zu arbeiten.
Kaum hatte ich Platz genommen, begann mein Magen zu knurren, als hätte er tagelang nichts mehr zu essen bekommen. Oh, Mist, hatte er ja tatsächlich nicht! Erst da bemerkte ich, wie wahnsinnig hungrig ich eigentlich war. Betty drapierte noch schnell die Butter und die frisch gekaufte Aprikosenmarmelade auf dem Tisch, füllte die Brötchen in eine kleine Schale und entließ die Kohlensäure des Champagners mit einem gekonnten „Plopp“ in die Freiheit. Alkohol zum Frühstück, das verhieß nichts Gutes. Wenn Betty mit Alkohol auftauchte, dann wollte sie immer etwas.
Meistens Details erfahren.
O Gott, ich war so was von nicht bereit, ihr welche mitzuteilen. Doch nun saß ich in der Falle. Andererseits dufteten die Kürbiskernbrötchen so verführerisch, dass ich zu keinem klaren Gedanken mehr fähig war, mein Hirn kurzerhand wieder abstellte, mir ein Brötchen griff und herzhaft zubiss. Wie lecker schmeckte doch ein simples, trockenes Brötchen, wenn man vor Hunger beinahe den eigenen Fuß verschlungen hätte? Kein Dreisternekoch der Welt hätte meiner Meinung nach damit konkurrieren können. Mann, ich musste wirklich verdammt ausgehungert sein.
„Na na, normalerweise wartet man ja auf seinen Gast“, tadelte mich Betty mit einem Kichern, während sie sich mit zwei gefüllten Sektflöten an den Tisch setzte, von denen sie mir eine reichte.
„Auf dich, Cousinchen! Und auf den neuen Mann in deinem Leben. Iss nur, damit du zu Kräften kommst und mir nachher peinlich genau alles erzählen kannst, was ich wissen will.“ Mir blieb beinahe der Bissen im Halse stecken. In Ermangelung eines anderen Getränks – der Tee war noch zu heiß – griff ich zum guten Champagner, stieß schnell mit Betty an und spülte mit einem großen Schluck meine Kehle frei. Ein kleiner Hickser quittierte meine Hast. Betty lachte. Oh, wie schön, dass ich nicht nur scheiße aussah, sondern auch noch den Pausenclown geben durfte. Reizend, ganz reizend.
„Keine Ahnung, was du zu erfahren erhoffst, aber wenn du auf schlüpfrige Intimitäten spekulierst, muss ich dich enttäuschen. Es ist nichts gelaufen“, krächzte ich und biss erneut in mein Brötchen, „also nichts, was zensiert werden müsste.“
Hatte ich gehofft, Bettys Neugier damit einen Dämpfer zu verpassen, wurde ich umgehend eines Besseren belehrt.
„Papperlapapp! Und selbst wenn“, erwiderte sie und machte eine theatralische Wegwerfgeste,
„allein, dass du noch mal jemanden kennenlernst, das hätte ich – entschuldige bitte – wirklich nicht für möglich gehalten.“
Im ersten Moment wollte ich ihr etwas Schnippisches antworten, entschied mich dann aber, lieber meine Klappe zu halten. Wenn ich mich an meine eigene Nase fasste, dann musste ich mir eingestehen, selber nicht mehr an ein männliches Wesen in meinem Leben geglaubt zu haben. Eigentlich tat ich das noch immer nicht. Das war alles zu gut, um wahr zu sein.
Und zu seltsam.
Während ich mein Brötchen mit Marmelade bestrich, wurde mir klar, dass die Traumfigur Mael recht gehabt hatte. Ich wusste im Endeffekt überhaupt nichts über Daron. Wer er war, was er arbeitete, wo er wohnte, wie viele Geschwister er hatte und ob einer davon tatsächlich blond und blauäugig war …
Er dagegen hatte in mir lesen können wie in einem offenen Buch. So viel zum Thema „Geheimnisvoll sein macht sexy“. Dass ich nicht lachte.
Ich blickte Betty über den Rand meiner Brötchenkruste an und bemerkte, dass sie zwar schon gut vom Champagner getrunken, sich aber kein Brötchen oder sonst etwas auf den Teller geladen hatte.
„Isst du nichts?“, fragte ich sie leicht skeptisch und war mir sicher, die Antwort schon zu kennen.
„Nein danke, auf Kohlenhydrate in der Frühe wird mir schlecht, und außerdem nehme ich davon zu.“
Bingo. Diese Antwort hatte ich erwartet. Nun, wenn sie meinte. Mir war es zu dumm, mich für eine Jeansgröße weniger von meinen Lieblingsspeisen fern zu halten. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und widmete mich weiter meinem Tellerinhalt. Blieb umso mehr für mich.
„Jetzt sag schon!“, platzte es aus meiner Cousine heraus, „wie heißt er, wie sieht er aus, was macht er, wo wohnt er, wann werdet ihr heiraten …?“ Ein Maschinengewehr war nichts dagegen.
Jetzt musste ich doch grinsen. Irgendwo machte es mir Spaß, Betty so auf die Folter zu spannen. Sie war sichtlich um mein Liebesglück bemüht, hatte aber oft die Angewohnheit, übers Ziel hinaus zu schießen. Obwohl … sie hatte mir ja wirklich top in meiner Stylingfrage geholfen, und dafür hatte sie sich ein Update durchaus verdient. Auch wenn das eigentlich die Bezahlung für die Sache mit dem Slip damals gewesen war. Aber sie anfixen und dann hängen lassen, das war auch nicht fair. Also kaute ich meinen Bissen zu Ende, nahm einen ermutigenden Schluck Edelprickelwasser und erzählte Betty alles, was ich erzählen konnte, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Die Sache mit dem Zweig, der Nacht im Park und dem komischen Traum ließ ich wohlweislich aus. Ich wollte mir selber erst einmal ein genaueres Bild von der Situation machen, bevor ich andere nach deren Urteil fragte.
Gebannt hing Betty an meinen Lippen und wagte es nicht, mich auch nur einmal zu unterbrechen. Ich sagte ihr, Daron und ich hätten uns an der Bushaltestelle kennengelernt, was nicht mal gelogen war.
Nur in bisschen gedehnt.
Aber nicht gelogen.
Immerhin.
Als ich mit meinem Bericht über die letzten achtundvierzig Stunden fertig war, nahm Betty erneut einen Schluck Schampus, lehnte sich zurück und seufzte laut.
„Oh, Mann …“
„Was ist?“, fragte ich irritiert und hatte sofort Angst, zu viel preisgegeben zu haben.
„Das klingt nach einem ab-so-lu-ten Traumtyp. Aline, das scheint ein Megafang zu sein! Ich wünschte, mir würde mal so jemand begegnen. Pass bloß auf und versaue es dir nicht gleich mit ihm.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass du, werte Miss Wonderful, selber an jedem Finger fünf Kerle hast, die sich gegenseitig schlagen würden, nur um dir einen Wunsch von den Augen ablesen zu dürfen?“, knurrte ich mit einem neuen Bissen im Mund.
„Ja, schon“, antwortete Betty, „aber weiß ich denn, ob sie mich auch lieben? Versteh mich nicht falsch, Aline. Ich weiß, dass ich gut aussehe und auch nicht auf den Kopf gefallen bin. Aber das kann auch ein Fluch sein. Was meinst du, wie oft ich in den letzten Jahren von meinen Männern mal gefragt worden bin, ob es mir einfach nur gut geht? Ja, sicher, Schmuck hier und schick essen gehen da, aber im Endeffekt waren diese Männer auf nichts anderes bedacht als darauf, sich mit mir zu schmücken. Schaut her, was für einen heißen Feger ich an Land gezogen habe, und sie hat sogar einen Doktortitel! Zum Rumzeigen auf Events, Galas und Partys, dafür bin ich wirklich geeignet. Aber was denkst du, wann sich das letzte Mal ein Mann wirklich dafür interessiert hat, wie ich mich dabei fühle und ob ich nicht lieber einen gemütlichen Abend daheim verbringen möchte?“ Sie blickte traurig auf ihr Champagnerglas und nahm einen letzten, tiefen Schluck. „Nein, Aline, das, worum du mich beneidest, ist es nicht wert, darum beneidet zu werden. Das, was du hast, dagegen schon. Das, was du da zu haben scheinst, ist wahres Glück.“
Ich hatte mittlerweile aufgehört zu kauen. Meine Cousine hatte sich soeben emotional vor mir entblößt und mir einen derart tiefen Einblick in ihre Seele erlaubt, dass es mir einen Schlag in die Magengrube verpasst hatte. Betty, die immer wie aus dem Ei gepellt gestylt war, die nie mehr als fünfzehnhundert Kalorien am Tag zu sich nahm, die in Männern badete wie andere in Badeschaum, war unglücklich. Und ich hatte das all die Jahre, in denen ich sie um ihr Äußeres und ihren Lebensstil beneidet hatte, nicht bemerkt. Noch irrsinniger war die Erkenntnis, dass sie viel eher mich beneidete. Um meine Ungezwungenheit, mein Leben, so wie ich es leben wollte und tatsächlich auch tat. Und um Daron, der so warm und herzlich war und so unverhofft ein Stück meines Herzens für sich in Beschlag genommen hatte, wenn auch auf ungewöhnliche Art und Weise. Doch was bedeutete das schon, wenn es unterm Strich passte?
Ich legte meine freie Hand auf Bettys Arm.
„Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid. Ich habe nicht gewusst, dass du so fühlst. Insgeheim habe ich mir immer gewünscht, ein wenig mehr wie du zu sein.“
Da musste sie lachen.
„Ich weiß, Aline. Aber die Wahrheit ist: Wer will schon immer perfekt sein? Perfekt sein ist anstrengend. Verdammt anstrengend. Und niemand fragt danach, wie es dir dabei geht.“
Ich stand auf und ging um den Tisch, um Betty zu umarmen. Ich wusste einfach nicht, was ich sonst in dieser Situation tun sollte.
„Ist schon gut“, flüsterte sie und tätschelte meinen Arm. „Es muss dir nicht leid tun. Tu mir bitte nur einen Gefallen. Dieser Daron scheint ein echt netter Kerl zu sein. Mach das nicht kaputt.“
Tja, dachte ich mir, das war wirklich leichter gesagt als getan.
Als Gott nämlich das Abo für schwierige Beziehungskisten verteilt hatte, hatte ich ganz vorne in der ersten Reihe gestanden.