Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 20
Оглавление12
Nachdem wir es irgendwann in der Nacht zwischen unserer Marathonküsserei doch noch geschafft hatten, die Flasche Wein zu vernichten und ein paar Knabbereien zu naschen, hatten wir uns auf meinem Supersofa eng aneinander gekuschelt und waren tatsächlich in der typischen Löffelchenposition eingeschlafen, ich mit dem Rücken an seinem Bauch. Es war so unglaublich schön, Daron hinter mir atmen zu hören, während seine starken Arme mich fest umschlungen hielten. Was eindeutig nötig war; ich wäre sonst von der Couch gefallen. Seine Wärme und sein Duft umhüllten mich wie eine warme Schmusedecke, und nur wenige Minuten später merkte ich, wie ich ins Traumland hinüberglitt. Auch dies war für mich ein ungeheurer Einschnitt in meinem sonst so kontrollierten Leben, denn bisher hatte ich es mir selbst nie erlaubt, einen Fremden über Nacht auf meinem Sofa schlafen zu lassen. Na ja, gut, so fremd war er mir jetzt nicht mehr, wir hatten uns immerhin geküsst. Aber sonst war nichts weiter gelaufen. Und gerade das hatte mich dazu bewogen, Daron bei mir bleiben zu lassen. Er hatte nichts unternommen, was ich nicht gewollt hätte, mich zu nichts überreden oder gar drängen wollen. Er hatte mich das Tempo bestimmen lassen, und das rechnete ich ihm hoch an. Somit war ich mir sicher, er würde meinen Vertrauensbeweis entsprechend zu schätzen wissen.
Mein Schlaf war traumlos, und ich erwachte, weil ich unglaublich fror. Zuerst hatte ich keine Orientierung und erschrak kurz, als ich den Arm bemerkte, der mich umschlungen hielt. Doch sofort fiel mir wieder ein, dass Daron hinter mir lag, und ich versuchte, mich umso enger an ihn zu kuscheln, damit mir schnell wieder warm wurde. Ich beschloss, am nächsten Tag mal meine Heizkörper zu entlüften, denn obwohl sie auf Hochtouren liefen, war es in meiner Wohnung merklich kalt.
Zu kalt.
Und das im November. Super. Gott sei Dank war Daron umso wärmer, und ich schmiegte mich passgerecht an seinen Bauch.
„Wenn du nicht aufpasst, weckst du Teile von mir, die dich überfordern könnten“, vernahm ich hinter mir eine Stimme. Mein Blut gefror mir in den Adern, und mein Herz setzte gefühlte zwei Schläge aus. Das war nicht Darons Stimme. Mitten in meiner Bewegung hielt ich inne.
„Hab ich dich erschreckt? Oh, verzeih bitte, das wollte ich nicht“, sagte die fremde und eindeutig sehr männliche Stimme mit einem kleinen Anflug von Lachen darin. Panik kroch mir den Rücken hoch, als die fremde Hand, die mich umschlungen hielt, begann, meinen Arm zu streicheln. In wessen Armen auch immer ich lag, es waren nicht Darons. Mit bis zum Hals klopfendem Herzen begann ich mich langsam umzudrehen und hatte Mühe, meiner Furcht Herr zu werden. In Sekundenschnelle spielten sich mindestens zehn verschiedene Horrorszenarien vor meinem geistigen Auge ab. Verdammt, wer lag da nur hinter mir? Fast erwartete ich ein schuppiges Monster mit glühenden Augen und vor Schleim triefendem Maul, doch als ich meinen Kopf nach hinten drehte, erblickte ich die markanten Züge eines gut aussehenden jungen Mannes, der mich aus seinen eisblauen Augen verschmitzt ansah. Ich wusste nicht, was mich mehr erschrak – dass sich hinter mir kein Monster befand oder dass es sich stattdessen um einen derart schönen Mann handelte, dass ich mich fragte, ob hier irgendwo in der Nähe Modelausverkauf war und ich das nicht mitbekommen hatte. Der Mann grinste mich frech an und blies sich lässig eine blond gelockte Strähne, die sich aus seinem legeren Pferdeschwanz gelöst hatte, aus dem Gesicht. Obwohl meine Kehle vor Schreck wie ausgetrocknet war, schaffte ich es, mich nach einem kurzen Räuspern einigermaßen gefasst anzuhören.
„Wer sind Sie? Was machen Sie in meiner Wohnung? Und wo ist Daron?“ Panik stieg in mir hoch, als ich diese Fragen ausgesprochen hatte. Was war geschehen? Hatte Daron sich entschlossen, mitten in der Nacht einen Kumpel zu mir in die Wohnung zu holen und, wenn ja, was hatten sie vor? War er etwa doch nicht der liebenswürdige, sanfte Riese, für den ich ihn gehalten hatte, und wurde ich jetzt zum Opfer meines eigenen Leichtsinns? Verdammt, wenn dem so war, dann hatte ich das auch redlich verdient, schimpfte ich mich. Doch weiter kam ich nicht mit meiner Selbstgeißelung, denn die Hand des Blonden begann mir von der Schulter abwärts meine linke Seite zu streicheln und blieb auf meiner Hüfte liegen.
Also doch. Ein Triebtäter. Super, Aline, jetzt haste den Salat. In dem Moment erklang ein Lachen, hell wie ein Glockenspiel, sodass mir eine Gänsehaut nach der anderen den Rücken herunterjagte. Es vibrierte vor Kraft und trug etwas leicht Bedrohliches in sich, sodass ich mich umgehend fühlte wie eine kleine Antilope, kurz bevor ihr der Löwe die Kehle durchbiss. Dann bitte schnell beißen, dachte ich noch. Und nicht spielen.
„Daron ist doch so uninteressant“, lachte der kühle Blonde amüsiert und fing an, seine Hand langsam in Richtung meines Hinterns wandern zu lassen. „Nimm lieber mich. Mit mir hättest du viel mehr Spaß.“
„Ach ja, und wer sind Sie, wenn man mal fragen darf?“, schoss es aus meinem Mund, bevor ich noch die Chance hatte, nachzudenken. Wieder einmal hatte sich mein Ärger vorschnell Luft gemacht, obwohl diesmal wirklich Vorsicht geboten war. Ha, Vorsicht, lachte ich mich innerlich aus, da kommste jetzt ja reichlich früh mit an, Miss Ich-hab-alles-unter-Kontrolle. Umbringen wird er dich. Ist nur die Frage, ob jetzt oder später. Also vergiss die Vorsicht, fällig bist du eh! Da kann er dir zumindest vorher noch ein paar läppische Fragen beantworten.
Das Grinsen des Fremden wurde breiter und enthüllte eine Reihe strahlend weißer Zähne, aufgereiht wie Perlen an einer Schnur.
„Sieh an, sieh an … Verdammt frech für jemanden, der gerade nicht weiß, was die Stunde geschlagen hat. Das gefällt mir.“
Die Hand auf meinem Hintern begann, sich langsam unter den Bund meiner Jeans zu schieben. Da wurde ich dann doch sauer.
„Ist ja ganz toll, wenn Ihnen dabei einer abgeht. Und nun nehmen Sie sofort Ihre Hand da weg, oder es knallt!“, fauchte ich ihn an. Seine Augen taxierten mich mit einem leicht überraschten Blick, und er leckte sich einmal kurz mit der Zunge über seine Lippen.
„Was für ein Temperament. Kein Wunder, dass Daron sich von dir angezogen fühlt. Nicht viele haben den Mut, einem Ewigen die Stirn zu bieten.“
Ich dachte, ich hätte mich verhört. Was sollte das denn jetzt?
„Aber sonst geht es Ihnen noch ganz gut?“, zischte ich zynisch und stellte mit einer kleinen Befriedigung fest, dass sich seine Hand wieder über meiner Jeans befand, wenn auch erneut auf meinem Hintern. Trotzdem eindeutig besser als vorher.
„Oh, danke“, lachte er, „es ging mir selten besser. Noch nie hatte ich so eine kleine Raubkatze im Arm.“
„Und wenn Sie den nicht gleich wegnehmen, dann haben Sie bald gar keinen Arm mehr! Sagen Sie mir jetzt verdammt noch mal, wer Sie sind und was das alles hier soll!“
„Oh, meine Manieren, ich bitte um Verzeihung“, säuselte der blonde Schönling und strich mir eine Strähne aus der Stirn. Ich schlug nach seiner Hand und traf.
„Ihre Manieren interessieren mich einen Scheiß. Und nun raus mit der Sprache!“
„Nun gut“, erwiderte der Fremde, während er sich auf seine schmerzende Hand blies, gleich einem Kind, das sich ein Knie aufgeschlagen hatte. „Ich weiß zwar nicht, ob du mutig bist oder einfach nur töricht, aber so oder so hast du Schneid. Das verdient Anerkennung und eine Belohnung. Ich heiße Mael und finde, wenn mir die Bemerkung gestattet ist, dass Daron eine durchaus interessante Wahl getroffen hat. Haare wie Feuer und Augen wie ein Reh, aber ein Temperament wie eine Rassestute. Ich habe meinen kleinen Bruder wirklich unterschätzt.“ Ich überhörte den unverschämten tierischen Vergleich.
„Sie sind Darons Bruder?“, wiederholte ich ungläubig. Erst jetzt fiel mir auf, dass Maels Gesichtszüge tatsächlich denen Darons ähnelten. Man musste nur die blauen Augen gegen grüne tauschen und sich statt der blonden Locken eine schwarze Mähne denken. Meine Verwunderung musste sich auf meinem Gesicht widergespiegelt haben, denn Mael begann zu grinsen.
„Ich sehe, du erkennst unsere Verbindung.“
„Mag sein“, entgegnete ich misstrauisch. „Das erklärt aber immer noch nicht, was Sie und Ihr Bruder für ein krankes Spiel mit mir spielen und warum ich hier mit Ihnen auf der Couch liege.“ Ich startete einen Versuch, mich aus seinem Griff zu winden, musste aber schon nach wenigen Sekunden feststellen, dass Maels Hände mich festhielten wie ein Schraubstock.
„Oh, du dummes kleines Ding, du tust dem armen Daron unrecht. Er weiß gar nicht, dass ich hier bin. Er weiß nicht mal, dass ich von dir weiß. Ich gehe wohl recht in der Annahme, er hat dir noch nichts von uns erzählt?“
Jetzt war ich doch mehr als verblüfft.
„Wer ist ‚uns‘ und was soll er mir erzählt haben?“
Erneut ließ Mael sein glockenhelles Lachen erklingen, das mir langsam wie ein Messer in die Haut zu schneiden begann.
„Ich rede von seiner Familie, seinen Geschwistern und seinem … Beruf.“ Mael gluckste bei den letzten Worten wie ein kleines Kind, das sich unbändig darüber freute, etwas zu wissen, was andere seiner Meinung nach – in diesem Fall ich – unbedingt erfahren sollten.
„Nein, hat er nicht. Noch nicht. Er wird mir sicher davon erzählen, wenn er den Zeitpunkt für richtig hält.“ So ganz sicher war ich mir da zwar mittlerweile nicht mehr, aber angesichts mangelnder Alternativen schadete es nichts, ein wenig Selbstvertrauen vorzutäuschen.
„Aber sicher“, kicherte Mael, „wenn du meinst. Eines lass dir jedoch gesagt sein, Kindchen. Pass gut auf dich auf. Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich da eingelassen hast.“
Bei seinen Worten fuhr mir erneut diese widerliche Kälte unter die Haut und stach von innen wie mit kleinen Nadeln, die sich durch meine Epidermis nach außen bohren wollten. Ich überlegte fieberhaft, wie ich aus der klammernden Umarmung herauskommen konnte, denn Mael machte mir eine Scheißangst. Und auch, wenn ich nicht wusste, wie Daron genau in diese Szene passte, so spürte ich doch, dass Mael die Wahrheit gesagt hatte. Dass Daron nichts von all dem hier wusste und nie freiwillig zugelassen hätte, dass ich seinem Bruder auf diese Art und Weise begegnete. Irgendetwas musste passiert sein. Nur was?
„Und nun“, ertönte erneut Maels silbrige Stimme, „lass uns mal sehen, was Daron noch so besonders an dir findet.“
Mit diesen Worten packte er mein Kinn, drehte mein Gesicht dem seinen entgegen und drückte seine Lippen auf meine. Feuer füllte meinen Mund und brannte, als würde es mich verätzen. Selten hatte ich solche Schmerzen erlebt, und schon gar nicht bei einem simplen Kuss. Ich zappelte, trat wild mit den Füßen um mich und landete tatsächlich einen Treffer. Ich konnte in dem Moment nur raten, doch war ich mir sicher, mit meinem Knie Maels Kronjuwelen erwischt zu haben. Offensichtlich überrascht vom Schmerz ließ er von meinem Mund ab und warf mir einen Blick zu, der eine so furchtbare Mischung aus Wut und Begehren enthielt, dass ich schrie. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, also schrie ich, als müsste die Welt um mich herum zerspringen, in der Hoffnung, irgendjemand würde mir helfen.
Eine Hand berührte mich an der Schulter, und ich schrie erneut, bis mir meine Kehle brannte.
„Aline, wach auf, wach auf!“, hörte ich eine mir vertraute Stimme. Ich schlug die Augen auf. Daron kniete über mir und blickte durch den Vorhang seines schwarzen Haares auf mich herab. Sorge erfüllte sein Gesicht, und ohne es zu wollen, begann ich im nächsten Augenblick zu weinen. Ich weinte, so wie ich es seit dem Tod meines Vaters nicht mehr getan hatte. Zu schrecklich war das soeben Erlebte gewesen, so verwirrend, dass es mich bis ins Mark erschüttert hatte. Noch immer konnte ich diese fürchterliche Kälte spüren, die mich von innen aufzufressen drohte. Vorsichtig nahm Daron mich in die Arme und wiegte mich sanft hin und her.
„Es ist alles in Ordnung, Kleines, es war nur ein Traum. Shhh, ich bin bei dir.“
Ich weiß nicht, ob es die sanften Schaukelbewegungen waren, Darons weiche Stimme oder der Schutz seiner starken Arme – nach einer Weile begann ich mich zu beruhigen. Mit meiner Heulerei hatte ich ihm sein schönes Hemd versaut. Als ich ihn darauf ansprach, lachte er leise. „Das ist doch so unwichtig. Was ist schon ein Hemd im Vergleich zu deinem Wohlbefinden?“, antwortete er sanft und drückte mich weiter an seine Brust. Ich ließ es geschehen, auch wenn ich wusste, dass das, was soeben passiert war, weitaus mehr gewesen war als nur ein simpler Traum. Ich würde Daron darauf ansprechen müssen. Aber nicht jetzt. Jetzt war ich einfach nur froh, meine Angst fallen lassen zu können und einen Mann an meiner Seite zu haben, der mich liebte und auf mich achtete. Was kann sich ein Mädchen mehr wünschen?