Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 25

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Ein Stich fuhr mir durchs Herz. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Hätte ich nicht gelegen, mir wären umgehend die Knie eingeknickt.

„Kannst du das bitte noch mal wiederholen?“, fragte ich ungläubig. Daron gab mir zwei kleine Küsse auf die Nase und den Mund und lächelte.

„Du hast schon richtig verstanden. Ich liebe dich. Ich hätte selber nicht gedacht, dass das so schnell geht, geschweige denn, dass ich dir das jetzt sage. Aber es fühlt sich einfach so verdammt richtig an, und ich dachte, wenn ich es jetzt nicht sage, dann verstreicht dieser einmalige Augenblick ungenutzt. Ich wollte einfach nur, dass du das weißt.“ Er lachte. „Und jetzt schau nicht so schockiert.“

„Tut mir leid“, stammelte ich völlig perplex, „es … ich … also, ich hatte damit jetzt wirklich nicht gerechnet.“

Mein Herz, das sich gerade wieder einen normalen Rhythmus hatte zulegen wollen, fing an, erneut zu beschleunigen. Ich war mir sicher, ihn bereits ebenfalls zu lieben, zu intensiv und überwältigend waren die Gefühle, die ich für Daron empfand. Sie waren so anders als alles, was bisher ein Mann in mir hervorgerufen hatte, und ließen meine früheren Beziehungen rückblickend wie lächerliche Schwärmereien aussehen. Doch ich hatte Angst, jetzt schon die großen drei Worte auszusprechen. Tolles Timing, Aline, aber schlafen konntest du problemlos mit ihm, schalt ich mich wegen meiner irrationalen Zickerei. Ich wusste, wenn ich diesen einen Satz sprach, war mein Herz unwiderruflich vergeben. Meinen Körper an jemand anderen zu binden, das war eine kurze Sache, die ebenso schnell, wie sie gekommen war, wieder beendet werden konnte. Mein Herz für jemanden zu öffnen, das war eine weitaus schwierigere Angelegenheit. Es konnte in einer Minute noch vor Lebensfreude und Liebe für einen besonderen Menschen strotzen, während nur ein einziges Wort, eine Geste oder ein Blick reichten, um es innerhalb von Sekunden in tausend Stücke zersplittern zu lassen. Es zu kitten war eine langwierige und schmerzhafte Angelegenheit, die ich mir dieses Mal einfach ersparen wollte. Zu oft schon war auf meinen Gefühlen herumgetrampelt worden. Und noch gab es zu viele Ungereimtheiten, die ich erst geklärt haben wollte.

„Daron…“, begann ich zögerlich, wurde aber von einem Finger auf meinem Mund umgehend zum Schweigen gebracht.

„Ist schon okay, Aline. Ich verstehe dich, sehr gut sogar. Ich weiß, was du für mich empfindest. Ich sehe es in deinen Augen, in deinen Gesten, in der Art, wie dein Körper auf mich reagiert. Dazu brauche ich die Worte nicht zu hören. Ich möchte sie dann von dir hören, wenn du dir ganz sicher bist, dass du sie sagen willst. Ohne Druck und ohne Verpflichtung, einfach weil du dir ganz sicher bist und nicht, weil ich sie zu dir gesagt habe.“

So viel Ehrlichkeit hatte ich nicht erwartet, und ich verspürte daraufhin einen dicken Kloß im Hals. Wenn du jetzt flennst, Aline Heidemann, während dieser Halbgott von Mann zudem noch in dir steckt, dann brauchst du dich morgen nicht mehr im Spiegel anzuschauen. Verdammt, bewahre dir wenigstens noch ein kleines bisschen Würde, ermahnte ich mich selbst.

Mit leicht angefeuchteten Augen, die Tränen so gut wie es ging hinuntergeschluckt, erwiderte ich mit leicht belegter Stimme: „Ist gut. Ich danke dir für dein Verständnis. Ehrlich, Daron, ich weiß das zu schätzen.“

Sein Mund lächelte, doch ich spürte sofort, dass ihm in Wirklichkeit so ganz und gar nicht danach war. Er nickte kurz, küsste mich noch mal sanft auf die Lippen, um dann vorsichtig aus mir herauszugleiten.

„Das Gästebad ist hinter der Tür rechts neben dem Eingang, wenn du dich frisch machen möchtest. Es gibt dort auch eine Dusche“, grinste er mich an, doch in seinen Augen sah ich – Niedergeschlagenheit. Mit Schrecken erkannte ich, dass es Enttäuschung sein musste. Ich sah ihm hinterher, wie er eine Tür auf der linken Seite öffnete und in einen anderen Raum eintrat, offenbar das Schlafzimmer. Mir war, als müsse mir das Herz brechen, als ich ihn so geknickt von dannen schleichen sah. Dieser Hüne mit der mysteriösen Aura wirkte auf einmal wie geschrumpft, so wie er seine stattlichen Schultern hängen ließ, und das nur, weil ich seine Worte nicht hatte erwidern können.

Oder wollen.

Was für eine Ironie.

Jetzt brach mir das Herz, das ich so unbedingt hatte schützen wollen, eben weil ich es hatte schützen wollen, und ich erkannte, dass mir soeben ein riesengroßer Fehler unterlaufen war. Ich hatte seine Gefühle verletzt.

Verdammt, Aline, verdammt, verdammt, verdammt.

Es war so klar, dass ich auch diese Sache wieder versauen musste.

Leise mich selbst verfluchend klaubte ich meine Sachen vom Boden auf und huschte gen Aufzug, neben dem sich tatsächlich eine Tür befand. Sie war mir vorher gar nicht aufgefallen. Ich betrat ein wunderschönes weißes Bad mit goldenen Elementen, das vor Sauberkeit nur so glänzte. Da konnte ich mir mal eine Scheibe von abschneiden. Nicht, dass mein Bad schmutzig gewesen wäre, aber doch ziemlich vollgestopft mit diversen Lotions, Tiegelchen und Tübchen, Shampoos und Haarsprays, was Frau eben brauchte, um im modernen Großstadtdschungel zu überleben. Links befanden sich zwei Waschbecken, was mich etwas verwunderte, aber gut, wer sich das leisten konnte, der sollte das meiner Meinung nach auch tun. Warum nur eins, wenn man gleich zwei haben konnte? Ein bisschen Dekadenz schadete nie.

Die goldfarbenen Armaturen waren verschnörkelt und verziert, so ähnlich wie sie vor vielleicht hundert oder zweihundert Jahren in Mode gewesen sein mussten. Darüber prangte ein riesiger viereckiger Spiegel, dessen pompöser Barockrahmen der Farbe der Wasserhähne entsprach. Zwischen den Waschbecken befand sich eine weitere Vase mit den gleichen pink geränderten weißen Rosen, wie ich sie auch schon in der Küche gesehen hatte. Ich strich sanft mit den Fingern über einige der Blüten und bewunderte, wie gekonnt sie mit ihrer sternartigen Form und den welligen Blütenblättern zu den sonst eher harten Konturen des Gästebades kontrastierten. Eigentlich klang Abigail beinahe zu hart für so eine elegante Rose.

Zu den weiteren Annehmlichkeiten des Bades gehörten neben einem WC zudem ein Bidet, eine riesige Wanne und eine nicht minder große Dusche, die mittels einer schicken Milchglaswand vom Rest des Raumes abgeteilt war. Überall waren frische Handtücher bereit gelegt, und auf einer kleinen Kommode standen in einer Schale diverse Seifen, Shampoos und Duschgels. Fast hätte ich geglaubt, im Hotel zu sein. Ich schloss die Tür hinter mir, legte meine Sachen über den Rand der Wanne und schlüpfte mit einer kleinen Seife in Rosenform sogleich unter die Dusche. Das heiße Wasser tat so unwahrscheinlich gut, wie es mir den Schweiß von meiner erhitzten Haut wusch. Hätte es doch auch mein schlechtes Gewissen genauso leicht wegspülen können! Warum hatte ich Daron nicht gesagt, was ich für ihn fühlte? Er hatte sich mir in einem überaus intimen Moment offenbart, und ich hatte ihn klassisch auflaufen lassen. Er musste sich wie ein Idiot vorgekommen sein, als er gemerkt hatte, dass ich ihm nicht dasselbe antworten konnte. Und hatte deshalb schnell behauptet, ich müsse ihm nichts antworten, um sich galant aus dieser für ihn peinlichen Situation zu winden. Ich hätte aufspringen und ihm nachlaufen sollen, ihm sagen, wie leid es mir tat und dass ich mein Herz bereits jetzt hoffnungslos an ihn verloren hatte.

Verdammter Stolz!

Ich dachte an all die Holzköpfe, die ich vorher viel zu zügig in mein Leben gelassen hatte, und nun begegnete mir offenbar tatsächlich Mr. Right, und was tat ich? Ich stieß ihn vor den Kopf.

„Aline, damit hast du dir die Platinmitgliedschaft im Vollidiotenklub redlich verdient!“, schimpfte ich und spürte, wie die Wut auf mich selbst in mir zu kochen begann. Und als würde das noch nicht reichen, bekam ich jetzt auch noch Wasser in die Augen, was sich mit der nicht wasserfesten Wimperntusche überhaupt nicht gut vertrug. Sie lief mir in die Augen, und die begannen zu brennen.

Au, verdammt, tat das weh!

Ich kniff vor Schmerz meine Augen zusammen, öffnete die Dusche und tastete blind nach dem Handtuch, dass ich mir extra zurechtgelegt hatte. In dem Moment hörte ich, wie die Tür sich öffnete und jemand eintrat.

„Daron, bist du das?“, fragte ich blind, immer noch nach dem Handtuch tastend und gegen das Brennen ankämpfend. Das war für mich die definitive Schlüsselerfahrung; nächstes Mal würde ich wasserfeste Mascara kaufen. Betty hatte sowieso nie verstehen können, dass ich immer noch auf die normale Variante zurückgriff. Macht der Gewohnheit, hatte ich ihr entgegnet. Sie hatte über meine kosmetische Rückständigkeit nur den Kopf geschüttelt.

Da stand ich nun wie ein begossener, blinder Pudel, während das Wasser weiter an mir herablief und ich völlig idiotisch – passend zu meiner zukünftigen Klubmitgliedschaft – nach dem blöden Handtuch fischte. Das musste doch hier irgendwo sein.

„Daron, ich finde das Handtuch nicht, kannst du mir bitte helfen? Ich habe Mascara in die Augen bekommen und sehe nichts!“, rief ich in die Richtung, in der ich ihn vermutete. In dem Moment spürte ich, wie er mir den kuschelig weichen Stoff unter meine tastende Hand hielt.

„Oh, danke, danke. Du glaubst ja gar nicht, wie weh so etwas tut.“ Ich lehnte mich zurück in die Dusche und drückte mein nasses Gesicht in das Handtuch. Das Brennen ließ etwas nach, war aber noch nicht ganz vorbei. Vom Zusammenkneifen sah ich bereits Sternchen vor meinem inneren Auge tanzen.

Die Duschkabinentür, die ich offen gelassen hatte, wurde geschlossen und kurz darauf spürte ich zwei Hände auf meiner Hüfte. Ein starker Körper presste sich von hinten an mich, sodass ich unfreiwillig mit meiner Vorderseite an die Wand gedrückt wurde.

„Daron? Was tust du da?“, fragte ich überrascht in mein Handtuch, das vom herabprasselnden Wasser schon beinahe durchnässt war. Super, das half mir jetzt auch nichts mehr. Ich warf es einfach zur Seite, stütze mich mit den Händen an der Wand ab und versuchte meine Augen zu öffnen. Immer noch brannten sie leicht, und es bedurfte mehrerer Anläufe, bis ich sie einigermaßen auf bekam. Vor mir gab es nichts zu sehen außer der weiß gekachelten Wand. Ich wollte gerade den Kopf drehen, als mir eine Hand in mein mittlerweile klatschnasses Haar griff und ihn so nach hinten bog, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte.

„Ssshhhhh“, hörte ich Daron neben meinem Ohr flüstern und spürte, wie er begann, meinen Hals und meine Schultern mit zahlreichen Küssen zu bedecken. Sein Atem ging schwer, und als er sich gegen mich drückte, bemerkte ich, dass er sich wohl sehr freuen musste, mich zu sehen. Groß und hart rieb sich sein Geschlecht an meinem Hintern, und ich fragte mich ehrlich, was dieser Kerl für eine Kondition hatte, dass er jetzt schon wieder konnte. Ich konnte mir bei diesem Gedanken ein leichtes Lachen nicht verkneifen – ehrlich gesagt, auch deshalb, weil ich im Grunde meines Herzens unglaublich froh war, dass er mir mein „Vergehen“ doch nicht nachgetragen hatte.

„Sag bloß, du willst schon wieder? Lass eine alte Frau doch wenigstens in Ruhe zu Ende duschen“, kicherte ich und genoss das Gefühl, einen so starken Mann an meiner Seite zu wissen, der noch dazu genau wusste, was er wollte. Immer schneller rieb er sich an meinem Po, seine rechte Hand immer noch in meinen Haaren, während seine linke erst meine Brust knetete, um anschließend nach unten zwischen meine Beine zu wandern. Er fand auf Anhieb den Knopf, den er bei mir drücken musste, und die Sterne, die ich diesmal tanzen sah, hatten rein gar nichts mit Schmerzen zu tun. Gerade als ich wieder dabei war, in Fahrt zu kommen, nahm er seine Hand von mir, um sein Glied in den richtigen Winkel zu bringen. In dem Moment hatte ich einen Geistesblitz.

„Daron, hast du an ein Kondom gedacht?“

Ein helles, silbernes Lachen ertönte hinter mir und ließ mir all meine Haare zu Berge stehen. Ich hatte dieses Lachen schon einmal gehört.

Gestern Nacht im Traum.

„Kondome sind nur was für Loser, Baby. Für Loser wie Daron. Ohne lässt es sich doch viel besser ficken, findest du nicht auch?“

Mit diesen Worten versuchte Mael gewaltsam in mich einzudringen. Eine Panik, wie ich sie noch nie gefühlt hatte, durchlief mich von oben bis unten, mein Herz schlug mir bis zum Hals, und noch bevor ich die Gefahr begreifen konnte, in der ich schwebte, löste sich ein Schrei aus meiner Kehle. Ich schrie aus Leibeskräften, schrie so sehr, dass man es bis hinunter ins Erdgeschoss hören musste. Ich schrie mir all meine Panik aus meinem vor Furcht zitternden Körper, der Gott sei Dank instinktiv reagierte und sich sofort vollkommen verkrampfte. So konnte ich mich nicht mehr bewegen, und Mael hatte keine Chance, in dieser Position ohne Weiteres den Akt zu vollziehen.

„Halt’s Maul, du kleine Schlampe!“, brüllte er mir so laut ins Ohr, dass es umgehend zu klingeln begann, und drückte mir die Hand auf den Mund. Mein Ohr schmerzte, und ich fragte mich, ob mir wohl gerade das Trommelfell gerissen war. Als ob das jetzt mein größtes Problem war. Unglaublich, was für Nebensächlichkeiten das Gehirn einem ins Bewusstsein rief, um zu verhindern, dass man in so einer Situation den Verstand verlor.

Plötzlich hörte ich hinter mir Türen knallen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Duschkabine aufgerissen wurde und Daron mit schreckgeweiteten Augen dastand. Als er Mael sah, überzog eine solche Wut sein Gesicht, wie ich sie nie in ihm vermutet hätte. Er verpasste Mael einen sauberen Schlag ins Gesicht, sodass dieser das Gleichgewicht verlor, mich losließ und zur Seite taumelte. Daron ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen, und streckte ihn mit einem weiteren Fausthieb nieder. Während Mael leicht benommen auf dem Rücken lag, lief ihm das Blut aus Mund und Nase über seinen nackten Körper, bis es vom laufenden Wasser der Dusche erfasst wurde und sich wie ein dünner, ruhiger Fluss in Richtung Ablauf schlängelte.

„Du Bastard!“, schrie Daron, packte Mael an seinem langen, blonden Pferdeschwanz und schleifte ihn daran rabiat aus der Dusche. Mael schrie ebenfalls, aber vor Schmerz, und hielt sich dabei den Kopf, um zu verhindern, dass Daron ihm die Haare ausriss.

„Kleines, ist alles in Ordnung?“, rief mir Daron noch schnell zu, und ich nickte, während mir die Tränen vermischt mit Wasser das Gesicht herunterliefen und ich in der Hocke zitternd meine Blöße mit dem nassen Handtuch zu verdecken versuchte. Auf einmal war es kalt, so bitterkalt im Raum geworden, dass mich selbst trotz des heißen Wassers von Kopf bis Fuß eine Gänsehaut überzog.

„Bleib da drin und komm nicht raus!“, befahl Daron mir hektisch und versuchte, die Duschkabine hinter mir zu schließen. Allerdings musste die Tür etwas abbekommen haben, denn sie hielt nicht mehr richtig in der Verankerung und ging wieder einen kleinen Spalt weit auf. Von meiner kauernden Position aus konnte ich das Geschehen außerhalb mitverfolgen. Ich sah Daron, bekleidet mit einer inzwischen nassen Jeans, wie er sich drohend und breitbeinig vor seinem Bruder aufgebaut hatte. Sein breites Kreuz bebte unter seinem Atem, und seine Haare fielen ihm in nassen Strähnen über seinen Rücken. Um die beiden Männer bildeten sich kleine Pfützen, die das Blut langsam rosa verfärbte.

Ich vernahm ein leises Lachen. Ein Lachen, das immer mehr anschwoll, bis es sich zu einem so eiskalten Keckern verzog, dass es mir vor Grauen die Zehennägel aufrollen wollte.

„Was ist los, Bruderherz?“, kicherte Mael. „Hast du etwa Angst, ich könnte es deiner kleinen Freundin besser besorgen als du? Ein interessantes Püppchen hast du dir da ausgesucht. Das ist mir schon letzte Nacht aufgefallen, als ich sie im Traum besuchte.“

O Gott, es stimmte also tatsächlich. Nicht nur, dass Mael real existierte, was mich merkwürdigerweise weniger überrascht hatte als vielmehr die Tatsache, dass er tatsächlich Darons Bruder war. Jetzt wäre für mich der Zeitpunkt ideal für einen starken Drink gewesen. Oder für eine Zwangsjacke.

Beides hatte ich gerade nicht zur Hand.

Mist!

„Also, du warst das!“, brüllte Daron. „Wie kannst du es wagen, Hand an meine Freundin zu legen, du perverser kleiner Scheißer?“ Ich gebe zu, in diesem Moment war ich überrascht, denn es war das erste Mal, dass ich Daron fluchen hörte. Aber gut, in dieser Situation wollte ich nicht pingelig sein und fand es zudem mehr als angebracht.

„Deine Freundin, dass ich nicht lache! Du hast doch nicht mal annähernd die Kraft, es mit diesem kleinen Wildfang aufzunehmen. Und mit der willst du die Linie der Ewigen weiterführen? Vergiss unsere Gesetze nicht, Brüderchen!“ Erneut lachte Mael sein hässlich verzerrtes Lachen und wischte sich das Blut mit dem Handrücken aus dem Gesicht. „Die ist weitaus mehr Mann, als du es jemals sein wirst! Pass nur auf, dass sie dir nicht deine Eier abschneidet und gebraten zum Frühstück serviert.“

„Wage es nicht, unsere Gesetze zu erwähnen! Du hast alles entehrt, wofür sie stehen. Möge Vater über dich richten!“

Kaum hatte Mael diese Worte vernommen, verschwand sein selbstgefälliges Grinsen aus seinem Gesicht und etwas drängte sich an dessen Stelle, das ich bei ihm nicht vermutet hätte. Angst.

Nackte Panik.

„Nein, nicht Vater!“, schrie Mael beinahe hysterisch auf und versuchte noch, abwehrend seinen Arm zu erheben, doch er war zu langsam. Daron schnellte blitzartig nach unten und presste Mael seine rechte Hand auf die Brust, während er mit der anderen dessen Kehle festhielt. Ein schwarzes Licht begann sich unter seiner Hand zu formen und verbreitete in seiner tiefen Schwärze eine so gleißende Helligkeit, dass ich mir eine Hand vor Augen halten musste. Gütiger Gott, was passierte hier nur? Mael schrie vor Schmerzen, und sein Körper begann, von krampfartigen Zuckungen geschüttelt zu werden. Es sah beinahe aus wie ein epileptischer Anfall. Das schwarze Licht wurde immer größer und größer, gleich einer Welle, nachdem ein Stein ins Wasser geworfen worden war. Schließlich lösten sich Hunderte von dünnen Fäden aus dem Licht, um sich wie ein Kokon um Daron zu spinnen. Erst um seine Hände, dann seine Arme, über den Kopf und den Oberkörper bis hinab zu den Füßen. Auch wenn ich nur unvollständig erkennen konnte, was vor sich ging, so sah ich doch mit angstgeweiteten Augen, dass sich Darons Gestalt veränderte. Dort, wo die Fäden ihn berührten, verfärbte sich seine Haut schwarz, und auf seinem Rücken bildeten sich in Sekunden zwei immense Beulen, die immer weiter wuchsen, bis sie schließlich auseinanderbrachen und ein riesiges Paar schwarzer, drachenartiger Flügel mit spitzen Krallen an den Enden zum Vorschein brachten. Ich hielt den Atem an und wusste nicht, was mich mehr ängstigen sollte – dass mein neuer Freund einen offensichtlich gemeingefährlichen Bruder hatte oder dass er selbst zu einer mir unbekannten Spezies gehörte, der ich in dieser Gestalt nicht mal am helllichten Tag begegnen wollte. Seine Flügel öffneten sich und offenbarten eine enorme Spannweite, so weit, dass sie fast an die Badezimmerdecke stießen. Mael hatte inzwischen aufgehört zu schreien, seine Augen waren nach innen verdreht und rosa Schaum tropfte aus seinem Mund. Sein Körper wurde von einem letzten Krampf geschüttelt, dann lag er still. Das schwarze Licht unter Darons Hand erlosch. Es roch auf einmal streng nach Urin und Kot. Entgeistert erkannte ich, dass Mael im Kampf mit Daron die Kontrolle über seine Muskulatur verloren hatte. Ich begann zu würgen und drückte mir das nasse Handtuch notdürftig vor mein Gesicht, was das Ganze aber nicht wirklich erträglicher machte.

Daron, oder vielmehr der schwarze Mann mit den ledrigen, krallenbesetzten Drachenflügeln, nahm seine Hand von Maels Brust und erhob sich bedächtig mit einem tiefen Seufzer. Offenbar hatte ihn diese Aktion eine ganze Menge Kraft gekostet. So stand er nun, den Kopf gesenkt, den Blick auf den leblosen Körper seines Bruder gerichtet. Mein Verstand weigerte sich, die einzelnen Bilder detailliert in einer Ereigniskette zu verknüpfen, denn sonst wäre ich garantiert durchgedreht. Ich wusste, was ich gesehen hatte, und konnte es dennoch nicht begreifen. Meine Kehle war vor Panik wie ausgetrocknet, und grenzenlose Furcht vor dem soeben Erlebten ließ meinen Körper unkontrolliert zittern. Ich hatte nicht einmal mehr auf das Wasser geachtet, das weiterhin aus dem Duschkopf über mich lief.

„Aline?“, hörte ich Darons Stimme und erschrak. Noch immer stand er mir mit dem Rücken und den imposanten Flügeln zugewandt. „Kleines, ist so weit alles in Ordnung bei dir?“ Alles in Ordnung bei mir?!

Ja, sicher, ich hatte soeben ja nur gesehen, wie sich mein neuer Lover in ein Monster verwandelt und seinen Bruder getötet hat, nachdem der mich, nur nebenbei erwähnt, zuvor munter eine Runde vergewaltigen wollte. Wie könnte da bei mir nicht alles in Ordnung sein, hätte ich ihn am liebsten angeschrien. Stattdessen war ich nur fähig, ein einziges Wort zu hauchen.

„Ja.“

„Kleines, ich werde mich jetzt zu dir umdrehen. Ich weiß, du musst unglaubliche Angst haben vor dem, was gerade geschehen ist. Und vor mir, so wie ich jetzt bin.“

Na, das war doch glatt die Untertreibung des Jahrtausends, dachte ich zynisch und wunderte mich, dass mein Zynismus noch immer funktionierte.

„Bitte hab keine Angst, ich werde dir nichts tun“, sagte Daron in seiner wunderbar weichen, tiefen Stimme, die mein Gehirn so gar nicht mit dieser schwarzen Kreatur vor mir in Verbindung bringen wollte. „Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe, und das stimmt. Ich habe dir auch gesagt, dass es Fragen gibt, auf die ich dir keine Antworten geben kann, weil du sie selber erkennen musst. Ich wünschte, du hättest sie auf andere Art und Weise erfahren, doch das lässt sich nun nicht mehr ändern. Aline, willst du immer noch diese Antworten?“

Nein, verdammte Scheiße, wollte ich schreien, ich will nur noch nach Hause in mein Bett, eine große Tasse voller Vergiss-was-geschehen-ist-Tee, und ich will, dass morgen, wenn ich aufwache, alles so sein wird wie vor dem Zeitpunkt, an dem ich dich kennengelernt habe. Da ich aber wusste, dass das nicht passieren würde, waren meine Möglichkeiten für ein Nein sehr begrenzt, und so presste ich, von heftigen Zitteranfällen geschüttelt, erneut ein Ja hervor. Ich stand inzwischen so unter Schock, dass es auf einen weiteren auch nicht mehr ankam.

„Gut“, sagte Daron, „ich werde mich jetzt langsam umdrehen.“

Was er dann auch tat. Ich war vor Angst kurz davor, aus dem Fenster zu springen, wäre denn eins in greifbarer Nähe gewesen. Er sah aus wie immer, nur dass seine ganze Haut pechschwarz war, so wie es keine Menschenhaut der Welt je hätte sein konnte. Aber augenscheinlich war er sowieso kein Mensch, weshalb ich diesen Gedanken schnell wieder verwarf.

Wie in Zeitlupe hob Daron seinen Kopf, den er bis jetzt gesenkt gehalten hatte, und öffnete die Augen. Mein Herz sprang mir vor Angst beinah aus der Brust, und ich versuchte mich panisch an den Kacheln hinter mir festzukrallen. Das Grün seiner Iris war komplett verschwunden, ebenso wie das gesamte Weiß, und dort, wo ich so verliebt Smaragde und grüne Wiesen gesehen hatte, blickten mir nun zwei rot glühende Augen entgegen, wie ich sie mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht furchtbarer hätte ausmalen können.

Langsam reichte mir die Gestalt aus der Hölle eine Hand und sagte: „Komm aus der Dusche, Kleines. Du wirst dich sonst noch verkühlen.“

Das war der Moment, in dem mein Gehirn sich vollkommen dem Schock ergab und die Welt vor meinen Augen sich in unscharfe Konturen verwischte, bis von ihr nichts mehr übrig war als gähnende, dunkle Leere.

Die Linie der Ewigen

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