Читать книгу Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 36

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Ja, genau.

Eine Kleinigkeit.

So langsam wusste ich, dass ich Daron bei so etwas nicht trauen konnte. Seine Kleinigkeiten waren alles andere als klein. Was konnte man schon anderes erwarten von einem Nicht-ganz-Menschlichen, der es sich leisten konnte, einfach mal so einen Zwanzigtausend-Dollar-Whisky unters Volk beziehungsweise an seine Freundin zu bringen.

O Gott, der Whisky.

Bei dem Gedanken daran wurde mir immer noch ein wenig flau.

Auf dem Weg zu meiner Wohnung hatte Daron per Autotelefon bei einem der besten Japaner der Stadt angerufen und diverse Sachen an meine Adresse bestellt. Wohlgemerkt, das Restaurant bot keinen Lieferservice an. Aber wenn Geld keine Rolle spielte, dann wurde auch hier mal ein Auge zugedrückt. Pünktlich war der Lieferjunge auf meiner Türschwelle erschienen, während ich mir im Bad eine Runde Fassadenrenovierung gegönnt hatte. Dazu bequeme Jeans und mein Lieblingspullover mit Kaschmiranteil in einem zarten Beerenton, zwei Spritzer RicciRicci aufgelegt, und schon war ich wieder vorzeigbar.

Fragen Sie mich nicht, was sich da an Leckereien vor mir türmte, es duftete einfach unbeschreiblich, als ich aus dem Bad kam. Jede Menge Sushiröllchen mit Gemüse, Hähnchen, Lachs und Krebsfleisch, dazu heiße Misosuppe und etwas, das sich, wie Daron mir erklärte, Buta Kimuchi nannte, in leicht scharfer Chilisoße angebratenes Schweinefleisch. Meine Küche war in der Zwischenzeit zu einer kleinen Sushibar umfunktioniert worden, und Daron hatte die Speisen stilvoll auf dem Esstisch angerichtet. Ich wusste gar nicht, was ich zuerst auf meinen Teller laden sollte, als er mir galant den Stuhl zurechtrückte.

Darauf stand ich total.

Und wenn ein Mann mir in den Mantel half oder die Tür aufhielt.

Alle drei Kriterien hatte mein sanfter Riese bisher mit Bravour erfüllt.

Schmacht.

„Lass es dir schmecken. Du brauchst jetzt deine Kraft, Kleines“, sagte er, während er uns auffüllte. Ich ließ mich nicht lange bitten. Egal was ich probierte, es schmeckte zum Niederknien. Mein persönliches Highlight waren Dangos, kleine Reisbällchen mit Sesam, in die ein süßes rotes Mus eingearbeitet war. Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle in diese Schüssel geworfen und mich in den Bällchen gewälzt.

„Wenn du mich weiterhin so mästest, habe ich in zwei Wochen zwanzig Kilo mehr auf den Rippen“, schmatzte ich, während ich mir die Reste des Honigs von den Fingern schleckte, der zusätzlich für die kleinen Kugeln zum Dippen gedacht war. Wieso nur hatte ich bisher noch nie japanisch gegessen?

Daron lachte in sich hinein und kniff mir in die Wange.

„Nicht mit Sushi, da brauchst du keine Angst zu haben. Die japanische Küche ist eine der gesündesten und fettärmsten, die es gibt. Nimm nur, es ist mehr als genug da.“

Da kam mir ein Gedanke in den Sinn. Vorsichtig blickte ich Daron an und vergaß vor Grübelei fast, mein Bällchen fertig zu kauen.

„Du hast mir bisher fast nichts von deinen Brüdern erzählt“, sagte ich, „wie sie alle heißen und wer wofür zuständig ist. Meinst du nicht auch, wenn ich mich schon der Völlerei hingebe, dann sollte ich wenigstens wissen, wessen Sünde ich hier gerade begehe?“

Aufmerksam beobachtete mich Daron, während er ein Yashi Maki mit seinen Essstäbchen auf dem Teller spazieren schob. Sein Blick war so tief wie der Atlantik, und wäre ich die Titanic gewesen, wäre ich auch ohne Eisberg auf der Stelle in ihm versunken. Beinahe befürchtete ich, zu forsch gewesen zu sein, sagte mir aber dann: Ach, was soll’s, da hatte ich die letzten drei Tage schon ganz andere Dinger geliefert, die ihn nicht verschreckt hatten. Generell konnte man unser Kennenlernen ja schon als nicht gerade alltäglich bezeichnen. Daron musste das wohl genauso sehen, denn ein leichtes Zucken um seinen linken Mundwinkel verriet seine Laune.

„Sieh an, sieh an, da scheint sich jemand langsam in seine Rolle einzufühlen.“

Ich zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck Wasser.

„Es ist wohl nur legitim, dass ich über den Rest deiner Familie informiert sein möchte, wenn ich durch dich bald für immer an sie gebunden sein werde.“

Daraufhin nickte Daron und strich sich eine Strähne hinters Ohr.

„Touché“, grinste er und erlöste das Yashi Maki von seiner Irrfahrt auf dem Teller.

Prima, jetzt hatte ich ihn so weit. Gespannt lehnte ich mich nach vorne und schob mir noch ein Klebebällchen in den Mund. Wenn es das jetzt auch mit Datteln gäbe – ich hätte nie wieder etwas anderes essen wollen.

„Nun gut, dann beginnen wir unsere Lektion in Sachen McÉag-Kunde“, begann Daron seine Erklärung. „Der Älteste von uns ist Cayden. Du kennst ihn unter der leicht abgedroschenen Bezeichnung Satan, aber erwähne die bitte bloß nicht vor ihm. Er ist da sehr empfindlich. Satan ist ein religiöser Begriff und wird bekanntermaßen mit dem Teufel gleichgesetzt, aber das hat rein gar nichts mit unserer eigentlichen Aufgabe zu tun. Du weißt ja inzwischen, dass es so etwas wie den Teufel gar nicht gibt und er lediglich eine Erfindung von verirrten Seelen ist. Leider haben im Laufe der Jahrtausende alle Sündentode eine Zuordnung dieser Art erhalten. Denn Sünde ist Verderben und Verderben gehört laut weltlichem Glauben nun einmal mit dem Schlimmsten bestraft. Man benötigte also etwas zur Abschreckung. Und gab uns diese Bezeichnungen. Ich selber bin froh, dass mir das erspart geblieben ist, und kann Caydens Abneigung gut verstehen. Niemand, der diese schwere Aufgabe ausüben muss, möchte dafür auch noch verurteilt werden.“

Das leuchtete mir ein. So wie man sich nicht bewusst aussuchte, in welches arme Land oder welche schlimme Familie man hineingeboren wurde. Das entschied man bereits vor der Geburt.

Unterbewusst.

Ach, verdammt, war diese Materie kompliziert.

Ich zweifelte daran, dass ich das jemals ganz kapieren würde. Aber das musste ich ja auch nicht. Das war schließlich Darons Fachgebiet, und so lauschte ich weiter seinen Ausführungen.

„Für uns persönlich wichtiger sind unsere Namen aufgrund ihrer Bedeutung. Wir wissen nicht, wer unsere Vorfahren waren, ebenso wenig, wo wir ursprünglich herkamen. Wir existieren, seit es Leben gibt. Die Erde selber ist mehr als viereinhalb Milliarden Jahre alt. Kein Stammbaum der Welt kann so weit in seinen Aufzeichnungen zurückreichen, nicht mal, wenn man unsterblich ist.“ Er räusperte sich kurz und nahm einen Schluck Wasser. „Während all dieser Zeit hatten unsere Namen keine einheitliche Linie. Mit Beginn der keltischen Kultur jedoch beschlossen die Ewigen, sich in ihrer menschlichen Form Namen keltischen Ursprungs zu geben. Die Kelten waren ein weltliches Volk, sie verehrten keine erdachten Gottheiten, sondern nahmen die Natur in all ihrer Vollkommenheit und Vielfalt zu ihrem Glaubensvorbild. So, wie es der Wirklichkeit entspricht. Und so entstanden die McÉags, die ihren Söhnen fortan keltisch basierte Namen gaben. Cayden beispielsweise bedeutet Kampfgeist, und seine Sünde ist der Zorn.“

„Ich verstehe“, antwortete ich, „man braucht schließlich eine gesunde Portion Kampfgeist, um sich dieser Sünde zu stellen.“

Ein Lächeln huschte über Darons makelloses Gesicht und ließ seine kantigen Züge um so Vieles weicher wirken.

„Sehr gut, ich bin beeindruckt.“

Dieses Lob schmeckte mir besser als alle Dangos der Welt.

„Aber was heißt dann Éag?“, fragte ich neugierig und erntete nur ein breites Grinsen. Moment mal … wenn die Bedeutung des Namens so wichtig war, dann konnte dies nur heißen …

„Éag ist der Tod. Stimmt das?“

Zufrieden nickte Daron und tätschelte mir die Hand.

„Éag ist heute nicht mehr sehr gebräuchlich im Gälischen, was es uns umso leichter macht, diesen Namen zu verwenden. Du bist wirklich eine gelehrige Schülerin.“

„Dafür hätte ich dann gerne ein Fleißbildchen“, neckte ich zurück und bat Daron fortzufahren.

„Der Zweitgeborene ist Lior, in dieser Welt besser bekannt als Luzifer. Er holt die Hochmütigen mit seinem Licht. Alan, der Fels oder Belphegor, ist der Drittälteste und ist zuständig für …“

„… die Faulheit“, ergänzte ich den Satz. Ich fand es richtig spannend, nun etwas weniger plastisch und weitaus persönlicher in Darons Welt einzutauchen. Dies brachte mir erneut ein anerkennendes Nicken ein.

„Der Vierte ist Bran, was Rabe bedeutet, und er wäre im Falle einer maßlosen Völlerei zu Lasten anderer dein Erlöser. Dein Beelzebub. Also sei nicht zu gierig mit den Dangos.“ Darons Augen funkelten vor unterdrücktem Lachen, und vor Verwunderung vergaß ich fast, das letzte Bällchen fertig zu kauen, bevor ich es schluckte. Beelzebub holte also die Seelen, wenn sie über die Strenge schlugen.

Irgendwie unheimlich.

Ob er mir meine Nascherei nachsah?

„Nach Bran wurde Phelan, der kleine Wolf geboren. Seine Bezeichnung lautet Mammon, und er holt die Geizigen. Der sechste Bruder dann hat sich dir bereits in all seiner zweifelhaften Herrlichkeit vorgestellt.“

Ein Schauder lief mir über den Rücken und ließ meine Härchen Rumba tanzen.

„Mael. Leviathan. Der Neid“, flüsterte ich und blickte verängstigt auf meinen Teller. Verdammt, gerade jetzt waren die Dangos alle.

Eine Hand berührte zärtliche meine Schulter.

„Ist schon gut, Kleines.“

„Ich weiß“, erwiderte ich, nahm seine Hand und legte einen kleinen Kuss in die Handfläche, was ihn kurzzeitig wie einen zufriedenen Kater schnurren ließ.

„Nach Mael kam Kian oder Asmodeus, der Erlöser der Lust und Maels eineiiger Zwilling. Bis heute ist das Phänomen der eineiigen unter den acht Brüdern in unserer Familie, soweit man weiß, erst ein einziges Mal vorgekommen. Du siehst, auch für uns hält die Natur ab und zu eine Überraschung bereit. Dann kam schließlich ich. Der Jüngste.“

„Und was bedeutet dein Name?“, fragte ich neugierig.

„In der Nacht geboren.“

Eine sehr schöne Bedeutung, wie ich fand, passend zu seinen nachtschwarzen Haaren.

„Sag mir, Nachtgeborener“, grinste ich ihn an und zwirbelte eine seiner langen Haarsträhnen um meinen linken Zeigefinger, „wir zwei haben uns gefunden und dürfen zusammen sein. Wie sieht es bei deinen Brüdern aus? Haben sie Frauen oder Freundinnen?“

Kurz wanderte ein Ausdruck über Darons Gesicht, den ich nicht zu deuten vermochte. War es Bedauern? Auf jeden Fall überlegte er gerade, wie er mir etwas schonend beibringen sollte, und allein das gefiel mir schon wieder überhaupt nicht. Aber ich beschloss, diesmal ein braves Mädchen zu sein und nicht nachzuhaken.

Ausnahmsweise.

Das brauchte ich auch gar nicht, denn mein sanfter Riese begann von selbst zu erzählen.

„Nur ich als der reine Erlöser habe die biologische Fähigkeit, mich fortzupflanzen. Dazu braucht es eine fruchtbare, eine menschliche Frau. Meine sieben Brüder haben diese Bürde nicht. Für die einen ist es wirklich eine, den anderen ist es nur recht. Es steht jedem meiner Brüder frei, sich hier eine Freundin zu nehmen oder sogar eine Frau. Doch je enger die Verbindung ist, desto schwieriger wird es, sich zu tarnen. Einer geliebten Seele vorzutäuschen, man sei normal, und sich dabei nicht zu verraten, das ist schwieriger als man denkt.“

„Klingt so, als hättest du Erfahrung damit“, meinte ich und hob eine Augenbraue.

„Nein, ich nicht. Aber Cayden. Er liebt seine Laurin wirklich sehr, und sie leben seit einiger Zeit hier auf Erden wie Mann und Frau. Aber irgendwann wird Laurin älter werden, während Cayden so jung bleibt, wie er ist. Bevor das geschieht, wird Cayden sich von ihr trennen müssen, um sich und unsere Familie nicht zu verraten. Kannst du dir vorstellen, wie grausam es sein muss, zu wissen, dass man die Person, die man über alles liebt, eines Tages verlassen muss, während sie nichts davon ahnt und schon die gemeinsame Zukunft plant?“

O Gott.

Bei dem Gedanken bildete sich mir ein Kloß im Hals, und eine kurze Sekunde lang, vielleicht auch zwei, war ich froh, mein Herz an den Jüngsten der McÉags verloren zu haben. Daron schien genau das Gleiche zu denken, denn er streichelte mir sanft über meine Wange.

„Cayden hat anfangs versucht, gegen seine Gefühle zu kämpfen und es nur eine Bettgeschichte sein zu lassen. Sein Herz machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Ich kenne Laurin; sie ist wirklich bezaubernd, und ich kann meinen Bruder nur zu gut verstehen, dass er diese Entscheidung gefällt hat. Ich bewundere ihn für seine Stärke, und doch bedaure ich ihn für sein kommendes Schicksal. Und ich bedauere Laurin, die irgendwann einmal nach Hause kommen und ein leeres Haus vorfinden wird. Sie wird nie verstehen, warum ihr Glück innerhalb eines Moments zerbrochen ist, warum er sie verlassen hat, und vielleicht wird sie nie darüber hinweg kommen. Während sie dann später irgendwann einmal auf die Reise geht und, so das Schicksal es denn will, von mir geholt wird, wird Cayden weiter existieren. Ich konnte mir nie vorstellen, wie er sich dabei fühlen muss. Jetzt kann ich es und weiß: Ich könnte so nicht leben. Viele können das nicht oder wollen es auch gar nicht. Mael beispielsweise holt sich eine Geliebte nach der anderen, streift nachts durch die Klubs und nimmt sich, was er will. Er hat sich noch nie gebunden, auch vor Mutters Tod war er schon ein Filou. Für eine normale Beziehung ist er nicht gemacht. Er genießt es einfach zu sehr, auf die Jagd zu gehen und seine Beute zu schlagen. Für ihn funktioniert sein Schicksal.“

Ein kurzer Schauer jagte mir über den Rücken.

„Na, wem sagst du das?“

Bei diesen Worten rieb ich mir die Arme.

Beute schlagen.

Welch treffender Vergleich.

Sanft strich mir Daron über die Wange. Ich blickte in seine leuchtenden grünen Augen und sah dort so viel Liebe und Zuneigung.

„Eigentlich ist das wirklich schrecklich, wenn man sich das mal vorstellt. Seine ganze Existenz lang dazu verdammt zu sein, nicht bedingungslos lieben zu dürfen. Oder zu lieben, aber nur auf Zeit. Das ist grausam. Deine Brüder tun mir wirklich leid – sogar Mael. Vielleicht ist seine Abscheulichkeit auch nur Ausdruck dafür, dass er tief im Innern einfach unsagbar unglücklich ist.“

„Wer weiß? Mael ließ sich bisher noch nie in die Karten schauen. Wir werden es wohl nie erfahren.“

Auf ewig verdammt zur Einsamkeit.

Ich konnte mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen.

Die Linie der Ewigen

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