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Die Haltung

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Meditieren ist ganz einfach, hatte ich gesagt, es ist nichts anderes als einen Moment lang reglos schweigend dazusitzen. Doch ich muss gleich hinzufügen, dass es alle möglichen Arten von Dasitzen gibt: im klassischen Schneidersitz mit überkreuzten Beinen, im halben Lotussitz, im Lotussitz, im japanischen Seiza- oder Fersensitz oder auch auf einem Stuhl, wenn man nicht gelenkig genug ist … Alle sind gut, solange sie ein Minimum an Bequemlichkeit verschaffen und einem – unter Umständen mithilfe von Kissen – erlauben, sich gerade zu halten. Denn gerade halten muss man sich. So gerade wie möglich. Die Wirbelsäule so weit nach oben strecken, als wolle man mit dem höchsten Punkt des Schädels die Decke anheben. Und sie gleichzeitig auch verwurzeln: so sitzen, dass das Becken, aus dem sie entspringt, in die andere Richtung zum Boden hinuntergezogen wird. Dehnt man die Wirbelsäule auf diese Weise, dann biegt sie sich leicht durch und verlängert sich und der Raum zwischen den Wirbeln weitet sich. Man begleitet ihren Verlauf vom Kreuzbein bis zur Schädelbasis. Man beobachtet ihre Krümmungen. Man beobachtet, was dabei herauskommt, wenn man versucht, sie umzukehren: wenn man die hohlen Abschnitte ausstülpt und die gewölbten einzieht. Wenn ich mich auf diese Weise ausstrecke, spüre und höre ich, wie einer meiner Wirbel knackt. Es ist ein angenehmes Geräusch, auch die damit verbundene Empfindung ist angenehm und stimulierend. Man hat nicht den geringsten Zweifel, dass sie guttut. Die Wirbelsäule so zu strecken ist eine Vollzeitbeschäftigung. Doch zur selben Zeit, in der man sich dieser Vollzeitbeschäftigung widmet, muss man sich noch einer anderen widmen, nämlich der, alles zu entspannen: das Gesicht, die Schultern, den Bauch, die Hände, alles, was man entspannen kann – und das ist viel, wirklich unendlich viel. Wenn man alles durchgeht, was verspannt ist, merkt man, dass auch das eine Vollzeitbeschäftigung ist. Die Wirbelsäule weitmöglichst strecken und den Rest weitmöglichst entspannen, das ergibt zwei Vollzeitbeschäftigungen zugleich. Oder, na ja, anfangs fast zugleich, sagen wir eher zugleich, etwa als würde man zwei zusammengespannte Pferde lenken, von denen jedes in eine andere Richtung ausscheren will. Das ist übrigens auch die ursprüngliche Bedeutung des Worts Yoga: zwei Pferde oder zwei Büffel in dasselbe Joch einspannen. Man wechselt von einem zum anderen, vom anderen zum einen. Wenn man versucht, seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was man tut, und sich bewusst zu machen, wenn auch nur ein winziges bisschen, was das Ziel der ganzen Angelegenheit ist, hat man keine Zeit, sich zu langweilen. Je anspruchsvoller die Haltung wird, desto mehr kann man ihr abgewinnen. Man richtet sich gern jeden Tag darin ein, nimmt sie gern zu einer festen Zeit ein. Schafft es immer länger, sie zu halten. Spürt, wenn sie zusammenzufallen beginnt. Dann korrigiert man sie, verfeinert sie, wird sich immer mehr der Balanceakte bewusst, aus der sie besteht. An manchen Tagen ist es ein Genuss, an anderen ist es nicht auszuhalten. Nichts funktioniert. Der ganze Körper protestiert und wehrt sich gegen die Reglosigkeit, nimmt nicht mal mehr einen der feinen, subtilen Balanceakte wahr, die zu beobachten so genussvoll war. Besser wäre es nun, die Aufmerksamkeit genau auf diesen Widerstand zu richten, auf diese Lustlosigkeit, diesen Widerwillen. Würde man ihn beobachten, würde er zur Meditation dazugehören. Doch meistens beeilt man sich eher, ihn loszuwerden, statt die Aufmerksamkeit darauf zu richten. Man steht auf und schaut seine E-Mails durch. Egal.

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