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Unterhaltungen mit einer Marquise: Fontenelle
ОглавлениеWährend Keplers Traum vom Mond kaum allgemeine Beachtung fand, sollte einem anderen Werk ein durchschlagender Erfolg beschieden sein. Im Jahre 1686, ein Jahr vor dem Erscheinen von Newtons „Principia“, veröffentlichte der später zum Sekretär der französischen Akademie ernannte Bernard Le Bovier Fontenelle (1657 – 1757) anonym seine Unterhaltungen mit der Marquise G*** über die Vielheit der bewohnten Welten. Noch zu seinen Lebzeiten erschienen eine ganze Reihe von Ausgaben, bei denen er bis zum Jahr 1742 (29. Auflage) selbst Veränderungen und Ergänzungen vornahm. Außerdem erschienen Übersetzungen ins Englische, Italienische, Griechische, Holländische und Deutsche. Die deutsche Ausgabe vom Jahre 1780 wurde von dem Astronomen Johann Elert Bode mit kritischen Anmerkungen versehen. Während Bode bereits ein Anhänger von Newtons Theorie des Sonnensystems war, ging Fontenelle von der Theorie seines Landsmannes René Descartes (1596 – 1650) aus, der im Gegensatz zu Newton, der den Weltraum als leer betrachtete, mit dicht aneinanderliegenden Wirbeln erfüllt ansah, in denen die Himmelskörper eingebettet sind: „Die große Menge Himmelsmaterie, die von der Sonne bis zu den Fixsternen reicht, dreht sich rund und führt die Planeten mit sich fort, so dass sie insgesamt nach einer Richtung um die Sonne laufen müssen, die den Mittelpunkt ihrer Laufbahnen einnimmt … zugleich formen die Planeten besondere kleinere Wirbel, die den Sonnenwirbeln ähneln. Indem ein jeder derselben sich um die Sonne bewegt, dreht er sich zugleich selbst, und macht auch eine gewisse Menge der himmlischen Materie nach einer gleichen Richtung um ihn laufen … Wenn in einen dergleichen kleinen Wirbel ein geringerer Planet fällt, als der ist, der darin herrscht, so wird er mit dem größeren mit fortgerissen, und unvermeidlich um denselben zu laufen gezwungen, und alles zusammen, der große und der kleine Planet, mit ihrem sie einschließenden Wirbel, bewegt sich nichtsdestoweniger um die Sonne. Dergestalt hat uns schon vom Anfang der Welt her der Mond begleiten müssen, da er sich in dem Umfang des Erdwirbels befand“ (Fontenelle 1780, S. 214 ff.).
Descartes folgend überträgt Fontenelle diese in jedem Detail ausgearbeitete kartesianische Theorie auf das System der Fixsterne: „Kann man sich wohl etwas Schöneres denken als diese zahllose Menge Wirbel, in deren Mitte eine Sonne steht, die Planeten um sich herumführt. Die Bewohner eines Planeten aus einem dieser unzählbaren Wirbel sehen von allen Seiten die Sonnen der ihnen nah angrenzenden Wirbel; können aber nicht ihre Planeten wahrnehmen, die nur ein schwaches, von ihrer Sonne geborgtes Licht haben“ (Fontenelle 1780, S. 268 ff.). Die Milchstraße, die sich wie ein weißlicher Streifen über die Mitte des ganzen Nachthimmels zieht, hält Fontenelle auf Grund der damaligen Fernrohrbetrachtungen zwar ebenfalls für eine Menge von zahllosen Fixsternen, glaubt aber, dass dieser „Ameisenhaufen von Sternen“ nur aus sehr kleinen dicht beieinanderliegenden Wirbeln besteht. Und er meint sogar, „man werde sich auf einer Welt mit der anderen besprechen oder sogar die Hände geben können“. Ja, er bildet sich sogar ein, „dass die Vögel sehr leicht aus einer Welt in die andere fliegen werden, und dass man dort die Tauben zu Briefträgern abrichten kann“ (Fontenelle 1780, S. 282). Abgesehen davon, dass die „Begriffe des Herrn von Fontenelle von der Milchstraße“, wie Bode kritisch bemerkt, „viel zu niedrig sind und keiner Prüfung standhalten“, sind nach seiner Meinung die Wirbel des Cartesius, in die sich Fontenelle so sehr verliebt hat, durch die Gravitationstheorie Newtons schon längst ersetzt worden. Schon zuvor waren hinreichende Gründe vorhanden, um sie zu verwerfen: „Wenn die Hauptplaneten um die Sonne und die Nebenplaneten oder Monde um ihren Hauptplaneten bloß von einem wirbel- oder kreisförmigen Strome der himmlischen Materie fortgeführt würden, so müssten ihre Umlaufzeiten unter sich gleichförmiger sein, als sie wirklich stattfinden. Die verschiedenen Wirbel, worin die Planeten schwimmen, würden da, wo sie sich einander berühren, sich beständig stören; der Lauf aller Planeten und Monde müsste in einer und derselben Ebene geschehen, und die Kometen könnten unmöglich von allen Gegenden her und unter allen erdenklichen Richtungen die Bahnen aller Planeten durchstreifen, ohne von dieser allgemeinen Strömung der himmlischen Materie mit fortgerissen zu werden“ (Bode in: Fontenelle 1780, S. 215f.).
Abb.3: Die Wirbeltheorie des Weltalls (aus Descartes 1908): S bezeichnet die Sonne, um die sich ein Wirbel dreht. Darüber hinaus gibt es noch unzählige andere Wirbel mit anderen Fixsternen als Mittelpunkten, wie z.B. f und F, durch die sich dann, von diesen Wirbeln angetrieben, ein Komet hindurchschlängeln kann.
Da Fontenelle auch in allen späteren Ausgaben seines Werkes an der kartesianischen Wirbeltheorie festgehalten hat, musste Bode in seinen umfangreichen Anmerkungen die Ausführungen Fontenelles im Sinne der damals bereits allgemein anerkannten Newton’schen Gravitationstheorie korrigieren. Auf diese Weise geben vor allem diese Kommentare zur deutschen Ausgabe des Werkes von Fontenelle auch den Fortschritt der Erkenntnisse über das Weltall wieder, ohne jedoch die eigentliche Zielsetzung dieses Werkes, den Nachweis für die Wahrscheinlichkeit anderer bewohnter Welten zu zerstören. Allerdings ist aber auch mit der Annahme der Newton’schen Theorie von der allgemeinen Schwere die Vorstellung von den Bewohnern der großen, massereichen schweren Planeten, wie Jupiter und Saturn, schwieriger geworden. Denn sollten sie die Größe von uns Menschen besitzen, müssten sie dort mehrere Tonnen wiegen. Diese Schwierigkeit hat jedoch Fontenelle mit der kartesianischen Wirbeltheorie nicht, bei der die Schwere keine Rolle spielt.
In einem Punkt stimmt jedoch Fontenelle nicht mit seinem Vorbild Descartes überein. Während Descartes mit seiner Wirbeltheorie noch einen Ausweg suchte, um damit zumindest die relative Unbeweglichkeit der Erde aufrechtzuerhalten, zeigt sich Fontenelle in seinen Mondscheingesprächen mit der Marquise als ein begeisterter Anhänger der kopernikanischen Revolution. Denn für ihn ist Kopernikus derjenige, der „alle diese eingebildeten Kreise und kristallenen Himmel des Altertums mit stürmender Hand angreift, jene über die Klinge springen lässt, diese zerschmettert; der, von einem edlen astronomischen Eifer entzündet, die Erde ergreift, und sie weit vom Mittelpunkt des Weltalls, wo sie bisher ihren Platz behauptet, wegführt, und in diesen Mittelpunkt die Sonne setzt“ (Fontenelle 1780, S. 33). Als Planet unter anderen Planeten hat die Erde daher keinen Vorzug mehr. Was für sie gilt, gilt auch für alle anderen Planeten. Dazu gehört auch ihre Bewohnbarkeit.
Für Fontenelle ist wie für Kepler der Mond der nächste Himmelskörper, der bewohnt sein könnte. Denn die Gelehrten, „welche täglich mit Fernröhren darauf herumreisen, … melden, dass sie daselbst Länder, Meere, Seen, hohe Berge, tiefe Täler und Abgründe entdeckt haben“ (Fontenelle 1780, S. 108). Auf die Frage, wie man Länder und Meere unterscheidet, antwortet Fontenelle mit dem gleichen Argument wie Galilei: „Daran, weil das Wasser, das einen Teil der Lichtstrahlen durchfallen lässt, und daher weniger Licht zurückwirft, in der Ferne als dunkle Flecken erscheint, dahingegen die Länder, die wegen ihrer Undurchsichtigkeit alle Lichtstrahlen zurückschicken, als hellere Gegenden sich darstellen“ (Fontenelle 1780, S. 109 f.). Auch glaubt Fontenelle, dass auf dem Mond Flüsse vorhanden sein könnten, da der berühmte Cassini dort etwas entdeckt hat, das sich in zwei Teile teilt, dann sich wieder vereinigt und zuletzt sich in einen Schacht verliert. Aber über die Mondbewohner selbst, vor allem ob sie uns Menschen ähnlich sind, will Fontenelle keine konkreten Angaben machen. Wenn sich schon auf der Erde von Europa bis China die Gesichter und die Gestalt, die Sitten und Gebräuche und die Art zu denken verändern, so müssen von der Erde zum Mond die Veränderungen noch viel ansehnlicher sein. Und wenn man schon die Einwohner neu entdeckter Länder eher als Tiere in menschlicher Gestalt ansieht, so würde der, welcher bis zum Mond reisen könnte, „sicherlich nichts weniger als Menschen dort antreffen“ (Fontenelle 1780, S. 119). Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt für die Mondbewohner, die sich kaum vorstellen könnten, dass es hier unten eine so seltsame Gattung von Geschöpfen gibt, die man das menschliche Geschlecht nennt.
Da es aber ärgerlich ist, zu wissen, dass dort oben Mondbewohner sind, und wir uns nicht vorstellen können, wie sie beschaffen sind, gibt es nur einen Weg dieses Rätsel zu lösen: Man müsste den großen Luft- und Himmelsraum, der zwischen der Erde und dem Mond ist, durchreisen (Fontenelle 1780, S. 125 f.). Dass dies einst möglich sein wird, davon ist Fontenelle überzeugt: „Verschiedene Leute haben das Kunststück ausfindig gemacht, sich Flügel zu verfertigen, die sie in den Lüften emporhalten, die bewegsam sind, und womit sie über Flüsse setzen können.“ Freilich muss Fontenelle zugeben, dass dies noch kein Adlerflug ist, und „es hat diesen neuen Vögeln schon zuweilen einen Arm oder ein Bein gekostet“ (Fontenelle 1780, S. 127). Doch diese Unternehmungen gleichen den ersten Brettern, die man ehedem aufs Wasser legte und womit man den Anfang zur Schifffahrt gemacht hat. Vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus hätte man auch nicht gedacht, dass solche langen Strecken über den Ozean zu überwinden sind, während später aus diesen primitiven Anfängen große Schiffe entstanden sind, mit denen man die ganze Erde umsegeln konnte. Nach Fontenelles Meinung wird sich daher auch die Kunst zu fliegen „nach und nach vervollkommnen, und mit der Zeit werden wir bis in den Mond gelangen“ (Fontenelle 1780, S. 127). Und sollte uns das nicht gelingen, sind vielleicht dazu die Mondbewohner geschickter als wir. Denn es ist gleichgültig, ob wir zu ihnen oder sie zu uns kommen. „Vielleicht“, sagt Fontenelle, „stellen die Mondbürger schon gegenwärtig zur Übung kleine Reisen durch die Luft an, und wenn sie sich darin durch mehrere Versuche eine Fertigkeit erworben haben, werden sie endlich bei uns ankommen, und der Himmel mag wissen, was uns ihre Ankunft für Schrecken verursachen wird“ (Fontenelle 1780, S. 129).
Abb. 4: Bahn eines Projektils, das die Anziehungskraft der Erde überwindet und zum Satelliten wird (aus Newton 1744)
Doch Fontenelles kritischer Kommentator Bode hält Flüge dieser Art, die den Weltraum durchqueren, für unmöglich. Im Unterschied zu Fontenelle, der im Sinne von Descartes den Weltraum von einer luftartigen Materie erfüllt sieht, nimmt Bode mit Newton an, dass der „Luftkreis“ oder die Atmosphäre der Erde begrenzt ist und ab einer gewissen Höhe immer dünner wird. „So könnten diese Flüge der Menschen nicht sehr hoch gehen und außerhalb des Luftkreises wäre es ihnen, da sie in ihrem jetzigen Zustand die Luft zum Einatmen unumgänglich notwendig brauchen, ganz unmöglich fortzukommen“ (Bode in Fontenelle 1780, S. 128 f.). Deshalb sieht er auch solche Vorstellungen Fontenelles über eine Reise zum Mond nur als einen „belustigenden Einfall“ an, ohne zu ahnen, dass der von ihm so verehrte Newton bereits den Weg zur Eroberung des Weltraums mit Hilfe eines künstlichen Satelliten gewiesen hat. In einem mehr populär gehaltenen Werk „De Mundi Systemate“ beschreibt Newton ein Gedankenexperiment, das er auch durch eine eindrucksvolle Zeichnung illustriert: „Ein geworfener Stein wird, indem ihn seine Schwere antreibt, vom geradlinigen Wege abgebogen und fällt, indem er in der Luft eine krumme Linie beschreibt, zuletzt auf die Erde. Wird er mit größerer Geschwindigkeit geworfen, so geht er weiter fort und durch weitere Vergrößerungen derselben könnte es geschehen, dass er einen Bogen von 1, 2, 5, 10, 100, 1000 Meilen beschriebe, oder dass er endlich über die Grenzen der Erde hinausginge, und nicht mehr zurückfiele … Und in diesen Bahnen werden die Körper fortfahren, nach der Weise der Planeten die Himmel zu durchwandern“ (Newton 1872, S. 514 f.; Opuscula Bd.2, S. 6).
Nachdem Fontenelle genug Gründe angeführt hat, dass der Mond von irgendwelchen Geschöpfen aller Wahrscheinlichkeit nach bewohnt sein müsste, meldet er selbst auch schwerwiegende Zweifel an. Denn so ähnlich ist der Mond der Erde nicht. Im Unterschied zur Erde lassen sich auf der Oberfläche des Mondes keine Veränderungen feststellen, die auf eine Atmosphäre mit Wolken schließen lassen. Die dunklen Flecken sind unbeweglich und die helleren Gegenden sehen immer gleich aus. „Der Mond besteht daher wohl nur aus zusammengeschichteten Felsen und Marmorklippen, die keine Ausdünstungen haben; sonst sind solche da, wo Wasser anzutreffen ist, so natürlich und notwendig, dass es da kein Wasser geben kann, wo solche Ausdünstungen nicht stattfinden.“ Daher fragt Fontenelle mit Recht: „Was für Einwohner haben denn diese Felsen, worauf nichts wachsen kann, und diese Länder, die kein Wasser haben?“ (Fontenelle 1780, S. 138 f.). Doch ganz will Fontenelle die Vorstellung von den Mondbewohnern nicht aufgeben. Wenn offensichtlich keine Wolken am Mond festzustellen sind, muss das nicht bedeuten, dass alle Ausdünstungen völlig fehlen. Nur ziehen sich die sehr feinen Dünste des Mondes nie in Wolken zusammen und fallen auf ihn nicht als Regen herab, sondern werden zu Tau. Und das kann bereits genügen, dass die Mondbewohner ihren benötigten Unterhalt an Früchten, Getreide, Wasser und alles andere erhalten. Dass aber der Mond überhaupt von einer Lufthülle umgeben ist, das hält Fontenelle für mehr als wahrscheinlich. Nur ist diese Lufthülle von der der Erde völlig verschieden, sodass diese beiden verschiedenen Lufthüllen ein Hindernis für die Begegnung von Mond- und Erdbewohnern darstellen: „Wir finden die unsrige mit gröberen und dickeren Dünsten vermischt als des Mondes seine. Daher würde ein Mondbewohner, der an den äußeren Grenzen unserer Welt angelangt wäre, ersaufen, sobald er in unseren Luftkreis käme, und wir würden ihn tot zur Erde herabfallen sehen“ (Fontenelle 1780, S. 146). Noch weniger erfreulich ist allerdings die Vorstellung, dass die uns überlegenen Mondbewohner geschickt genug wären, „auf der äußeren Oberfläche unseres Dunstkreises zu schiffen und aus Neugierde uns zu sehen, uns wie Fische wegfingen“ (Fontenelle 1780, S. 146).
Wegen der reinen dünnen Luft des Mondes müssen seine Bewohner im Unterschied zu den Erdbewohnern auf die besondere Wohltat der Morgen- und Abenddämmerung verzichten: „Sie befinden sich in der tiefsten Finsternis; plötzlich scheint ein Vorhang aufzurollen, und der völlige Glanz der Sonne strahlt ihnen sogleich in die Augen; sie sind mit einem hellstrahlenden Licht umgeben, und im Augenblick sehen sie sich in die tiefste Finsternis versenkt“ (Fontenelle 1780, S. 155). Dies lässt sich auch, wie Bode in einer Anmerkung berichtet, durch Beobachtungen bestätigen. Hätten die Mondbewohner Dämmerungserscheinungen, dann würden sie im dunklen Teil der Mondoberfläche, gleich neben der Linie, wo die Sonne für die Mondbewohner nicht weit unter dem Horizont steht, einen von der Brechung und Zurückwerfung der Lichtstrahlen in der Mondatmosphäre verursachten, schwachen Lichtschimmer als den Vorboten oder Begleiter der auf- oder untergehenden Sonne bemerken. Doch dergleichen lässt sich eben nicht feststellen. Andererseits müssen die Mondbewohner auch keine Stürme mit Blitz und Donner befürchten. Ihre Tage sind beständig von der Sonne erhellt, die nie ihr Gesicht hinter Wolken verbirgt, und es gibt keine Nächte, wo man nicht alle Sterne sehen könnte. Da aber ein Tag auf dem Mond 14 Erdentage dauert, haben die Mondbewohner beständig eine brennende Sonne, deren Hitze durch keine Wolke gemildert ist, über ihren Häuptern. Um dieser Sonnenhitze zu entgehen, könnten aber die Mondbewohner sich in den tiefen Schächten und Gruben verbergen, die mit unseren Fernrohren erkennbar sind. Fontenelle meint sogar, dass sie sich in diesen Höhlen ganze unterirdische Städte bauen, die untereinander durch unterirdische Gänge verbunden sind. Diesen Einfall des Herrn von Fontenelle hält der sonst so kritische Kommentator Bode für „ganz artig“ und verweist auf Fernrohrbeobachtungen, die zeigen, dass nach „einigen dieser regelmäßig gebildeten Gruben, wie zu der großen Grube Tycho, verschiedene lichte Striemen, als so viele Wege, zugehen“ (Bode in Fontenelle 1780, S. 161).
Nachdem Fontenelle den Mond in Bezug auf seine Bewohnbarkeit genug in Augenschein genommen hat, wendet er sich der Venus zu: „Der Mond ist nach aller Wahrscheinlichkeit bewohnt, warum Venus nicht auch?“ (Fontenelle 1780, S. 170). Dieses „Warum nicht?“ hat für Fontenelle eine „allbevölkernde Kraft“. Denn diese Frage kann man bei allen Planeten stellen, wenn man nicht annimmt, dass die Erde als einzig bewohnter Planet unter allen anderen eine Ausnahme macht. Vor allem auch dann, wenn man nicht von vornherein annimmt, dass die Planetenbewohner uns Menschen völlig gleichen müssen: „Wir sind im ganzen Weltgebäude nur als eine kleine Familie zu betrachten, deren Gesichter sich einander ähneln, in einem anderen Planeten wohnt eine andere Familie, deren Gesichtsbildungen einen ganz anderen Schnitt haben“ (Fontenelle 1780, S. 178). Nach Fontenelles Auffassung nimmt wahrscheinlich der Unterschied mit dem weiteren Abstand zu und derjenige, der einen Bewohner des Mondes und einen der Erde beisammen sähe, würde bald finden, dass es Bewohner zweier benachbarterer Welten sein müssen, als die von der Erde und dem Saturn. So könnte uns ein sechster Sinn fehlen, wodurch wir noch manches jetzt uns ganz Unbekanntes erfahren würden. Dieser sechste Sinn ist wahrscheinlich in einer anderen Welt vorhanden, wohingegen einer von den fünf, die wir besitzen, fehlt. Vielleicht gibt es überhaupt eine große Anzahl von natürlichen Sinnen. Aber in der Aufteilung diese Sinne sind auf uns nur diese fünf gefallen, mit denen wir nur deshalb zufrieden sind, weil wir von den übrigen nichts wissen. Das Gleiche gilt für unsere Emotionen und Verhaltensweisen. Auf unserem Planeten gibt es die Liebe zwischen den Menschen, aber die Erde wird auch in vielen Gegenden durch die Wut des Krieges verwüstet. Auf anderen Planeten genießt man einen ewigen Frieden, aber weiß nichts von Liebe und fühlt die entsetzlichste Langeweile. Aber was die Gestalten der anderen Planetenbewohner anbelangt, muss man sie den Träumen überlassen (vgl. Fontenelle 1780, S. 180 f.).
Solche Träume über die Gestalten der Planetenbewohner fallen immer dann übel aus, wenn sie nur das darstellen, das dem ähnelt, was man hier bei uns auf der Erde sieht. So entschließt sich denn Fontenelle, ohne Kenntnisse über die Gestalten der Bewohner all dieser Planeten zu bleiben, und sich damit zu begnügen, so viel von ihren Verhaltensweisen wie möglich zu erraten. Das gilt auch von der Venus, von der Fontenelle noch glaubt, dass sie anderthalbmal größer als die Erde ist und von der er nicht weiß, in welcher Zeit sie sich um ihre Achse dreht, sodass ihm auch die Länge des Tages unbekannt ist. In der Ferne hat dieser funkelnde und hell leuchtende Planet zwar ein schönes Aussehen, in der Nähe ist er aber nach seiner Meinung „grundhässlich“, weil er aus einer Menge von sehr spitzen Bergen besteht, die viel höher als die auf der Erde sind. Doch das Klima ist für Liebesgefühle sehr günstig. Denn die Venus steht der Sonne näher als wir und empfängt von ihr ein helleres Licht und größere Wärme. Ihre Entfernung von der Sonne beträgt etwa zwei Drittel des Abstandes von der Sonne zur Erde. Man kann sich daher auch vorstellen, wie die Venusbewohner aussehen: „Ein schwarzes Völkchen, von der Sonne verbrannt, voll Geist und Feuer, immer verliebt, Verse machend, Freunde der Tonkunst, täglich Feste, Tänz’ und Turniere erfindend“ (Fontenelle 1780, S. 189).
Die Idee von den feurigen, liebestollen Venusbewohnern hat später der mit Rousseau befreundete Direktor des botanischen Gartens Bernardin de Saint-Pierre (1737 – 1814) wieder aufgegriffen. Dieser träumerische Abenteurer, der nicht nur ganz Europa, sondern auch Ostindien bereiste, lieferte in seinem postum erschienenen Werk „Harmonie de la nature“ (1815) eine fantasievolle Beschreibung der Landschaften der Venus und ihrer Bewohner: „Venus muss mit Inseln übersät sein, deren jede reich ist an Bergfelsen, welche wohl fünf- bis sechsmal höher sind, als der Pic von Teneriffa. Die von diesen Gipfeln sich ergießenden schimmernden Sturzbäche benetzen und erfrischen die grünen Ufer. Ihre Meere müssen das erhabenste und anmutigste Schauspiel gewähren … Man vergegenwärtige sich die von Kokospalmen beschatteten, mit Perlmuscheln und Bernstein bedeckten Ufer; … und man wird ein schwaches Bild von den Landschaften der Venus haben … Die Bewohner der Venus sind von einem dem unsern ähnlichen Wuchs. Da sie einen Planeten bewohnen, der der Erde an Größe gleich ist, aber in einer beglückteren Himmelsgegend wandelt, müssen sie ihre ganze Zeit der Liebe widmen. Die einen, auf den Bergen Herden weidend, führen ein Schäferleben; die anderen ergötzen sich an den Gestaden ihrer fruchtbaren Inseln durch Tanz, Festmahle und Gesänge oder kämpfen um Preise des Schwimmens wie die glücklichen Inselbewohner von Tahiti“ (Bernardin de Saint-Pierre 1815, zit. nach Flammarion; vgl. Abb. 5).
Weniger glücklich als die Venusbewohner sind nach Fontenelles Meinung die Bewohner des Merkurs. Im Vergleich zu uns sind sie der Sonne mehr als zweimal so nahe. Sie müssen vor allzu großer Lebhaftigkeit wahnsinnig sein. Fontenelle glaubt auch, „dass sie kein Gedächtnis haben, wie die meisten Neger, und dass sie nie etwas mit Überlegung tun“. Für ihn ist, kurz gesagt, der Merkur das „Narrenspital des Weltalls“ (Fontenelle 1780, S. 190 f.). Die Sonne sendet den Merkurbewohnern ein so starkes Licht zu, dass sie, wenn sie auf der Erde wären, unsere heitersten Tage nur für ganz schwache Dämmerstunden halten würden. Vielleicht könnten sie sogar nicht einmal die Gegenstände deutlich wahrnehmen. Bei ihnen ist die Hitze so unmäßig, dass sie hier bei uns mitten in Afrika erfrieren würden. Wahrscheinlich würden unser Eisen, Silber und Gold bei ihnen schmelzen, und man würde sie dort nur in flüssigem Zustand sehen, wie bei uns gewöhnlich das Wasser. Die Bewohner des Merkurs würden nicht ahnen, dass in einer anderen Welt jene metallischen Flüssigkeiten, aus denen vielleicht ihre Ströme bestehen, die allerhärtesten Körper sind, die man kennt. Ihr Jahr ist nur drei Monate lang. Die Länge des Tages ist Fontenelle noch unbekannt, weil der Merkur so klein und der Sonne so nahe ist, in deren Strahlen er fast immer verschwindet, dass die damaligen Astronomen noch nicht feststellen konnten, in welcher Zeit er sich um seine Achse dreht. „Dass dies aber in kurzer Zeit geschieht“, sagt Fontenelle, „ist für seine Einwohner höchst nötig; die, gebraten, wie sie wahrscheinlich sind, von einer über ihren Häuptern schwebenden Esse, die Nacht herbeiseufzen“ (Fontenelle 1780, S. 193).
Wenn Fontenelle im Vertrauen darauf, dass „die Natur nirgends lebendige Geschöpfe hinsetzen wird, wo sie nicht leben können“, noch annimmt, dass auch auf dem Merkur die dort lebenden Geschöpfe den dortigen mörderischen Verhältnissen angepasst sind, so lehnt er doch die Vorstellung von der Bewohnbarkeit der Sonne völlig ab. Dennoch bedauert er das, denn es gibt für ihn keinen anderen Ort im Weltall, an dem die Erforschung der Gestirne so leicht sein kann, und gerade dort lebt niemand. Andererseits würde aber auch auf der Sonne wegen des strahlenden Lichtes überhaupt keine Beobachtung möglich sein. Die Sonnenbewohner würden nicht das Geringste zu sehen vermögen, weil sie die Stärke des Lichtes nicht ertragen könnten: „Alles wohl überlegt, so könnte die Sonne bloß ein Aufenthalt von Blinden sein“ (Fontenelle 1780, S. 208).
Abb.5: Venusbewohner nach der Vorstellung von Bernardin de Saint-Pierre (aus Flammarion 1884)
Seltsamerweise will Fontenelle auch über die Bewohnbarkeit des Mars keine Angaben machen. Dieser Planet hat für ihn nichts Besonderes. Nach seiner Meinung verdient er es nicht, dass man sich länger bei ihm aufhält. Nur später kommt er auf ihn zurück, wenn er von den großen Veränderungen spricht, die auf seiner Oberfläche zu beobachten sind: „In wenig Zeit bedecken die Meere große Länder, und ziehen sich nachher durch eine ungleich heftigere Ebbe und Flut als die unsrige wieder zurück“ (Fontenelle 1780, S. 344). Da Fontenelle noch nichts von der Entdeckung der beiden Marsmonde wissen konnte, macht er sich Gedanken, auf welche Weise der Mars seine Nächte erleuchten könnte. Denn Fontenelle vertritt die Auffassung, dass die Natur die Aufteilung der Monde nicht dem blinden Zufall überlassen hat. Merkur und Venus brauchen keine Monde, da sie ohnehin zu viel Licht bekommen. Aber der Mars, der noch weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde, würde eine zusätzliche Lichtquelle benötigen. Fontenelle schlägt daher zwei „Hilfsquellen“ zur Beleuchtung seiner Nächte vor: „Vielleicht hat Mars sehr hohe Felsen, die natürliche Phosphore sind, und bei Tag einen Vorrat von Licht in sich aufnehmen, womit sie bei Nacht glänzen“ (Fontenelle 1780, S. 246). Der zweite Vorschlag klingt noch seltsamer. Fontenelle hatte gehört, dass es in Amerika gewisse Vögel gibt, die im Dunkeln derart leuchten, dass man dabei lesen kann. „Wer weiß“, sagt er, „ob nicht Mars einen Überfluss an dergleichen Vögeln hat, die sich mit Einbruch der Nacht überall verbreiten, und gleichsam einen neuen Tag hervorbringen“ (Fontenelle 1780, S. 246 f.). Doch seine Gesprächspartnerin, die Marquise, ist weder mit den Phosphorfelsen noch mit diesen leuchtenden Vögeln zufrieden und findet zu Recht, dass der Mars eine „verdrießliche Ausnahme“ macht. Während Fontenelle sich damit begnügt, dass man sich daran gewöhnen muss, dass es eben auch in den trefflichsten Systemen Ausnahmen gibt, hatte bereits Kepler nach der Entdeckung der Jupitermonde durch Galilei angenommen, dass der Mars von zwei Monden begleitet sein müsste (Kepler 1971, Vol. II, S. 491); eine Vorstellung die man auch bei Swift (1726) und Voltaire (1752) findet. Bode, der ebenfalls an die Existenz eines Marstrabanten glaubt, gibt als Grund dafür, warum man ihn durch Fernrohrbeobachtungen bisher nicht finden konnte, seine geringe Helligkeit an und die Tatsache, dass man nur alle zwei Jahre, wenn der Mars der Erde am nächsten steht, eine günstige Gelegenheit hat, ihn überhaupt zu finden (vgl. Bode in Fontenelle 1780, S. 246 f.). Bei einer solchen günstigen Opposition wurden dann im Jahre 1877 von den amerikanischen Astronomen A. Hall tatsächlich die beiden kleinen Marsmonde Phobos und Deimos („Furcht“ und „Schrecken“) entdeckt und damit die lang gesuchte Ordnung im Sonnensystem wiederhergestellt.
Die vier Monde des Jupiters waren dagegen Fontenelle seit ihrer Entdeckung durch Galilei bereits bekannt und er zögert auch nicht sie mit Bewohnern auszustatten. Doch glaubt er nicht, dass sie nur als Kolonien von Jupiter zu betrachten sind. Denn die „wenige Oberherrschaft, die wir über die Leute in unserem Mond haben“, lassen es ihm zweifelhaft erscheinen, „ob Jupiter mehr Gewalt über die seinigen habe“. Der einzige Vorzug Jupiters besteht vielmehr in der Furcht, die er den Bewohnern seiner Monde verursacht. Denn vom nächsten Mond aus sieht man den Jupiter 1600-mal größer als wir unseren Mond sehen. So schwebt seinen Bewohnern ein ungeheurer Planet über ihren Köpfen, der ihnen ständig die Sorge machen muss, dass er auf sie herunterfallen könne. Den Bewohnern des Jupiter dagegen bieten seine Monde den angenehmsten Anblick der Welt: „Bald gehen sie alle vier zugleich auf, und trennen sich nachher, bald erscheinen sie alle im Mittagkreise einer unter den anderen … bald gehen zwei unter, wenn andere zwei aufgehen“ (Fontenelle 1780, S. 226).
Noch besser mit Monden ist der Saturn ausgestattet. Schon zur Zeit Fontenelles hatte man bereits fünf davon entdeckt, die er aber auch sehr nötig hat. Denn er vollendet seinen Umlauf um die Sonne erst in 30 Jahren, sodass es Gegenden auf ihm gibt, wo die Nacht 15 Jahre dauert, ebenso wie es an den Polen der Erde, die in einem Jahr um die Sonne läuft, sechsmonatige Winternächte gibt. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Saturn eine ähnliche Achsenneigung wie die Erde hat, wodurch ja die Jahreszeiten hervorgerufen werden. Als Entschädigung für das schwache Licht der Sonne, die noch einmal so weit vom Saturn entfernt ist, wie sie es von Jupiter ist, hat jedoch Saturn eine einzigartige Beleuchtung durch seinen großen Ring, der ihn überall umgibt. Doch im Unterschied zu seinen Monden, die Fontenelle ebenso wie die Jupitermonde als bewohnt ansieht, zögert er, auch den Saturnring mit Bewohnern zu besetzen. Denn er scheint ihm doch ein „zu regelloser Ort“ zu sein. Wäre hingegen der Ring, wie der Astronom Cassini vermutet, nichts anderes als ein Kreis von lauter Monden, die unmittelbar aufeinander folgen und die gleiche Bewegung hätten, dann gäbe es viele kleine Welten im System des Saturn. Die Bewohner des Saturn und seiner Monde sind aber trotz der Beihilfe dieses Ringes übel dran. Denn die Sonne ist für sie nur ein kleiner, weißer und bleicher Stern, der nur sehr wenig Glanz und Wärme hat. Wenn man die Leute, die dort leben, „in die kältesten Länder unserer Erde versetzte, so würden große Schweißtropfen von ihnen herabrollen, ja sie würden sogar vor Hitze umkommen. Hätten sie Wasser auf ihren Planeten, so würd’ es für sie nicht Wasser, sondern ein polierter Stein sein“ (Fontenelle 1780, S. 251). Die an den äußersten Enden des Sonnensystems liegenden Planeten müssen in allen Dingen den Bewohnern der inneren Planeten entgegengesetzt sein. So sind die Bewohner des Saturns im Gegensatz zu den lebhaften und törichten Merkurbewohnern zwar nicht sehr weise, aber doch „aller Wahrscheinlichkeit nach herzlich phlegmatisch. Die Leute dort wissen nicht, was lachen heißt, und nehmen sich zur Beantwortung der einfachsten Frage, die man ihnen vorlegt, immer einen ganzen Tag lang Zeit“ (Fontenelle 1780, S. 253 f.).
Daher können wir uns glücklich preisen, dass unser Erdball wegen seiner Lage im Sonnensystem weder die Hitze des Merkurs und der Venus, noch die Kälte des Jupiters oder Saturns hat. Wenn daher ein antiker Philosoph der Natur dankte, dass sie ihn zum Menschen geschaffen, nicht zum Tier, zum Griechen und nicht zum Barbaren, so will ihr Fontenelle dafür danken, dass er sich auf dem am meisten gemäßigten Planeten des Weltgebäudes befindet und auf dem am meisten gemäßigten Ort dieses Planeten. Und zur Marquise gewandt fügt er galant hinzu, dass sie darüber hinaus der Natur noch danken müsse, das sie jung und nicht alt, jung und schön, nicht aber jung und hässlich; eine junge und schöne Französin, nicht aber eine junge und schöne Italienerin sei (Fontenelle 1780, S. 256).