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Das Mondgesicht: Plutarch
ОглавлениеDas bedeutendste Werk über die Erdähnlichkeit des Mondes und seine Bewohnbarkeit in der Antike stammt jedoch von dem Historiker und Philosophen Plutarch aus Chäronea (50 – 125 n. Chr.). Es trägt den Titel: „De facie in orbe lunae“ (Über das Mondgesicht). Darin muss Plutarch zunächst die Auffassungen von der materiellen Beschaffenheit des Mondes widerlegen, wie sie von den beiden großen philosophischen Schulen der Antike, der aristotelischen und der stoischen Schule, vertreten worden sind. Beide nahmen an, dass der glanzartige und feine Teil des Äthers den Weltraum bildet und der verdichtete und komprimierte Teil die Himmelskörper. Von diesen sei der Mond der trägste und trübste. Denn die bereits mit bloßem Auge beobachtbaren Unebenheiten, die man „Gesicht“ des Mondes nennt, beweisen, dass es eine Beeinflussung dieser reinen, von jeder Veränderung freien Substanz gibt. Eine solche Beeinflussung muss auf einer Beimischung irgendeiner anderen geringeren Substanz beruhen, wodurch die Äthersubstanz ihre Reinheit verliert. Darüber hinaus kann man die Trübheit des Glanzes, die Trägheit der Bewegung und die Kraftlosigkeit der Wärme des Mondes nur als Zeichen seiner Schwäche ansehen. Jedenfalls lässt sich für Plutarch beim Mond die Äthernatur nicht mehr aufrechterhalten. Wenn er wie die Erde ist, kann er aber trotzdem nach seiner Meinung ein „recht schönes, verehrungswürdiges und prächtiges Ding“ sein. Als Stern oder göttlicher, himmlischer Körper dagegen macht der Mond „eine hässliche, unziemliche Figur und tut seiner erhabenen Bezeichnung keine Ehre an. Denn unter den kreisenden Sternen des Weltraums bedarf er allein fremden Lichtes“ (Plutarch 1968, S. 36).
Plutarch kann sich in diesem Zusammenhang auf Parmenides berufen, der vom Mond sagt: „Immer hat er die Blicke gewendet zur strahlenden Sonne“, und auf Empedokles, der bereits erkannt hat, dass „das Mondlicht, das die Erde beleuchtet, durch eine Art Reflexion des Sonnenlichtes am Mond entsteht. Darum kommt es auch ohne die Wärme und Leuchtkraft zu uns“ (Plutarch 1968, S. 37 f.). Damit stimmt auch der Satz des Anaxagoras überein, dass die Sonne dem Mond seinen Glanz verleiht (Plutarch 1968, S. 36). Nun wird aber der Mond nicht nur selbst beleuchtet, sondern sendet auch einen Abglanz seines Lichtes zur Erde. Das aber bestärkt Plutarchs eigene Lehre von der Erdähnlichkeit der Substanz des Mondes: „Denn Reflexionen geschehen an keiner lockeren, feinen Substanz, und man kann sich nicht leicht vorstellen, dass Licht von Licht, Feuer von Feuer abprallte; jeder Körper, der Aufprall und Brechung bewirken soll, muss massig und dicht sein, damit ein Stoß gegen ihn und ein Zurückprallen von ihm geschehen kann … und wir sehen, dass der Mond nicht wie die Luft, sondern wie die Erde beleuchtet wird; daraus folgt, dass die zwei Dinge, auf die das Gleiche die gleiche Wirkung hat, auch ähnliche Substanz haben“ (Plutarch 1968, S. 47). Einen weiteren Beweis für die Erdartigkeit des Mondes sieht Plutarch in den Mondfinsternissen, die immer dann auftreten, wenn der Mond in den Schatten der Erde tritt. Wenn der Mond nach der Auffassung der Stoiker ein eigenes, wenn auch schwaches, kraftloses Feuer hätte, müsste er im Schatten der Erde sichtbar sein: „In Wirklichkeit aber wird er verfinstert und verliert sein Licht; er bekommt es wieder, wenn er aus dem Schatten auftaucht. Ja er ist sogar am Tage sichtbar und zeigt so, dass er alles andere ist als ein feuriger, gestirnartiger Körper“ (Plutarch 1968, S. 47).
Nach Plutarch ist auch anzunehmen, dass der Mond nicht eine einförmige Oberfläche wie das Meer hat, sondern dass seine Beschaffenheit am ehesten der Erde gleicht. Bei dieser Vorstellung, so versichert Plutarch, verliert der Mond nichts von seiner Würde und Göttlichkeit. Er kann vielmehr als eine himmlische und heilige Erde betrachtet werden: „Denn es ist nicht unmöglich oder absurd anzunehmen, dass der Mond, da er nichts Fauliges, Sumpfiges an sich hat, sondern reines Himmelslicht genießt und von einer Wärme erfüllt ist, die nicht von hitzigem, wildem Feuer rührt, sondern von feuchtem, unschädlichem, naturgemäßem, dementsprechend herrliche Landschaften besitzt: Gebirge, die wie Flammen leuchten, und purpurne Landstriche, dazu Gold und Silber, das nicht zerstreut in der Tiefe liegt, sondern in den Ebenen in Fülle zutage tritt oder auf sanften Anhöhen erstrahlt“ (Plutarch 1968, S. 50). Und was jene Unebenheiten, jenes „Gesicht“ betrifft, das auf ihm sichtbar ist, so behauptet Plutarch, dass, „wie die Erde große Höhlungen hat, so auch der Mond von großen Vertiefungen und Klüften zerrissen ist, die Wasser oder finstere Luft enthalten, Schluchten, die das Sonnenlicht nicht durchdringt und nicht einmal berührt“ (Plutarch 1968, S. 51).