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Die Weltwirtschaftskrise bestärkte Intellektuelle, Aktivisten und Normalbürger in dem Glauben, daß irgendwas völlig schieflief mit der Welt, in der sie lebten. Wer wußte, was dagegen unternommen werden konnte? Sicher nur wenige von jenen, die in ihren Staaten die Autorität verkörperten. Und auch sicher nicht die, die versuchten, den Kurs mit den ganz und gar unzuverlässigen Seekarten aus dem 19. Jahrhundert zu steuern, und die dazu auch noch die traditionellen Navigationsinstrumente des säkularen Liberalismus oder der alten Glaubenstraditionen benutzten. Wie war den Ökonomen zu trauen (auch wenn sie ansonsten brillant gewesen sein mögen), die mit großer Eindringlichkeit darlegten, daß die Krise, die sie ja selbst durchlebten, in einer angemessen geführten freien Marktwirtschaft gar nicht auftreten könne, da es (laut einem Wirtschaftsgesetz, das nach einem Franzosen des frühen 19. Jahrhunderts benannt war) keine Überproduktion geben könne, die sich nicht sehr bald schon von selbst korrigieren würde? 1933 fiel es sicher auch nicht leicht zu glauben, daß in einer Depression, in der die Konsumnachfrage und daher auch der Konsum zurückgehen, die Zinssätze automatisch in genau dem Maße fallen würden, das notwendig ist, um Investitionen anzukurbeln, so daß die steigende Investitionsnachfrage schließlich genau jene Lücke füllen würde, die von der geringeren Konsumnachfrage hinterlassen wurde. Und als die Arbeitslosigkeit immer weiter um sich griff, schien auch die Meinung des britischen Schatzamtes wenig glaubhaft, daß öffentliche Arbeit die Beschäftigung niemals anwachsen ließ, weil die Ausgaben dafür hauptsächlich vom privaten Sektor abgezogen werden müßten, welcher anderenfalls Beschäftigung im gleichen Maße hervorgebracht hätte. Ökonomen, die schlicht dazu rieten, die Wirtschaft sich selbst zu überlassen, und Regierungen, deren erster Instinkt darauf ausging – abgesehen davon, den Goldstandard durch Deflationspolitik zu schützen –, an einer orthodoxen Finanzpolitik festzuhalten, das Budget auszugleichen und Kosten zu senken, konnten die Lage auch nicht verbessern. Im Gegenteil, im Verlauf der Depression wurde mit zunehmender Vehemenz argumentiert – nicht zuletzt von J. M. Keynes, der daher bald schon zum einflußreichsten Ökonomen der nächsten vierzig Jahre werden sollte –, daß sie die Depression damit nur noch verschlimmerten. Denjenigen von uns, die die Jahre der Weltwirtschaftskrise miterlebt haben, fällt es noch immer ungeheuer schwer zu verstehen, wieso die Orthodoxien der reinen freien Marktwirtschaft, die doch damals so offenkundig in Mißkredit geraten waren, in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren wieder einmal über eine weltweite Periode der Depression herrschen konnten, obwohl sie auch diesmal nicht in der Lage waren, eine solche Depression zu verstehen oder in den Griff zu kriegen. Dieses merkwürdige Phänomen sollte uns an einen der wichtigsten Charakterzüge der Geschichte gemahnen, den es exemplifiziert: an das unglaublich kurze Gedächtnis der Wirtschaftstheoretiker und -praktiker. Es zeigt uns auch, wie dringend eine Gesellschaft Historiker braucht, die professionell an das erinnern, was ihre Mitbürger zu vergessen wünschen.

Was bedeutete übrigens damals schon eine »freie Marktwirtschaft« in einer immer mehr von riesigen Unternehmen dominierten Volkswirtschaft, auf die der Begriff des »vollkommen freien Wettbewerbs«33 nicht zutrifft? Sogar Kritiker von Karl Marx gaben zu, daß sich seine Vorhersagen, mindestens in bezug auf die wachsende Konzentration des Kapitals, als zutreffend erwiesen hätten.34 Man brauchte kein Marxist zu sein oder besonderes Interesse an Marx zu haben, um feststellen zu können, wie stark sich der Kapitalismus des freien Wettbewerbs in der Zwischenkriegszeit von der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts unterschied. Schon lange vor dem Börsenkrach an der Wall Street hatte ein gescheiter Schweizer Bankier festgestellt, daß die Unfähigkeit des ökonomischen Liberalismus (und, so fügte er hinzu, auch des Sozialismus aus der Zeit vor 1917), sich selbst als universelles Programm am Leben zu erhalten, die Erklärung für den Hang zu »autokratischen Wirtschaftsformen« lieferte – also für faschistische, kommunistische oder solche, die der Herrschaft von großen und von Aktionären unabhängigen Unternehmen unterworfen sind.35 Am Ende der dreißiger Jahre waren die liberalen Orthodoxien des freien Marktwettbewerbs so weit abgeschlagen, daß selbst maßgebliche Fürsprecher des amerikanischen Kapitalismus die Weltwirtschaft als ein dreigefächertes System darstellten, welches aus einem marktwirtschaftlichen Sektor, einem zwischenstaatlichen Sektor (in dem Planwirtschaften oder gelenkte Wirtschaften, wie Japan, die Türkei, Deutschland und die Sowjetunion, ihre Transaktionen miteinander abwickeln) und einem Sektor für staatliche oder teilstaatliche Behörden bestehe, die bestimmte Teile der Wirtschaft regeln (beispielsweise durch internationale Handelsabkommen).36

Es kann also nicht weiter überraschen, daß sich die Weltwirtschaftskrise unmittelbar und dramatisch auf die Politik und das Denken der Gesellschaft ausgewirkt hat. Die Regierungen, die während des Kataklysmus zufällig gerade im Amt waren, wie Herbert Hoovers Administration in den USA (1928–32) auf der Rechten, oder auf der Linken die britische Labour-Regierung (1929–31), konnten einem leid tun. Der Umbruch kam zwar nicht überall so plötzlich wie in Lateinamerika, wo zwischen 1930 und 1931 in zwölf Staaten ein Regierungs- oder Regimewechsel stattfand, zehn davon durch einen Militärputsch. Doch bis Mitte der dreißiger Jahre gab es nur noch wenige Staaten, deren Politik sich nicht völlig von der, die vor dem Crash bestanden hatte, unterschieden hätte. In Europa und Japan gab es einen harten Rechtsruck – mit der Ausnahme von Schweden, das 1932 sein halbes Jahrhundert sozialdemokratischer Regierungszeit begann, und von Spanien, wo die Bourbonenmonarchie 1931 einer unglücklichen und, wie sich herausstellen sollte, auch kurzlebigen Republik Platz machte. Mehr dazu im nächsten Kapitel; doch hier sollte erwähnt werden, daß der beinahe gleichzeitig stattfindende Sieg von nationalistischen, kriegslüsternen und handgreiflich aggressiven Regimen in zwei militärischen Großmächten-Japan (1931) und Deutschland (1933) – die weitreichendsten und dunkelsten politischen Folgen der Großen Depression manifestierte. Das Tor zum Zweiten Weltkrieg wurde 1931 aufgestoßen.

Das Erstarken der radikalen Rechten wurde von den spektakulären Rückschlägen für die revolutionäre Linke während der schlimmsten Periode der Krise noch gefördert. Im Gegensatz zu dem, was die Kommunistische Internationale erwartet hatte, war diese weit davon entfernt, eine neue Runde für die soziale Revolution einzuläuten; und die internationale kommunistische Bewegung außerhalb der Sowjetunion war durch die Depression in einen Zustand nie gekannter Schwäche zurückgeworfen worden. In gewissem Maße, das muß man zugeben, war dies der selbstmörderischen Politik der Komintern zu verdanken, die nicht nur den Nationalsozialismus in Deutschland gröblich unterschätzt hatte, sondern darüber hinaus eine Politik der sektiererischen Isolation betrieb – was rückblickend betrachtet ziemlich unverständlich erscheint –, indem sie entschied, daß ihr eigentlicher Feind die als »sozialfaschistisch« bezeichneten sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen und Arbeiterparteien seien.37 1934 war nur noch wenig von einer – legalen oder illegalen – einflußreichen, wohlorganisierten, internationalen revolutionären Bewegung übrig: Hitler hatte die deutsche KPD zerstört, auf der einst Moskaus Hoffnung auf die Weltrevolution ruhte und die 1933 noch die bei weitem größte, mächtigste und offenbar auch noch immer stärker werdende Sektion in der Internationale bildete. Und sogar die chinesischen Kommunisten waren seit ihrer Vertreibung aus ihren ländlichen Guerillastützpunkten nur mehr eine gehetzte Karawane auf ihrem Langen Marsch in einen weit abgelegenen und sicheren Zufluchtsort.38 1934 war Frankreich das einzige Land in Europa, in dem die Kommunistische Partei politisch noch eine genuine Rolle spielte. Im faschistischen Italien konnte sich Mussolini, zehn Jahre nach dem »Marsch auf Rom« und auf dem Höhepunkt der internationalen Krise, so sicher fühlen, daß er sogar inhaftierte Kommunisten freiließ, um dieses »Jubiläum« zu feiern.39 All das sollte sich zwar innerhalb weniger Jahre ändern (siehe Fünftes Kapitel), doch es steht fest, daß das unmittelbare Resultat der Krise jedenfalls in Europa zum exakten Gegenteil dessen geraten war, was die Sozialrevolutionäre erwartet hatten.

Aber nicht nur der kommunistische Sektor verschwand. Mit Hitlers Sieg verschwand auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands von der Bildfläche, und ein Jahr später, nach kurzem bewaffnetem Widerstand, auch die Sozialdemokratie in Österreich. Die britische Labour Party war bereits 1931 der Weltwirtschaftskrise zum Opfer gefallen, oder vielmehr ihrem Glauben an die ökonomische Orthodoxie des 19. Jahrhunderts; und ihre Gewerkschaftsbewegung, die seit 1920 bereits die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hatte, war schwächer, als sie es 1913 gewesen war. Die meisten europäischen Sozialisten standen mit dem Rücken zur Wand.

Außerhalb von Europa bot sich ein ganz anderes Bild. Nordamerika bewegte sich ziemlich deutlich nach links. Die USA experimentierten unter ihrem neuen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1933–1945) mit dem relativ radikalen New Deal; Mexiko versuchte unter seinem Präsidenten Lázaro Cárdenas (1934–40) die Dynamik der frühen mexikanischen Revolution wiederzubeleben, vor allem in Sachen Agrarreform; und in den krisengeschüttelten Prärien von Kanada formierten sich recht mächtige sozialpolitische Bewegungen: Social Credit und die Cooperative Commonwealth Federation (die heutige New Democratic Party), die nach den Kriterien der dreißiger Jahre beide links waren.

Den politischen Einfluß der Krise auf Lateinamerika zu beschreiben ist weniger einfach. Obwohl dort alle Regierungen und herrschenden Regime wie Dominosteine kippten (nachdem der Zusammenbruch des Weltmarktpreises für ihre wichtigsten Exportgüter ihre Finanzen ruiniert hatte), fielen sie bei weitem nicht alle in die gleiche Richtung. Allerdings neigten sie sich zuerst einmal mehr zur linken als zur rechten Seite. Argentinien trat nach einer langen Periode mit zivilen Regierungen in eine Ära der Militärherrschaft ein, und das Land wandte sich – obwohl faschistisch gesinnte Führer wie General Uriburu (1930–32) bald schon abgedrängt wurde – eindeutig den Traditionen der Rechten zu. Chile hingegen nutzte die Krise, um Carlos Ibáñez zu stürzen (1927–31), einen der wenigen aus dem Militär hervorgegangenen diktatorischen Präsidenten, die es vor der Ära von General Pinochet in diesem Staat gegeben hat, und stürmte nach links; 1932 erlebte das Land für kurze Zeit eine »Sozialistische Republik« unter einem Obersten mit dem prächtigen Namen Marmaduke Grove und begründete eine erfolgreiche Volksfront nach europäischem Muster (siehe Fünftes Kapitel). In Brasilien setzte die Krise der oligarchischen »alten Republik« von 1889–1930 ein Ende und brachte Getúlio Vargas an die Macht, den man bestenfalls als Nationalpopulisten beschreiben kann (siehe Seite 175). Er sollte die Geschichte seines Landes in den folgenden zwanzig Jahren bestimmen. Der Umbruch in Peru vollzog sich sehr viel entschiedener zugunsten der Linken, obwohl es der APRA (Revolutionäre Amerikanische Volksallianz) – der einflußreichsten unter den neuen Parteien und einer der wenigen erfolgreichen Massenparteien der Arbeiterklasse nach europäischem Muster in der westlichen Hemisphäre40 – nicht gelang, ihre revolutionären Ambitionen (1930–32) zu verwirklichen. Noch deutlicher war der Ruck nach links in Kolumbien. Die Liberalen übernahmen unter einem reformwilligen Präsidenten, der stark von Roosevelts New Deal beeinflußt war, nach beinahe dreißig Jahren konservativer Regierung das Ruder. Aber am deutlichsten war der radikale Wechsel im nordamerikanischen Inselprotektorat Kuba, wo es dem Volk nach Roosevelts Amtseinführung möglich geworden war, einen verhaßten und selbst nach damals herrschenden kubanischen Kriterien ungewöhnlich korrupten Präsidenten zu stürzen.

Im riesigen Areal der kolonialisierten Welt führte die Krise zu einer merklichen Zunahme der antiimperialistischen Aktivität, was zum Teil daran lag, daß die Rohstoffpreise gefallen waren, von denen Kolonialwirtschaften (zumindest deren öffentliche Finanzen und Mittelklassen) abhängig waren, und zum Teil daran, daß die Mutterländer eiligst Schutzvorkehrungen für ihre Landwirtschaft und ihren Arbeitsmarkt trafen, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen, die das auf die Kolonien haben konnte. Europäische Staaten, die ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von innenpolitischen Faktoren abhängig machten, konnten auf lange Sicht keine Imperien mit unendlich komplexen Produktionsinteressen zusammenhalten41 (siehe dazu Siebentes Kapitel).

Deshalb markierte die Weltwirtschaftskrise im größten Teil der kolonialisierten Welt den eigentlichen Beginn der politischen und sozialen Unruhen im Innern, die sich selbst dort gegen die (Kolonial-) Regierungen richteten, wo nationalistisch ausgerichtete politische Bewegungen erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auftauchen sollten. Soziale Unruhen herrschten in (Britisch-)Westafrika wie in der Karibik. Sie entstanden als unmittelbare Folge der Krise, in die der Export regionaler Produkte geraten war (Kakao und Zucker). Und auch in Ländern, in denen sich bereits eine antikolonialistische nationale Bewegung entwickelt hatte (und vor allem dort, wo die Massen politisch agitiert wurden), brachten die Depressionsjahre eine Verschärfung des Konflikts. Zur gleichen Zeit konnte sich die Muslimbruderschaft in Ägypten etablieren (1928 gegründet), und die indischen Massen konnten von Gandhi ein weiteres Mal mobilisiert werden (1931) (siehe Siebentes Kapitel). Vielleicht muß man sogar den Sieg der republikanischen Ultras unter de Valera bei den irischen Wahlen von 1932 als eine verspätete antikolonialistische Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise ansehen.

Wahrscheinlich wird die Globalität der Weltwirtschaftskrise und die besondere Energie ihrer Auswirkungen am besten mit einem Überblick über die effektiv weltweiten politischen Unruhen deutlich, die sich innerhalb von nur Monaten oder wenigen Jahren aus dieser Krise ergaben – von Japan bis Irland, von Schweden bis Neuseeland, von Argentinien bis Ägypten. Doch der Grad ihrer Auswirkungen sollte nicht nur, oder hauptsächlich, an den kurzfristigen politischen Effekten gemessen werden, so dramatisch diese auch oft waren. Es war eine Katastrophe, die alle Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der Wirtschaft und der Gesellschaft des »Langen 19. Jahrhunderts« zunichte machte. In der Zeit von 1929–33 hatte sich eine tiefe Schlucht aufgetan, die eine Rückkehr ins Jahr 1913 nicht nur unmöglich, sondern schlechterdings undenkbar machte. Der altmodische Liberalismus war tot oder schien dem Untergang geweiht, und nur noch drei Optionen wetteiferten um die intellektuelle und politische Vorherrschaft. Marxistischer Kommunismus hieß die eine. Immerhin schienen sich die Vorhersagen von Marx nun in der Tat zu bestätigen, wie sogar der American Economic Association 1938 mitgeteilt wurde.42 Und die Sowjetunion, was noch viel beeindruckender war, schien gegen die Katastrophen der Weltwirtschaftskrise immun zu sein. Die zweite Option hieß: ein Kapitalismus, der nicht mehr an dem Glauben klebte, daß die freie Marktwirtschaft das einzig Wahre sei, und der durch eine Art heimlicher Vermählung oder ständiger Lebensbeziehung mit der moderaten Sozialdemokratie der nichtkommunistischen Arbeiterbewegung reformiert werden würde; nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sich diese Version in der Tat als die wirkungsvollste erweisen. Doch in ihren ersten Ansätzen war diese Ehe weniger als bewußtes Programm oder als alternative Politik entstanden, sondern aus dem Gefühl, daß man, sobald die Weltwirtschaftskrise erst einmal überwunden wäre, niemals wieder eine neue zulassen dürfe. Aber vielleicht war sie auch von einer gewissen Experimentierfreudigkeit geprägt, die durch das offensichtliche Versagen des klassischen Liberalismus der freien Marktwirtschaft stimuliert worden war. So war beispielsweise die Politik der schwedischen Sozialdemokratie nach 1932 eine bewußte Reaktion – jedenfalls nach Meinung von Gunnar Myrdal, einem ihrer führenden Architekten – auf die Mißerfolge jener ökonomischen Orthodoxie, von der die unglückselige britische Labour-Regierung in den Jahren 1929–31 geprägt war. Eine Alternative zur Theorie der mittlerweile bankrotten freien Marktwirtschaft wurde gerade erst entwickelt. J. M. Keynes’ Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zins und des Geldes, die der einflußreichste Beitrag zu dieser Alternative werden sollte, wurde erst 1936 veröffentlicht. Und eine alternative Regierungspraxis, nämlich die auf der Berechnung des Nationaleinkommens basierende und makroökonomisch orientierte Lenkung einer Wirtschaft, entwickelte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg – obgleich Regierungen und andere staatliche Körperschaften schon seit den dreißiger Jahren (möglicherweise auch mit einem Auge auf die Sowjetunion) immer mehr dazu übergegangen waren, die Volkswirtschaft als Ganzes zu sehen und die Höhe ihrer Gesamtproduktion oder ihrer Gesamteinnahmen zu schätzen.43

Die dritte Option hieß Faschismus, den die Weltwirtschaftskrise zu einer Weltbewegung, ja zu einer Weltgefahr werden ließ. Die deutsche Version des Faschismus profitierte nicht nur von der Tradition der deutschen Intellektuellen, die (anders als die Österreicher) den neoklassischen Theorien des ökonomischen Liberalismus, die seit den 1880er Jahren zur internationalen Orthodoxie geworden waren, ablehnend gegenüberstanden; sondern auch von einer skrupellosen Regierung, die die Arbeitslosigkeit loswerden wollte, koste es, was es wolle. Sie war, das muß gesagt werden, schneller und erfolgreicher in der Lage, mit der Weltwirtschaftskrise fertig zu werden, als irgendeine andere Regierung. (Der Erfolg des italienischen Faschismus war da weniger eindrucksvoll.) Doch das war nicht die eigentliche Anziehungskraft des Faschismus in einem Europa, das so weitgehend orientierungslos geworden war. Als die faschistische Welle während der Weltwirtschaftskrise immer mehr anschwoll, wurde auch immer deutlicher, daß nicht nur Friede, soziale Stabilität und die Wirtschaft in diesem Zeitalter der Katastrophe zurückwichen oder kollabierten, sondern auch die politischen Institutionen und intellektuellen Werte der liberalen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Diesem Prozeß werden wir uns nun zuwenden.

Das Zeitalter der Extreme

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