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Hätte der Faschismus großen Einfluß auf die Weltgeschichte gehabt, wenn es die Weltwirtschaftskrise nicht gegeben hätte? Wahrscheinlich nicht. Italien allein war keine vielversprechende Basis für eine Erschütterung der Welt. Und in den zwanziger Jahren sah es nicht so aus, als gäbe es noch eine andere radikale, konterrevolutionäre und zukunftsweisende Bewegung in Europa. Die Gründe dafür waren mehr oder weniger dieselben, die auch die Versuche der Kommunisten scheitern ließen, eine soziale Revolution in Gang zu setzen: Die revolutionäre Welle der Zeit nach 1917 war verebbt, und die Wirtschaft schien sich zu erholen. In Deutschland hatten die gesellschaftlichen Stützen des Kaiserreichs – Generäle, Beamtenschaft usw. – nach der Novemberrevolution den ungebundenen paramilitärischen Gruppen oder anderen Abenteurern der Rechten zwar einiges an Unterstützung gewährt; doch ihre eigentlichen Bemühungen galten (verständlicherweise) solchen Aktivitäten, die die neue Republik konservativ und antirevolutionär prägen und vor allem in einer Lage halten sollten, die ihr internationalen Spielraum bewahren würde. Aber als diese Leute dann 1920 beim Rechtsputsch unter Kapp und 1923 beim Münchener Putsch (als sich Hitler zum erstenmal in den Schlagzeilen wiederfand) Farbe bekennen mußten, wählten sie, ohne zu zögern, den Status quo. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung seit 1924 und bei den Wahlen von 1928 sanken die Wählerstimmen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei auf kümmerliche 2,5–3 Prozent, d.h. nur halb soviel wie die kleine, zivilisierte Deutsche Demokratische Partei, ein Fünftel der kommunistischen und weit unter einem Zehntel der sozialdemokratischen Stimmen. Doch schon zwei Jahre später war ihr Stimmenanteil auf über 18 Prozent gestiegen und machte sie zur zweitstärksten Partei in der deutschen Politik. Vier Jahre später war sie mit über 37 Prozent Anteil an den Gesamtstimmen zur bei weitem stärksten Partei geworden. Es war offensichtlich die Weltwirtschaftskrise, die aus dem politischen Randphänomen Hitler den potentiellen und schließlich tatsächlichen Herrscher des Landes gemacht hatte.

Doch auch die Weltwirtschaftskrise hätte dem Faschismus an sich weder zur Macht noch zum Einfluß verholfen, die er in den dreißiger Jahren dann ganz eindeutig gewann, wenn sie nicht dazu beigetragen hätte, eine faschistische Bewegung gerade in Deutschland an die Macht zu bringen. Ein Staat von dieser Größe und mit diesem wirtschaftlichen und militärischen Potential und nicht zuletzt in dieser geographischen Lage mußte unter jedweder Regierungsform eine einflußreiche politische Rolle in Europa spielen. Die totalen Niederlagen in zwei Weltkriegen haben Deutschland schließlich auch nicht daran hindern können, das 20. Jahrhundert als der dominierende Staat dieses Kontinents zu beenden. Am linken Spektrum hatte der Sieg von Marx im größten Staat der Welt (»auf einem Sechstel der Landmasse dieser Erde«, wie die Kommunisten zwischen den Kriegen gerne stolz betonten) dem Kommunismus zu starker internationaler Präsenz verholfen – sogar dann noch, als er außerhalb der Sowjetunion nur noch eine geringe politische Rolle spielte; am rechten Spektrum schien Hitlers Eroberung von Deutschland den Erfolg von Mussolinis Italien zu bestätigen und den Faschismus in einen machtvollen weltpolitischen Trend zu verwandeln. Der Siegeszug einer aggressiven, militaristischen Expansionspolitik in diesen beiden Staaten (siehe Fünftes Kapitel), verstärkt noch durch Japan, hat die internationale Politik dieses Jahrzehnts geprägt. Es war daher nur natürlich, daß nacheifernde Staaten oder Bewegungen von diesem Faschismus angezogen und beeinflußt wurden und daß sie die Unterstützung von Deutschland und Italien suchen sollten und, eingedenk des Expansionismus dieser Länder, auch meistens bekamen.

In Europa gehörten derartige Bewegungen deutlich und in überwältigendem Ausmaß der Rechten an. In der zionistischen Bewegung (die zu dieser Zeit hauptsächlich von aschkenasischen, in Europa lebenden Juden getragen wurde) zählte sich der Flügel, der sich am italienischen Faschismus orientierte – Vladimir Jabotinskys »Revisionisten« –, eindeutig zur Rechten, im Gegensatz zu den (vorherrschenden) sozialistischen und liberalen zionistischen Tendenzen. Weil der Faschismus mit zwei dynamischen und höchst aktiven Mächten gleichgesetzt wurde, mußte er in den dreißiger Jahren auch in gewissem Maße weltweit an Einfluß gewinnen. Allerdings, die Bedingungen, die dem Faschismus auf dem Heimatkontinent zugute gekommen waren, haben außerhalb Europas kaum existiert. Deshalb ist die Analyse der politischen Standortbestimmung und der Funktionen von faschistischen oder eindeutig vom Faschismus beeinflußten Bewegungen außerhalb Europas, wenn sie überhaupt existiert haben, auch weitaus problematischer.

Natürlich fanden bestimmte Charaktermerkmale des europäischen Faschismus auch jenseits der europäischen Grenzen und in Übersee ein Echo. Es wäre ja auch überraschend gewesen, wenn Hitlers Antisemitismus bei dem Großmufti von Jerusalem und anderen Arabern, die gegen die jüdische Kolonisierung von Palästina kämpften (aber auch gegen die Briten, die sie schützten), kein Gefallen gefunden hätte, obwohl er sich von der im Islam traditionell geübten Koexistenz mit monotheistischen Ungläubigen der unterschiedlichsten Herkunft abhob. In Indien besaßen einige Hindus der höheren Kasten ein starkes Überlegenheitsbewußtsein gegenüber den dunkleren Rassen ihres Subkontinents, weil sie sich als ausgewiesene – und als die eigentlich ursprünglichen – »Arier« verstanden, ähnlich wie die modernen singhalesischen Extremisten in Sri Lanka. Und auch die militanten Buren hatten nicht nur als überzeugte Rassisten, sondern auch durch den theologischen Einfluß elitär gesinnter, ultrarechter Calvinisten aus den Niederlanden ideologische Affinitäten zu Hitler (wegen ihrer prodeutschen Einstellung sollten sie während des Zweiten Weltkriegs interniert und einige von ihnen nach 1948 zu politischen Führern des Apartheidregimes werden). Doch all das ist kaum dazu angetan, die Behauptung zu entkräften, daß der Faschismus, im Gegensatz zum Kommunismus, in Asien und Afrika nicht Fuß fassen konnte (außer vielleicht unter ein paar dort siedelnden Europäern), weil die örtlichen politischen Gegebenheiten völlig anders waren.

Das gilt sogar weitgehend für Japan, obwohl dieses Land mit Deutschland und Italien verbündet war, obwohl es im Zweiten Weltkrieg auf der faschistischen Seite kämpfte und obwohl seine Politik von der Rechten beherrscht war. Die vorherrschenden Ideologien am östlichen und am westlichen Ende der »Achse« wiesen in der Tat starke Affinitäten auf. Nicht nur in ihrer tiefen Überzeugung von rassischer Überlegenheit waren die Japaner unübertroffen, auch in ihrem Glauben an die Notwendigkeit der Rassenreinheit oder an die militärische Tugend des Selbstopfers, in ihrem absoluten Befehlsgehorsam und ihrer Fähigkeit zur Selbstverleugnung und zum Stoizismus. Jeder Samurai hätte den Wahlspruch von Hitlers SS unterschrieben: »Meine Ehre ist Treue.« Japaner gehörten einer rigide hierarchisch strukturierten Gesellschaft an, in der sich das Individuum (wenn dieser Begriff dort überhaupt von irgendeiner Bedeutung im westlichen Sinne war) vollständig der Nation und ihrem göttlichen Kaiser verschrieben hatte und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entschieden zurückwies. Japaner hatten keine Schwierigkeiten, die Wagnerianischen Mythen von barbarischen Göttern, reinen und heroischen mittelalterlichen Rittern und die mit »völkischen«, deutschen Träumen gefüllte Natur der Berge und Wälder zu verstehen. Auch sie hatten ebendiese Begabung, Barbarei mit erlesener ästhetischer Sensibilität zu verbinden: die Vorliebe der Folterknechte in den Konzentrationslagern für die Quartette von Schubert. Wenn der Faschismus in das Idiom des Zen hätte übertragen werden können, so hätten ihn die Japaner wohl willkommen geheißen, auch wenn sie gar kein Bedürfnis nach ihm hatten. Und tatsächlich: Es gab ja auch genügend Japaner sowohl unter den Diplomaten, die bei den faschistischen Mächten in Europa akkreditiert waren, vor allem aber unter den ultranationalistischen Terrorgruppen, die sich der Ermordung von Politikern ohne hinreichenden Patriotismus verschrieben hatten, und in der Kwantung-Armee, die die Mandschurei und China erobert, besetzt und versklavt hatte, die diese Affinitäten erkannt und sich für einen engeren Zusammenschluß mit den faschistischen Mächten Europas eingesetzt hatten.

Doch der europäische Faschismus konnte nicht auf einen asiatischen Feudalismus mit imperialistisch-nationalistischer Mission reduziert werden. Er gehörte seiner Natur nach dem Zeitalter der Demokratie und des gemeinen Mannes an; allein das Konzept einer Massen-»Bewegung« für neuartige und in der Tat revolutionäre Ziele, die von selbsternannten Führern gesetzt wurden, konnte in Hirohitos Japan keinen Sinn ergeben. Dem japanischen Weltbild entsprach eher die preußische Armee und Tradition als Hitler. Kurzum, trotz aller Ähnlichkeiten mit dem deutschen Nationalsozialismus (die Affinitäten zu Italien waren weit geringfügiger) war Japan nicht faschistisch.

Die Staaten und Bewegungen, die sich vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkriegs um Unterstützung an Deutschland und Italien wandten, als es so aussah, als würden die Achsenmächte gewinnen, taten dies nicht hauptsächlich aus ideologischen Motiven; obwohl sich einige der kleineren nationalistischen Regime in Europa, deren Lage vollständig von deutscher Hilfe abhängig war, bereitwillig als noch leidenschaftlichere Nazis anbiederten, als die SS es war – vor allem der kroatische Ustascha-Staat. Aber es wäre absurd, wollte man die Irisch-Republikanische Armee oder die in Berlin agierenden indischen Nationalisten nur deshalb als faschistisch bezeichnen, weil sie im Zweiten wie im Ersten Weltkrieg um deutsche Unterstützung verhandelt hatten, nach dem Prinzip: »Der Feind meines Feindes ist mein Freund.« Der irisch-republikanische Führer Frank Ryan, der solche Verhandlungen führte, war sogar so antifaschistisch eingestellt, daß er im Spanischen Bürgerkrieg in den Internationalen Brigaden gegen General Franco gekämpft hatte. Er wurde von Francos Truppen gefangengenommen und an Deutschland ausgeliefert. Solche Beispiele sollten uns nicht in die Irre führen.

Auf einem Kontinent war der ideologische Einfluß des europäischen Faschismus aber unbestreitbar: in Amerika.

In Nordamerika hatten von Europa inspirierte Menschen und Bewegungen keine große Bedeutung, außer in Gemeinschaften der Immigranten, deren Mitglieder die Ideologien des alten Kontinents – wie beispielsweise Skandinavier und Juden ihren Hang zum Sozialismus – zumeist mitgebracht oder eine gewisse Loyalität gegenüber ihrem Heimatland bewahrt hatten. So konnten die Gefühle der Deutschamerikaner (in geringerem Maße auch die der Italoamerikaner) zwar zum Isolationismus der USA beitragen, aber es gibt keinen Hinweis darauf, daß Mitglieder dieser Gemeinschaften auch in großer Zahl zu Faschisten geworden wären. Die Utensilien von Bürgerwehren und einfarbige Hemden oder zum Führergruß erhobene Arme gehörten nicht zum Bild der einheimischen Rechten und Rassisten, unter denen der Ku-Klux-Klan am bekanntesten war. Antisemitismus war zwar gewiß stark verbreitet, doch seine zeitgenössischen rechten Versionen – beispielsweise die populären Radiopredigten von Father Coughlin – waren wohl eher dem rechtslastigen europäisch-katholischen Einfluß zu verdanken. Charakteristisch für die USA der dreißiger Jahre war, daß der erfolgreichste und wahrscheinlich gefährlichste demagogische Populismus dieses Jahrzehnts (Huey Longs politische Eroberung von Louisiana) einer nach amerikanischen Begriffen eindeutig radikalen linken Tradition entstammte. Er fällte die Demokratie im Namen der Demokratie und wandte sich weder an die Ressentiments des Kleinbürgertums noch an den antirevolutionären Selbsterhaltungstrieb der Reichen, sondern an den Egalitarismus der Armen. Er war auch nicht rassistisch. Keine Bewegung, deren Slogan hieß: »Every Man a King«, konnte zur faschistischen Tradition gehören.

Es war in Lateinamerika, wo der Einfluß des europäischen Faschismus offen zutage trat und den größten Erfolg hatte: bei einzelnen Politikern, wie dem Kolumbianer Jorge Eliezer Gaitán (1898–1948) und dem Argentinier Juan Domingo Perón (1895–1974), aber auch bei Regimen wie Getúlio Vargas’ Estado Novo (Neuer Staat), der 1937–45 in Brasilien bestand. Obwohl dieser Einfluß auf Lateinamerika hauptsächlich innenpolitische Auswirkungen hatte, tauchten in den USA massive, aber völlig grundlose Ängste vor einer Umzingelung durch die Nazis von Süden her auf. Denn abgesehen von Argentinien, das die Achsenmächte offen favorisierte (allerdings auch schon vor Peróns Machtübernahme im Jahr 1943, wie auch später wieder), sind die Regierungen der westlichen Hemisphäre dem Krieg zumindest nominell an der Seite der USA beigetreten. Aber richtig ist auch, daß das Militär in einigen südamerikanischen Staaten nach deutschem Muster entwickelt und von Deutschen oder sogar von Nazis ausgebildet wurde.

Dieser faschistische Einfluß südlich des Rio Grande ist leicht zu erklären. Aus Sicht des Südens hatten die USA nach 1914 nicht mehr den Anschein erweckt, als seien sie ein Verbündeter der einheimischen Fortschrittskräfte oder das diplomatische Gegengewicht zu den imperialen oder ehemals imperialen Spaniern, Franzosen und Briten, wie es noch im 19. Jahrhundert durchaus der Fall gewesen war. Die Gebietseroberungen der USA von den Spaniern im Jahr 1898, die mexikanische Revolution, ganz zu schweigen vom Aufstieg der Öl- und Bananenindustrien, begründeten einen Anti-Yankee-Antiimperialismus in der lateinamerikanischen Politik, der von der offenkundigen Vorliebe Washingtons für Kanonenbootdiplomatie und Marines-Landungstruppen im ersten Drittel des Jahrhunderts nicht gerade entschärft werden konnte. Víctor Raúl Haya de la Torre, Gründer der antiimperialistischen APRA (Amerikanische Revolutionäre Volksallianz) mit panlateinamerikanischen Ambitionen (auch wenn sich die APRA schließlich nur in seinem Geburtsland Peru etablieren konnte), plante die Ausbildung seiner Rebellen durch die Kader des gefeierten Anti-Yankee-Guerilla Sandino in Nicaragua. (Sandinos langer Guerillakrieg gegen die Besatzung durch die USA nach 1927 sollte die »sandinistische« Revolution im Nicaragua der siebziger Jahre inspirieren.) Mehr noch: Die von der Weltwirtschaftskrise geschwächten USA der dreißiger Jahre wirkten bei weitem nicht mehr so mächtig und dominant wie zuvor. Und Franklin D. Roosevelts Entscheidung, die Kanonenbootdiplomatie und Marines-Politik seiner Vorgänger zu beenden, konnte nicht nur als »gutnachbarschaftliche Politik«, sondern (fälschlicherweise) ebenso als Zeichen der Schwäche verstanden werden. Das Lateinamerika der dreißiger Jahre verspürte keine Neigung dazu, nach Norden zu blicken.

Von jenseits des Atlantiks gesehen sah es aber zweifellos so aus, als würde der Faschismus zum großen Erfolg des Jahrzehnts werden. Wenn denn überhaupt irgendwas einem unternehmungslustigen Politiker und potentiellen Staatsführer auf dem Kontinent, der sich schon immer von den kulturell hegemonialen Regionen inspirieren ließ (und auf der Suche nach einem Rezept war, wie man modern, reich und groß werden konnte), als nachahmenswertes Beispiel dienen konnte, dann mit Sicherheit Berlin und Rom; denn London und Paris hatten versagt, und Washington hatte ausgedient (und Moskau wurde noch immer als Modell für die soziale Revolution gesehen, was seine politische Anziehungskraft stark einschränkte).

Doch wie verschieden von ihren europäischen Vorbildern waren dann schließlich die politischen Aktivitäten und Errungenschaften all der Männer, die aus ihrer intellektuellen Schuld gegenüber Mussolini und Hitler nie einen Hehl gemacht hatten! Der Autor erinnert sich an seinen Schock, als sogar der Präsident des revolutionären Bolivien, ohne zu zögern, in einem privaten Gespräch diese Schuld eingestand. Doch in Bolivien sollten dann genau die Soldaten und Politiker, die ein Auge auf Deutschland geworfen hatten, 1952 jene Revolution organisieren, die Zinnminen verstaatlicht und radikale Landreformen zugunsten der indianischen Landbevölkerung durchgesetzt hat. In Kolumbien hatte der große Volkstribun Jorge Eliezer Gaitán, weit entfernt davon, sich auf die politische Rechte zu schlagen, die Führung der Liberalen Partei übernommen und hätte sie als Präsident gewiß in eine radikale Richtung gelenkt, wenn er nicht am 9. April 1948 in Bogotá ermordet worden wäre. Diesem Attentat folgte auf dem Fuße ein Volksaufstand in der Hauptstadt (gemeinsam mit der Polizei) und in vielen Provinzstädten des Landes die Proklamation von Revolutionsgemeinden. Was lateinamerikanische Führer wirklich vom europäischen Faschismus übernahmen, das war die Vergötterung des populistischen Führers, der als starker Mann Reputation genoß. Aber die Massen, die diese Anführer mobilisieren wollten und tatsächlich auch mobilisierten, waren nicht diejenigen, die Angst davor hatten, etwas zu verlieren, sondern diejenigen, die einfach nichts zu verlieren hatten. Und die Feinde, gegen die sie diese Massen mobilisierten, waren nicht die Ausländer und Außenseiter (obwohl die antisemitischen Elemente in der peronisrischen und auch in der weiteren argentinischen Politik unbestreitbar sind), sondern »die Oligarchie«, also die Reichen und die jeweils regional herrschende Klasse. Perón erhielt die meiste Unterstützung aus der argentinischen Arbeiterklasse, und seine wichtigste politische Maschinerie war eine Art Arbeiterpartei, die aus der von ihm favorisierten Massengewerkschaftsbewegung hervorgegangen war. Auch Getúlio Vargas erging es in Brasilien nicht viel anders: Es war die Armee, die ihn 1945 stürzte und 1954 in den Selbstmord trieb; es war die Arbeiterklasse aus den Städten, die – im Gegenzug für ihre politische Unterstützung – seinen sozialen Schutz erhalten hatte und ihn schließlich als Vater des Volkes betrauern sollte. Die faschistischen Regime Europas haben die Arbeiterbewegungen zerstört; die lateinamerikanischen Führer, inspiriert von den europäischen Faschisten, haben die Arbeiterbewegungen gegründet. Welcher Art die intellektuelle Urheberschaft in historischer Sicht auch gewesen sein mag: Es kann nicht davon die Rede sein, daß es sich hier um ein und denselben Charakter einer politischen Bewegung gehandelt hat.

Das Zeitalter der Extreme

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