Читать книгу Es geschah aus Liebe - Ernst Meder - Страница 17
Оглавление»Frau Dr. Schmidt Reichenhall ich möchte mich zuerst für den kurzfristigen Termin bedanken aber wenn sie mich kurz erklären lassen dann werden sie verstehen welche Fragen sich für uns ergeben.« Ayla Aydin blickte zu der großen hageren Frau, deren graue Haare leicht zerzaust ihr langes Gesicht umrahmten.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit der zweiten Frau des englischen Thronfolgers ließ sich nicht bestreiten, auch wenn sie mit etwa fünfzig Jahren bestimmt jünger war. Sie muss früh ergraut sein, dachte sie, während ihr Blick wie zufällig auf die Hände fiel. Kein Ring, also entweder unverheiratet, geschieden, verwitwet oder nur eine Ringallergie.
»Das ist mein Kollege Sven Nagel, wir bearbeiten diesen Fall gemeinsam«, sagte sie bewusst, denn sie wollte, dass er als gleichberechtigter Partner wahrgenommen wurde.
Sie schmunzelte leicht, als sie auf die beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch wies. Sie empfand die Größenverhältnisse der beiden Beamten amüsant und konnte sich nicht erinnern, je zwei Kollegen gesehen zu haben, die so unterschiedlich waren.
Es war eine ihrer Angewohnheiten die Personen, die neu für sie waren, abzuschätzen und einzuordnen. Nach dem Ende eines Gesprächs unterzog sie ihre Einschätzung einer kritischen Prüfung. Ihre Fehlerquote war in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, trotzdem nahm sie diese Analysen nicht weniger ernst.
Sie war zwar klein, hatte aber etwas von einem Terrier an sich. Wenn sie sich in etwas Verbiss, dann ließ sie nicht mehr los, bis sie das Problem als erledigt ansah. Ihre Sprache und Ausdrucksweise ließ einen gewissen Bildungsstand vermuten.
Ihr Kollege wirkte etwas tapsig, aber das glaubte sie nicht. Hätte man sie nach ihrer Vermutung gefragt, dann hätte sie dieses tapsige Verhalten als absichtlich unterstellt dieser Mann war gefährlicher als der Anschein, den er erweckte.
»Dann lassen Sie mal hören mal sehen, ob ich Ihnen helfen kann.« Ihre Stimme klang dunkel und voluminöser als ihr Körper vermuten ließ und erweckte den Anschein von Wärme.
Ayla erzählte von Sarah Winkler, wie sie vorgefunden wurde, und zitierte entsprechende Passagen der Untersuchungen von Dr. No. Das alles illustrierte sie mit den Bildern, die am Tatort gemacht wurden, um dann zu der Frage zu kommen, die sie interessierte.
»Natürlich haben wir schon von den unterschiedlichsten Sexualpraktiken gehört und da ist auch nichts, was uns fremd wäre, so dachten wir wenigstens bis gestern. Aber und ich muss gestehen, ich bin nicht die Einzige, die noch nie von einer Sexpraktik gehört hat, wie wir sie hier vorgefunden haben.«
Sie holte kurz Luft, sah prüfend zu Sven, der reglos lauschte, dann fuhr sie fort »das mag an meinem Verhältnis zur Sexualität liegen oder was ich vermute, es ist eine etwas ungewöhnliche wenig bekannte Sex-Praktik.«
Sie ließ sich das Ganze durch den Kopf gehen, während sie erneut die Bilder betrachtete, ohne auf Details zu achten. Energisch legte sie diese zur Seite, dann richtete sie sich etwas auf.
»Um nachzuvollziehen, was ihr Täter empfunden hat, welche Motivation ihn treibt, muss man sich diese BDSM-Praktiken der Atemreduktion oder Atemkontrolle ansehen. Es ist dieses Gefühl der Macht, da hat sich dir jemand ausgeliefert und du bestimmst über sein Leben. Zugleich ist es aber auch ein Spiel, wenn die Beteiligten mit dieser »letzten Grenze« spielen und es entsteht ein Gefühl extremer Intimität.«
Sie betrachtete die beiden wie eine Professorin, die ihre Studenten bei einer Vorlesung ansehen würde, um die Wirkung ihrer Worte zu sehen.
»Der Effekt der Atemreduktion führt dazu«, sie dachte kurz nach, wie sie es vereinfacht ausdrücken konnte, dann führte sie weiter aus »wichtig ist, dass das Gehirn mit weniger Sauerstoff versorgt wird. Das führt zu einem euphorischen, rauschähnlichen Gefühl, wie es auch bei Apnoe-Tauchern auftritt. Es gibt unterschiedliche Spielarten, um an diesen rauschähnlichen Zustand zu gelangen, aber so tief wollte ich nicht einsteigen.«
»In dem vorliegenden Fall ist es ein gegenläufiger Effekt, den der dominierende Partner einnimmt, er wird sexuell stimuliert, wenn er fühlt, wie das Leben aus dem Körper unter ihm entweicht. Dabei steigert er seine sexuelle Erregung, indem er den Tod so lange, wie möglich hinauszögert.«
Sie nahm erneut die Bilder in die Hand »wie auf den Bildern zu sehen kam es zur ausreichenden sexuellen Befriedigung, denn ein zu früher Tod hätte seine Stimulierung unterbrochen und die Leiche wäre nicht so unversehrt.«
»Wollen Sie damit sagen, dass er die Leiche verstümmelt oder sonst wie zerstört hätte. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass er vermeiden wollte, dass Spuren am Tatort verbleiben.« Sie konnte den Zweifel nicht vermeiden, der in ihrer Frage mitklang.
»Das ist sicher ein angenehmer Nebeneffekt, aber glauben sie mir, wenn er keine Befriedigung gefunden hätte, dann würde er sich in anderer Form abreagieren. Die Unversehrtheit und das ganze Bild lassen auf eine gewisse Erfahrung schließen. Haben Sie schon nach weiteren Opfern gesucht«?
»Ein Kollege ist schon dabei, ob er erfolgreich war, kann ich Ihnen nicht sagen. Glauben Sie, dass es noch mehr Opfer gibt«?
»Davon bin ich überzeugt, dafür spricht sein professionelles Verhalten. Was ich noch fragen wollte, konnten Sie auch Betäubungsmittel im Blut nachweisen«?
»Die toxikologische Untersuchung wird in diesem Augenblick durchgeführt aber wir gehen davon aus, dass irgendeines der auf der Straße einfach zu beschaffenden Mittel verwendet wurde.«
»Sie sollten noch berücksichtigen, dass er sein Opfer mit diesen Mitteln zwar willenlos macht, um jedoch seine Befriedigung zu erreichen, benötigt er eine gewisse Gegenwehr. Er wird also warten, bis die Wirkung des Mittels nachlässt, damit sie erfasst was mit ihr geschieht. Mit jemand der willenlos unter ihm liegt, würde er sein Ziel nicht erreichen.«
»Was für ein perverses Arschloch« es war das erste Mal, dass Sven Nagel sich während ihrer Anwesenheit zu Wort meldete, und drückte damit nur seine Abscheu aus, die er empfand. Betroffen hatte ihn vor allem die Aussage gemacht, dass der Täter wartete, bis sein Opfer wieder wahrnehmen konnte, was er vorhatte.
Sie hatten mehr neue Erkenntnisse gesammelt, als ihnen lieb gewesen war, aber darauf konnte und durfte niemand Rücksicht nehmen. Auch wenn die Aussage der Sexualtherapeutin ihnen einen gewissen Einblick in die Denkweise des Täters vermittelte, so war es kein Profiling im herkömmlichen Sinne, dazu fehlten die näheren Aussagen über die Person.
Auf die Frage nach einer Personenbeschreibung hatte sie nur mit den Schultern gezuckt und ganz allgemein von unbestimmtem Alter von zwanzig bis sechzig gesprochen. Ein unbewusst geäußerter Hinweis hatte sich bei Ayla Aydin in ihrem Unterbewusstsein festgesetzt »bei der Suche nach weiteren Opfern sollte Sie sich keine zeitliche Begrenzung auferlegen, solche Täter begehen ihre Taten über Jahrzehnte, wenn sie nicht vorher gestoppt werden.«
Bei der Verabschiedung konnte sie ihr professionelles Interesse und die persönliche Neugier nicht unterdrücken und bat Ayla, sie über den weiteren Verlauf auf dem Laufenden zu halten.
Sie schwiegen beide, hingen ihren Gedanken nach und verarbeiteten die Neuigkeiten auf ihre Art. Sven, indem er diesem Teufel in Menschengestalt mit der Hölle drohte, auch wenn diese in Form seiner Fäuste erfolgte, wenn er nur fünf Minuten allein mit ihm hatte. Und Ayla die analytisch versuchte, diese sexuellen Eigenheiten auf eine Person zu projizieren.
Was für ein Mann musste das sein, wie alt war er, welche Bildung hatte er genossen und welchen gesellschaftlichen Status hatte er erreicht. Fragen, die von Bedeutung waren, deren Beantwortung aber schwieriger wurde, je länger er bereits sein Unwesen trieb.
Dann fiel ihr wieder der Wunsch ihrer Tochter ein, noch einmal mit ihrer Großmutter reden zu wollen. Ihr Versprechen sich darüber Gedanken zu machen waren da noch verschwommen, aber nach und nach war ihr eine Idee gekommen.
Sie würde das Treffen nur an einem öffentlichen Raum zulassen, in dem sie die Kontrolle hatte. Ein Café in der Nähe ihrer Wohnung erfüllte ihre Vorstellungen ziemlich perfekt. Ein Tisch im hinteren Bereich stand aus Platzgründen allein, bildete fast so etwas wie ein Separee. Wenn sie sich am Eingang postierte, würde niemand vorbeikommen den sie nicht kontrollieren konnte. Da sie ihrem Ex-Mann nicht mehr traute, wollte sie eine Rückversicherung und da kam ihr Kollege Sven Nagel ins Spiel.
»Sven« sie wartete, bis er reagierte, dann »ich brauche Deine Hilfe in einer privaten Angelegenheit.«
Sie erzählte vom Wunsch ihrer Tochter, und da er in groben Zügen das Drama damals mitbekommen hatte, wusste er um ihre Ängste. Und er kannte und mochte ihre Tochter Marie, die er bei einem Grillfest der Polizei kennengelernt hatte.
Ein Grinsen zog über sein Gesicht »mache einen Termin, ich werde mir das auf keinen Fall entgehen lassen.« Egal was sich ihr Ex einfallen ließ, er hatte noch ein paar Trümpfe, die er aber auch Ayla nicht erzählte. Es war besser, sie wusste nicht alles.
Ayla stöhnte kurz auf, und als sie seinen Blick bemerkte, meinte sie nur »ich muss noch zu Rotluff Bericht erstatten.« Helge Rotluff war der Polizeidirektor der Mordkommission und ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie erstens zur Mordkommission gekommen war und man ihr zweitens die Leitung übertragen hatte, als die Stelle aus Gründen über die nie jemand sprach, frei wurde.
»Frau Aydin was haben Sie schon wieder angestellt« bei der Begrüßung konnte der Direktor ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er ihren verwirrten Blick sah.
»Ich muss gestehen, ich bin mir keiner Schuld bewusst, meines Wissens habe ich nichts falsch gemacht.«
»Setzen Sie sich erst mal, dann werde ich Ihnen erklären, weshalb ich darauf komme.« Er nahm einen Ausdruck zur Hand, der offensichtlich den Weg über das interne Intranet in dieses Büro gefunden haben mochte, und hielt ihn ihr hin.
»Lesen Sie und dann sagen sie mir, was Sie mit Oberstaatsanwalt von der Heyde zu tun haben.«
In dem Schreiben wurde umgehend eine Sachstandsmeldung zu den Ermittlungen im Falle der Toten Sarah Winkler angefordert, zudem sollte eine kontinuierliche Meldung über den Fortgang - täglich - an das Büro des Oberstaatsanwalts erfolgen. Unterschwellig wurde auch noch die Kompetenz der derzeitigen Ermittlerin infrage gestellt.
Verständnislos ließ sie das Schreiben sinken »ich habe nichts mit dem Oberstaatsanwalt zu tun, ich kenne ihn noch nicht einmal.«
Sie überlegte kurz, ob sie das sagen konnte, entschloss sich aber dazu.
»Natürlich kenne ich sein Gesicht, schließlich ist es mindestens einmal in der Woche in irgendeinem Schmierblatt. Ehrlich gesagt hat keiner von uns eine besonders hohe Meinung von ihm, er ist pressegeil und würde wahrscheinlich seine Seele verkaufen, um sein Gesicht auf der Titelseite zu sehen.«
»Dem kann ich nur zustimmen« so der trockene Kommentar »trotzdem hat er sie morgen persönlich in sein Büro einbestellt. Ich habe dem zugestimmt, wollte unsere Zusammenarbeit mit seinem Büro nicht belasten. Obwohl ich am liebsten abgelehnt hätte. Aber nun ja sie machen das schon« fügte er leutselig hinzu.
»Bin ich eigentlich verpflichtet ihn zur Gänze, über meine Ermittlungen zu informieren«.
Sein fragender Blick irritierte sie, bis sie die kleinen Falten in seinen Augenwinkeln entdeckte, die immer dann auftraten, wenn er ein Schmunzeln unterdrückte.
»Meine Angst ist, dass er umgehend einen seiner Ansprechpartner bei einer Zeitung anruft und brühwarm über Ergebnisse plaudert nur, um auf die Titelseite zu kommen. Was geschieht, wenn er dadurch den Täter vorzeitig über Ergebnisse informiert und die Ermittlungen deswegen ins Leere laufen.«
Je länger sie darüber redete, desto problematischer fand sie die Weitergabe interner Ergebnisse, bevor diese bestätigt wurden. Es bestand zudem die Gefahr für die weiteren Ermittlungen, wenn diese Ergebnisse zu früh veröffentlicht wurden.
»Sie haben recht, daran habe ich nicht bedacht. Bei einem normalen Staatsanwalt wäre das sicher auch kein Problem aber die Gefahr, dass er zufällig an einem Mikrofon vorbeiläuft, ist in der Tat sehr hoch.« Er überlegt kurz »wissen sie was, Sie berichten ihm oberflächlich über die Ergebnisse, und wenn er sich aufregt, verweisen Sie ihn an mich. Schließlich sind Sie mir und nicht ihm auskunftspflichtig.«
Hoffentlich geht das gut, dachte sich Ayla Aydin, als sie das Büro verließ, und den inzwischen verwaisten Vorraum durchquerte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie zu spät ins Büro kommen würde, und wahrscheinlich keiner mehr da war, auch nach Hause käme sie wieder einmal zu spät.