Читать книгу Es geschah aus Liebe - Ernst Meder - Страница 6

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Der Schrei hallte durch das kleine Hotel und hätte jemand zu diesem Zeitpunkt noch geschlafen, dieser Schrei hätte ihn mit Sicherheit geweckt. Zwei Türen neben dem Zimmer aus dem Schrei erfolgte ging die Tür auf und ein älterer Mann, mit schütteren grauen Haaren musterte konsterniert die junge Hotelangestellte, die vor der Tür des benachbarten Zimmers stand.

»Ist etwas passiert«, fragte er vorsichtig, als er erkannte wer vor dem Zimmer stand. Es war das junge Zimmermädchen, das vielleicht zwanzig Jahre alt war und täglich die Zimmer reinigte ohne etwas zu sagen. Dieses dunkelhäutige Mädchen, das augenscheinlich aus einer südlichen Region von Europa stammte und des augenscheinlich der deutschen Sprache nicht mächtig war, stand zitternd mit weißem Gesicht vor ihm und wies in das Zimmer.

»Tot, Frau tot« brachte sie stammelnd hervor, um dann in einer ihm unbekannten Sprache anfangen zu jammern. Langsam rutschte sie an der Wand des Flurs auf den Fußboden zu, während sie laut in Tränen ausbrach. Bebend hielt sie ihren Kopf an die Knie gepresst und schluchzte ohne Unterbrechung vor sich hin.

Von der Frau würde er nichts mehr erfahren dessen war sich der ältere Hotelgast sicher, als hinter ihm eine bekannte Stimme erklang. »Friedrich was hast Du mit der Frau gemacht«, die Stimme der älteren Frau, die mit einem Handtuch um den Kopf aus seinem Zimmer kam, klang erbost, als sie zu ihrem Mann blickte.

»Nichts geh wieder rein, das Mädchen spricht von einer toten Frau«, sagte er leicht genervt. Entschlossen drehte er sich, um einen Blick in das bezeichnete Zimmer zu werfen.

»Verdammt sie hat recht, ruf die Polizei und ich werde darauf achten, dass kein Unbefugter das Zimmer betritt.«

»Aber Friedrich« die Frau klang jetzt dem Weinen nahe »wir wollten doch ...«, als sein Blick sie verstummen lässt. Wortlos drehte sie sich um, zerrte sich das Handtuch vom Kopf und stapfte zurück in ihr Zimmer.

»Was ist hier los« die Stimme der Frau, die in der Regel an der Rezeption ihre Gäste mit verbindlicher Stimme begrüßte klang nun ganz anders ganz und gar nicht mehr verbindlich. Mochte sie sonst die Geschicke der familiären Pension zuvorkommend führen, so hatte sie diese Eigenschaft jetzt vollständig abgelegt. Nun versuchte sie, ihrer Stimme die Autorität und Entschiedenheit zu verleihen die sie für die vorgefundene Situation für angezeigt hielt.

Erst mit Verzögerung fiel ihr Blick auf das am Boden kauernde Mädchen, das vor Schreck aufgehört hatte zu weinen. Es war der Klang der Stimme, der ihre Tränen zum Versiegen brachte, stattdessen blickte sie nun ängstlich zu ihrer Herrin hoch.

Ein Schwall fremdartiger Laute in einer fremden Sprache prasselte auf das verängstigte Mädchen und löste eine unerwartete Reaktion aus. Wie von einer Tarantel gestochen oder war es doch eine Hummel, sprang sie auf, schnappte nach dem Reinigungswagen und rannte ohne sich noch einmal umzudrehen, auf die Tür am entgegengesetzten Ende des Flurs zu hinter der sie kurz darauf verschwand.

Erleichtert ein Problem gelöst zu haben, wandte sie entschlossen sich dem nächsten Problem zu, das sich vor der Zimmertür aufgebaut hatte.

»Sie können das Zimmer nicht betreten« Friedrich stellt sich ihr demonstrativ in den Weg, als sie sich an ihm vorbei in das Zimmer drängen wollte. »Da muss erst die Polizei nach Spuren suchen.«

»Natürlich kann ich in das Zimmer, das ist mein Hotel«, stellt sie verärgert fest und hob gerade den Arm, als vom Eingang des Nachbarzimmers jemand keuchend hervorstößt »ich habe die Polizei erreicht, die ist schon unterwegs.«

Greta Habermas blickt zu ihrem Friedrich, der mit vor der Brust verschränkten Armen den Zugang blockierte, als wolle er jeden wie auch immer gearteten Angriff abwehren. Stolz wallte in ihr auf, das war ihr Friedrich, wie sie von früher kannte. Sie erfasste, dass er seit seiner Versetzung in den Ruhestand vor vier Jahren nichts von seiner Autorität verloren hatte.

Die Pattsituation zwischen der Besitzerin des Hotels und der Leibwache der Spuren löste sich in dem Augenblick auf, als eine raue Stimme aus dem Eingangsbereich noch oben drang.

»Hallo, hat hier jemand die Polizei gerufen?«

»Hier, Herr Wachtmeister hier oben kommen Sie nach oben« die sich überschlagende Stimme von Frieda Habermas zeigte unüberhörbar die Richtung an.

»Nun werden wir klären, ob Sie so einfach in das Zimmer können« die Genugtuung in der Stimme von Friedrich Habermas zeigte, wer seiner Ansicht nach den Sieg davongetragen hatte.

»Ich schicke ihn nach oben«, resigniert wandte sie sich zur Treppe und zeigte den beiden Polizisten, die ihr auf der Treppe entgegenkamen die Richtung, in die sie gehen mussten.

»Hauptwachtmeister Peters von der Polizei, wir wurden ...«.

»Wir haben angerufen« verkündete resolut Friedrich Habermas laut genug, damit die Hotelbesitzerin ihn noch hören konnte.

»Peters«, sagte der grauhaarige massige Polizist in Uniform erneut »das ist mein Kollege« dabei zog seinen ungestümen jungen Kollegen zurück, der geradewegs in das Zimmer stürmen wollte.

»Verdammt«, fluchte er, nachdem er einen Blick in das Zimmer geworfen hatte »ruf sofort die Mordkommission dafür sind die zuständig« dabei blickt er seinen Kollegen durchdringend an.

»Sie können jetzt in Ihrem Zimmer warten, ich werde jetzt darauf achten, dass niemand das Zimmer betritt« wandte er sich an Friedrich Habermas. »Bitte warten Sie, wahrscheinlich werden die Kollegen der Mordkommission noch einige Fragen an Sie haben«.

»Ich habe nichts gesehen, ich habe nur diesen schrecklichen Schrei des Zimmermädchens gehört, als sie die Tote aufgefunden hat. Ich habe mir sofort gedacht, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Als ich dann selbst diese schreckliche Szene gesehen habe, wusste ich sofort, dass jemand darauf achten muss, damit niemand das Zimmer betritt«.

Leise fügte er in hinzu, »ich war früher auch bei der Polizei in Stuttgart« wenn auch in der Personalabteilung ergänzte er in Gedanken.

»Sesselfurzer« dachte sich der grauhaarige Polizist und beobachtete die Treppe, von wo er seinen Kollegen erwartete. Wo blieb dieser denn, dann erinnerte er sich an das blasse Gesicht, als dieser regelrecht rannte um zu dem Funkgerät im Auto zu kommen. Wahrscheinlich saß da immer noch und überlegte, ob er immer noch zur Polizei wollte.

Statt seines Kollegen kam eine zierliche kleine Frau, die neugierig den Flur entlang blickte. Mit ihrer Kurzhaarfrisur und ihren schwarzen Haaren wirkte sie auf die Entfernung jünger, als sie wahrscheinlich war. Ihr folgte ein Riese von einem Kerl, der sie bestimmt einen halben Meter überragte, obwohl er sich noch einige Stufen unterhalb von ihr befand. Was für ein komisches Pärchen dachte er sich noch, als sie geradewegs auf ihn zusteuerten.

»Aylin Mordkommission« stellte sie sich die zierliche Frau vor, »der Kleine hinter mir ist mein Kollege Nagel«, sagte sie bemüht ernsthaft. Sie hatte seinen Gesichtsausdruck nicht nur bemerkt, sondern auch richtig gedeutet, als er ihrer ansichtig wurde.

»Sie sind von der Mordkommission« dabei musste er seinen Kopf zurücklegen, um zu dem Riesen hochzublicken.

»Sie ist der Boss«, meinte dieser grinsend dann ernst werdend, »werde mal unsere Schutzkleidung aus dem Auto holen.«

Ayla Aydin die Hauptkommissarin und Leiterin einer Abteilung im LKA eins, oder wie die Abteilung im offiziellen Sprachgebrauch hieß »Delikte am Menschen«, blickte sich die Umgebung auf dem Hotelflur an. War es eigentlich ein Hotel oder firmierte dieser Beherbergungsbetrieb nicht unter dem Begriff »Pension« fragte sie sich, und lag diese Definition an der Anzahl der Zimmer oder woran sonst.

Seitlich der Zimmertür sah sie einen dunklen Fleck, der sich leicht von der Umgebung abhob und nicht weiter aufgefallen wäre, wenn sie sich nicht so genau umgesehen hätte. Sie bückte sich, fuhr vorsichtig mit ihrem Zeigefinger darüber und spürte die Feuchtigkeit.

»Stand hier ein Reinigungswagen oder Ähnliches, als sie hier ankamen«, fragte sie Peters, der sie interessiert beobachtet hatte.

»Hier stand nur der Mann aus dem Nachbarzimmer vor der Tür und hat darauf geachtet, dass niemand das Zimmer betritt. Nach seiner Aussage wollte die Besitzerin des Hotels unbedingt ins Zimmer was er heldenhaft unterbunden hat.« Er überlegte kurz, dann fügte er leise hinzu »er hat mir im Vertrauen gesagt, dass er früher selbst bei der Polizei war, aber mein Eindruck ist, der war nie etwas anderes als ein Schreibtischtäter.«

»Hier ist Dein Anzug«, meldete sich in diesem Augenblick Sven Nagel und wurde dabei durch die Lautstärke der ankommenden Kollegen der Kriminaltechnik, als auch der Gerichtsmedizin übertönt.

Da auch der junge Kollege von Peters sich der Gruppe angeschlossen hatte, stauten sich vor der Tür die vier Kollegen der KTU, der Gerichtsmediziner ein Fotograf sie beide sowie die beiden Beamten der Streifenpolizei, die als Erste eingetroffen waren.

»Können Sie schon mal eine erste Zeugenbefragung vornehmen« wandte Ayla sich an Peters. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dürften keine weltbewegenden Ergebnisse zu erwarten sein.« Damit hoffte sie, sich etwas Bewegungsfreiheit und Platz verschafft zu haben. Schließlich war sie mit ihren einhundertachtundfünfzig Zentimetern sonst in Gefahr unterzugehen.

Dass sie damit zwei Zentimeter kleiner war, als die Vorschriften für den Zugang in den Polizeidienst auswiesen, war das Geheimnis von Dr. Lautenschläger und ihr. Er hatte damals die ärztliche Untersuchung vorgenommen und augenzwinkernd die für den Polizeidienst erforderliche Größe notiert.

»Mein Kind«, hatte er gesagt, »ich habe nun mehr als vierzig Jahre die unterschiedlichsten Kandidaten untersucht und immer alles auf das Genaueste in den Akten vermerkt. Ihr Jahrgang ist der Letzte, den ich untersuchen werde, denn ab nächsten Monat werde ich meinen verdienten Ruhestand gehen.

Meine Frau hat ihre Befürchtungen darüber bereits geäußert und mich häufiger als Korinthenkacker bezeichnet, wenn ich ihr von den Tränen berichtete, wenn wieder einmal eine Kandidatin an ein oder zwei Zentimeter gescheitert ist. Und sie hat Angst, ich würde diese Eigenschaft mit in den Ruhestand nehmen.«

Dann hatte er sie mit einem wehmütigen Lächeln angeblickt. »Sie habe ich spontan auserkoren, die Aussagen meiner Frau ad absurdum zu führen und mich dem System zu widersetzen.« Dann hatte er aufgesetzt energisch die erforderliche Größe in das Formular eingetragen.

Sie hätte auch als Rechtsanwältin arbeiten oder ihre Doktorarbeit schreiben können oder sich weiter spezialisieren schließlich hatte sie mit gerade mal vierundzwanzig Jahren das zweite Staatsexamen abgeschlossen. Aber sie fühlte sich innerlich zerrissen, wusste nicht, wie es mit ihr weiter gehen sollte.

Sie hatte zwar ihr Studium und ihr Abitur im beschleunigten Verfahren hinter sich gebracht, was aber weniger ihrer überragenden Intelligenz als vielmehr ihrem Fleiß zuzuschreiben war. Und ihrem Vater der ihr, wenn nicht jeden Tag so doch jedem zweiten Tag die Wichtigkeit von Bildung vor Augen geführt hatte.

Aber wollte sie das oder widersprach es ihrer eigentlichen Intention sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Das erste Mal, als sie begann, vieles an ihrem Studium infrage zu stellen, war nach einer Vorlesung zur Rechtsethik. Dabei ging es unter anderem auch um Wesen und Inhalt von Gerechtigkeit.

Die philosophische Frage von Immanuel Kant der Gerechtigkeit als unverzichtbaren Wert postulierte und John Rawls mit seiner Theorie der Gerechtigkeit hatten sie zum Nachdenken gebracht. Dessen ersten Grundsatz, »Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist« konnte sie nicht als Wald und Wiesenanwältin nachkommen.

Es waren längere Phasen der Ungewissheit und ihre Suche nach einem Ausweg führte unweigerlich dazu, sich mit der Arbeit der Polizei auseinanderzusetzen. Nach längerer Grübelei glaubte sie, einen Ausweg gefunden zu haben.

Wie wäre es, wenn sie zur Polizei ginge, um sozusagen an vorderster Stelle für die Gerechtigkeit zu kämpfen die sie für unverzichtbar hielt. Es gab nur ein Hindernis, welches ihr jeden Morgen bewusstwurde, wenn sie einen Schemel benutzte, um sich im Spiegel schminken zu können. Sie war zu klein. Und zwar um ganze zwei Zentimeter. Wer auch immer sich nicht genügend angestrengt hatte, jetzt fehlten sie ihr.

Es stellte sich aber als überwindbares Hindernis heraus, in den anderen Belangen konnte sie mit teils überragenden Leistungen punkten. Bei der sportlichen Prüfung dem Schwimmen überraschte sie einige der Prüfer mit der drittschnellsten Zeit. Damit stand einem Eintritt in die Polizei nichts mehr im Wege.

Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie ihr Kollege versuchte, den Schutzanzug zu überzuziehen. Obwohl er bereits die maximale Größe benutzte, würde er aussehen, als hätte er seinem kleinen Bruder den Strampelanzug entwendet. Dazu kam, dass diese Einweg-Anzüge sich bei zu heftiger Bewegung in ihre Einzelteile auflösten.

Sie kannte dieses Bild bereits von früheren Einsätzen, wusste auch, wie unglücklich er in dem Anzug aussah. Bei der Beschaffung dieser Schutzanzüge hatte man nicht berücksichtigt, dass es auch Polizisten mit einer Größe jenseits der zwei Meter geben würde. Sie empfand es keineswegs als ausgleichende Gerechtigkeit, dass sie, obwohl im kleinsten Anzug, darin aussah als würde sie jeden Augenblick darin verloren.

Sven Nagel maß jedoch zwei Meter und fünf Zentimeter und war damit fast einen halben Meter größer als sie. Um ihrer Erscheinung jegliche Komik zu nehmen, wenn sie gemeinsam an einem Tatort erschienen, versuchte er sich kleiner zu machen, als er war. Deshalb wirkte er immer etwas unbeholfen, obwohl sie ihn schon in Situationen ganz anders erlebt hatte.

Bei einer Demonstration in der Trainingshalle hatte er gezeigt, weshalb er Jugendmeister im Teak Won do hatte werden können. Diese Geschmeidigkeit und Eleganz der Bewegung kam in dem Schutzanzug nicht nur nicht zum Vorschein, sie wurden regelrecht ins Gegenteil verkehrt.

Die Arbeiten der Kriminaltechnik des Fotografen wie des Gerichtsmediziners waren seit geraumer Zeit im Gange, sodass sie immer ungeduldiger wurde. Rücksichtnahme ist ja schön und gut aber nicht, wenn sie sich in ihrer Arbeit behindert fühlte.

Natürlich wusste sie, dass der Tatort durch die Kollegen nicht verändert werden würde, bis ich diesen in Augenschein genommen hatte. Aber die Angst, es würden Details verändert die Hinweise zur Aufklärung geben konnte, überfiel sie immer mal wieder.

Sie betrachtete ihren unglücklich dreinblickenden Kollegen, dann meinte sie aufmunternd »na los, lass uns unsere Arbeit machen.« Energisch überquerte sie die Schwelle und betrat den Tatort.

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