Читать книгу Es geschah aus Liebe - Ernst Meder - Страница 8
Оглавление»Ist Dr. No hier«, Ayla fragte dies einen Kollegen der KTU, dessen Name ihr nicht einfallen wollte, an dessen Gesicht sie sich aber erinnerte.
»Nö«, meinte dieser, »dieses Mal haben sie uns einen Neuling geschickt, den ich noch nie gesehen habe. Ein Dr. Wegner, der hat sich wohl aus Stuttgart hier her versetzen lassen.« Er beugte sich vertraulich zu ihr »die Gerüchteküche sagt wegen einer Frau, die ihn aber hier verlassen hat.«
Sie wandte sich ab, sie verabscheute diese angeblichen Geschichten über Kollegen, da sie nur zu gut wusste, dass auch sie immer mal wieder in so einen Strudel gezogen wurde und es am Ende nur Verlierer gab.
Der Verlierer war derjenige, der die Gerüchte in die Welt gesetzt hatte, wenn er denn ausgemacht werden konnte. Aber auch für die Person über die Gerüchte verbreitet wurden, blieb doch immer etwas von dem Gerücht an einem hängen, auch wenn sie sich als haltlos oder unwahr herausstellten.
Sven Nagel wirkte immer noch unglücklich in seinem XXL-Anzug, dem jedoch ein bis zwei XX`e fehlten, um seinen Gesichtsausdruck zu ändern. Sie beide beobachten die Suche nach eventuellen Spuren, während der Fotograf unermüdlich Fotos aus allen Richtungen schoss.
Ihr vorgebliches Interesse galt jedoch dem Neuen diesem Dr. Wegner, den sie noch nicht einschätzen konnte. Auch wenn die Fotos später die Erinnerungen hervorrufen konnten, so war der Eindruck, den sie am Tatort gewann, von entscheidender Bedeutung für sie. Deshalb griff sie auch ein, als Dr. Wegner die Leiche bewegen wollte.
»Können Sie bitte einen Augenblick warten, damit wir den Tatort ohne Veränderung in Augenschein nehmen können.« Dann wandte sie sich an ihren Kollegen. »Präge Dir alles ein, was Du siehst und was Dir ungewöhnlich erscheint, so können wir uns später bei Erinnerungslücken helfen.«
Damit trat sie näher zu dem Bett und konzentrierte ihr Augenmerk auf die junge Frau, die nackt auf dem weißen Laken lag. Die Stellung, in der sie auf dem Bett lag, wirkte obszön mit ihren ausgebreiteten Armen und gespreizten Beinen.
Sie sah sehr zerbrechlich aus, ihre Blässe, die durch das weiße Laken noch verstärkt wurde, ließ sie fast durchscheinend wirken. Noch ungebräunt von Sonne oder Sonnenbank und mit ihren blonden Haaren war der einzige Farbfleck neben den fast lila wirkenden Würgemalen am Hals der rote Klebestreifen über ihrem Mund.
Sie war jung, hatte noch nicht viel erlebt, hatte noch nicht gelebt und dann dieses Verbrechen, das ihr Leben so grausam beendete. Sie rief sich zur Ordnung, es half nicht, wenn sie ihre Gedanken über das verpasste Lebensglück dieser jungen Frau verschwendete vor allem nicht ihr.
Vielleicht zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre setzte sie ihre Beobachtungen fort und sie hatte sich offensichtlich auf dieses Treffen vorbereitet. Die durch Tränen verlaufene Schminke zeigte, wie wichtig ihr dieses Treffen war und, dass sie die Person nicht so gut kannte, um sie ungeschminkt zu treffen.
Trotzdem waren ihre Augen geschlossen. Hatte sie diese geschlossen, weil sie das Gesicht ihres Peinigers nicht mehr sehen konnte, oder schloss sie ihre Augen vor Schmerzen. Vielleicht war es sogar der Täter, der ihre Augenlider nach unten drückte, weil er nicht in die gebrochenen toten Augen sehen konnte. War dies der einzig menschliche Zug an ihm oder war es Kalkül.
Ihr Blick glitt weiter nach unten, registrierte die kleinen Brüste und folgte den schräg nach oben zeigenden Armen. Wie dieser Christus am Kreuz bei den Christen fuhr es ihr durch den Kopf, die selbst nicht praktizierende Muslima war.
Was hieß in diesem Zusammenhang nicht praktizierende Muslima, wenn sie an die religiösen Irrungen in ihrer Familie dachte. Ihr Vater, ein nicht praktizierender aramäischer Christ und ihre Mutter, eine nicht praktizierende Muslima hatten mit ihrer Liebe dieses Chaos angerichtet.
Dann bemerkte sie die leichte Rötung an den Handgelenken. Er musste sie irgendwie gefesselt haben, darum musste sie unbedingt im Anschluss kümmern. Die Hände waren zu einer Krallenform verkrampft, die nur den Schluss zuließ, dass sie in ihrem Schmerz diese zu Fäusten geballt haben musste und diese sich nach dem Tod leicht geöffnet hatten.
Die Schambehaarung entsprach wohl der gängigen Mode und nannte sich, wenn sie sich recht erinnerte »Landing Strip.« Es war kein Bauch erkennbar, sie musste sehr schlank gewesen sein. Sie hätte gerne die Scham der Frau bedeckt, um die Obszönität der Situation zu beenden und um ihr ihre Würde wiederzugeben.
Aber sie wusste auch, dass sie es beenden konnte, indem sie sich beeilte, ohne die wesentlichen Faktoren zu übersehen. An den Fußgelenken bemerkte sie ebenfalls eine Rötung vergleichbar mit der Rötung an den Handgelenken.
Außer den Fesselspuren an den Gelenken und den Würgespuren am Hals fand sich keine weitere sichtbare Verletzung auf ihrem Körper. Es war mehr als eine Ahnung, es wurde zur Gewissheit, sie würden vielleicht Spuren der Vergewaltigung finden, aber sie würden keine fremden Körperflüssigkeiten nachweisen können.
Wie aus einer Trance erwachend wandte sie sich an Sven und stellte fest, dass alle bewegungslos im Zimmer standen und sie beobachteten. Auch Sven blickte sie an und nickte, wie um ihr zu zeigen, dass er seine Beobachtung abgeschlossen hatte.
»Sie können weitermachen« wandte sie sich an Dr. Wegner und wie auf ein unsichtbares Signal setzten sich auch die übrigen Kollegen in Bewegung. Eigentlich hätte sie jetzt gerne den Arzt gefragt, ob dieser ihr die ungefähre Zeit des Todes hätte sagen können, aber sie wusste nicht, wie sehr der Einfluss von Dr. No bereits abgefärbt hatte.
Dieser Dr. No, der eigentlich Ralf Dressel hieß, und der als Kapazität in der Gerichtsmedizin galt hatte seinen Kampfnamen an den Tatorten erworben, zu denen er gerufen wurde. Können sie mir den ungefähren Todeszeitpunkt nennen, war eine der häufigen Fragen, die er dort zu hören bekam. Seine Antwort war immer gleichlautend. Nein, da ich als Mediziner keine Schätzungen abgebe, sondern ihn auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ermittle. Sie müssen sich also gedulden, bis ich den Leichnam bei mir in der Gerichtsmedizin nach diesen Grundsätzen untersucht habe. Eine weitere Frage zu diesem Thema erübrigte sich, denn die weitere Antwort war ein Kopfschütteln.
Bei der Frage nach der Todesart klang die Antwort ähnlich, allerdings wurde sie etwas persönlicher. Sie sehen genau das, was ich auch sehe, wenn sie sich also etwas bemühen würden, könnten sie zu den gleichen Schlüssen gelangen wie ich.
Er hatte einmal an einem Tatort einem Fragesteller eine besonders zynische Antwort gegeben, indem er dem Toten das Messer aus dem Herzen gezogen hatte und es hochhielt. Ich vermute mal, dass dies die Ursache für seinen Tod war. Ich nehme mal an, zu diesem Schluss sind sie bereits ohne meine kenntnisreiche Auskunft gekommen denn wenn nicht, dann haben Sie verdammt noch mal hier nichts zu suchen.
Seit jenen Tagen eilte ihm sein Ruf voraus, und immer, wenn man einen Tatort betrat, war der erste Blick zum Gerichtsmediziner. Sah man ein pausbäckiges Gesicht mit einem weißen Haarkranz und einen buschigen Oberlippenbart, dann wünschte man sich an einen anderen Tatort. Unabhängig davon waren die Berichte, die von ihm kamen immer sehr detailliert und die Erkenntnisse so umfangreich, dass sie jedes Ermittlerherz erfreuten.
Ganz anders sein Verhalten in der Gerichtsmedizin, hier gab er sich aufgeschlossen, beantwortete jede Frage bereitwillig und ausführlich und war für jede Nachfrage offen. Die Vermutung, dass es sich um Zwillinge handeln musste, hielt sich hartnäckig, allein es fehlte der Beweis.
Auch auf den Vorschlag, ihn in seiner Rechtsmedizin einzusperren und andere Kollegen zu den Tatorten zu schicken war man nicht eingegangen. Die Ungewissheit, welcher Gerichtsmediziner am Tatort war, sorgte somit immer auch für ein zusätzliches Spannungsmoment.
»Mir sind die Rötungen an den Gelenken aufgefallen« wandte sie sich nun direkt an Dr. Wegner »vielleicht können sie ermitt...«, sie brach ab, beinahe hätte sie ermitteln gesagt aber das war nun wirklich ihr Job und nicht seiner.
»Vielleicht können Sie feststellen, durch was sie verursacht wurden, für eine Schnur scheint mir die Röte nicht ausgeprägt genug. Außerdem wären die Verletzungen sehr viel stärker.«
Nun hatte sie ausgesprochen, womit ihr Unterbewusstsein sich während der Betrachtung der toten Frau bereits befasst hatte. Sie hatte kein auch irgendwie geartetes Objekt erspäht, was dafür hätte Verwendung finden können.
»Dann erscheint es mir dringend geboten schnellstmöglich eine toxikologische Untersuchung zu veranlassen.« Noch ehe er fragen oder antworten konnte, fügte sie die Erklärung nach. »Es geht vordringlich um die Feststellung, ob Benzodiazepine verwendet wurden. Sie wissen selbst, wie schnell der Nachweis von Rohypnol oder Flunitrazepam unmöglich wird.«
Sie überlegte kurz, »lassen Sie bitte auch nach dem Narkosemittel GHB, dem Lösungsmittel GBL oder anderen Vergewaltigungsdrogen suchen.«
Dann suchte sie erneut den Blick von Sven, »ist Dir noch etwas aufgefallen, habe ich etwas übersehen.« Sie stellte die Frage nicht nur rhetorisch, das wusste er, wäre ihm etwas aufgefallen, was sie übersehen hatte, konnte er dies problemlos sagen, ohne dass sie verstimmt gewesen wäre.
Nun nahm sie sich die Zeit, die Umgebung des Bettes zu betrachten, wobei sie jedoch nichts Ungewöhnliches fand. Wenn man die Flasche Champagner und die beiden Gläser als übliches Accessoire einer geplanten Liebesnacht betrachtete. Auch der übrige Raum wies keine Anomalien auf, sodass sie das Gefühl nicht loswurde, dass der Täter sehr genau wusste, was er tat und wie er vermied, Spuren zu hinterlassen.
Während der Gerichtsmediziner vorsichtig die junge Frau umdrehte, wagte sie den Versuch, den sie bei Anwesenheit von Dr. No nur mit größter Überwindung gewagt hätte.
»Eine Frage habe ich noch Dr. Wegner«, sagte sie wie beiläufig, »können Sie mir den ungefähren Todeszeitpunkt nennen.«
Es war die Frage, die alle Anwesenden erstarren ließ, wenn dieser Arzt ähnlich reagierte, wie Dr. No dann wollte man dessen Antwort unbedingt hören. Man bewunderte sie für den Mut, bedauerte sie jedoch bereits jetzt, aber vielleicht gäbe die Antwort ja Gesprächsstoff für die nächsten Tage.
Dem Arzt schien die Spannung nicht aufzufallen, denn er wandte sich ruhig an die Kommissarin der Mordkommission »nach Messung der Körpertemperatur liegt nach meiner vorläufigen Einschätzung der Todeszeitpunkt zwischen drei Uhr und fünf Uhr. Den genaueren Zeitpunkt sowie die genaueren Umstände des Todes erfahren Sie nach der Untersuchung.«
Damit wandte er sich wieder der jungen Frau zu, um diese endgültig umzudrehen. Das leise Entweichen der angehaltenen Luft verursachte ein fast unhörbares Geräusch, außer man achtete darauf.
»Hast Du den Namen und die Adresse unserer Toten«, sprach sie Sven an, der gerade in seinem Notizblock blätterte. Nun sah er sehr viel weniger wie eine Presswurst mit unglücklichem Gesicht aus, sondern die Fassungslosigkeit über das Verbrechen an der jungen Frau war ihm ins Gesicht geschrieben. Noch hatte er zu wenig Erfahrungen mit Toten und meist waren die Gründe nachvollziehbarer.
»Wir müssen die Angehörigen über den Tod informieren«, erinnerte sie ihn und riss ihn aus seiner Lethargie, die aus dem ziellosen Blättern in seinem Notizbuch bestand. Irgendetwas beunruhigte sie, sie verstand nicht, was es war, aber es rumorte in ihren Eingeweiden. Sie schob diese Gedanken zur Seite, wusste sie doch, diese würden in naher Zukunft wieder zum Vorschein kommen.