Читать книгу Es geschah aus Liebe - Ernst Meder - Страница 7
Оглавление»Hallo Großvater, tut mir leid, dass ich mich verspätet habe« er lächelte bedauernd, während er seine Sporttasche auf der Bank abstellte. Er wusste, wie er das etwas verkniffene Gesicht wieder zum Lächeln bringen konnte. Schließlich traf er sich mit seinem Großvater seit annähernd zwanzig Jahren zum Training. Obwohl dieser kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag war, stand er kerzengerade mit der traditionellen Kleidung eines Iaidoka dem Hosenrock oder Hakama der Jacke mit Unterhemd und einem breiten Gürtel.
»Hallo Lukas, schön das Du es trotzdem geschafft hast, ich gehe schon mal vor und beginne mit meinen Übungen. Du weißt ja, die alten Knochen brauchen immer ein bisschen länger, bis sie wieder beweglich werden.«
Keiner hätte auch nur annähernd sein wahres Alter geschätzt, wenn er sich, wie jetzt, in Vorbereitung auf das Training konzentrierte. Diese Übungen, die er seit nunmehr vierzig Jahren ausführte und die ihn ein Sensei im Land des Ursprungs gelehrt hatte, waren ihm im Laufe der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen. Vor fast zwanzig Jahren hatte er dann begonnen, seinen Enkel in dieser Sportart, die er in Japan lieben gelernt hatte, zu unterrichten.
Es war eine Kampfsportart, eigentlich war es eine besondere Form der Schwertkampfkunst, wie man sie aus dem Mittelalter kannte. Der spirituelle Aspekt dieses Schwertkampfes lag dabei auf der charakterlichen Bildung des Kämpfers und erst zweitrangig auf dem Umgang mit dem Schwert.
Ein Teil der Übungen beim Iaido besteht darin, dass man sich einen imaginären Gegner vorstellt, auf den man immer wieder einschlägt. Diese Schläge erfolgen in einem exakt vorgegebenen Ritual.
Sein Großvater hatte ihm unzählige Male erzählt, wie er damit zum ersten Mal in Berührung gekommen war. Er befand sich in einer schwierigen Situation, seine erste Frau, und damit auch seine Großmutter, die er nie kennengelernt hatte, war gestorben. Damals, noch Botschafter in Japan mit einem zehnjährigen Kind und ohne weitere Angehörige fühlte er täglich, wie die Grenzen der Belastbarkeit immer enger wurden. In dieser Situation war es der Onkologe seiner Frau, der eine Pflegerin empfahl, die die Pflege seiner Frau übernahm und ohne, dass dies vereinbart war, sich auch um die Belange seiner Tochter kümmerte.
Erneut war es der Onkologe seiner verstorbenen Frau, der inzwischen zum Freund geworden, ihm half, seinen inneren Frieden wiederzufinden. Dieser hatte ihm mit einer Aussage die Grundzüge seiner Lebensphilosophie nahegebracht. Erst nach Jahren des Trainings und der Besinnung verstand er dessen Philosophie, wenn er sagte »es bleibt immer ein Gegner, den ich besiegen muss, und der bin ich selbst«.
Erst da hatte er begriffen, dass beim Iaido der Charakter und die Persönlichkeit des Kämpfers geformt werden. Er musste lernen, dass das Erreichen gewählter Ziele nur durch Selbstbeherrschung und der nötigen Entschlossenheit erreicht werden kann.
Die Kosten für die Behandlung seiner Frau hatten seine Ersparnisse nicht nur aufgebraucht, er hatte sich darüber hinaus hoch verschuldet. Als seine Kreditwürdigkeit erschöpft und die Bank sich weigerte, das Darlehen zu erhöhen, hatte er nach alternativen Wegen gesucht, um das erforderliche Geld für die Behandlung und Pflege seiner Frau zu verschaffen.
Zuerst überraschte ihn die Großzügigkeit, als er von unbekannter Seite Unterstützung fand und die Hilfe erhielt, die er dringend benötigte. Die Frage nach dem unbekannten Gönner schob er weg, wollte nicht wissen, woher das Geld kam, das die steigenden Kosten deckte.
Auch wenn er sich wunderte, wie bereitwillig die Übernahme der Behandlungskosten erfolgte wusste er doch, dass er dies nicht als Geschenk ansehen durfte. In nicht zu ferner Zukunft würde er dafür eine Rechnung erhalten, deren Begleichung ihm hätte Sorgen bereiten sollen aber er schob Sorgen und Bedenken einfach beiseite. Er hatte keine Wahl.
Die Fragen, die er zum Beginn des Geldeingangs stellte, wurden immer leiser, je länger die Behandlung dauerte. Später hatte er auch diese Fragen eingestellt und das Geld dankbar angenommen.
Dass dieses Darlehen nicht ohne Folgen war, sollte er erst sehr viel später erfahren, als man ihn erinnerte, wie hoch der Betrag mit den Zinsen inzwischen angewachsen war. In dem großen Buch der Schuldner wie die Übermittler der Nachricht sich ausdrückten, stand ein unvorstellbarer Betrag, der nun fällig wurde.
Er hatte diesen Betrag ausgeglichen, hatte für das Darlehen in einer Währung bezahlt, die ihn Überwindung kostete. Aber er hatte bezahlt und geschwiegen und er wurde dabei auch selbst vermögend. Wie dies möglich war, darüber hatte er bisher mit niemand gesprochen, das war bis heute sein Geheimnis.
Lukas nahm das Iaito, ein Metallschwert, das sie beide immer dann benutzten, wenn sie sich zu Übungen trafen, und betrat das Dojo. Sein Großvater, der gerade mit einem sehr viel jüngeren Iaidokadie ritualisierte Übungen ausführte, wirkte sehr viel weniger angestrengt als sein Gegenüber.
Auch wenn dieser sich schneller und kraftvoller bewegte, war die Dominanz seines Großvaters erkennbar, denn er schien jeden Angriff oder Verteidigungsschritt vorauszuahnen. Der Verzweiflung im Gesicht seines jüngeren Kontrahenten begegnete er mit der Ernsthaftigkeit eines Großmeisters. Bei diesen Partnerübungen wurden natürlich nur Holzschwerter benutzt, schließlich sollte es zu keinem Blutvergießen kommen.
Da Iaido eine japanische Schwertkunst ist, deren Technik immer mit dem eingeschobenen Schwert beginnt, bedarf es einer ungewöhnlich hohen Konzentration, um in jeder Situation präsent zu sein. Diese Konzentration und Präsenz, die er aus den Übungen zog, hatte ihm geholfen sich jener Grenzen zu befreien, die der Tod seiner Frau hinterlassen hatte.
Während Lukas sich auf seine Übungen konzentrierte, bekam er, wie nebenbei mit, wie sein Großvater nun mit seinem Gegenüber sprach, um dessen Bewegungsabläufe zu korrigieren. Obwohl schon ein paar Jahre dabei, wurde er manchmal noch vom Ungestüm der Jugend erfasst, der diese Fehlleistungen verursachte.
Lukas erinnerte sich an ähnliche Hinweise seines Großvaters, allerdings war er damals noch ein Kind von kaum zehn Jahren. Die ersten Jahre waren dem spielerischen Umgang der Bewegungsabläufe gewidmet. Um die Spannung für ihn aufrechtzuerhalten, hatte sein Großvater ihm ein in der Größe angepasstes Holzschwert geschenkt. Zum Ende jeder Trainingseinheit trainierten sie dann gemeinsam die ritualisierten Bewegungsabläufe mit dem Kampfschwert.
Nach dem Training verbrachte er meist den Tag mit seinem Großvater und Oma Akira. Erst sehr viel später hatte ihm seine Mutter erzählt, dass Akira nicht seine wirkliche Großmutter wäre, die aber seine Großmutter während ihrer Krankheit gepflegt habe und sich zusätzlich auch um sie gekümmert hatte.
Rückblickend zählten diese Tage zu den glücklichsten Tagen seiner Kindheit, denn es waren Tage der Ruhe und Geborgenheit und es gab nie Streit oder die geringste Unstimmigkeit zwischen den Großeltern.
Diese Treffen endeten abrupt als Akira, wie seine erste Frau an Brustkrebs erkrankte. Während sich der Kampf seiner ersten Frau fast zehn Monate hingezogen hatte, verlief die Krankheit bei Akira sehr schnell. Kaum vier Monate nach der ersten Diagnose starb seine zweite große Liebe und ließ einen gebrochenen Greis zurück. Erneut war es das Training dieses Mal mit seinem Enkel, das ihn aus seinem seelischen Tief befreite, auch wenn die Zeit der Trauer fast ein Jahr andauerte.