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Verantwortung

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Ich möchte abschließend versuchen die Frage zusammenhängend zu beantworten, die vielen Aspekte, die ich angedeutet habe, zusammen zu bringen.

Welche und wie viele Naturwissenschaften braucht der gebildete Mensch?

Zunächst sollte der Mensch so viel Lust und Kenntnis von der Naturwissenschaft haben, dass er bereit ist über sie zu sprechen, und dass er dabei auch Freude haben kann. Das kann sich in kleinen Fragen nach dem Spiegel, in großen Fragen nach der Farbe des Kosmos äußern. Das kann sich in relevanten Fragen nach dem Energieerhaltungssatz äußern. Letzterer beschreibt ein Gesetz über die Erhaltung der Energie. Das bedeutet, dass Energie nicht erzeugt und vernichtet werden kann, sondern immer nur erhalten werden kann. Energie kann nicht zerstört oder vernichtet werden. Wenn das der Fall ist, dann war sie immer da. Dann kann es eigentlich keinen Urknall gegeben haben, indem sie entstanden ist. Sie muss schon da gewesen sein. Das heißt, Energie ist offenbar etwas ganz anderes als das, was Sie sich so vorstellen.

Energie können Sie messen. Strom, Energie, die Sie verbrauchen, müssen Sie bezahlen. Aber Energie ist offenbar mehr, Energie ist etwas, das inhärent zu ihrem Denken gehört. Dafür gibt es den Energieerhaltungssatz. Das lässt Sie vielleicht nach tieferen Gründen des Erhaltungssatzes fragen. Dann stellen Sie plötzlich fest, dass Energie deshalb enthalten ist, weil wir in einer Zeitsymmetrie existieren. Es ist völlig egal, ob Sie ein Experiment um neun oder um zehn Uhr anfangen. Der Anfangspunkt ist in der Messung uninteressant. Das nennt man dann Zeittranslationsinvarianz.

Das klingt komplex, meint aber etwas Einfaches. Die Invarianz, die Symmetrie, zwingt die Naturgesetze so zu sein, dass die Energie erhalten bleibt.

Da haben Sie eine merkwürdige Verbindung zwischen Energie und Zeit. Tiefe, strukturelle Verbindungen, über die es sich einfach nachzudenken lohnt, weil Energie und Zeit auch etwas sind, das Sie nicht gleichzeitig bestimmen können.

Da ist eine ganz spannende, wunderbare Idee, die Sie nur aus einem einfachen Satz gewinnen können.

Das ist das, was ich meine, wenn ich anrege, über diese Sachen zu sprechen. Es lohnt sich, die Voraussetzungen sind nicht groß.

Sie brauchen einfach nur zu wissen, dass Energie erhalten bleibt. Daraus schließen Sie, dass sie unzerstörbar ist. Darüber machen Sie sich dann ihre Gedanken.

Das ist der Punkt. Der gebildete Mensch sollte gewissermaßen in der Lage sein, sich solche Fragen vorzunehmen, darüber zu diskutieren und dabei noch Freude gewinnen. Wenn er das tut, dann wird er nämlich merken, dass die Wissenschaft etwas ist, was nicht äußerlich ist, sondern etwas, das von innen kommt.

Wir leben in einer Kultur, die die Naturwissenschaft vor 400 Jahren erfunden hat. Wissenschaft steckt in uns. Wissenschaft gehört zu uns. Wissenschaft kann uns Freude bereiten. Wir müssen einfach Anteil nehmen an der Wissenschaft. Wir müssen die Dialogbereitschaft entwikkeln, denn Wissenschaft ist etwas, das heute nicht mehr automatisch abläuft, sondern eine Verantwortung erfordert. Wissenschaft ist nicht mehr etwas, das automatisch zum Guten führt. Wissenschaft ist etwas, das verantwortliche Entscheidungen benötigt.

Diese verantwortlichen Entscheidungen müssen von Menschen getroffen werden, die Lust haben über die Wissenschaft zu sprechen. Das wäre eben der gebildete Mensch. Der gebildete Mensch weiß, dass er in einer Kultur lebt, die mit der Wissenschaft die Geschichte macht. Er weiß, dass wir alle zusammen für unsere Geschichte verantwortlich sind. Deshalb muss er mit einem Gespräch über die Wissenschaft an dieser Verantwortung teilhaben.

Das alles zusammen bedeutet, dass der gebildete Mensch soviel Wissenschaft benötigt, dass es ihm möglich ist, voller Freude an einem Gespräch teil zu nehmen und damit bereit ist, Entscheidungen mit zu treffen, die für die Zukunft der Wissenschaft und die Zukunft von uns allen nötig sind.

Wissenschaft und Mensch

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