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2 Konflikte, Abwehrmechanismen und Symptombildung

2.1 Konfliktmodell

Zentrale Bedeutung bei der Entstehung psychischer Störungen hat das sogenannte Konfliktmodell. Die Konzepte des Lust- und Realitätsprinzips, des Abhängigkeits- und Autonomiekonfliktes sowie der narzisstischen Spiegelung und Kränkung beinhalten bereits, dass auch die normale psychische Entwicklung auf Konflikten beruht, die eine gewisse Dynamik, die Psychodynamik, erzeugen. Die Psychoanalyse unterscheidet dabei bewusste und unbewusste sowie äußere und innere Konflikte. Ein äußerer Konflikt ist beispielsweise einer zwischen den Wünschen eines Kindes und einem Elternteil, der sich verbietend oder versagend verhält. Ein innerer Konflikt ist der zwischen Es und Über-Ich, wenn der verbietende Part inzwischen zur inneren Struktur geworden ist, ein Student beispielsweise zwischen dem Wunsch, nicht in die Vorlesung zu gehen, und dem Über-Ich-Druck, hinzugehen, in einen inneren Zwiespalt gerät. Das Über-Ich äußert sich dann in Schuldgefühlen. Durch die Über-Ich-Bildung sind ehemals äußere Konflikte zu inneren Konflikten geworden und sind so ein Garant für die bessere Anpassung an die Forderungen und Erwartungen der Umwelt. Konflikte rufen innere Spannungen hervor, die gelöst werden wollen, um zu einer Art Homöostase zu gelangen.

Während der bewusste Konflikt dem Ich zugänglich ist und nach einer bewussten Lösung drängt, sind unbewusste Konflikte verdrängt oder auf andere Weise abgewehrt und können zur Symptombildung führen. Bei psychischen Störungen spielen gerade die unbewussten Konflikte eine zentrale Rolle. Konflikte können mit chronischen oder akuten traumatischen Erfahrungen verbunden werden. Ein Trauma besteht aus einer unerträglichen Erfahrung von Angst, Scham oder anderen unlustvollen Affekten, die zu einem partiellen Zusammenbruch des Ich führen und eine Mobilisierung von Abwehrmechanismen in Gang setzen. Die Abwehrmechanismen geben dem Ich Zeit zur Neuorganisation und zur Bewältigung der Affekte. Sie können aber auch zur Symptombildung führen und damit zu psychischer Erkrankung. Es entsteht eine neue Leidensquelle.

Art und Niveau des Konfliktes sind dabei maßgeblich für die Entwicklung bestimmter Störungen. Die klassische Einteilung der Psychoanalyse geht dabei davon aus, dass neurotische Konflikte aus sogenannten reiferen, weil später in der Entwicklung auftauchenden Konflikten bestehen, den Konflikten zwischen Es und Über-Ich. Die narzisstischen Störungen dagegen beruhen mehr auf einer Störung des Selbst, einem strukturellen Mangel in Form einer Ich-Schwäche oder Schwäche des Selbst. Die narzisstische Homöostase ist labil. Mentzos (1984, S. 83) weist jedoch darauf hin, dass die sogenannte Ich-Schwäche letztlich auch auf ungelösten Konflikten beruht, und zwar auf sehr frühen Konflikten, beispielsweise dem Abhängigkeits-Autonomiekonflikt oder einem Selbstwertkonflikt. Genetisch gesehen sind alle psychischen Störungen konfliktbedingt. Die Ich-Stärke und Selbstkohärenz befinden sich auf unterschiedlichen Niveaus, die der klassischen Einteilung psychischer Störungen entsprechen: Neurotische Störungen, narzisstische Störungen, psychosomatische Störungen, die ebenfalls den narzisstischen Störungen zugerechnet werden, aber in ihrer Symptombildung den Körper einbeziehen, den Borderline-Störungen und Psychosen, die als früheste Störungen gelten, weil Selbst und Ich am schwerwiegendsten und umfassendsten beeinträchtigt sind, die Anpassung an die Umwelt bei den Psychosen am wenigsten möglich ist.

Das Niveau der Ich-Störung lässt sich auch in der Verwendung der Abwehrmechanismen erkennen. Mentzos (ebd., S. 60 ff.) unterscheidet verschiedene Ebenen der Abwehrmechanismen und der sogenannten Selbstkompensationen. Archaische Abwehrmechanismen werden von frühen Störungen verwendet, reifere Abwehrmechanismen von den Psychoneurosen. Früh versteht sich dabei als Ausdruck der Schwere der Störung, was die Hypothese beinhaltet, dass diese Störungen bereits Konflikte der frühen Entwicklungsstufen nicht lösen konnten und so Fixierungen auf frühesten Stufen seelischer Entwicklung aufweisen, die die Lösung der Konflikte späterer Stufen beeinträchtigten. Dies wird auch als genetisches Modell der Psychoanalyse bezeichnet. Frühe nicht gelöste Konflikte und ihre Folgen sind schwerwiegender, weil sie in die Phase der Konstituierung des Selbst fallen und somit dessen Struktur und Konsistenz beeinflussen.

Abwehrmechanismen sind unbewusst ablaufende Vorgänge, die zwar primär Ich-Funktionen mit Schutz- und Bewältigungsaufgaben darstellen, die aber in der Symptombildung pathologisch werden und den Konflikt nicht lösen, sondern lediglich abwehren und somit aufrechterhalten. Der Konflikt bleibt aktiv und zwingt das Ich zu immer neuen Abwehrleistungen. Die Abgrenzung zwischen normaler Bewältigungsarbeit und pathologischer Abwehr ist dabei nicht immer leicht zu ziehen. Manche Abwehrmaßnahmen können dem Ich Zeit geben, den Konflikt zu bewältigen. Kriterien für das Pathologische eines Abwehrvorganges sind seine Rigidität, die Einschränkung der Ich-Funktionen und der Widerstand gegen die Bewusstmachung des zugrunde liegenden Konfliktes.

2.2 Abwehrmechanismen

Folgende Abwehrmechanismen können vom Ich verwendet werden (vgl. Mentzos 1984, S. 60 ff.; A. Freud 1936):

Auf der untersten Ebene wird der Konflikt auf Kosten einer angemessenen Realitätswahrnehmung abgewehrt:

• Die psychotische, wahnbildende Projektion verändert die Realität mit Hilfe der Projektion. Eigene, unerwünschte Impulse, meist sexuelle wie im Liebeswahn oder aggressive wie im Verfolgungswahn, werden einer anderen, äußeren Person unterstellt.

• Bei der psychotischen Verleugnung werden Ereignisse oder Affekte scheinbar nicht wahrgenommen, zum Beispiel die Behinderung eines Kindes.

• Die Spaltung hält inkompatible Inhalte auseinander. Ambivalenz ist nicht möglich, eine Person der Außenwelt erscheint beispielsweise als nur gut oder nur schlecht. Beide Inhalte sind bewusst, die Wahrnehmung des einen oder anderen Inhalts wird lediglich zeitweise verleugnet. Die Wahrnehmung kann zudem blitzschnell von gut nach böse und umgekehrt kippen.

• Die Introjektion ist, wie die Projektion auch, ein wichtiger Vorgang bei der Entstehung des Selbst in der normalen Entwicklung, kann auch für Abwehrvorgänge verwendet werden, wenn sie die Selbst/Objekt-Unterscheidung zu vermeiden oder rückgängig zu machen sucht. Das Subjekt glaubt dann, jemand anders zu sein.

Auf der zweiten Ebene werden ebenfalls unreife, aber die Realität nicht mehr ganz so grob verzerrende Abwehrmechanismen eingesetzt:

• Die nichtpsychotische Projektion unterstellt eigene Gefühle, Impulse, Tendenzen unbewusst einer anderen Person, zum Beispiel Menschen anderer Kulturen.

• Die Identifikation, zum Beispiel die Identifikation mit dem Aggressor, dem Angreifer, wehrt Angst ab, indem anderen das angetan wird, was man selbst am meisten fürchtet. Es gibt auch hysterische Identifikationen, bei denen Trennung oder seelischer Schmerz abgewehrt wird, indem beispielsweise Symptome einer anderen Person übernommen werden (Husten des verstorbenen Elternteils).

Auf der dritten Ebene befinden sich die psychoneurotischen Abwehrmechanismen:

• Die Intellektualisierung wehrt Affekte ab, indem sie Emotionales in affektloser Art behandelt, sich mit kognitiven Aspekten des Lebens beschäftigt, um das Emotionale besser verdrängen zu können.

• Die Affektualisierung ist das Gegenstück zur Intellektualisierung. Durch eine Art Überemotionalisierung und Dramatisierung sollen Inhalte oder Affekte, meist entgegengesetzte Emotionen, abgewehrt werden.

• Die Rationalisierung liefert sekundäre Rechtfertigungen von Verhaltensweisen durch Scheinmotive, um so von dem eigentlichen Wunsch oder Impuls abzulenken. Das sadistisch motivierte Verhalten eines Pädagogen kann beispielsweise mit pädagogischen Theorien begründet und rechtfertigt werden.

• Die Affektisolierung trennt Inhalt und Affekt, wobei der Inhalt bewusst bleibt, der Affekt dagegen wird verdrängt. So kann jemand scheinbar affektlos über einen begangenen Mord reden, nicht, weil er keine Affekte wie Schuldgefühle und Hass hat, sondern weil diese verdrängt sind.

• Das Ungeschehenmachen macht einen Impuls durch entgegengesetzte Gedanken oder durch einen magischen symbolischen Akt ungeschehen.

• Die Reaktionsbildung ist ein dem Ungeschehenmachen ähnlicher Mechanismus, allerdings werden die unerwünschten und unerlaubten Impulse durch entgegengesetztes Verhalten und Haltungen auf Dauer und habituell abgewehrt. Die Mutter eines behinderten Kindes kann ihre Todeswünsche dem Kind gegenüber durch besonders überfürsorgliches, überbehütendes Verhalten abwehren. Im Unterschied zur Fürsorge aus Liebe ist das Verhalten eher zwanghaft und unflexibel.

• Die Verschiebung ist eine Loslösung emotionaler Reaktionen von ihren ursprünglichen Inhalten und die Verknüpfung mit anderen, weniger wichtigen Situationen oder Gegenständen. Klassisches Beispiel ist die Phobie, wenn beispielsweise ein Kind beim Anblick des gerade geborenen Brüderchens in den Armen der Mutter die Angst, die Liebe der Mutter verloren zu haben, auf einen Aufzug verschiebt und nun Angst hat, Aufzug zu fahren.

• Die Verlagerung richtet unerwünschte oder unerlaubte Impulse, meist Aggression, auf ein anderes als das eigentliche Objekt. Die Wut auf den Chef wird auf die Ehefrau verlagert.

• Die Wendung gegen das Selbst kann eingesetzt werden, wenn Aggression nicht nach außen gegen ein Objekt gerichtet werden kann, meist weil das Objekt fehlt oder weil die Schuldgefühle zu groß sind.

• Die Wendung von der Passivität in die Aktivität ermöglicht die Abwehr angstvoller, passiv erlebter Situationen durch eigenes aktives Verhalten. Das Kind spielt beispielsweise nach einem Zahnarztbesuch, dass es selbst die Zähne der Puppen untersucht.

• Die Verdrängung im engeren Sinne dient der Unbewusstmachung, wobei bei fast allen Abwehrmechanismen der dritten Ebene Verdrängung im weiteren Sinne eine Rolle spielt.

Auf der vierten Ebene werden Vorgänge wie Sublimierung und Neutralisierung angesiedelt. Bei der Sublimierung werden verdrängte Triebimpulse in sozial positiv gewertete Tätigkeiten verwandelt. Diese Form der gelungenen Anpassung ermöglicht dann sowohl Triebabfuhr als auch Anpassung. Neutralisierung meint dagegen auf einer allgemeineren Stufe den Wechsel libidinöser und aggressiver Triebenergie zu einem nichttriebhaften Modus. Die Frage, ob Sublimierung immer Triebverzicht voraussetzt, wurde von Freud bejaht, ist aber heute umstritten.

Wir möchten den klassischen Abwehrmechanismen noch diejenigen anfügen, die speziell der Abwehr narzisstischer Konflikte dienen.

• Die Sexualisierung dient der Abwehr schmerzhafter Affekte, zum Beispiel Schamgefühlen, indem die ganze narzisstische Konfiguration sexualisiert wird. Durch aktive, sexuelle Handlung kann die Situation dann toleriert werden.

• Die Regression in den primären Zustand ist gekennzeichnet durch Rückzug von äußeren Objekten und Sich-Verlieren in Verschmelzungsfantasien.

• Die Verleugnung durch Größenfantasien in Form eines Größen-Selbst dient der Aufrechterhaltung eines narzisstischen Gleichgewichts, das durch Angst, Hilflosigkeit oder Kränkung in Gefahr gerät.

• Die Kompensierung durch Idealisierung dient gleichermaßen der Aufrechterhaltung des narzisstischen Gleichgewichts, nur greift das Subjekt zur Idealisierung äußerer Objekte, die zu allwissenden und omnipotenten Objekten werden, mit denen das Subjekt sich dann identifizieren kann.

2.3 Symptombildung

Symptome entstehen durch die Verwendung spezifischer Abwehrmechanismen. Sie stellen Kompromiss- oder Ersatzbildungen dar. Sie ermöglichen in gewisser Hinsicht Triebabfuhr, befriedigen aber auch das Über-Ich, die Außenwelt oder die Selbstregulation. Das Kind mit der Aufzugsphobie kann beispielsweise seinen Angstaffekt äußern, aber auch die Beziehung zur Mutter konfliktfrei halten. Indem die Symptome sowohl das Abgewehrte als auch die Abwehr enthalten, dienen sie auch der Mitteilung des unbewussten Konfliktes, der Wiederkehr des Verdrängten, dem Wunsch, den Konflikt doch noch zu lösen. Diese Symptomsprache sucht die Psychoanalyse zu verstehen. Die Wege der Symptombildung und deren Verständnis werden wir anschließend an den einzelnen Störungen aufzeigen.

Es wird ferner zwischen Symptombildung und Charakterbildung unterschieden, wobei die Symptombildung in der Regel als Ich-dyston, d. h. Ich-fremd, empfunden wird, die Charakterneurose bzw. der neurotische Charakter dagegen erlebt seine Verhaltensweisen als Ich-synton, d. h., dem Ich zugehörig.

Psychische Störungen in Kindheit und Jugend

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