Читать книгу Psychische Störungen in Kindheit und Jugend - Evelyn Heinemann - Страница 9

1 Psychische Entwicklung und Struktur 1.1 Strukturmodell

Оглавление

Während Freud in seinen ersten Vorstellungen vom seelischen Apparat, dem sogenannten topischen Modell, lediglich zwischen unbewusst, vorbewusst und bewusst unterschied, sprach er in seinem späteren Modell, dem sogenannten Strukturmodell, schließlich von den Instanzen Es, Ich und Über-Ich (Freud 1923b). Das Es ist dabei die psychische Repräsentanz der Triebe, die als Drang oder Wünsche psychisch in Erscheinung treten. Im Es herrscht das Lustprinzip, das Ziel der Triebe ist die Bedürfnisbefriedigung. Im Es gibt es keine Zeitvorstellung, keine Wertungen, keine Moral und Widersprüche bestehen nebeneinander. Es herrscht der Primärprozess mit assoziativen Verknüpfungen. Im Verlauf der Anpassungen an die äußere Realität entwickelt sich das Ich. Wir gehen heute davon aus, dass bestimmte Ich-Kerne bereits bei der Geburt vorhanden sind, eine primäre Autonomie des Ich besteht (Hartmann u. a. 1946). Die Instanz des Ich entsteht nicht nur aus dem Es, wie bei Freud. Das Ich reguliert die Anpassung an die Umwelt, im Ich herrscht das Realitätsprinzip und der Sekundärprozess, es vermittelt zwischen Es, Über-Ich und Realität. Für diese Arbeit stehen dem Ich die Abwehrmechanismen zur Verfügung ( Kap. 2.). Das Ich organisiert Lernen, Erfahrung und Gedächtnis. Das Über-Ich stellt eine Unterstruktur des Ich dar, die ständig verbietend, auffordernd, drohend und belohnend auf das Ich einwirkt. Das Über-Ich entsteht aus der Auflösung des Ödipuskomplexes um das 6. Lebensjahr, Vorläufer gibt es allerdings schon aus der prägenitalen Zeit (vgl. Klein 1928; Grunberger 1974). Als Teil des Über-Ich bildet sich das Ich-Ideal, in dem die Wunschvorstellungen vor sich hergetragen werden.

Hartmann (1939) führte den Begriff des Selbst ein, aus dem die Theorie der Selbststruktur, einer vierten Instanz, entwickelt wurde. Aus der Kritik am Dreiinstanzenmodell, das Neurosen lediglich aus einem Konflikt zwischen den drei Instanzen erklären konnte, und damit sogenannte narzisstische Störungen, die mehr Störungen im Selbsterleben betrafen, wie beispielsweise die Depression, nicht ausreichend verstanden werden konnten, wurde die Theorie des Selbst entwickelt. Das Selbst entsteht aus der Verinnerlichung von Interaktionserfahrungen, die sich als Selbst- und Objektrepräsentanzen im Selbst niederschlagen. Psychische Struktur entwickelt sich aus der Verinnerlichung von Beziehungserfahrungen. Reale und fantasierte Erfahrungen mit der Umgebung werden in innere Charakteristika und Regulationen verwandelt. Mentzos (1984, S. 43) fasst zusammen:

• Es geht nicht um die objektiven realen Beziehungen als solche, sondern um die Erfahrungen, die das Subjekt mit ihnen gemacht hat, also auch um Fantasien über die Beziehungen.

• Gemeint sind nicht nur kognitive Abbilder der Umwelt und im Gedächtnis, sondern durch sie bedingte Veränderungen in der Struktur des Selbst.

• Es geht nicht nur um eine Verinnerlichung von Charakteristika des Objektes, sondern um die Internalisierung von Interaktionen. Internalisiert werden ganze Objekte oder Teilaspekte. Der Mensch führt ein Leben lang einen inneren Dialog mit den verinnerlichten Objekten.

Wir sprechen von den Selbst- und Objektrepräsentanzen als innerpsychischem Niederschlag von Erfahrungen. Verinnerlichung findet entlang der Entwicklungslinie von Inkorporation – Introjektion – Identifikation statt, von archaischeren zu differenzierteren Formen der Verinnerlichung. Während bei der Inkorporation in Anlehnung an den oralen Modus ein Objekt mit Haut und Haaren verinnerlicht wird, »wir essen und trinken den Leib Christi« und identifizieren uns so auf eine archaische Weise mit ihm, wird das Objekt bei der Introjektion zwar noch als ganzes Objekt verinnerlicht, aber nicht mehr auf dem Wege konkreter Einverleibung. Bei der reiferen Identifikation wählt das Subjekt unbewusst aus, identifiziert sich mit bestimmten Aspekten, ist aktiver am Prozess der Verinnerlichung beteiligt. Die Inkorporation findet vor einer Differenzierung zwischen Selbst und Objekt statt. Bei der Introjektion hat eine Differenzierung stattgefunden, die Objektbeziehungen sind aber noch sehr ambivalent. Die Identifizierung dagegen setzt eine reife Objektbeziehung voraus.

Erfahrungen werden allerdings nicht nur verinnerlicht, die Psyche steht von Anfang an in einem wechselseitigen Austausch mit der Umwelt. Erfahrungen werden auch externalisiert. Entsprechend ist der früheste Vorgang des Sich-Entledigens die Exkorporation (in Anlehnung an das Erbrechen), in der weiteren Entwicklung stehen dann Projektion und Selbstobjektivierung in der schöpferischen Tätigkeit (ebd., S. 48).

Psychische Störungen in Kindheit und Jugend

Подняться наверх