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Kapitel 9: Die Geschichte mit dem Messer

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Ausnahme ja, aber doch nicht so sehr Ausnahme, daß ich auch noch die Sonderregelung bekommen hätte, ein Messer mit in der Zelle zu haben – ein Messer wozu? Nicht, um mich umzubringen, aber notfalls wäre das mit diesem Messer schon möglich, und wenn der Druck zu stark wird. Ich habe eine Zeichen- beziehungsweise Schreiberlaubnis, habe sie, die Zeichenerlaubnis in Form einer Schreiberlaubnis, und ich habe einen Packen Bleistifte ausgehändigt bekommen, den Speedy mir dankenswerterweise gleich mit ins Gefängnis geschickt hat – ohne diese Bleistifte hätte sie sich ja auch wohl als Künstlergattin disqualifiziert. Aber Bleistiftminen, die werden stumpf, Bleistifte müssen immer wieder neu angespitzt werden, und also hat Speedy auch an das Anspitzmesser gedacht, mein Anspitzmesser, das bei mir im Atelier ja auch schließlich mit den Bleistiften in einem Kasten liegt, einem Schuhkarton, einem sehr schönen sogar und einem, in dem mal ein Paar sehr schöner Knöpfschuhe ihren Weg von der Fabrikation in den Laden und von dort zu uns ins Haus und an Speedys Füße fanden. Die Bleistiftanspitzer, die zum Drehen, die mag ich doch nicht, weder die kleinen, die in der Hand zu halten sind und bei denen man sich regelmäßig Blasen an den Fingern holt, wenn man gleich mal mehr als nur einen einzigen Bleistift spitz kriegen will, noch diese neumodischen Dinger, diese Anspitzmaschinen, die man am Tisch festschrauben kann und die so gut in unser technisch-bürokratisches Zeitalter passen, aber doch nicht zu einem Künstler – um so mehr war ich erstaunt, bei meinem Freund George ein solches Maschinchen zu finden, aber George hatte ja auch eine Macke, er wollte technisch immer up to date und eines dagegen nicht sein: ein Künstler, was er aber natürlich doch war und blieb. Bei einem Anspitzer, da müßte ich doch auch viel zu oft für eine neue Spitze sorgen, so schnell wie die kleinen, die da nur zu erreichen sind, wieder von mir runtergezeichnet werden. Ich nehme, und das mag altertümlich sein, ein Messer zum Anspitzen, und ich schabe sie dann immer so dünn an, die lang herausgeschälte Mine, daß sie für eine ganze Weile spitz bleibt, und das mache ich immer gleich mit mehreren, und da heißt es dann aufpassen, daß mir keine der Spitzen beim Anspitzen abbricht, und da habe ich schon meinen Ehrgeiz, daß das nicht passiert, und es ist ja auch ein bißchen wie eine heilige Handlung, so, wie wenn der Priester seine Schalen auf den Altar stellt und den Kelch, und das Eigentliche, das kommt ja auch bei der Messe dann danach erst – als Einstimmung ist das gut, als ein Moment der Konzentration. Aber diesen Moment will man mir hier natürlich nicht zugestehen, eine Messer-Erlaubnis war nicht auch noch zu bekommen, soweit geht’s mit meinen Privilegien nun doch nicht, denn eine Messererlaubnis, das wäre ja so etwas wie eine Sich-selbst-umbring-Erlaubnis, eine Suizid-Genehmigung, und die widerspricht natürlich fundamental der Anstaltsordnung – mit diesem Hinweis enthielt mir der Vernehmer bei der Übergabe des Skizzenbuches und der Bleistifte das selbstmörderische Anspitzmesser vor, denn Selbstmorde und sogar Selbstmordabsichten, die sind hier natürlich nicht erlaubt. Ich konnte mich des zynischen Kommentars nicht enthalten, daß das an einem solchen Ort der Unfreiheit verständlicherweise nur von Staatswegen geschehen dürfe – der Vernehmer fragte, was, was hier nur von Staatswegen geschehen dürfe, und ich antwortete ihm, einen Menschen umzubringen. Und als er mich verdutzt ansah, sagte ich, ich sei natürlich Anhänger der Todesstrafe, aber auch dafür, daß ein Mensch über sich selber und sein verkorkstes Leben die Todesstrafe verhängen dürfe – jetzt eben, wo ich dies schreibe, kommt mir der Gedanke, daß es Speedy vielleicht bei der ganzen Operation mit dem Skizzenbuch und den Bleistiften eigentlich um dieses Messer gegangen sein könnte und damit darum, mir die Möglichkeit zu verschaffen, mich notfalls umbringen zu können. Das wäre zwar ganz lieb, aber natürlich ganz schön naiv von ihr gewesen und in Unkenntnis dessen, was einem hier gleich als Erstes bei der Einlieferung ins Gefängnis widerfährt: man nimmt einem Häftling alles ab, mit dem er sich umbringen könnte, die Hosenträger und sogar die Schnürsenkel, damit er nichts in der Zelle hat, sich zu strangulieren. Und dann folgt noch die Leibesvisitation, der ich doch, wie jeder andere Häftling auch, unterzogen wurde – eine hochnotpeinliche Situation, besonders die Untersuchung des Afters. Keine Ahnung, was man in seinem Hintern verstecken könnte – Schlaftabletten vielleicht zum Für-immer-Einschlafen. Oder Giftampullen. Oder Koks. Das Messer kommt also mit zu den Effekten, es wird mir bei meiner Entlassung, so es denn mal eine Entlassung geben wird, mit meiner Armbanduhr, meinen Hosenträgern, meinem Ledergürtel und den gefährlichen Schnürsenkeln wieder ausgehändigt werden. Ordnung muß sein. Statt des vertrauten Messers also bekam ich von meinem Herrn Vernehmer einen dieser Bleistiftanspitzer, die ich nicht leiden kann und mit dem ich mich nun abzuquälen habe, und er holte ihn mit dem Hinweis aus der Schublade seines Schreibtisches heraus: »Den bekomme ich aber wieder zurück, wenn Sie hier entlassen werden.« Ordnung muß sein – worauf mir ja dann nichts anderes blieb, als etwas süffisant ironisch anzumerken, daß ich mir demnach darauf noch Hoffnungen machen dürfe, auf eine Entlassung. Seine Antwort darauf hatte es in sich: diese Hoffnung, die würde er mir nicht nehmen wollen, und aus der Untersuchungshaft würde ich eines Tages auf alle Fälle entlassen, dann nämlich, wenn die Untersuchung beendet ist und ich meinen Prozeß hinter mir habe.

Speedy – Skizzen

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