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Kapitel 2: Nomen est Omen

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Diese Frau, diese stolze junge Römerin, sie muß natürlich einen Namen bekommen, klar, sie kann doch nicht namenlos durch die Gassen der Millionenstadt Rom stolzieren. Sie braucht einen Namen, und ich bin es, der ihr einen Namen geben muß, nicht etwa ihr Vater, der patriarchalische Herrscher über die Familie, in die sie vor fast dreißig Jahren einmal hineingeboren wurde, und sollte es römische Sitte gewesen sein, da könnte ich mich irgendwann unter anderen Umständen sicher auch mal sachkundig machen, daß es die Mütter waren, die ihren Kindern, die zumindest ihren Töchtern einen Namen gaben oder diesen wenigstens dem Familienoberhaupt vorschlagen konnten, so wäre ich als der Autor dann nicht nur in diesem Moment der Namensgebung Vater, sondern ein bißchen auch Mutter, und damit zweigeschlechtlich, und das würde mir natürlich schon mal ganz gut gefallen. Am leichtesten wäre es mir natürlich, ich würde dieser antiken Römerin den Namen Speedy geben können, der mir doch ein ganz geläufiger ist und mir deshalb völlig problemlos aus der Feder fließen würde. Aber weder schreibe ich mit einer Feder, sondern stattdessen mit einem mühevoll angespitzten Bleistift, noch geht eine Speedy mit einer Römerin zusammen, und dies noch nicht einmal, wenn ich annehme, daß die ferne britische Insel zu dieser Zeit bereits in ihrem südlichen Teil von Rom erobert worden war und die dort lebenden barbarischen Exoten römische Mode geworden sein sollten. Speedy, das klingt eindeutig nach der Gegenwart, nach dem düsteren, verdüsterten 20. Jahrhundert, in dem ich lebe und leben muß und mit mir auch die Speedy, die ich ganz gut kenne, weil sie immerhin meine Frau ist. Aber auch in meiner Zeit und besonders jetzt, wo wir noch einmal in dem Germanien, in dem ich schreibe, so richtig deutsch sein wollen und auch sollen, würden die meisten Leutchen ihre Schwierigkeiten haben, in einer Speedy überhaupt eine Frau zu vermuten, und sich fragen, was das denn soll – was das soll? Ganz einfach: ein Spitzname soll das sein, und ich hätte sie ja wohl schwerlich Rasch oder Schnell nennen können, und ein Name wäre das dann in deutschen Ohren schon gar nicht gewesen. Georg nannte sich George und Helmut wollte Johnny heißen und machte aus dem Herzfelde seines Familiennamens ein Heartfield, und auch Bertolt wollte von seinen Freunden lieber Bert genannt werden, das ja auch so ein bißchen englisch ausgesprochen werden kann. Nur Jünger, der wollte diesen englisch-amerikanischen Quark natürlich nicht mitmachen, wollte doch verdammt deutsch bleiben, und Jünger wäre wohl auch nicht mehr Jünger, wäre er nicht mehr so ernst, sondern nur noch Ernest, und er wäre wohl schon geradezu unernst zu nennen, wäre er ein Ernie – nur von wem er der Jünger ist, das habe ich mich bei Jünger dann doch irgendwann zu fragen begonnen, nachdem mir klar wurde: der Heiland ist er nicht, nicht der Erlöser und ein Anführer auch nicht. Aber es gibt ja auch noch andere Sprachen, in die man ausweichen kann, und mein Rudolph, das hört sich schon schlimm genug an, aber fast derselbe Name mit A vorne, das wäre nicht zum Aushalten, da würde man sich lieber in Fritz Scheiße umbenennen lassen – auf Italienisch klingt das doch gut: Rudolfio – oder hieß er nicht doch nur Rudolfo, der Valentino? Wie bald man doch diese Namen wieder vergißt, wie rasch sie verglühen, diese Sterne, und bei seiner Beerdigung wollten sich mehrere hysterisierte Weibspersonen umbringen, am noch offenen Grabe – phantastisch, und natürlich wäre keiner meiner Freunde auf die Idee gekommen, einen so häßlichen Zwerg wie mich ins Italienische eines Rudolfiotisssimo abzuwandeln. Ich ging eigentlich immer ohne Vornamen durch, wurde nur Schlechter genannt, werde es von meinen Freunden, meinen Bekannten und sogar von meiner Frau auch bis zum heutigen Tage, und ich kann ja auch nur von Glück sagen, daß ich immerhin Schlechter heiße und nicht etwa Schlichter, denn wenn ich eins nicht war, eines jedenfalls nicht sein wollte, dann schlicht und ein schlichtes Gemüt schon gar nicht. Schlechter, das ist doch für einen Künstler gar kein so schlechter Name, weil sich den eben jeder gut merken kann, und wenn man da dann noch zur Unterstützung des Bekanntheitsgrades ein Lokal Schlechter in der gleichen Stadt hat, ein in Künstlerkreisen stadtbekanntes Künstlerlokal, wo dann auch der Anhang gern hingeht, ein bißchen Bohemeluft zu schnuppern, und die Leute, die was für Kunscht übrig, auch Geld übrighaben, dann wird’s immer besser, möchte man meinen – Grund also, meinem Namen zu danken und meinem Bruder zu danken, dem Wirt des Schlechter in der Ansbacher Straße, und am besten dabei ist natürlich, daß mein Bruder das mir verdankt, denn ich habe ihn schließlich dazu gebracht, aus seinem bis dahin sinnlos versoffenen Leben eine Kneipe zu machen, habe ihm erst mal auch die Kundschaft rangeholt, dank meines Namens. Sein Schlechter aber ist übriggeblieben, Bier und Bockwurst und seine Erbsensuppe sind unverfänglich, die läßt auch unser Nazi durchgehen.

Werten wir’s als Anzeichen der starken Veränderungen, als Anzeichen einer Übergangsepoche, wenn da so viele Menschen nicht mehr bereit sind, den Namen fraglos zu tragen, den ihre Eltern ihnen gegeben haben, wenn man sein eigener Namensgeber sein will. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei, und diese ganzen Namensspielchen, sie gehören einer längst vergangenen Epoche an, und auch meine Speedy würde heute sicher als Elfriede Elisabeth, denn so heißt sie ja von Hause aus, mehr up to date sein – aber auch up to date ist ja nicht mehr up to date und angesagt. Man muß sich da nur immer wieder dreinfinden, in die neuen Zeiten – zum Glück hat man Tausend Jahre Zeit zum Üben. Wir sind Überlebende, unsere Zeit ist um, und sie kommt nie wieder. Die römische Antike, die ist noch ein bißchen mehr vorbei, und wer wie ich einen historischen Roman zu schreiben sich vorgenommen hat, der bemühe sich um Zeitkolorit, besonders als Maler, auch wenn ich als Maler nie so ein richtiger Kolorist war, den es nun in die Schriftstellerei verschlagen hat – wenigstens der Name meiner Heldin sei ein römischer, und deshalb heiße sie bei mir einfach Flavia, die schöne junge Römerin mit ihrem leichtfüßigen Schritt, in leichten sommerlichen Sandalen durch die schmutzigen Gassen schreitend. Warum Flavia? Ganz einfach, weil er mir grad so eingefallen ist, dieser Name Flavia, und ich schreibe ja hier drauflos und das nieder, was mir spontan einfällt. Geplant und vorbereitet ist hier nichts, eines eingehenden Studiums der römischen Geschichte und der römisch dekadenten Sitten dieser Zeit, in der mein Roman spielen soll, habe ich mich nun mal nicht befleißigen können. Die Umstände sind nicht danach. Aber das läßt sich ja alles vielleicht auch noch einmal nachholen – vielleicht, denn so sicher ist das nicht, daß ich noch einmal an die geliebten Bücher bei mir zu Hause in der Bibliothek herankomme, denn, was weiß ich, an einem solchen Orte, wo ich mich mit meinem noch fast leeren Buche befinde, stirbt es sich ja leichter, als mir lieb sein kann, und mancher kommt hier nicht lebend mehr heraus. Doch genug von mir, genug von der Hölle auf Erden – Flavia also, Flavia.

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