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Kapitel 5: Der Orkus

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Das Loch ist sicher größer, durch das wir uns sehen können, Speedy und ich, beim Sprecher, wie es hier heißt, als im alten Rom – würde ich mal annehmen und auch, daß die Zellen mehr unterirdische Verliese waren, wo man angekettet mehr dahinvegetieren denn leben, gleich sich auch mal bewegen, konnte. Es gibt auf alle Fälle Schlimmeres vorzustellen denn Erkner, die Untersuchungshaftanstalt in Erkner hinterm Polizeirevier, neben der Meldestelle, dem örtlichen Polizeipräsidium oder wie’s heißen mag, und es gibt dieses Schlimmere an Knast, Gefängnis, Zuchthaus nicht nur irgendwo in China, und Sing-Sing soll ja auch die Hölle sein auf Erden, und nicht nur für sehr viel frühere und rohere Zeiten vorzustellen, es gibt das Schlimmste, den Rückfall in die Barbarei, mitten unter uns in Deutschland, und jeder kennt so ein paar berüchtigte Ortsnamen. Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen, das ist hier fast um die Ecke, in Oranienburg, bei Oranienburg ganz dicht daneben. Man weiß es, aber natürlich geht sich keiner das mal näher anschauen, von außen wenigstens, denn da rein will ja wohl niemand. Und ich schon gar nicht. Es kommen ja auch immer mal wieder welche raus, hört man, und vor gar nicht langer Zeit soll es so eine Welle gegeben haben von Entlassungen. Das Regime sitzt sicher im Sattel, fühlt sich jedenfalls so, würde ich meinen, und hat ja auch allen Grund dazu. Es wird also Platz sein im Lager, und mir wäre lieber, es wäre dort alles vollbelegt, und vielleicht haben sie ja auch Platz gemacht, weil sie schon den Nachschub auf der Liste haben, vielleicht steht irgendwas bevor. Man weiß das ja nie und müßte ganz genau beobachten, was sich so im Völkischen Beobachter in den Andeutungen entwickelt und davon ausgehend vorausahnen läßt, aber ich hab das doch nicht gelesen, mir nicht antun wollen. Nach der Lektüre dieser Zeitung, da bewege ich doch einen Tag lang meinen Pinsel nicht mehr, das hinterläßt doch eine gewisse Lähmung, gegen die der Kunstsinn schwer anzukämpfen hat. Man kann gar nicht, soll der alte Liebermann in seinem Palais am Brandenburger Tor gesagt haben, soviel fressen, wie man kotzen möchte, und das war immerhin ein wohlerzogener Mann aus gutem Hause, der wußte, daß man nicht kotzen sagt, sondern: sich übergeben. Oder brechen, sich erbrechen, bis zum Erbrechen – aber er war ja Impressionist und wollte es bis zu seinem Tode bleiben. Der ja dann auch wirklich bald eintrat, ohne daß da jemand direkt nachgeholfen hat, hätte nachhelfen müssen. Ich war zu jung, um da schon einen Abgang zu machen, ich bin es immer noch auch sechs lange Jahre später. Ich habe doch noch ein Spätwerk vor mir – meinte ich jedenfalls bis vor zwei Wochen. Und einen Tag mehr, wollte ich ganz exakt sein, und ich will es, denn hier, wo jeder Tag doppelt und dreifach und vielfach mehr zählt als draußen in der Freiheit, zählt man ja die Tage – zum erstenmal würde ich das Freiheit nennen, das Dadraußen, das Nazi-Dadraußen, das unfreie Deutschland.

Speedy – Skizzen

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