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Kapitel 14: Heiliger Bimbam

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Ein Monat ist um. Der erste – auf den wie viele noch folgen werden? Jahre? Und nicht etwa Monate bloß? Was heißt da bloß – ich hatte gedacht, nach einer Woche wieder draußen zu sein. Hatte es gehofft und hatte geglaubt, keine zwei Wochen hier überleben zu können. Ich lebe noch, und die Untersuchung meines hochnotpeinlichen Falles geht ununterbrochen weiter. Und konzentriert sich jetzt auf meine angeblichen Verbindungen zur katholischen Kirche, die hier über zwei theologische Schwänze gelaufen zu sein scheinen, so daß ich, ohne es so richtig gemerkt zu haben, und auf diesem Weg vom Heiligen Geist heimgesucht wurde. Ich finde das ja überhaupt einen bemerkenswerten Umstand, daß er sich nicht zeigt, wenn der Ungeist so gegen ihn anwütet, der nationalsozialistische – Adolf Hitler, der Führer aller Heiden, ist präsent, sehr sogar, und früher, zu früheren Zeiten hätte er doch dagegen losgedonnert, der eifersüchtige Gott. Er wird uns doch nicht etwa vergessen haben? Eine kleine Machtdemonstration, daß er mal ein bißchen Feuer regnen läßt, das wäre seinen bedrängten Seelen doch sehr willkommen und eine große Hilfe. Aber er zeigt sich nicht, er rührt sich nicht, wir sind ihm egal, und ich hatte ja wirklich amüsante Streitgespräche mit den beiden theologischen Untermietern und Beischläfern meiner Frau zum Thema Gott und lieb und Allmacht und was das denn überhaupt für eine abscheuliche Schöpfung sei, denn siehe da: Adolf Hitler und die Welt, sie ist ja nun wirklich nicht gelungen, ein Schlachthaus, eine Fehlkonstruktion, die Zeit für eine neue Sündflut ist da. Aber wir haben ja jetzt Wasser, auch das Weihwasser übrigens, aus der Wand, aus dem Wasserhahn, und man nenne das Fortschritt, und da scheint ja Gott nicht mehr mithalten zu können mit seiner Kreatur, dem fleißig fanatischen Erdenwurm – den Theologen machte das auch Spaß, mit mir zu diskutieren, disputieren, debattieren, und wahrscheinlich war es ihnen erst einmal nur sehr viel angenehmer, daß ich unsere notwendige Auseinandersetzung ins Geistige verlagerte und nicht daranging, sie mit dem großen Küchenmesser zu entmannen, denn dort in der Küche trafen wir ja notwendig zusammen, und dort auch fanden sie statt, zwischen Kartoffelschalen, abgegessenen Tellern und vollgestopften Aschenbechern, die beiden rauchten ja wie die Schlote, unsere heißen theologischen Streitereien, und sie zogen sich manchmal endlos hin, bis spät in die Nacht. Mal wechselten sie sich ab in ihrem Text, weil mal der eine, mal der andere bei Speedy im Schlafzimmer war, ein andermal ließen sie sich beide schon beim Frühstück von meinem verführerischen Geist gefangennehmen, und das gefiel Speedy dann überhaupt nicht, die mich irgendwann zur Arbeit ins Atelier abkommandierte.

Einmal, und ich würde schon sagen, daß das eine Zuspitzung von Speedy war, eine äußerst aggressive, da war ich mit den beiden zukünftigen Dottori der Theologie an einem Sonntag direkt nach der heiligen Messe, die wir zu viert besucht hatten, Speedy als wohl einzige Freiwillige, die beiden Kirchendiener in spe um ihrer zukünftigen Anstellung willen und ich, wie immer gezwungenermaßen, hinterdrein, mächtig ins Debattieren geraten, schon auf dem Heimweg, und ich weiß gar nicht mehr, was für eine Lesung es war, die meine heftig blasphemischen Bemerkungen so sehr provoziert hatte, welch Wort des lebendigen Gottes – egal, jedenfalls verkrallten wir uns richtig mit unseren Argumenten ineinander, und die Diskussion ging dann am Küchentisch weiter, während ich den seltenen Sonntagsbraten, den sie spendiert hatten, die beiden Diener Gottes, anrichtete und in den Ofen schob. Speedy verschwand wortlos, Speedy beteiligte sich an diesen atheistisch-religiösen Grundsatzdebatten ja nie, für sie war das Kokolores und hatte nichts mit dem Glauben zu tun, der für sie, je absurder, je glaubwürdiger ist. Ich weiß auch nicht, wie lange wir so verbissen miteinander gerungen hatten, der Braten brutzelte so vor sich hin und erfüllte die kleine Küche mit Wohlgerüchen, als Speedy plötzlich zur Tür hereinkam. Nackend, so gut wie nackend, nur mit einem großen Handtuch über ihren Schultern, das ein bißchen ihre Blöße bedeckte, ihre Brüste, mehr aber auch nicht, so, als sei sie grade der Badewanne entstiegen, und ich nehme auch an, daß dem so gewesen sein dürfte, daß sie in der Zwischenzeit gebadet hatte. Sie kam einfach rein, sagte kein Wort, und auch wir drei versuchten, als wäre nichts, unser plötzlich reichlich absurdes Palaver fortzusetzen – die beiden Theologen schauten noch nicht einmal auf, aber ich sah natürlich, wie sie bei Speedys Auftritt zusammenzuckten und sich dann duckten, Panik im Blick, denn das war ja nun bei aller Freizügigkeit im Hause Schlechter nicht das Übliche, daß die Herrin des Hauses da so einfach mir nichts, dir nichts nackend, so gut wie nackend, durch die Räume geistert, und besonders in unserer Küche wirkte das befremdlich und hatte etwas verstörend Demonstratives. Ich weiß nicht, ob es zwischen Speedy und ihren beiden theologischen Beischläfern eine Beischlaf-Verabredung für die Zeit nach der Messe gegeben hat, aber für möglich halten würde ich’s, denn sie sündigt ja besonders gern nach dem Abendmahl, der Kommunion, die da hinwegnimmt die Sünde der Welt – wie dem auch gewesen sein mag, sie schauten jedenfalls mächtig bedripst, die beiden Helden von der theologischen Fakultät, und auch ein bißchen schuldbewußt, aber ich weiß ja nicht, wie ich aus der Wäsche geschaut haben mag in diesem Moment, wie dumm, wie irritiert. Speedy ging hinter ihren beiden Männern entlang, machte dann eine Wendung und setzte sich neben mich, ihren Ehemann, auf den Küchentisch. Meine beiden Gegenüber hätten sie gut im Blick gehabt, ich hätte mich zu ihr seitwärts umdrehen müssen, aber in dem Moment versuchten wir drei uns noch verzweifelt auf die Tischplatte zu konzentrieren, als würde dies unser Gespräch retten können. Dies änderte sich schlagartig, als Speedy ihr eines Bein auf den Tisch stellte, ihre Schenkel also weit dadurch spreizend – ihre Muschi, ihre Fut, ihre Vagina (oder wie man denn das weibliche Geschlechtsteil auch immer nennen mag) war kahl und, wie ich sofort annahm, eben von ihr im Bad rasiert worden. Die Schamhaare waren weg. Wegrasiert, abrasiert. Für mich nicht, aber für die beiden heiligen Männer muß es eine Premiere gewesen sein – nehme ich jedenfalls an. Nahm ich auch damals schon an. Ich hing ja schließlich nicht die ganze Zeit am Schlüsselloch, wenn sie mit den beiden Herren zusammen war. Ich weiß nicht, wie’s auf die beiden wirkte, diese doppelte und gesteigerte Entblößung ihres Geschlechtsteiles, ich fand’s wahnsinnig aggressiv. Geradezu fordernd. Gleichzeitig abstoßend. In der Südsee, habe ich mal bei irgendeinem Ethnologen gelesen, schlagen die Weiber einen männlichen Eindringling in die Flucht, wenn sie ihn nicht in ihrem Frauenbereich haben wollen, indem sie ihre Röcke heben und das Geschlecht zeigen – also ich wäre gern geflohen in diesem Moment, für mich galt ja auch die Aufforderung nicht. Ich kann das ja nicht, was eine Vulva so fordert, wozu sie auffordert. Aber es kam noch schlimmer, Speedy steigerte die Aggressivität noch ihrer scham- und schamhaarlosen Entblößung: plötzlich hatte sie einen Lippenstift in ihrer Hand, jedenfalls hatte ich ihn vorher nicht bemerkt und meine beiden Mit-Männer wohl auch nicht, deren noch einmal mehr erstaunter Blick zu fragen schien: was hat sie jetzt bloß mit diesem Lippenstift vor? Ja, was hatte sie mit ihm vor? Wir sollten im nächsten Moment Zeuge dessen werden, Zeugen davon, wie sich Speedy in breiten Streifen ihre kahl rasierten Labien, ihre äußeren Schamlippen rot anmalte – auch sie also eine Malerin, sage ich jetzt mal zynisch, und ich sage es so zynisch, weil es nahezu unerträglich war, diesen Malakt in seiner ungeheuerlichen Aggressivität ansehen, ihm zusehen zu müssen. Wie eine Wunde sah ihre Vulva aus, eine blutende Wunde, aber auch wie ein Mund, der über uns hohnzulachen schien, über alle Männer und diesmal nicht nur über mich Wenig-Mann – als riefe uns dieser Vulva-Mund zu: Was seid ihr doch alle für Schlappschwänze! Es war schrecklich, in seiner Schrecklichkeit von antikem Ausmaß – als wären wir plötzlich in archaische Zeiten zurückversetzt, wo aber auch nichts mehr gilt, was wir für gesicherten zivilisatorischen Fortschritt halten. Und dann lächelte sie, lächelte Speedy, und ihr Lächeln, es war vollkommen unergründlich, ohne nachvollziehbaren Anlaß, noch nicht mal, daß man hätte meinen können, ihr wäre da plötzlich ein Gedanke gekommen, der sie lächeln macht. Es war das Lächeln einer Göttin – ich weiß nicht, wie meine beiden katholischen Adepten das für sich eingeordnet haben, für die es ja nur die jungfräuliche Maria als Ersatz früherer Göttinnen gibt, aber für mich war sie dies in diesem Moment: eine Göttin, eine furchtbare, eine zu fürchtende Göttin, eine Rachegöttin vielleicht – Rache nehmend für all die unbefriedigten Frauen und besonders Ehefrauen. Dann stand sie wortlos wieder vom Tisch auf und verließ, ohne ein einziges Wort der Erklärung, ohne auch ihre beiden Liebhaber dazu aufzufordern, ihr zu folgen, die Küche. Wir saßen für einen Moment stumm und gesenkten Blickes da. Wie unter Schock. Und natürlich erhob sich dann erst der eine, dann auch der andere dieser beiden Hanseln, ungelenk und mir gegenüber irgendeine belanglose Entschuldigung murmelnd, und nachdem sie verschwunden waren, schaute ich im Herd nach, wie weit unser Sonntagsbraten wäre, und es dauerte dann natürlich eine ganze Weile, bis wir vier am Mittagstisch wieder versammelt waren. Und Speedy machte Witze, Speedy ging es gut, Speedy hatte ihren Spaß. Und der Braten, er schmeckte auch gut, uns allen gut. Uns Vieren.

Ich meine, für Speedy müssen diese Diskussionen zwischen mir und unseren katholischen Untermietern, an denen sie zwar konsequent nie teilnahm, von denen sie aber sicher genug mitbekam, so laut, wie wir da oft stritten, um zu wissen, worum es dabei ging, und insbesondere, welch verwerfliche Positionen ich, ihr Mann, dabei jeweils vertrat, eine Offenbarung gewesen sein, die Offenbarung ihres Fehlschlages, des Desasters, daß das mit der allumfassenden Katholizität, die sie für mich vorgesehen und als einzige Rettung erachtet hatte, doch nichts geworden war. Nun kam es heraus, und ich war selber erstaunt, wie atheistisch es aus mir herauskam, denn schließlich hatte ich mich ja jahrelang bemüht, hatte ich mich in die Versuchung gebracht, wirklich gläubig zu werden, werden zu können. Ich glaube nicht, daß es einen Atheisten außer mir jemals sonst gegeben haben wird, der so oft in einer Kirche zu sehen war, der sich mit dem Heiligen Geist so hat imprägnieren lassen – nicht, daß ich darauf irgendwie stolz wäre, wo ich ja da meistens nur mit verstocktem Herzen dabeisaß und vielleicht glauben wollte, ganz gern hätte glauben können, müssen, sollen, wollen, aber eben doch nicht glaubte. Das soll sich ja um eine Offenbarungsreligion handeln, behaupten sie jedenfalls, mir aber offenbarte sich nichts – außer vielleicht die Macht des Rituals, denn das hat ja schon einen Effekt, einen läuternden vielleicht sogar, der ganze starr festgelegte, immer wieder wiederholte Ablauf der heiligen Messe, aber das dürfte bei andern Messen anderer Religionen nicht anders sein, und ich habe da mal was von japanischen Mönchen gehört, die, bevor sie sich dann doch über ihren wieder kalt gewordenen Reis hermachen, erst einmal eine halbe Stunde lang aufzählen, wer alles und mit welcher Mühsal daran beteiligt war, daß sie diesen Reis zu sich nehmen können, und hätten sie noch über die Reisschalen gesprochen, aus denen sie aßen, und was das für eine Arbeit war, die nun herzustellen, und die Ofenbauer nicht zu vergessen und die Holzschnitzer für ihre Stäbchen, und das alles jeden Tag, bei jeder Mahlzeit eingedenk, das bleibt sicher auch nicht ohne Wirkung aufs Gemüt. Da brauche ich den ganzen Jesus nicht und das Brot und den Wein, sein Blut, seinen Leib – wie kannibalisch, Gott essen. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast – da finde ich diese japanischen Reiskornanbeter realistischer, und einem früheren Kommunisten, der mal an die Mission der Arbeiterklasse geglaubt hat, ist das natürlich auch sympathischer, ich meine: unter uns Parasiten gesprochen, uns Künstlern, Mönchen, Pfaffen und Theologen. Das Ritual wirkt, ist es gut ausgedacht, gut inszeniert, wirkt es, aber auch das morgendliche Ritual des Zähneputzens wirkt ja, und macht man es bewußt, hat es Wirkung für den ganzen, den halben Tag. Und dann soll es ja geradezu Anzeichen des Wahnsinns sein, wenn da Leute zwanghaft ritualisiert sich immer wieder die Hände waschen müssen oder an die Nase fassen oder einen bestimmten Weg ablaufen, weil sie glauben, ohne diesen ihren Dienst am Ganzen bräche die Welt zusammen.

Speedy – Skizzen

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