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Eine runde Weltgeschichte

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Eines Tages vor langer Zeit, als sich der moderne Mensch über alle Kontinente der Erde verbreitet und in kleinen Gruppen erste Siedlungen errichtet hatte, rollte zum ersten Mal ein Mensch einen Teig zu einem kleinen Klumpen. Dieser Teig bestand vermutlich aus wildem Hafer oder Emmer, Einkorn und Gerste – Kulturpflanzen, die bereits vor mehr als 10 000 Jahren angebaut wurden. Wie durch Funde in der Grotta Paglicci im Süden Italiens bekannt ist, wurde das Getreide in Steinmörsern vermahlen. Vermengt mit Wasser ergab es durch die bindenden, quellenden und verdickenden Eigenschaften des Getreides einen klumpigen Teig. Das Rollen dieser kleinen, unscheinbaren Kugel war die Geburtsstunde eines beliebten Lebensmittels: des Knödels.

Das Rollen der unscheinbaren Masse aus gemahlenem Getreide und Wasser zu kleinen Kugeln war die Geburtsstunde eines beliebten Lebensmittels: des Knödels.

Diese runde Masse aus ungesäuertem Teig hatte allerdings einen Nachteil: In der Luft vorhandene winzige Mikroorganismen, die Hefen, sorgten dafür, dass sich dieser rohe Teig veränderte. Er fing an zu gären. Aus dünnen Teigen wurden vergorene Flüssigkeiten, aus Klumpen mit einer festeren Konsistenz ein Hefeteig. In den frühen Hochkulturen des Nahen Ostens führte diese Entdeckung bald zur Entstehung des Bieres, der gesäuerte Teig zur Herstellung von gebackenem Sauerteigbrot, das die übliche Zubereitung von gerösteten Teigfladen ablöste. Die frühe Geschichte des Knödels geht mit diesen Entdeckungen einher.

Die Erfindung des Kochens

Neben der Haltbarmachung von Lebensmitteln durch Backen oder Braten hatte der Mensch schon in grauer Vorzeit die ebenso konservierende wie veredelnde Wirkung des Kochens entdeckt. Vermutlich schon der Homo erectus konnte vor rund zwei Millionen Jahren sein Essen kochen. Es gilt als eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte, ja sogar als die Voraussetzung für die Entwicklung des Homo sapiens. Gekochte Lebensmittel sind verdaulicher als Rohkost, da sie mit geringerem Energieaufwand vom Körper verarbeitet werden. Der Mensch benötigte dadurch weniger Mahlzeiten, und so verkürzte sich die Zeit, die er für die Nahrungsaufnahme verwenden musste. Was lag also näher, als die kleinen Teigkugeln ebenfalls in heißes Wasser zu tauchen und so haltbarer, als auch nahrhafter zu machen?


Diese Errungenschaft der Kochgeschichte ereignete sich womöglich rund um den Erdball zu einer ähnlichen Zeit – unabhängig von der Region, in der sich die Menschen befanden. Was da in einem großen Gebiet von Afrika über Europa bis nach Asien aus dem kochenden Wasser gezogen wurde, kommt dem, was wir heute als Knödel in ihrer gesamten Palette kennen, schon sehr nahe.

Knödel – die perfekte Schutzhülle

Über die Urgeschichte des Knödels wird viel spekuliert. Erstmals greifbar wurde seine Vergangenheit am Mondsee im Salzkammergut. Es war in etwa zur Zeit des Ötzi, jenes Mannes, der über 5000 Jahre nach seinem Tod mit einer Pfeilspitze im Rücken als Gletschermumie in den Ötztaler Alpen gefunden wurde. Zu jener Zeit lebten Menschen in Pfahlbauten an Seen rund um die Alpen. Nach der Entdeckung der ersten dieser Siedlungen durch den Archäologen Matthäus Much in den Jahren 1870 bis 1872 am Mondsee, erhielt diese Kultur Jahrzehnte später den Namen Mondseekultur. Und neben den Überresten der Pfahlbauten gab das Erdreich zahlreiche Keramik- und Kupferfunde frei. In diesen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens wurden auch Speisereste entdeckt: Fleisch und Obst, die schon mit Teig umhüllt worden waren.

Diese runden Speisekugeln legen die Vermutung nahe, dass der Knödel die erste Konserve der Menschheitsgeschichte war. Nahrung, die nicht sofort gegessen wurde und vermutlich für später aufbewahrt werden sollte, wurde mit eingedicktem Brei oder Teig aus geschrotetem Getreide umhüllt und so haltbarer gemacht. Diese zubereiteten Kugeln konnten als Proviant auf Fußmärschen und auf die Jagd mitgenommen werden.


Seltene Nachweise in

historischen Kochbüchern

Machen wir einen Sprung in der Zeitgeschichte um etwa 3000 Jahre. Mit dem Voranschreiten der Zivilisation war eine gesellige Esskultur entstanden, die weit über das Ziel der eigentlichen Aufnahme von Nahrung hinausging. Das gemeinsame Essen wurde zu einem Ereignis, das bestimmten Ritualen folgte. Während in den ersten Jahrhunderten des antiken Griechenlands wenig verarbeitete Grundprodukte im Mittelpunkt eines Mahles standen, wurde die Zubereitung der Speisen im Laufe der Zeit immer raffinierter. Auch die römische Küche entwickelte sich – inspiriert davon, wie die Griechen ihre Küche weiterentwickelt hatten: Wachsender Wohlstand der Oberschicht führte zu üppigeren Mahlzeiten und eine Dreiteilung in Vor-, Haupt- und Nachspeise entstand. Das Ziel, verschiedene Geschmacksrichtungen in einem Gericht zu kombinieren, führte zu verschiedensten gefüllten Speisen. Rezepte wurden damals in der westlichen Welt selten aufgeschrieben, weshalb auch nichts über die Entwicklung des Knödels aus dieser Zeit überliefert ist. Die ältesten Kochbücher stammen aus Asien – so das indische „Vasavarajeyam“, das vor etwas 3500 Jahren in altem Sanskrit abgefasst wurde. Und auch aus China sind einige Schilderungen von Gerichten in dem „Buch der Riten“ enthalten, das auf Konfuzius zurückgeht und vermutlich zweihundert Jahre vor Christi Geburt entstand. Aus der Zeitenwende stammt das römische Kochbuch „De re coquinaria“ von Apicius, das noch im Mittelalter die beliebteste Rezeptsammlung in Europa war. Deutsche handschriftliche Rezepte waren noch lange Zeit selten, weil Pergament ein teurer Rohstoff war und weil Köche üblicherweise weder lesen noch schreiben konnten. Nur in Klöstern und an Adelshöfen entstanden schriftliche Aufzeichnungen, von denen die meisten, die keine religiösen Inhalte hatten, wissenschaftlich ausgerichtet waren. Und da das Knödelkochen dazu nicht unbedingt zählte, sind nur spärliche Andeutungen aus klösterlichen Pergamentschriften bekannt.


Auch im „Liber de Coquina“, einem der frühesten mittelalterlichen Kochbücher im europäischen Raum, um 1300 verfasst, werden keine Knödelgerichte erwähnt. Als die älteste erhaltene deutsche Rezeptsammlung gilt das „Bůch von gůter spîse“, ein wohl um 1350 entstandener Teil der „Würzburger Liederhandschrift“, die von Gyselher, dem Schreiber des Würzburger Protonotarius Michael de Leone, zusammengestellt wurde. Da einige der 101 Rezepte importierte Gewürze wie Safran oder Nelken sowie die Zubereitung von Hirsch oder Fasan enthalten und der Verzehr von Wildbret nur dem Adel erlaubt war, wird davon ausgegangen, dass vor allem Speisen aus der Küche der Oberschicht enthalten sind. Knödel aber galten als Nahrungsmittel des Volkes.

Als älteste erhaltene deutsche Rezeptsammlung gilt das „Bůch von gůter spîse“, ein wohl um 1350 entstandener Teil der „Würzburger Liederhandschrift“.

Bei der spärlichen schriftlichen Beweislage ist es umso erstaunlicher, dass die erste bildliche Darstellung eines Knödels aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts stammt. Die Kapelle der Burg Hocheppan südlich von Bozen in Südtirol wurde in einer kurzen Friedenszeit mit einem romanischen Freskenzyklus ausgemalt. In einer Szene zur Geburt Christi wird Maria in byzantinischer Tradition liegend dargestellt. Ihr wendet sich eine Frau zu, die aus einem großen Tiegel über offenem Feuer mit einem Knödelmesser einen Knödel herausnimmt und kostet. Das Fresko mit der im Volksmund als „Knödelesserin“ bekannten Figur gilt als die älteste bildliche Darstellung eines Knödels und für die Einheimischen als Beweis für den Ursprung des beliebten Gerichts im Alpenraum.


Der Tiroler Knödel – eine aus der

Gefahr geborene Köstlichkeit

In Tirol und Südtirol werden seit Langem Anekdoten zu dem runden Nationalgericht erzählt, welche die Urheberschaft an den Knödeln belegen sollen. Und sie sind mit Anspielungen auf die Rivalität zum großen Nachbarn Deutschland gespickt: So seien deutsche Landsknechte, die schon immer den Ruf von Plünderern hatten, einmal hungrig in ein Tiroler Gasthaus eingefallen. Sie würden alles kurz und klein schlagen, wenn sie nicht sofort etwas zu essen bekämen. Die Wirtin suchte alle Reste zusammen, die sie noch in ihrer Speisekammer fand, vermischte altes Brot, Speck und Wurst zusammen mit Milch und Mehl und rollte daraus stattliche Kugeln, die sie dann im Wasser kochte. Die Landsknechte waren begeistert und so soll der Tiroler Knödel entstanden sein.

Aber vermutlich entwickelten sich Knödel als preiswerte Resteverwertung in vielen ländlichen Gegenden. Das karge Leben machte erfinderisch und allerlei Nahrungsmittel, die gerade zur Verfügung standen, konnten mit Wasser oder Milch und Mehl zu leckeren Knödeln geformt werden. Während das einfache Volk mit allerlei Arten der vegetarischen Brotknödel vorliebnehmen musste, ging es in den Klosterküchen, wie alte Schriften belegen, schon raffinierter zu: Brotstücke im Knödelteig aus Wasser und Mehl dienten vor allem als Bindemittel für fleischliche Einlagen. Und in den Küchen des Adels wurde die Zutatenliste immer weiter verfeinert: Wild, Fisch und vor allem feinste Gewürze hielten Einzug in immer raffiniertere Knödelrezepturen.

Knödel – weltweit geliebtes Teiggericht

Aber auch in fernen Landen entwickelten sich Knödel in allen Varianten, deren Ursprünge zum Teil noch früher dokumentiert sind als in unserem Kulturkreis. So lässt sich die Geschichte der vor allem zum chinesischen Neujahrsfest beliebten Jiaozi-Knödel – die allerdings eher eine Art gefüllter Teigtaschen sind – bis zur nördlichen Song-Dynastie (960 bis 1279 nach Christi Geburt) zurückverfolgen. „Jiaozi“ war eine der ersten Papiergeldwährungen und die Knödel wurden zum Mond-Neujahr wie gefaltetes Papier geformt. Beim Essen dieser symbolischen Geldknödel hofften sie auf Glück und Wohlstand im kommenden Jahr. Traditionell wird der nur aus Mehl und Wasser bestehende Teig der Jiaozi-Knödel mit einer Mischung aus Schweinehack und Garnelen sowie Chinakohl und Ingwer gefüllt und in kleinen Dampfkörbchen aus Bambus gedämpft. Abgeschmeckt wird das Ganze mit Knoblauch, Sojasauce und Sesamöl.


Knödelvarianten entwickelten sich schon vor Hunderten von Jahren in fernen Ländern – von China und der Mongolei über Westafrika bis zu den Hochkulturen Mexikos.

Noch früher ist in Aufzeichnungen der chinesischen Jin-Dynastie (265 bis 420 nach Christi Geburt) der Begriff Mantou zu lesen – die Bezeichnung für ein Gericht, das vermutlich aus den Gebieten des mongolischen Reiches stammt. Manti-Knödel sind heute in den Küchen vom Südkaukasus über Afghanistan und alle postsowjetischen Länder bis zum Balkan verbreitet. Als Mandu sollen sie im 14. Jahrhundert über die Mongolen sogar nach Korea gelangt sein. In einem Kochbuch von Muhammed bin Mahmud Shirvani aus dem 15. Jahrhundert werden osmanische Manti als gedämpfte Knödel aus gehacktem Lamm und zerkleinerten Kichererbsen beschrieben, die mit Zimt und Essig gewürzt sind.

Bereits zwischen dem 14. und frühen 16. Jahr-hundert waren bei den Azteken Tamales, gefüllte Maisknödel, bekannt. Dazu wurde mit Schmalz versetzter Maisteig auf Maisblätter gestrichen und mit verschiedenen Füllungen belegt. Die Blätter wurden gefaltet und verschnürt. Den gedämpften Päckchen entströmte bald ein köstlicher Duft, der auch heute noch durch die Straßenküchen Südamerikas weht.


Mais ist auch eine der Zutaten eines alten westafrikanischen Knödelgerichts, das je nach Region Banku, Obenku oder Akpele genannt wird. Die Teigknödel bestehen aus gesäuertem Mehl – meist eine Mischung aus Mais- und Maniokmehl. Der Brei aus Mehl und Wasser wird zur Säuerung einige Tage stehen gelassen und anschließend gekocht. Vor dem Servieren wird der so entstandene Teig zu Klößen geformt und mit würzigen Saucen serviert.

Die Geburtsstunde

des Kartoffelknödels

Erst relativ spät wurde bei uns eine der heute beliebtesten Knödelvarianten immer populärer, die ihre Ursprünge auch in Übersee hat. Die spanischen Eroberer hatten im 16. Jahrhundert aus dem neu entdeckten Kontinent Amerika eine exotische Knolle nach Europa mitgebracht: die Kartoffel. Ab 1570 gelangte die Kartoffel von Spanien aus nach Italien und breitete sich dann langsam auf dem europäischen Festland aus. In Zeiten von Hungersnöten während und nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) wurde die Kartoffel hierzulande zur oft einzigen, wenn auch zuerst ungeliebten Ernährungsgrundlage. Von nun an experimentierten die Menschen, um dieses Nahrungsmittel in verschiedenen schmackhaften Varianten auf den Esstisch zu bringen. Nachdem der Versuch, aus Kartoffeln Brot zu backen, gescheitert war, wurden bald Klöße – eine Abwandlung des althochdeutschen Wortes klöz für „Klumpen, Knolle oder Kugel“ – aus geriebener und gekochter Kartoffelmasse geformt und gekocht. So soll der berühmte Thüringer Kloß entstanden sein, dessen erstes schriftliches Rezept 1808 Pfarrer Friedrich Timotheus Heym aus Effelder-Rauenstein im Thüringischen Sonneberg veröffentlichte.

Jahrhundertelang war mit ähnlichen Hilfsmitteln gekocht worden. Doch die weltweit immer schnellere Entwicklung der Technik hielt auch in den Küchen Einzug. Spätestens ab dem 19. Jahrhundert trugen verbesserte küchentechnische Möglichkeiten sicher auch zu einer wachsenden Knödelkultur bei. Und gerade in den letzten Jahrzehnten führte die Entwicklung unserer Gesellschaft zu einem Bewusstsein, das die Bedeutung des Kochens von der reinen Nahrungszubereitung zu einem geselligen Erlebnis wandelte. Vielfach spielt sich inzwischen das Leben rund um die Küche als zentralem Element der Wohnung ab. Am Herd wird mehr experimentiert und durch globale Einflüsse ist der Variantenreichtum innerhalb der Knödelfamilie massiv gestiegen. Die sinnliche Art der Zubereitung mit den bloßen Händen hat die Knödel bald von einem überwiegenden Wirtshaus- und Feiertagsgericht zu einer jederzeit beliebten Speise mit einem besonderen Charme befördert. Und so wird der Knödel vermutlich auch in Zukunft den Menschen durch die Weltgeschichte begleiten.


Viele Namen für ein Nationalgericht

Die übliche Bezeichnung „Knödel“ im süddeutschen Raum, in Österreich und Südtirol entwickelte sich aus dem althochdeutschen „chnodo“ und dem mittelhochdeutschen „knode“. Und diese Wörter sind wiederum vermutlich – ebenso wie „Nudel“ – auf das lateinische Wort Nodus (Knoten) zurückzuführen. In Nord-, Mittel- und Westdeutschland ist für die Teigkugel die Bezeichnung Kloß gebräuchlich, die vom althochdeutschen „kloz“ für Klumpen, Knolle oder Kugel abstammt. Weitere regionale Idiome waren und sind von diesen abgewandelte Formen wie „Gleeß“ und „Gneedl“ (Schwaben), „Kließ“ oder „Glües“ sowie in der Kleinform „Gniedla“ (Franken) oder die pfälzischen „Knepp“. Auch das tschechische „Knedlik“, das italienische „Canederli“ oder französische „Quenelles“ haben den gleichen Ursprung. Eine weitere Variante gibt es im hohen Norden und im Osten Deutschlands: den Klops. Zu dieser Wortfamilie gehört auch die schwedische Form „Kalops“.

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