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(3) Schranke – Das „für alle geltende Gesetz“

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Das Selbstbestimmungsrecht wird nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ gewährleistet. Dieser Gesetzesvorbehalt hat sowohl in der Weimarer Zeit als auch unter der Geltung des Grundgesetzes zahlreiche Interpretationsansätze durchlaufen. Die damit einhergehende schillernde Auseinandersetzung über die richtige Auslegung resultiert daraus, dass die Anwendung der Schranke final über die Reichweite kirchlicher Selbstbestimmung entscheidet, zumal die eigenen Angelegenheiten nach dem Selbstverständnis der Kirche bestimmt werden.342 Die sinnvariierende Formel343 des „für alle geltenden Gesetzes“ legt somit fest, wo sich eine staatliche Regelung gegenüber dem kirchlichen Selbstverständnis durchsetzt und wann sie ihm den Vorrang gewähren muss.

Nach dem in der Weimarer Republik vorherrschenden formalen Verständnis wurde die Schranke noch als besonders weitreichend begriffen: Nur die Kirchen einschränkende Sondergesetze seien nicht von der Schranke umfasst.344 Aus einer materiellen Perspektive schränkte Johannes Heckel die Reichweite aber auf die „für die Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche(n) Gesetz(e)“345 weiter ein. Dieser sogenannten „Heckel’schen Formel“ wurde zwar vielfach auch noch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik gefolgt,346 sie wird heute aber unter anderem wegen ihrer terminologischen Ungenauigkeit und der von der Grundgesetzsystematik abweichenden Freiheitsrechtskonzeption nicht mehr vertreten.347

Auch unter der Geltung des Grundgesetzes ist das Verbot von Sonderrecht gegen die Kirchen gemeinsames Fundament aller Auslegungsansätze über die Reichweite des Gesetzesvorbehalts.348 Da allein diese Beschränkung der besonderen Bedeutung des mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eng verknüpften Selbstbestimmungsrechts aber nicht gerecht werden kann, wurden auf einer zweiten Ebene verschiedene Modelle entwickelt, um die formale Begrenzung von einer materiellen zu flankieren. In diesem Zusammenhang ist als erste einflussreiche Theorie die sogenannte Bereichsscheidungslehre zu nennen, nach der zwischen einem inneren und äußeren Bereich der Angelegenheiten der Kirchen unterschieden wird.349 Der sodann bestimmte Innenbereich (forum internum – etwa der Kultusbereich oder das Amtsrecht) ist danach gegenüber staatlicher Einflussnahme unantastbar, der Außenbereich (forum externum) unterliegt hingegen einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Es spricht einiges dafür, diese Lehre als eine „getarnte“ Abwägungslehre zu verstehen, die ihre Gewichtung a priori definitorisch festlegt und damit eine situativ bezogene Argumentation vermeidet.350 Zudem wird das Problem der Schrankenbestimmung faktisch in eine erweiterte Schutzbereichsbestimmung vorverlagert. Dieser Vorgehensweise lässt sich aber das pragmatische Argument entgegenhalten, dass zwischen äußerem und innerem Bereich kirchlicher Angelegenheiten nicht trennscharf unterschieden werden kann.351 Überdies findet eine derartige Differenzierung keine Grundlage im Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 WRV.352 Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht diesen Ansatz zunächst übernommen,353 ihn in einer wechselvollen Rechtsprechungsgeschichte später aber modifiziert und sich teilweise wieder von ihm abgewendet.354

So erfolgte eine erste Modifikation der Bereichsscheidungslehre durch die in BVerfGE 42, 312 geprägte „Jedermann-Formel“ insoweit, als dass die weite Einschränkbarkeit des kirchlichen Außenbereichs begrenzt wurde. Danach soll ein Gesetz dort keine Einschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bilden können, wo es die Kirche in ihrer Besonderheit als Kirche härter als den normalen Adressaten – ihr Selbstverständnis beschränkend – trifft.355 Dies geht über das Verbot von reinem Sonderrecht hinaus, da nicht nur die Intention des Gesetzgebers, sondern auch die materiellen Auswirkungen der Regelung bewertet werden.356 Durch die Beurteilung aus der subjektiven Perspektive kirchlichen Selbstverständnisses wird so aber letztlich die Bestimmung der Schranke den Kirchen überantwortet, da ihre Auffassung zugrunde zu legen ist, ob sie vom fraglichen Gesetz übermäßig eingeschränkt werden. Der Staat verlöre auf diese Weise seine Souveränität, was seine Funktion als Garant der verfassungsmäßigen Ordnung in einer säkularen Gesellschaft untergraben würde.357 Eine weitere Schwäche der Bereichsscheidungslehre zeigt sich überdies in der von ihr evozierten strikten Polarisierung der Einschränkbarkeit des Selbstbestimmungsrechts. Zwischen unbeschränkbarem forum internum und dem einem weiten allgemeinen Gesetzesvorbehalt unterliegenden forum externum findet sich kein Mittelweg.

Diesem Dilemma begegnet das Bundesverfassungsgericht seit 1980 mit der Abwägungslehre,358 der sich auch die herrschende Auffassung in der Literatur359 angeschlossen hat. Danach wird die Schranke des Art. 137 Abs. 3 WRV als Aufgabe interpretiert, der Wechselwirkung zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und dem staatlichen Schutz anderer bedeutsamer Rechtsgüter durch Güterabwägung Rechnung zu tragen.360 Potentielle Konflikte zwischen den beiden Entitäten Staat und Kirche sind somit in einer einzelfallbezogenen Abwägung aufzulösen. Damit wird der zum Scheitern verurteilte Versuch aufgegeben, eine einheitliche Formel zur Ermittlung der Einschränkbarkeit kirchlicher Autonomie zu finden. Das utopische Ziel eines schematischen Subsumtionsautomatismus zur Beantwortung der Reichweite kirchlicher Selbstbestimmung muss daher einer gewissen Unsicherheit361 weichen, die einer jeden Abwägung immanent ist. Allerdings ermöglicht die Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter im Einzelfall eine nuancierte Grenzbestimmung zwischen staatlichem und kirchlichem Bereich. Dabei wird auch dem Wesen von Art. 137 Abs. 3 WRV als institutionelle Gewährleistung Rechnung getragen. Denn die Abwägungstheorie des Bundesverfassungsgerichts stellt dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen mit den „bedeutsamen Rechtsgütern“ nur die essentiellen Normen des demokratischen Sozialstaates gegenüber. Damit wird der Unterschied zu einem gewöhnlichen Freiheitsrecht deutlich.362 Das dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht entgegengehaltene Rechtsgut muss keinen Verfassungsrang haben.363 Das Gegenteilige wird zwar zuweilen aus der vorbehaltslosen Gewährleistung der Religionsfreiheit von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gefolgert, ist aber wegen der besonderen Systematik der Schrankenspezialität des Art. 137 Abs. 3 WRV zu verneinen. Ein „für alle geltendes Gesetz“ kann daher auch etwa durch ein besonders bedeutsames Rechtsgut des Allgemeinwohls konkretisiert sein. Doch auf der anderen Seite ist dem Selbstverständnis der Kirchen, soweit es in Art. 4 Abs. 1 GG wurzelt und sich durch Art. 4 Abs. 2 GG verwirklicht, ein besonderes Gewicht beizumessen.364 Das kirchliche Selbstverständnis ist damit nicht nur für die Schutzbereichsbestimmung des Selbstbestimmungsrechts, sondern auch bei dessen Einschränkbarkeit maßgeblich; mit jener „Schrankenverstärkung“ geht demzufolge eine „Doppelrelevanz“ des Selbstverständnisses einher.365

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