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Eine Suche, ein Zwischenfall und eine
seltsame Begegnung

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Der Weg war weiter, als Meister Goldauge zunächst gedacht hatte. Schon gleich nachdem er in den Himmel aufgestiegen war, hatte er das Licht gesehen, klar und deutlich: ein Licht, das kein Blitz war und das auch nicht von einem Brand herrührte. Nein, ein Baum, den der Blitz getroffen hatte und der in Flammen aufgegangen war, war es nicht. Der helle Schein musste vielmehr von einer Lampe her kommen, oder – wenn Meister Goldauge das richtig sah – von zwei Lampen!

Er kämpfte sich mit aller Kraft durch den Sturm. Die Regentropfen trafen wie Pfeilspitzen auf seine Flügel. Mehrmals verfehlte ihn ein Blitz nur knapp, und einmal stürzte er, von einem heftigen Windstoß erfasst, beinahe zu Boden. Doch dann, er glaubte schon fast, ein Fenster erkennen zu können, das von dem Licht erhellt war, riss ihn eine Böe plötzlich weit hinaus aufs Meer, so dass er kaum noch sagen konnte, in welcher Richtung das Land lag, woher er gekommen war. »Marius! «, rief er verzweifelt. Doch der Freund war viel zu weit zurück. Und selbst wenn er nah bei ihm gewesen wäre, er hätte ihn in dem Sturmgetöse nicht gehört.

Goldauge spürte, wie sich der Regen mit dem hoch aufspritzenden Wasser des Meeres mischte, und hatte mit einem Mal einen salzigen Geschmack im Schnabel. Er taumelte, die Flügel versagten ihm und er ahnte, wie er immer tiefer stürzte. Es war so dunkel, dass er seine eigenen Klauen nicht mehr vor Augen sehen konnte. Und es regnete so heftig, dass er gar nicht spürte, wie er von einer Welle erfasst wurde, die ihn ganz umspülte und mit einem gewaltigen Stoß nach vorne wirbelte. Erst als er mit aller Wucht gegen einen Felsen geschleudert wurde und eine glitschige Masse unter sich fühlte, wusste er, dass die Erde ihn wiederhatte. Die wilden Wellen aber, die gegen die Küste peitschten, langten gierig nach ihm und wollten ihn mit sich fortspülen. »Heiliger Abraxas! «, krächzte Meister Goldauge und versuchte, sich frei zu strampeln. »Ich darf nicht ertrinken. Ohne mich ist der Junge verloren!«

Schließlich gelang es Goldauge, sich auf einen kleinen Felsen am Ufer hinaufzukämpfen. So gut er konnte, krallte er sich an einem Spalt im Stein fest und wartete mit angezogenen Flügeln. Dann, nach wenigen Augenblicken, stürzte ein besonders harter Windstoß vom Meer her. In diesem Moment breitete er seine Schwingen aus und schoss in die Höhe, so weit hinauf, dass er fast das Ende der Wolken über sich zu sehen glaubte. Dort hinauf müsste man, dachte er, dort droben schien auch jetzt die Sonne und der Wind würde ohne den Regen nur ein angenehmer Luftzug sein. Meister Goldauge arbeitete sich noch ein wenig weiter nach oben, schon wurden die Wolkenränder weiß und der Wind ließ nach, schon fiel das Atmen wieder leichter. Da merkte er, dass er von dort droben niemals das Licht würde finden können, auf das Marius so hoffte. Denn zwischen dem schwachen Leuchten auf der Erde und dem hellen Licht des weiten Himmels tobte ein Sturm, wie Goldauge ihn noch nie erlebt hatte. In ebendiesen Sturm aber stürzte er sich jetzt erneut.

Und dann ging alles plötzlich sehr schnell: Der Regen peitschte ihn zur Erde nieder und vor ihm traten die Umrisse einer riesigen schwarzen Burg wie aus dem Nichts hervor.

Da! Das Licht! Ein erleuchtetes Fenster und da: noch eines, der Schatten eines Turms, in dem jemand war.

Meister Goldauge nahm all seine Kraft zusammen und flatterte gegen den Wind an, um näher an eines der Fenster heranzukommen. Es war vom hellen Schein eines Kaminfeuers erleuchtet und es stand jemand dort und blickte hinaus – dorthin, wo er gerade gegen den Sturm kämpfte.

Ein kleines Stückchen nur noch und Meister Goldauge würde erkennen können, ob es ein Räuber war, der durch das Fenster schaute oder... In diesem Augenblick schoss ein weiterer Blitz zur Erde. Und diesmal traf einer seiner flammenden Finger auch Goldauge. Mit einem Schlag schleuderte er ihn durch die Luft. Goldauge spürte einen heftigen Schmerz in der Seite und glaubte den Geruch von brennenden Federn zu riechen. Sehen aber konnte er das schon nicht mehr, denn ihm war schwarz vor Augen geworden und ihm war, als habe der Sturm mit einem Mal aufgehört.

»Das ist seltsam«, sagte eine sanfte Stimme. »Wirklich seltsam.« Es war warm. Und die Stimme wurde begleitet von einem angenehmen Prasseln. Schritte entfernten sich und kamen wieder. »Ich muss das unbedingt Florine zeigen.« Einen Moment war Stille. »Ob er wohl noch lebt?«, fragte die Stimme dann und plötzlich legte sich eine Hand auf Meister Goldauges Brust und er erschrak und schüttelte sein nasses Gefieder.

»Iiiiiii!«, rief das Mädchen und sprang auf, über und über voll gespritzt.

»Raaaaah!«, rief Meister Goldauge erschrocken, flatterte hoch, stieß sich an der niedrigen Decke des Zimmers den Kopf und fiel herunter auf das Mädchen, das gleich noch einmal schrie: »Iiiiih!«

Und Meister Goldauge schrie erneut: »Raaaah! Raaaah! Raaah!«, und sprang im Zimmer umher, immer im Kreis hinter dem Mädchen oder vor ihm her. Denn das Mädchen sprang ebenfalls im Kreis und es war ein riesiges Kreischen und Flüchten, bis der völlig entkräftete Meister Goldauge stehen blieb, sich auf einer Kralle um sich selbst drehte und wieder in Ohnmacht fiel.

»Oh Gott!«, rief das Mädchen da und lief zu ihm hin. »Das wollte ich nicht!«

»Was wolltest du nicht?«, fragte eine schmale, alte Frau, die überraschend in der Tür stand.

»Ich wollte nicht, dass der Vogel stirbt!«, schluchzte das Mädchen und schlug die Hände vors Gesicht. »Er hat mich nur so erschreckt.«

»Das hat man bis ins nächste Dorf gehört«, sagte die alte Frau und trat ins Zimmer. Sie warf einen Blick auf Meister Goldauge und lächelte. »Er ist nicht tot. Er ist nur bewusstlos.« Sie beugte sich über den Vogel und streichelte sein Gefieder. »Schwarz wie die Nacht«, murmelte sie. »Seine Federn sind fast dunkelblau.« »Und seine Augen, Tante Zussa!«, staunte das Mädchen. »Sieh dir nur seine Augen an!«

Da hob Meister Goldauge den Kopf und sah von dem Mädchen zu der alten Frau und wieder zurück, rappelte sich auf und blickte sich im Zimmer um, dann richtete er sich stolz auf und fragte mit fester Stimme: »Guten Tag. Erlauben Sie mir die Frage, wo bin ich hier?«

Erneut lächelte die alte Frau, tippte mit dem Finger an ihre Nasenspitze und nickte. »Ja, mein Kind. Du hast Recht, die Augen sind wirklich ganz besonders.«

»Wo du hier bist?«, wiederholte das Mädchen. »Du bist im südlichen Turm der Burg von Herzog Friedbert vom Falkenhorst.« »Welch ein Glück!«, rief Meister Goldauge da aus. »Eine sichere Burg!«

»Ich fürchte«, sagte die alte Frau und blickte ihm fest in die Augen. »Ich fürchte, das ist ganz und gar kein Glück.«

Das Geheimnis der Gaukler

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