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Zurück in den Sturm

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Schnell hatte Meister Goldauge alles erzählt: von seiner Reise mit Marius, vom Sturm, von der Erschöpfung, vom aufgebrauchten Proviant und von dem Licht, das Marius in der Ferne gesehen hatte und das vermutlich ein erleuchtetes Fenster des Turmes gewesen war. »Und wenn mich auch der Blitz einige Federn gekostet hat«, schloss der Vogel und klappte dramatisch einen Flügel hoch, um seine verkohlte Seite besser zur Geltung zu bringen, »so bin ich doch froh, dass mich das Unwetter hierher zu euch freundlichen Leuten gebracht hat. Denn ihr habt mir ein Dach über dem Kopf gegeben und werdet vielleicht auch meinem Freund Marius Unterkunft gewähren.« »Er ist wirklich sehr lustig, Tante Zussa«, vergnügte sich das Mädchen und klatschte in die Hände. »Er spricht so vornehm!« »Mit Verlaub«, sagte Meister Goldauge zu dem Mädchen. »Sie muss sich nicht über mich lustig machen. Wie heißt sie überhaupt?«

Nun war das Mädchen verwirrt. »Wen meinst du?« »Er meint dich, Xenia«, klärte die alte Frau sie auf. »Offensichtlich ist er ein Vogel aus gutem Hause. So spricht man nur, wenn man aus einer feinen Familie stammt.« »Ach...«, staunte Xenia, besah sich Meister Goldauge, als sehe sie ihn zum ersten Mal, und beugte sich dann ein wenig zu ihm hin. »Muss ich dann auch so mit ihm sprechen?« »Mit wem?«, fragte Goldauge. »Na mit dir!«

»Ach so. Ja. Ich meine: nein. Sie soll das machen, wie sie will.« Goldauge wollte aufstehen, doch seine Klaue schmerzte. Offenbar hatte sie auch etwas abbekommen. Vielleicht hatte der Blitz sein Bein gestreift oder er hatte sich beim Sturz verletzt. Also schwang er sich mit einem schnellen, für Xenia unerwarteten Flügelschlag auf den Fenstersims und drehte sich noch einmal um: »Ehe wir Zeit haben für eine nette Plauderei, muss ich meinen Freund suchen. Der irrt da draußen irgendwo umher und läuft am Ende glatt an der Burg vorbei.«

Mit diesen Worten ließ sich Meister Goldauge nach draußen fallen, wo der Sturm unvermindert tobte, und verschwand wieder in der Dunkelheit, aus der er gekommen war. »Wenn das mal gut geht«, murmelte Xenia, starrte in die Finsternis und rief ihm laut hinterher: »Ich komme nach und helfe dir suchen, wenn der Sturm nachlässt!« Doch der Vogel war schon zu weit weg.

Diesmal kam Goldauge besser voran. Er hielt sich vom Meer fern und flog nicht ganz so hoch, damit er Marius erkennen würde, wenn er über ihm war. Der Sturm ließ endlich ein wenig nach und der Weg, in dessen Nähe Marius unterwegs sein musste, war schon wieder deutlich erkennbar. Und dann sah Meister Goldauge einige Sträucher und einen Wald, an dessen Rand ein kleiner Bach floss. Ja, das kannte Goldauge! Hier waren sie gewesen! Das bedeutete, er war zu weit geflogen, er musste umkehren. Marius musste bereits viel näher bei der Burg sein!

Goldauge drehte um, dabei zog er weite Kreise über den Feldern und starrte auf die Erde. Irgendwo hier musste Marius sein!

Vom Horizont her wurde der Himmel heller und der Regen ließ nach. Jetzt erst merkte Goldauge, dass das Gewitter längst vorbei war. Es war einige Zeit her, dass er zuletzt Donner gehört, dass er einen Blitz gesehen hatte. Genau genommen war der Blitz, der ihn getroffen hatte, der letzte gewesen, an den er sich erinnern konnte. Typisch, dachte er, tagelang kann ich bei Gewitter unterwegs sein, aber der letzte Blitz muss mich treffen.

Der Wind trocknete Goldauges Gefieder langsam, so dass die Federn leichter wurden und er sich nicht mehr so anstrengen musste, um zu fliegen. Zugleich aber fühlte der Vogel, wie seine Kräfte schwanden: Der Kampf gegen den Sturm, der Sturz durch das Fenster und die Suche nach Marius, das alles hatte ihn erschöpft. Er war so müde, dass er beinahe im Fluge eingeschlafen wäre. Doch Marius war weit und breit nicht zu sehen. Auch jetzt, wo es wieder richtig hell geworden war und die Sonne vom Horizont her übers Land strahlte und Wiesen und Wälder schräg beleuchtete, konnte Meister Goldauge den Freund nicht finden. Marius war weder auf dem Weg noch abseits von ihm unterwegs. Mehrmals flog Goldauge um einen Felsblock herum, weil er dachte, Marius könne sich dort zum Schutz vor dem Sturm hingesetzt haben und eingeschlafen sein. Doch sosehr er auch suchte, der Freund blieb verschwunden. Elend fühlte sich Goldauge, hundemüde und hungrig und alt und schwach. Er hatte aufgehört, die Büsche und Steine zu zählen, zu denen er hinabgeflogen war. Jetzt aber überwältigte ihn die Müdigkeit und erschöpft sank er im Schatten eines windschiefen, kahlen Strauchs in den Schlaf – ohne zu bemerken, dass sich jemand näherte und ihn dabei schon aus der Ferne genau beobachtete.

Das Geheimnis der Gaukler

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