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MUSIKSCHULE/HOCHSCHULE

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In der DDR war es schier unmöglich „einfach so“ mal eben Musik zu machen. Selbst wenn du die Hürde der Einstufung erfolgreich übersprungen hast, musstest du einer „geregelten“ Arbeit nachgehen, es sei denn du warst das, was man Berufsmusiker nannte.Nun war ich es endlos leid, immer Angst vor den Bullen haben zu müssen, die mich ja rein theoretisch wegen so genanntem „asozialen Verhaltens“ hätten einbuchten können.

Ja liebe Kinder, es gab da mal einen Staat in dem MUSSTE ein jeder arbeiten – ob nun genügend Arbeit da war oder nicht! Also begab ich mich zur einzigen Musikschule in Berlin, an der man bei Abschluss einen Berufsausweis ausgehändigt bekam – der Spezialmusikschule Friedrichshain.

Meine theoretische Ausbildung wurde von einem kleinen, dicken Mann übernommen, dem die Liebe zu seinen Schülern geradewegs aus den Poren schoss – Ortwin Walther!

Ortwin war wie gesagt von imposanter Körperfülle, immer vergnügt, von ansteckend guter Laune und nie um einen flotten Spruch verlegen. Eines schönen Tages ergab es sich, dass wir uns wie immer kurz vor dem Unterricht vor dem Klassenzimmer versammelten und uns gegenseitig befragten, ob denn irgendjemand für die für heute anstehende Klausur gelernt hätte. Allgemeines verzweifeltes Kopfschütteln! Irgendeinem kam dann aber die rettende Idee: es war so was wie ein offenes Geheimnis, dass der Herr Lehrer dem „Eskalonischen Tropfen“, einem Kräuterlikör allerfeinster Sorte, nicht abgeneigt war. Also wurde nach entsprechender Kollekte der jüngste aus unserer Klasse losgeschickt, in der in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Kaufhalle eine Flasche dieses Gesöffs zu erstehen. Der Unterricht begann also und wortlos wurde unserem geliebten Lehrer nämliches Getränk vor die Nase gestellt. Ortwin schaute auf die Flasche, blickte mit einem spitzbübischen Grinsen in die Runde und meinte nur:„Na meine Herren, da habt ihr elenden Schweinebacken wohl nicht für die Klausur gelernt! Na angesichts solcher Argumente will ich mal Gnade walten lassen – Herr Weise…“ Er deutete auf einen meiner Mitschüler „… geben Sie mal `n paar Gläser aus dem Schrank, heut woll’n wir mal über Musik REDEN und nix schreiben. Und damit das dann aber mal ganz klar ist: nächste Woche wäscht euch aber auch garnüscht von der Klausur ab!“ Sprach’s, schenkte ein und ließ sich von jedem erzählen wie und warum er zur Musik gekommen ist, welche Pläne ein jeder hat und wie er sich die Zukunft vorstellt. Alles in allem ein gelungener Nachmittag aus dem ich so einiges für mich erhellen konnte. Die Klausur eine Woche später war dann aber besonders hart!

Meinen praktischen – also Gesangsunterricht - hatte ich bei Frau Gendries. Auch in diesem Fall war ich vom Glück geknutscht, denn auch diese Frau war neben ihrer Kompetenz äußerst humorvoll und voller Respekt für ihre Schüler. Bei dieser Lehrerin hatten wahrscheinlich alle guten und berühmten Sänger, die dieses Land hervorgebracht hat, irgendwann mal Unterricht. Ob nun Nina Hagen, Uschi Brüning, Toni Krahl, Manne Krug und viele, viele andere, ach was sag ich, alle warn se bei DER Gendries! Viel Spaß gehabt mit der Frau und viel gelernt!

Ein Jahr bevor ich meinen Abschluss zum Berufsmusiker hätte machen können, kamen unsere Kulturbonzen auf die ausgeschlafene Idee, dass ein Musiker – ja auch ein Blues - oder Rockmusiker – ein abgeschlossenes Studium braucht, um diesen Job beruflich ausüben zu dürfen. Es war zum Mäuse melken – ein paar Monate bevor ich den ersehnten Berufsausweis bekommen hätte, MUSSTE ich noch mal für vier Jahre an die „Hochschule für Musik HANNS EISLER“ um dort einen Abschluss zu erhalten. Diese Ungerechtigkeit ließ mich schier an der Welt verzweifeln, aber da musste ich wohl oder übel zähneknirschend durch. Immerhin bekam ich mit Beginn dieses Studiums schon mal einen „befristeten Berufsausweis“ ausgehändigt, was mich zum mindesten, was meinen sozialen Status anbelangte, auf die sichere Seite beförderte.

1979 waren wir an dieser Hochschule wie gesagt der allererste Jahrgang dieser Studienrichtung, die da hieß: TUM! Ausgesprochen bedeutete dies bezeichnender weise – Achtung: Tanz und Unterhaltungsmusik und vereinte alles, was populäre Musik so ausmacht: Jazz, Blues, Rock, Chanson, Schlager und Folksmusik!

Aber ich will mich nicht beklagen, es gab da ja noch die Abteilung MIMU – Militär Musik! Diese Studenten kamen doch tatsächlich in UNIFORM in dieses Hochschulgebäude! Das konnte natürlich auf Dauer mit den Bluesern und Rockern nicht lange gut gehen. Was wir diese armen Schweine voll gepöbelt und verarscht haben möchte ich hier nicht näher beschreiben, aber nach massiven Beschwerden der MIMU Studierenden wurden wir quasi voneinander getrennt. Fortan hatten WIR Vorlesungen und Unterricht im Hochschulgebäude nur noch montags und dienstags – sämtliche anderen Stunden wie z.B. Gesangsunterricht, Klavier, Gitarre u.s.w.u.s.f. wurden an den restlichen Tagen der Woche in Räumlichkeiten außerhalb der Hochschule abgehalten und bei den Herrschaften von der Abteilung MIMU war’s dann genau umgekehrt. Für uns war das eigentlich sehr schade, waren doch die Verarschungen der Uniformträger immer eine willkommene Abwechslung des oftmals stressigen Hochschulalltags.

Der Chef der Abteilung TUM hieß Alfons Wonneberg. Zum schießen, wenn einer so heißt, wie er aussieht. Uns allen war allerdings nie so richtig zum lachen in seiner Gegenwart. Basti erzählte mir mal, dass Wonneberg neue Studenten gerne mal mit dem Spruch begrüßte. „Ich sehe zwar aus wie ein Pudding – bin aber hart wie `n Stein!“ Dieser Mann war fachlich vom feinsten, seine unnachgiebige Strenge mündete allerdings nicht selten in rüde Pöbeleien - aber, wie sich bald herausstellen sollte, er war nicht ohne natürlichen Gerechtigkeitssinn.

Eines Tages hatte Basti Baur in einem der im Gebäude befindlichen Räume eine kleine Zwischenprüfung im Fach Rockgitarre zu absolvieren. Na da war’n se aber bei meinem Freund Basti an genau der richtigen Adresse! Vor Bastis Nase steht also ein hochschuleigener 100er Marshall mit der ängstlichen Soundeinstellung des vor ihm geprüften artigen Kommilitonen. Basti - nich blöd - fährt also mit der berühmtesten Handbewegung eines Rockgitarristen von links nach rechts über alle Regler, so dass alle diese Regler auf „wir töten jeden Zuhörer“ stehen. Mit dem Druck, der dann unweigerlich entsteht, sollen ja schon mittlere Kulturhausbrände ausgeblasen worden sein. Na egal, Basti hat – ich lass mir das nich’mehr ausreden – implantierte Gehörschutzklappen, die er im Falle infernalischer Geräuschproduktion einfach schließt. Genauso tat er es wohl auch heute, und schon ging’s los! Ein abgefeimter Lubidubo – knarz – sproing – peng – Akkord durchschnitt die Luft und das Gebäude.

Ich glaube ja, dass der spätere Abriss dieses ehrwürdigen Hauses nichts mit der Wende und den damit verbundenen Bautätigkeiten rund ums Brandenburger Tor zu tun hatte, sondern mit der akuten Baufälligkeit die nach diesem Luftangriff eingetreten ist! Zu Herrn Baurs „unbeschreiblicher Dreistigkeit“ gesellte sich nun allerdings eine gehörige Portion Pech; im Augenblick allerdruckvollsten Getöses kam der gestrenge Abteilungsleiter um die Ecke. Der augenblicklich einsetzende Bluthochdruck zauberte auf Wonnebergs Gesicht die dunkle Röte der untergehenden Sonne bei Capri. Der darauf folgende Brüller ließ die noch stehen gebliebenen Mauern unserer Alma mater zittern: „Baur, Sie verdammtes Arschloch, sind Sie denn vollkommen verblödet, ist ihnen denn das letzte bisschen Gehirn auf irgendeiner Bühne abhanden gekommen…“ Und andere nicht wiederholbare Kleinodien der deutschen Sprache waren weithin bis nach Kasachstan zu hören.

Da aber Alfons Wonneberg ein erstklassischer Choleriker war, beruhigte sich das kleine Teufelchen wieder ganz schnell, und die Einsicht, dass man mit Rockmusikern eben doch etwas nachsichtiger sein sollte, als mit verbeamteten Fahrradschlauchaufbläsern, obsiegte schließlich. Meines Wissens wurde Basti dann sogar so was wie ein Lieblingsstudent von Alfons. Wie überhaupt der cholerische, oftmals äußerst mürrische Alfons Wonneberg Dreistigkeit und Großmäuligkeit zu tolerieren wusste, wenn sich dies mit einem gewissen Maß an Begabung verband.

Bei einem Gespräch mit seiner Hoheit wurde ihm plötzlich klar, dass ich im Furcht erregenden Fach „Tonsatz und Gehörbildung“ das Pech hatte, von Professor Manafov unterrichtet zu werden. Manafov war ein grauhaariger Bulgare, der es als unter seiner Würde empfand TUM – Studenten zu lehren wie es in SEINER klassisch - zeitgenössischen musikalischen Welt aussah.

Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war es offenbar, Studenten so lange zu strietzen, bis einige sogar verzweifelt heulend den Raum verließen. Dass gerade wir zwei so überhaupt nicht warm miteinander wurden, lag ja wohl von Anfang an auf der Hand. Auf alle Fälle hab’ ich mich redlich bemüht, den Spieß umzudrehen, so dass ich glaube, sogar mal `ne Träne in seinen leblosen Technokratenaugen gesehen zu haben!

Wonneberg jedenfalls meinte nur, dass er, falls ich bei diesem Kotzbrocken mit einer „drei“ abschließe vor mir den Hut ziehen würde. Jahre später, als ich dann mit einer „zwei“ abschloss erinnerte sich dieser Mann erstaunlicherweise an seinen Spruch und meinte nur: „Schade, Gala, dass ich keinen Hut auf habe, ich würde ihn jetzt sofort lüften!“ (Erstaunlicherweise sollte ich diesen Spruch Jahre später von einem anderen Menschen und in einem anderen Zusammenhang noch mal zu hören bekommen.)

Neben vielen, teils vernachlässigbaren Fächern wie z.B. Psychologie, politische Ökonomie oder Philosophie (was soll denn das?) belegte ich mit Freuden das Fach „Jazzinterpretation“ bei Ruth Hohmann. Diese Frau hatte die Gabe und die Kraft, mit ihrer Stimme Eis zum Tauen und Blumen zum Blühen zu bringen, und nicht ohne Grund wurde sie „die Ella Fitzgerald des Ostens“ genannt. Es war nicht nur eine Ehre, sondern immer ein ausgesprochenes Vergnügen von dieser Dame gefordert zu werden. Danke, liebe Ruth!

Wie ja bereits erwähnt war diese Studienrichtung an dieser Lehranstalt mit Beginn meines Studienjahres funkelniegelnagelneu eingerichtet worden. Wohl genau daraus ergaben sich einige unplanmäßige Unregelmäßigkeiten, die immer öfter dazu führten, dass entweder keine Unterrichtsräume zur Verfügung standen oder gerade keine Lehrer im Angebot waren oder, oder, oder…! Abgesehen davon, dass mich dieses organisatorische Durcheinander ziemlich genervt hat begann ich den Hochschulbetrieb als eher lächerlich zu empfinden und somit mich immer mehr zu langweilen.

Apropos Chaos: Leider wurde an dieser Kaderschmiede den jungen Studenten nie beigebracht, wie man sich im Falle einer Panne auf der Bühne verhält. Wie oft sehe ich noch heute teilweise erfahrene Frontschweine kläglich versagen, wenn technische Pannen den wohl einstudierten Ablauf eines Konzertes brutal unterbrechen. Ich jedenfalls freue mich geradezu auf kleinere Katastrophen – juchhuu – kann ich doch hier meine von Frechheit getriebene, scheinbar in mir wohnende Improvisationsfähigkeit unter Beweis stellen! Sollte jemals darüber nachgedacht werden ein Studienfach „Chaosbewältigung auf der Bühne“ einzurichten – nehmt mich als Dozenten!

Nach etwa achtzehn Monaten Studienzeit ging ich also zum Prorektor, Herrn Riedel, und bat um irgendeine wie auch immer geartete Klärung dieser für mich unerträglichen Situation. Bei diesem ziemlich ernsten und langen Gespräch, das darin gipfelte, dass ich schon um Exmatrikulation bat, kam Meister Riedel auf die Idee ich solle jetzt, nach zwei Jahren, einen Teilabschluß machen und den Rest dann extern selbstständig lernen. Die unumgängliche, strenge Abschlussprüfung würde dann ja zeigen, ob ich mein Ziel, den Berufsausweis ausgestellt zu bekommen, erreichen würde. Ich verstand und willigte ein.

Von nun an bewarb ich mich zu jeder sich bietenden Gelegenheit mein Examen zu machen, aber nee, die ließen mich doch allen Ernstes erst nach weiteren zwei Jahren, also nach der offiziellen Regelstudienzeit meinen Abschluss machen, so weit ging die Liebe dann wohl doch nicht.

Da ja mein Wechsel zu N.O.55 in die vier Jahre meines Studiums fiel, konnte ich zu meiner praktischen Prüfung mit Pitti, Joro und Peter Krause antreten, was an sich schon Eindruck auf die Kommission, von denen ja die meisten Musiker waren, machte. Als wir dann auch noch mit hohen Schwierigkeitsgraden und unvorhersehbaren Zauberkunststückchen aufwarteten, waren die Examinatoren ungeniert offen von den Socken. Ich glaube auch, die Tatsache, dass die gesamte Band ihren Sänger bei der Abschlussprüfung wie ein Mann unterstützte, brachte - zumindest moralisch - Pluspunkte.

Was danach noch kam war ein Kinderspiel: Prüfung in Musikgeschichte, pol.Ök, und ich glaube Psychologie – alles andere hatte ich ja schon im Sack – und fertig war der Lack! Mit dicken Zigarren und endlosen Strömen allerfeinsten Alkohols wurde dann mein Berufsausweis ausschweifigst gefeiert.

Ich erinnere mich noch, als wär’s gestern, dass ich den Typen, der mich am nächsten Morgen aus dem Spiegel anstarrte zwar nicht kannte, aber die Zähne hab’ ich ihm dann - man ist ja kein Unmensch - doch geputzt!

Aber nun erst mal wieder zurück zu MONOKEL.

Das Leben ist ´ne Session

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