Читать книгу Eine Klassenfahrt und andere Desaster - Franka Abel - Страница 12
Das muss doch keiner wissen!
ОглавлениеAch, und bitte immer schönes Wetter. Da müssen Sie in den Süden fahren!
Viele gemeinsame, spannende Aktionen bitte. Und passen Sie auf, dass die Jungs nicht auf den Mädchenzimmern sind.
Schülerbögen werden mit einem Hang zum Minimalismus ausgefüllt, man will schließlich im Zeitalter des Datenschutzes möglichst wenig preisgeben. Beim Einsteigen in den Bus werden dann allerdings immer noch ein paar ganz wichtige Informationen per Zuruf mitgeteilt. „Frau Abel, das wollte ich nicht in den Schülerbogen schreiben. Das geht niemanden etwas an.“ Klar, merke ich mir ;-) Asthma, Rückenprobleme, Bettnässen, Allergien, Pille, Medikamente...
„Und achten Sie doch bitte darauf, dass mein Kind morgens um sieben auch immer die Medikamente nimmt. Sonst lege ich sie morgens immer auf den Frühstücksteller.“
„Frau Abel, Mert kann vor 10 Uhr morgens gar nichts essen. Der braucht unterwegs eine Frühstückspause. Aber bitte sorgen Sie dafür, dass niemand weiß, dass die Pause seinetwegen stattfindet. Sonst wird er von den anderen deswegen noch gemobbt.“
Das Thema Datenschutz führt mitunter zu schwierigen Auseinandersetzungen. Was darf ein Lehrer sagen, was nicht? Welche Informationen dürfen an die Öffentlichkeit gelangen? Darf man Noten ansagen oder nicht? „Dürfen Sie das überhaupt“, steht auf der Liste der meistgestellten Schülerfragen ganz weit oben.
Schwierig wird es, wenn es um die Reaktion auf eindeutiges Fehlverhalten geht. Muss da immer hinter verschlossenen Türen agiert werden? Nicht selten höre ich von Schülern Sätze wie folgenden: „Der Schüler xy fehlt andauernd im Unterricht und nichts passiert. Aber mich meckern Sie immer an, wenn ich nur mal zu spät komme.“ Natürlich passiert etwas mit Schüler xy. Aber die Informationen darüber werden selbstredend nicht in der Klasse bekannt gegeben. Vor einigen Monaten wurde ich zum Schulleiter bestellt, der mich darüber informierte, dass sich ein Vater einer 8. Klasse massiv über mich beschwert habe, dass ich „seinen Sohn im Unterricht diffamiere“ und Schüler beleidige. „Worum geht es denn genau“, versuchte ich den Grund der Beschwerde zu erkunden. Der Vater wollte anonym bleiben, damit seinem Sohn keine „weiteren Nachteile im Unterricht“ entstehen. „Frau Abel kann meinen Sohn ja jetzt schon nicht leiden.“ Was sollte ich mit dieser Information jetzt anfangen? Ich wusste weder, um wen es ging, noch worum überhaupt. Hartnäckiges Nachfragen brachte dann aber doch ans Licht, dass sich der Vater ganz besonders darüber beschwerte, dass ich seinen Sohn im Unterricht auch dann zu mündlichen Leistungen aufforderte, wenn er sich nicht gemeldet hatte. „Sie kann meinen Sohn doch nicht rannehmen, wenn er sich nicht meldet. Das ist diffamierend!“ Ganz speziell ging es um eine Übungsphase, in der ich Aufgaben aus dem kleinen 1mal1 wiederholt hatte, da ein respektabler Teil der Klasse immer noch nicht in der Lage war, die Aufgabe 7mal8 ohne Taschenrechner zu bewältigen. Und so beraumte ich mit schöner Zuverlässigkeit zu Beginn jeder Stunde ein fünfminütiges Kopfrechentraining an. Ich achtete penibel darauf, dass möglichst jeder Schüler Aufgaben lösen musste, also auch Jeremy. Wohlgemerkt, Aufgaben aus dem kleinen 1mal1 in der achten Klasse. Und nun beschwerte sich der Vater beim Schulleiter, da ich Jeremy in seinen Augen diffamierte, weil andere Schüler durch die mündliche Form der Übung erfahren können, welche Fragen Jeremy nicht beantworten konnte. Das verstieße gegen den Datenschutz. Außerdem berichtete er dem Schulleiter, dass Schüler, die eine Antwort nicht wissen, bei mir den Rest der Stunde auf dem Tisch stehen müssen und sein Sohn deshalb große Angst vor meinem Unterricht habe. Fassungslos starrte ich meinen Schulleiter an. „Das hat er tatsächlich gesagt?“ Ich war sprachlos. Und ich grübelte. Wie kam der Mann auf solche Behauptungen? Selbst ein ganz schlichtes Gemüt musste doch wissen, dass man nur in die Klasse gehen und nachfragen muss, wann der letzte Schüler auf dem Tisch stehen musste, weil er eine Frage nicht beantworten konnte. Also, was sollte das? Ich grübelte weiter und berichtete inzwischen meinem Schulleiter von Jeremy. Er hatte wirklich große Schwierigkeiten. Und ganz offensichtlich fühlte sich Jeremy in der Schule grundsätzlich nicht wohl, da ihm Anforderungen im allgemeinen Angst machten. Er wurde eng vom Sonderpädagogen des Jahrganges betreut und hatte immer seine eigenen Aufgaben, damit er sich nicht überfordert fühlte. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Vor über einem Jahr, in der siebten Klasse, hatten tatsächlich einmal Schüler dieser Klasse auf Tischen gestanden. Auch im Zusammenhang mit dem erwähnten Kopfrechentraining. Ich versuchte diese fünf-Minuten-Übung so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Mündlich, schriftlich, als Bingo, mit Bewegungen, mit und ohne Noten. Einmal hatte ich jedem, der seine Aufgabe nicht lösen konnte, gesagt, er möge sich hinstellen, damit ich nicht vergesse, ihm eine zweite Aufgabe zu stellen. Als ein Schüler auch diese zweite Aufgabe nicht lösen konnte, meinte er lachend: “Macht nichts, dann stelle ich mich auf den Stuhl und löse eben noch zwei Aufgaben. In der nächsten Stunde fragten mich einige Schüler: „Machen wir das heute beim Kopfrechnen wieder, dass wir uns auf die Stühle stellen?“ Es war relativ schnell klar, dass es einige Jungs voller Freude darauf anlegten, bis auf den Tisch zu kommen, bevor sie überhaupt daran dachten, ihre Aufgaben richtig zu lösen. Sie hatten zwar ihren Spaß, aber ich fürchtete, dass der Übermut zu gebrochenen Tischplatten führte und überlegte mir sehr schnell eine neue Variante, bei der sie nicht so hoch hinauskamen.