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Was wir alles wollen

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Unser Ziel war eine katholische Familien-Ferienstätte, 150 Höhenmeter über der Elbe. Maximale Entfernung zur nächsten menschlichen Behausung. Um uns herum nichts als Gegend, dörfliche Ruhe und über uns Himmel. Jede Menge Himmel. Das Wetter versprach einen traumhaften Altweibersommer. Ich hatte mir das Objekt schon einmal vor Monaten bei einem privaten Ausflug in die Sächsische Schweiz angesehen und war sofort angetan. Ich fand es ausgesprochen geeignet, um dort einige Tage mit einer Klasse zu verbringen. Große Zimmer, viel Gelände, Lagerfeuerplatz, Sportmöglichkeiten, öffentliche Verkehrsmittel in der Nähe, wenn auch 150m tiefer, nette Mitarbeiter vor Ort und unglaublich viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen.

Im Gepäck hatte ich ein ordentliches Programm voller Aktivitäten und, wenn man wollte, Spaß. Geocaching, die moderne Form der Schnitzeljagd, Lagerfeuer - mit Feuerstein und Zunder zu entfachen, Klettern, Schlauchboot fahren, ja, auch mal Wandern, ein gemeinsamer Grillabend, ein Ausflug zur Festung Königstein. Auch den Kletterfelsen hatte ich vorher erkundet und selbst ausprobiert, damit auch ja für alle etwas Geeignetes dabei ist und jeder zu seiner ganz eigenen Portion körpereigenem Glückshormon kommt.

Erfolgreiche Anstrengung = Dopamin Ausschüttung. Dopamin gilt als Glückshormon und ist gleichermaßen für die Lust, als auch die Sucht zuständig. Es ist unsere ganz spezielle körpereigene Belohnungsdroge für Anstrengung, egal ob im geistigen oder körperlichen Bereich. Es sorgt dafür, dass wir uns stolz und glücklich fühlen, nachdem wir uns für eine Leistung angestrengt haben. Das heißt wiederum, Anstrengung tut uns gut. Wir brauchen sie, damit wir mit uns selbst zufrieden sein können.

Ich hatte auch lange über einen Besuch der Felsenbühne Rathen nachgedacht, diesen Plan dann aber nach einem Ausflug zur Probebühne des Jugendtheaters Grips im Rahmen des Deutschunterrichtes schleunigst aufgegeben. Nach der Veranstaltung war ich schweißgebadet und ausgesprochen peinlich berührt nach Hause gefahren.

Ganz offensichtlich hatten viele unserer Schüler nicht den leisesten Anflug von Regeln des guten Benehmens in einer Theateraufführung parat. Obwohl wir in der Vorbereitung natürlich sehr lange darüber gesprochen hatten. Die ganze Zeit waren meine Kollegen und ich damit beschäftigt, Gespräche über mehrere Reihen, sowie lautes Knistern oder Essen zu unterbinden, Schüler in aufrechte Sitzposition zu bringen, die angestrengt so taten, als müssten sie vor lauter Langeweile einschlafen oder auch nur daran zu hindern, ihre Füße auf den Lehnen des Vordermannes zu positionieren. „Mache ich im Kino auch immer!“

Kurz und gut: Ich hatte maßlosen Schiss, mich in einer öffentlichen Vorstellung in Rathen vor tausenden von Besuchern bis auf die Knochen zu blamieren.

Ich mache Klassenfahrten seit vielen Jahren, deshalb kann ich aufgrund wirklich eigener Erfahrung behaupten: Die Erwartungen an eine Klassenfahrt haben sich deutlich geändert. Und das nicht nur, was die Qualität der Unterkunft angeht.

Wie weit gehen da die Ansichten von Schülern, Eltern, Lehrern und offizieller Seite eigentlich auseinander?

Meine Schüler wollten auf jeden Fall ins Ausland und Spaß haben. Wobei Spaß haben nicht genau definiert werden konnte. Aber zumindest sollte es nicht zu anstrengend werden. Da herrschte Einigkeit. Und nicht ins Museum. Und keine langweiligen Stadtführungen. Mmmhhhh... Am liebsten mit dem Flugzeug. Aber heutzutage weiß man nie, wann die nächste Airline Insolvenz anmeldet oder welche Piloten oder welches Bodenpersonal gerade streiken, wenn man eigentlich in den Flieger steigen möchte. Selbstredend wird es auch gleich sehr viel teurer. Und mit dem Bus ins Ausland zu fahren, heißt auf Hin- und Rückreise gerne mal 14 Stunden oder mehr im Bus zu hocken. Keine erholsamen Aussichten. Und zu guter Letzt kann ich im Ernstfall niemanden nach Hause schicken, also auch gar nicht erst damit drohen. Auch das gab mir in der Tat zu denken.

Trotz allem waren sich auch die Eltern hierin in weiten Teilen einig: Eine Klassenfahrt sollte ins Ausland gehen. Wieso fahren Sie nur nach Deutschland? Nicht zu teuer sollte es dennoch sein! Auch hier liegen die Wohlfühlwerte weit auseinander. Ich habe mir gerade angelesen, dass die Kosten in Berlin im Durchschnitt derzeit bei 500 Euro pro Klassenfahrt und Schüler liegen. Im Durchschnitt! Wobei die Spanne zwischen den Bezirken weit auseinanderklafft und an welcher Position Neukölln rangiert, wird wohl nicht als die Eine-Million-Euro-Frage bei Günther Jauch zugelassen werden. Das Verlustpotential wäre deutlich zu hoch.

Auf eine parlamentarische Anfrage von Sebastian Schlüsselburg, Abgeordneter der Linkspartei nach Ausgaben für Klassenfahrten im Bezirk Lichtenberg im Jahr 2016 gab Staatssekretär Mark Rackles (SPD) Antwort und somit Aufschluss über die Situation in ganz Berlin.

Im Jahr 2016 wurden in Berlin fast 10 Millionen Euro für Klassenfahrten bewilligt. Das meiste Geld floss mit 1,5 Millionen Euro nach Neukölln, direkt gefolgt von Berlin-Mitte mit Ausgaben in Höhe von 1,4 Millionen – beides sind Bezirke mit einer hohen Zahl von armen Schülern. Die wenigsten Zuschüsse benötigten Schüler im vergleichsweise wohlhabenden Steglitz-Zehlendorf. Hierhin flossen rund 0,36 Millionen Euro, obwohl die absolute Anzahl der Schüler hier noch über der von Neukölln oder Mitte liegt.

Unsere Klassenfahrt kostete in Summe 259 Euro für Hin- und Rückfahrt im eigenen Reisebus, Unterkunft, Halbpension, Aktivitäten und Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel.

Für etwa zwei Drittel meiner Schüler hat das Land Berlin gezahlt, weil die Eltern aus verschiedenen, hier nicht beleuchteten Gründen, diese finanzielle Belastung aus eigenen Mitteln nicht stemmen können. Das ist sehr gut, damit alle Kinder gleichermaßen an Wandertagen und Klassenfahrten teilnehmen können. Obwohl ich der Meinung bin, dass es grundsätzlich sinnvoller wäre, wenn für alle Kinder, unbesehen vom Einkommen der Eltern, ein oder zwei Klassenfahrten in der Mittelstufe durch das Land finanziert würden. Es könnte eine finanzielle Obergrenze geben und vieles wäre einfacher.


Eine Klassenfahrt und andere Desaster

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