Читать книгу Eine Klassenfahrt und andere Desaster - Franka Abel - Страница 4
„Schönen Urlaub!“
ОглавлениеNoch bevor ich in dem allgemeinen Gewühl unseren Bus überhaupt entdecke, weiß ich schon Bescheid. In der gackernden Mädchenecke wird auffallend gequietscht und gekreischt. „Frau Abel, unser Busfahrer ist gaaaaanz jung und er sieht gaaaaanz toll aus.“ Nele klimpert mit ihren aufgeklebten künstlichen Wimpern und wirft Chantalle vielsagende Blicke zu. Aha. Ich halte Ausschau und entdecke ihn tatsächlich, ins Gespräch vertieft mit einem uniformierten Beamten. Ich hatte schon vor Wochen eine technische Untersuchung des Busses vor Fahrtantritt beantragt. Man weiß ja nie. Wir wollen schließlich ins Gebirge. Aber es gibt grünes Licht. Zwei Daumen hoch. Alles in Ordnung. Der Busfahrer frisch geschult, der Bus tipptopp in Ordnung. Ein unauffälliges, kleines silbergraues Gefährt für 26 Fahrgäste. Die Schüler betrachten das Gefährt skeptisch und ein bisschen mit Unmut. So ein kleiner Bus? Auch die Eltern scheinen etwas anderes, standesgemäßeres erwartet zu haben. Gibt es eine Klimaanlage? Warum keine Toilette...? Passen da überhaupt alle rein?
Ja, wir passen alle rein. 26 Plätze, 25 Personen. Das geht eindeutig auf. Und drei Stunden Fahrt schafft man auch einmal ohne Toilette. Dafür haben wir aber eine Klimaanlage. Sehr viel mehr Kopfzerbrechen machen mir da die schrankgroßen Hartschalenkoffer, die sich noch vor dem Bus türmen und vermuten lassen, wir würden uns auf eine vierwöchige Exkursion in unerschlossenes Gebiet begeben. Dabei ist es Montagvormittag und wir werden bereits am Freitagmittag zurückerwartet. Dazu noch unzählige riesige Verpflegungsarsenale aus Chipstüten, Legionen von Gummibärchen, hektoliterweise Eistee, Keksen, Schokowaffeln und Bergen von asiatischen Instantnudeln ... Die sind gerade der neueste Ernährungstrend. Zumindest an meiner Schule. Trocken, direkt aus der Tüte. Ob das auch für Gebiete im weiteren Umfeld gilt, kann ich nicht beurteilen.
Im bunten, quirligen Durcheinander aus Schülern, Eltern, Koffern und weiteren reiselustigen Klassen eines benachbarten Gymnasiums, dessen, bei diesen Gelegenheiten leider immer hoffnungslos überfüllter Parkplatz, als beliebter Be- und Entladepunkt für Klassenfahrten der Umgebung genutzt wird, erkenne ich aus den Augenwinkeln Fadil, einen meiner ADHS – Sprösslinge, der in modernen pädagogischen Publikationen viel und gern bemühten Aufmerksamkeitsdefizitstörung gepaart mit Hyperaktivität. In diesem Fall mit sehr viel Hyperaktivität und einem hohen Energieüberschuss. Fadil pflegt sich von Kaffee und Nutella zu ernähren. Man erkennt ihn in der Regel daran, dass er mit allen vier Extremitäten gleichzeitig wild rudernd, eine Schneise furchend, durch die Gegend rennt und sich hin und wieder auch einfach nur auf dem Boden wälzt.
Hatte ich schon erwähnt, dass es sich bei meiner Klasse um eine Zehnte handelt?
Nach einem Tetris verdächtigen Packmanöver des gutaussehenden, jungen und immer noch gut gelaunten Busfahrers kann es tatsächlich losgehen. Alle Koffer sind verstaut, die letzten Mütter haben mir noch beim Einsteigen diverse Extrawünsche mit auf den Weg gegeben und mich noch einmal eindringlichst ersucht, doch ja auf ihre Lieblinge, Prinzen und Prinzessinnen aufzupassen. „Schönen Urlaub“, ruft mir Cecylias Mutter noch kichernd hinterher und auch Neles Mutter seufzt theatralisch: „Ja, so eine Urlaubswoche extra hätte ich jetzt auch gerne.“ Dieser Witz ist so alt wie die Klassenfahrten selbst.
Wir verlassen die kleine sichere Enklave Berlin-Neukölln, in der die Geschäfte türkische oder arabische Schriftzüge tragen, die Männer mit kleinen Teegläsern in der Hand auf der Straße beieinandersitzen oder stehen und mehr Moscheen als Kirchen besucht werden und machen uns auf in Richtung unbekanntes Sachsen. Genauer ins Elbsandsteingebirge oder auch Sächsische Schweiz.