Читать книгу Eine Klassenfahrt und andere Desaster - Franka Abel - Страница 16
Apokalyptisches Chaos
ОглавлениеWir bezogen also unser Quartier, das für die nächsten fünf Tage unser gemeinsames Domizil sein sollte.
Erfahrungsgemäß verwandeln sich Jugendzimmer, und die meisten Eltern werden mir mit Blick auf die Kinderzimmer des eigenen Nachwuchses sicherlich Recht geben, kurz nach dem Betreten durch pubertierende Sprösslinge in einen Ort, den man unbesehen sofort als Drehort für einen apokalyptischen Thriller verwenden kann.
Bei einem Kinderarztbesuch vor nun schon etlichen Jahren mit einem meiner eigenen Söhne, fand ich in einer bereitgestellten Elternzeitschrift einmal folgenden, in meinen Augen legendären Satz: „Intelligente Kinder brauchen Chaos!“ Ab sofort konnte ich dem Chaos in den eigenen Kinderzimmern mit großer Gelassenheit begegnen: Meine Kinder waren ganz offensichtlich hochintelligent. Der IQ musste weit, sehr weit über dem Durchschnitt liegen.
Noch schlimmer erlebe ich es auf Klassenfahrten. Je mehr Bewohner, umso größer das sofortige Chaos. Die versammelte Intelligenz nimmt beängstigende Größenordnungen an und schnellt vermutlich in den nicht mehr messbaren Bereich. Egal, wie viele Schränke zur Verfügung stehen, der Inhalt der Koffer wandert unweigerlich auf den Fußboden, sämtliche Deos und andere mitgeführte geruchsgebenden Stoffe werden sofort in größeren Mengen und von jedem Zimmerbewohner in die nähere und weitere Umgebung eingebracht und somit das Atmen deutlich erschwert, Tische brechen unter der Last von Süßigkeiten und Knabberzeug zusammen und die Zimmertüren werden durch Berge wild durch einander gewürfelter Schuhe blockiert. In den Bädern stapeln sich Unmengen von Haargels, -sprays, Kosmetika, Cremetöpfchen und -tiegelchen, Deos und offenen Zahnpasta-Tuben. Ich habe nie erfahren, ob sie das Bad schon geöffnet erreichen oder ob es sich um ein geheimes Ritual handelt, bei dem sie sofort nach der Inbeschlagnahme des Zimmers und des Bades geöffnet und die kleinen Verschlusskappen unwiederbringlich entsorgt werden. Und hierin unterscheiden sich Jungen- und Mädchenzimmer kaum noch. Der einzige Unterschied der Geschlechter ist der Geruch am Morgen.
Während man Mädchenzimmer durchaus unbeschadet an Körper, Geist und Seele am Morgen betreten kann, um die Insassinnen zu wecken, sollte man vor dem Betreten von Jungenzimmern durch tiefe Atemzüge, wie vor einem längeren Tauchgang, für einen ausreichend üppigen Sauerstoffvorrat sorgen, um dann als erstes auf kürzestem Weg im Sprint die fest verschlossenen Fenster zu erreichen, selbige aufzureißen und erst danach, nach einem überlebenswichtigen Atemzug, mit giraffenartig weit ausgestrecktem Hals, möglichst weit vor dem Zimmerfenster im Freien, kann man den Weckvorgang einleiten. Nur so ist es möglich, die Jungs für den Tag zu mobilisieren, da sie durch die entstandenen Gase der Nacht in einer Art Koma liegen und selbst das Eintreten der Tür durch ein Sondereinsatzkommando nicht wahrnehmen könnten.
Ich hatte sehr gehofft, dass ich diesen lebensbedrohlichen Tagesanfang meinem Kollegen überlassen konnte, aber der schob, klassenfahrtserfahren, seine dreijährige Tochter und ihre gemeinsamen Morgenrituale vor und überließ mir die morgendlichen Wiederbelebungsmaßnahmen. Ich kündigte also bei den Herren meine morgendlichen Weckversuche an, um mir und ihnen peinliche Überraschungen zu ersparen.