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Die Bestätigung des Lebens durch das Nein zum Töten hindurch und die Söhne des Teufels

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Der Realismus des Johannesevangeliums besteht geradezu in der Bestätigung des Lebens durch das Nein zum Töten hindurch. Dieser Realismus wird im Evangelium dem politischen Realismus - dem Sachzwangrealismus - der Gegen Jesu gegenübergestellt, der das Leben dadurch bestätigt, daß er den Gegner tötet. Wenn sie sagen: Es ist besser, daß einer stirbt als ein ganzes Volk, behaupten sie, daß der Tod des anderen eine realistische Form der Bestätigung des eigenen Lebens ist. Gemäß Johannes, ist die Position Jesu dem gerade entgegengesetzt: es ist besser, niemanden zu töten, damit alle leben.

Gerade hierdurch verwirft Jesus alle beliebigen “guten Gründe” zum Töten, während der politische Realismus darauf besteht, daß das Leben durch das Töten immer dann zu bestätigen ist, wenn es gute Gründe dafür gibt. Gerade das Kapitel 8 des Evangeliums verwirft alle guten Gründe zum Töten., Wenn das Resultat von Gründen die Legitimierung des Tötens ist, dann sind die Gründe schlechte Gründe. Zu töten oder nicht zu töten ist das Kriterium über die Gründe, nicht umgekehrt. Alle guten Gründe zum Töten kommen vom “Vater der Lüge”, und diejenigen, die sie suchen, haben den Teufel zum Vater, der der “Mörder von Anfang an” und zugleich “Vater der Lüge” ist. Aber das ist das Gesetz. Es ist nicht einfach ein Körper von Normen als solchem, sondern enthält ganz allgemein den Anspruch, gute Gründe zum Töten zu haben. Das Gesetz verwandelt die Wahrheit in ihr Gegenteil. Es tötet, damit Leben sein kann und enthemmt gerade dadurch die Logik des Todes.

Dies ist eine völlig radikale Haltung. Sie stößt ganz offen mit allem zusammen, was die “Weisheit dieser Welt” ist und provoziert sie. Jesus stößt im 8. Kapitel des Evangeliums mit denen zusammen, die an ihn glauben, aber gleichzeitig auf ihrer Freiheit durch Gesetz bestehen. Das Gesetz macht sie frei, sodaß sie eine institutionelle Freiheit haben. Jesus tritt ihnen mit einer ganz provokativen Haltung gegenüber; er sagt, daß sie ihn töten wollen. Er drückt damit aus, was er als die Logik ihrer Position ansieht. Sie unterliegen einem kompulsiven Druck, ihn zu töten, - auch wenn sie jetzt noch keine Absicht dazu haben -, wenn sie auf ihrer Freiheit durch Gesetz bestehen, auf ihrer rein institutionel begründeten Teilhabe an einer “Freien Welt”. Sich zu befreien heißt danach in dieser Situation, das Leben durch das Nein zum Töten hindurch zu bestätigen.

Wenn sie diese Befeiung verweigern, sagt Jesus ihnen, daß sie den Teufel zum Vater haben, wobei der Teufel eben der Menschenmörder von Anfang an und der Vater der Lüge ist. Seine Zuhörer reagieren jetzt gegen Jesus und sagen von ihm: du hast einen Dämon. Auch der Dämon ist ein Teufel, aber dieser Teufel ist natürlich anders aufzufassen als der Teufel, von dem Jesus spricht. Tatsächlich, vom Standpunkt des Gesetzes, der Institutionen und des politischen Realismus aus gesehen, ist derjenige ein Teufel, der auf der Bestätigung des Lebens durch das Nein zum Töten hindurch besteht. Alle moderne Gesellschaft beruht ja auf dieser Vorstellung vom Teufel. Wir kennen aus der ganzen politischen Propaganda unserer heutigen Freien Welt diese Sequenz, die hier bei Johannes zum ersten Mal von den Zuhörern Jesu im Kapitel 8 angedeutet wird und die die Bestätigung des Lebens durch das Nein zum Töten als Utopismus denunziert, daraus auf Terrorismus schließt und damit gerade diese Position als dämonisch verurteilt: “Wer den Himmel auf Erden will, schafft die Hölle auf Erden.” Hier wird Luzifer als Teufel denunziert. In moderner Sprache ist es das, was die Zuhörer Jesus im 8. Kapitel zu Jesus sagen: du hast einen Dämon. Im Grunde heißt dies: wer nicht bereit ist, als Ergebnis des politischen Reaalismus zu töten, ist der wahre Mörder.

Vom Standpunkt Jesu aus hingegen haben diejenigen, die diesen politischen Realismus vertreten, den Teufel zum Vater. Dies ist allerdings ein Wortgebrauch, der nicht in unsere heutige Sprache eingegangen ist. Wir sagen nicht, daß diejenigen, die sich dem politischen Realismus ausliefern, den Teufel zum Vater haben. Die Moderne hat einen anderen Ausdruck für eben diesen Vorwurf entwickelt. Wir sprechen nicht davon, daß sie den Teufel zum Vater haben, sondern daß sie einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sind. Goethe hat im Faust diesem Ausdruck sein ganzes heutiges Gewicht gegeben. Max Weber sieht diese Transformation sehr klar:

“Auch die alten Christen wußten sehr genau, daß die Welt von Dämonen regiert sei, und daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt abschließt, und daß für sein Handeln es nicht wahr ist, daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind.”17

Die Anspielung Max Webers auf diesen Pakt mit dämonischen Mächten und den alten Christen ist sicher etwas diffus. Wenn Weber aber sagt, daß diejenigen, die sich dem politischen Realismus ausliefern, “mit diabolischen Mächten einen Pakt” abschließen, sagt er mit andern Worten durchaus dasselbe, was im Kapitel 8 gesagt wird. Denn die Stelle, wo die Position der alten Christen gegenüber dem Pakt mit diabolischen Mächten am direktesten aufgegriffen wird, ist ganz zweifellos das 8. Kapitel des Johannesevangelium. Darin wird allerdings gesagt, daß diejenigen, die diesen Macht machen, den Teufel zum Vater haben. Damit wird gerade abgestritten, daß aus Bösem Gutes und aus Gutem Böses entstehen kann. Die darauf bezügliche Behauptung von Max Weber ist schlechterdings falsch. Die “alten Christen” sind nicht bereit, diesen Pakt abzuschließen. Die alten Christen wußten sehr wohl, daß diese Realpolitik, die hier Max Weber vorstellt, die Politik beherrscht. Aber sie verweigern sich und dies gerade macht Johannes sehr klar. Die Gewalt der Realpolitik bleibt Mord. Folglich ziehen sie die Konsequenz, daß Politik eben nicht dieser Art Realpolitik unterworfen werden darf. Das Böse bringt Böses hervor und das Gute Gutes. In gar keiner Weise akzeptieren sie, daß das Böse das Gute hervorbringt. Wenn Max Weber das behauptet, so ist das schlechterdings falsch. Daß das Böse das Gute hervorbringt, ist die Akzeptierung von Menschenopfern und die Behauptung, daß sie häufig fruchtbar sind. Es ist eine völlig sakrifizielle Vorstellung. Ein Menschenopfer aber kann nach der Vorstellung dieser alten Christen nur offenbaren, daß es selbst ein Verbrechen ist. Das ist das einzige Resultat, das es bringen kann. Diese Offenbarung aber, daß jedes Menschenopfer ein Verbrechen ist, ist ein Ruf dazu, es niemals zu wiederholen. Daher interpretieren sie ebenfalls den Tod Jesu in diesem Sinne. Danach ist der Tod Jesu ein Menschenopfer, das im Namen der Realpolitik von denen dargebracht wird, die ihn töten. Aber dieses Opfer hat nicht einen sakrifiziellen Sinn, sondern ist ein Verbrechen, dcas begangen wird in Erfüllung des Gesetzes und das, indem es begangen wird, die Tatsache offenbart, daß alle Menschenopfer, das des Jesus eingeschlossen, Mord sind und keinerlei sakrifizielle Fruchtbarkeit haben. Diesen Tod ohne jede sakrifizielle Fruchtbarkeit auf sich genommen zu haben, nennen die alten Christen dann das Opfer Jesu. Aber es ist kein sakrifizielles Opfer, das eben als Opfer des Vaters der Lüge gesehen wird, der dem Menschenopfer sakrifizielle Fruchtbarkeit zuschreibt. Da dieser Vater der Lüge der Mörder von Anfang an ist, sehen sie solch ein Opfer ganz einfach als Mord an. Daher kann niemals ein Krieg ein gerechter Krieg sein.

Max Weber nimmt genau den entgegengesetzten Standpunkt ein. Seinen Aufsatz “Der Beruf zur Politik” kann man als Entgegnung auf die Position darstellen, die Johannes im 8. Kapitel entwickelt an Hand der Diskussion zwischen Jesus und denen, die zum, Glauben an ihn gekommen waren.

Das Argument Webers ist interessant, und er entwickelt es in Auseinandersetzung mit der Bergpredigt. Aber das Kapitel 8 des Johannes bringt eine Systematisierung der Bergpredigt, wie sie in den Synoptikern auftaucht, sodaß die Argumente Webers gegenüber der Bergpredigt hier genauso gelten. Weber sagt:

“Eine Ethik der Würdelosigkeit - außer: für einen Heiligen. Das ist es: man muß ein Heiliger sein in allem, zum mindesten dem Wollen nach, muß leben wie Jesus, die Apostel, der heilige Franz und seinesgleichen, dann ist die Ethik sinnvoll und Ausdruck einer Würde. Sonst nicht. Denn wenn es in Konsequenz der akosmistischen Liebesethik heißt: dem Übel nicht wiederstehen mit Gewalt, - so gilt für den Politiker umgekehrt der Satz: du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst - bist du für seine Überhandnahme verantwortlich.” (Weber, a.a.O. S.173/174)

Zuerst ein völlig abstraktes Lob – das Requiem eternam Deo, wie es Max Weber so häufig singt – und dann die völlige Umkehrung: du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst - bist du für seine Überhandnahme verantwortlich. Es ist die gleiche Position, die die christliche Orthodoxie immer eingenommen hat. Wer ist nun für die Überhandnahme des Übels verantwortlich? Natürlich diejenigen, die das Nein zum Töten aussprechen. Weber führt das dann gegenüber dem Pazifismus aus:

“Der nach dem Evangelium handelnde Pazifist wird die Waffen ablehnen oder fortwerfen, wie es in Deutschland empfohlen wurde, als ethische Pflicht, um dem Krieg und damit: jedem Krieg ein Ende zu machen. Der Politiker wird sagen: das einzig sichere Mittel, den Krieg für alle absehbare Zeit zu diskreditieren, wäre ein status-quo-Friede gewesen... Denn für die Sieger - mindestens für einen Teil von ihnen - wird sich der Krieg politisch rentiert haben. Und dafür ist jenes Verhalten verantwortlich, das uns jeden Widerstand unmöglich machte. Nun wird - wenn die Ermattungsepoche vorbei sein wird - der Frieden diskreditiert sein, nicht der Krieg: eine Folge der absoluten Ethik.” (Weber, a.a.O. S.174)

Das Argument Webers ist reiner Hohn und seine Version der Dolchstoßlegende. Schließlich brach Deutschland nach dem I. Weltkrieg wohl nicht zusammen, weil “nach dem Evangelium handelnde Pazifisten… die Waffen ablehnen oder fortwerfen”, sondern weil der Krieg verloren war und die Bevölkerung die Sinnlosigkeit der Weiterführung des Krieges sah. Die Durchhaltepropaganda Max Webers kam viel zu spät. Im Jahre 1916 – als der Krieg bereits verloren war – hätte sie möglicherweise Sinn gehabt. Zu diesem Zeitpunkt wäre ein status-quo-Friede vielleicht noch möglich gewesen. Aber da hat Max Weber nicht solche Reden gehalten, sondern sogar mitgemacht, wenn auch mit rein persönlicher Distanz zu den alldeutschen Eroberungsphantasien. Außerdem wäre er mit solchen Thesen ins Gefängnis gekommen. Jetzt aber, da es zu spät ist, hat er Mut und stellt sich auf die Seite der Dolchstoßlegende und damit derer, die für den völlig sinnlosen Krieg verantwortlich waren.

Jetzt den Pazifismus zu beschuldigen, ist reine Erfindung und ist sein, Max Webers, Pakt mit diabolischen Mächten. Aber er hat einen Schuldigen, der den “Frieden diskreditiert” und damit den Krieg legitimiert hat. Dies ist der Pazifismus und ganz generell das Nein zum Töten. Vom II. Weltkrieg weiß er noch nichts, weiß aber, daß er kommen wird. Vor allem aber weiß er, wer der Schuldige des II. Weltkriegs sein wird: der Pazifismus. Überhaupt scheint es hier Kriege nur deshalb zu geben, weil es Pazifisten gibt. Ohne Pazifisten wäre ewiger Friede. In den 80er Jahren wußte sogar Geißler, damals Generalsekretär der CDU, daß der Pazifismus der Schuldige für Auschwitz ist. Das aber ist dann das Poppersche: Wer den Himmel auf Erden will, schafft die Hölle auf Erden. Nichts auf dieser Erde wird von den Vertretern der Macht als ein größeres Verbrechen angesehen als das Nein zum Töten.

Es ist das Ergebnis, zu dem auch die Gläubigen kamen, mit denen Jesus sich in der Szene über den Glauben des Abraham im 8. Kapitel des Evangeliums des Johannes auseinandersetzt: Jetzt wissen wir, daß du von einem Dämon besessen bist. (Joh 8,52)

Wenn Max Weber vom Pakt mit diabolischen Mächten spricht, so spielt er sicher auf das zentrale Werk der Literatur an, in dem es um den Pakt mit dem Teufel geht, nämlich den Faust von Goethe. Faust schließt einen Pakt mit dem Teufel ab. Im Drama von Goethe trägt dieser Teufel den Namen Mephistopheles, und ist ein Nachfolger des Satans der jüdischen Tradition.

Bei der Vorbereitung des Paktes, stellt sich Mephistopheles dem Faust vor, als dieser fragt, woher er komme: "Ein Teil von jener Kraft,

Die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Es kann kein Zweifel sein, daß Goethe hier anspielt auf den Satz von Mandeville: private Laster-öffentliche Tugenden, und auf die unsichtbare Hand von Adam Smith. Weber, wenn er auf den Pakt der Realpolitik mit den diabolischen Mächten anspielt, benutzt einen ganz ähnlichen Satz: “daß für sein Handeln es nicht wahr ist, daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil.” Max Weber sagt allerdings “oft”, wo Mephistopheles “stets” sagt.

Faust tritt in den Pakt mit dem Teufel ein, und der Teufel ist jetzt zu seinen Diensten. Im zweiten Teil des Faust baut Faust mit Hilfe des Mephistopheles ein neues Land auf, indem ein Teil des Meers trocken gelegt wird. Mephistopheles sichert die Entstehung des Werks durch Gewalt und Mord. Das Werk ist riesig und Faust spricht von einem Paradies, das er für die Menschen gebaut hat. Er ist schon alt und blind, hört aber dennoch voller Genuß den Lärm der weitergehenden Arbeit. Daher entgeht Faust das wahre Ende. Riesige Wogen verschlingen aufs Neue die gewonnene Erde und zerstören das gesamte Werk, während Faust den Lärm der Zerstörung mit dem Lärm neuer Aufbauarbeiten verwechselt. All sein Werk wird wieder zerstört, aber Faust stirbt ruhig in der Überzeugung, daß sein Werk für immer dauern wird.

Der Pakt mit dem Teufel war ein Betrug des Mephistopheles, des Lügners. Die Macht, von der Mephistopheles sprach und die “stets das Böse will und stets das Gute schafft", hatte das Böse geschaffen, das ein scheinbar gutes Werk durchkreuzte. Mephistopheles hatte gelogen, als er das Gute als Resultat des Bösen versprach. Das Ergebnis war gerade nicht, daß der Tod einiger fruchtbar wurde für das bessere Leben der anderen.

Dieses Ergebnis Goethes ist nicht so sehr weit ab von dem, was Johannes im 8. Kapitel seines Evangeliums entwickelt, obwohl das Evangelium sicher diese Lösung auf radikalere und provokativere Weise vertritt. Max Weber hingegen geht nicht ein auf dieses Ergebnis des Paktes mit den diabolischen Mächten, wie es selbst im Faust von Goethe gezeigt wird: das Böse schafft Böses, und niemals das Gute. Wenn bei Goethe Faust dennoch gerettet wird, so als Ergebnis der guten Absichten, mit denen er gehandelt hat.

Max Weber hingegen macht Realpolitik. Das Böse schafft das Gute, wenn auch nicht immer und notwendig, so doch “oft”.

Der Schrei des Subjekts

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