Читать книгу Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit - Franz Stimmer - Страница 32
4.5.4 Intersubjektivität: Klient und Fachkraft
ОглавлениеZiel des Kontakts zwischen Klienten und Fachkräften der Sozialen Arbeit ist es, die Bewältigung von Konflikten und Problemen von Klienten zu fördern, die in der interdependenten Auseinandersetzung zwischen Mensch und Umwelt ihren Ursprung haben und die subjektiv als Belastung, Überforderung, Leid, Unvermögen, Minderwertigkeit, Sinnlosigkeit erlebt werden und sich störend in sozialen Beziehungen äußern.
Die Bandbreite der Themen »reicht von
• kurzfristigen bis längerfristigen somato-psychischen Konflikten (Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch, Traumatisierung, Suchtentwicklung …),
• psycho-sozialen Problemen (Erziehungsschwierigkeiten, Trennung und Scheidung, Lernschwierigkeiten, Mobbing …),
• ökonomischen Notlagen (Schulden, Arbeitslosigkeit, Armut …)
• bis hin zu kulturspezifischen Konflikten (Migration, religiöse Zugehörigkeit …)« (Stimmer/Weinhardt 2010, S. 16).
Wenn Subjekte der Sozialen Arbeit – Klienten und Fachkräfte – handelnde Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt mit mehr oder weniger stark differierenden spezifischen Lebensstilen und einer meist unterschiedlichen Lebensführung sowie verschiedenen subkulturellen Eigenarten sind, dann sind wechselseitige Vorurteile, Missverständnisse und Spannungen nicht auszuschließen, wenn diese beiden Subjekte mit ihren jeweiligen Vorgeschichten aufeinander treffen. Dabei kann nicht geleugnet werden, dass natürlich auch Fachkräfte von den genannten Themen mehr oder weniger ausgeprägt betroffen sein können, was einerseits – falls reflektiert – einen verstehenden Zugang zu den Konflikten der KlientInnen erleichtern könnte, die andererseits aber auch Anlass sein können, sie zu verdrängen – besonders Tabuinhalte wie Sexualität, Gewalt, Tod, Inzest –, um handlungsfähig zu bleiben. Supervision und eventuell Psychotherapie wären die Mittel der Wahl.
Geschlechts-, Alters-, Bildungs- und kulturelle Unterschiede können eine wechselseitige Annäherung erschweren. Kann eine in Deutschland an einer Hochschule ausgebildete Sozialpädagogin einen Flüchtling aus Afghanistan mit islamischer Religion und einem klaren Bild von Familie verstehen und kann er dies umgekehrt? Hier wird deutlich, dass Verständigung nicht nur einen Beziehungs-, sondern auch einen Sachaspekt hat, d. h. auch, dass Fachkräfte sich kundig zu machen haben bezüglich des kulturellen, religiösen, gesellschaftlichen – auch subkulturellen – Hintergrunds ihrer KlientInnen. Für Fachkräfte ist es ja nicht ohne weiteres zu verstehen, was denn bei der 14-jährigen Julia »abgeht«, die nicht aufhört, die »Schule zu schwänzen« und sich lieber »herumtreibt«, oder bei Herrn Schweiger, der trotz negativster Erfahrungen immer wieder »rückfällig« wird und sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, oder bei der Familie Weichert, die trotz täglicher körperlicher Gewalt »zusammenhält«, oder bei Frau Liebert, der die Schulden schon »über den Kopf wachsen« und die dennoch den Kaufvertrag für ein neues Auto unterschreibt, oder bei dem 17-jährigen »Jo«, der trotz einer Jugendstrafe nicht davon ablässt, mit seiner Gang Autos zu »knacken« und damit auf Tour zu gehen, oder auch bei Herrn Özkan, der steif und fest und unbeirrbar daran festhält, dass er natürlich das Recht hat, ein für allemal zu bestimmen, wen seine 17-jährige Tochter heiratet und wen ganz gewiss nicht.
Um den schwierigen intersubjektiven Prozess zwischen Fachkraft und Klient begrifflich zu fassen, wurden verschiedene Vorstellungen – die nicht deckungsgleich sind, aber unterschiedliche Aspekte des Gleichen/Ähnlichen betonen – entwickelt, wie sie u. a. auch umschrieben werden als »Sokratischer Dialog« (Stavemann 2003), als »Begegnung« (Moreno 1918), als »Dialogisches Prinzip« (Buber 1984), als »Rapport« (Neurolinguistisches Programmieren/NLP: Weerth 1992, S. 133 ff.), als »Intersubjektivität« (Mead 1968; vgl. Fischer 2000), als »Pädagogischer Bezug« (Nohl 1970, S. 134) sowie als »Verständigungsorientierung« (Habermas 1981, S. 446). Bei diesen Begriffen wird eines sehr deutlich: Ihr Inhalt bezieht sich nicht auf intrapsychische Dimensionen, sondern zentral ist das, was zwischen Menschen stattfindet, das, was als Intersubjektivität, Interpersonalität, als Inter-Aktion oder besser mit Moreno und Buber als Begegnung bezeichnet wird. Intersubjektivität in diesem Sinne bedarf der Verständigung ( Kap. 4.6) und der, um bei aller Kontingenz (Luhmann 1984, S. 152) – es kann so aber auch anders sein – handlungswillig und -fähig zu bleiben. Das Dilemma der Ungewissheit wird noch nachdrücklich verstärkt, wenn die Annahme der Kontingenz auf die Interaktionen zwischen Klient und Fachkraft bezogen wird (»Doppelte Kontingenz«). So kann eine angemessene Lösung dieser immer wieder auftretenden verwirrenden Situationen nur über eine wechselseitige Verständigung und über Metakommunikation erreicht werden. Die Verständigung anzuregen ist zunächst die Aufgabe von SozialpädagogInnen, den »Königsweg« dazu bietet die Klientenzentrierte Gesprächsführung ( Kap. 9.2.1).
Zusammenfassend lassen sich aus der Subjektorientierung für das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit wesentliche Überlegungen ableiten:
Subjektorientierung
• führt zur Sicht der Mehrperspektivität von Problemen: Gesellschaft-Lebenswelten-Lebenstile-Lebensführung in ihrer Wechselwirkung ( Abb. 2),
• ist die Grundlage für eine sozialökologische Orientierung in der Sozialen Arbeit ( Kap. 8.5),
• setzt die Reflexion anthropologischer und gesellschaftlicher Fragestellungen sowie Kenntnisse über mikro-, meso- und makrosoziologische Phänomene ( Kap. 8.3.2) voraus,
• entscheidet mit über Fragen der Ethik und Moral methodischen Handelns ( Kap. 4.4),
• beansprucht einen zirkulären Problemlösungsprozess ( Kap. 3.5),
• initiiert probabilistische bzw. interdependente Thesenformulierungen bezüglich Annahmen über Entstehen und Veränderung von Problemen ( Kap. 6.2),
• gibt die Richtung für die Zieleformulierungen vor ( Kap. 6.1),
• bildet die Basis für Handlungsleitende Konzepte ( Kap. 8), wenn auch, je nach Problem sowie Phase im Prozess mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen,
• ist die Grundlage für die Interaktionsmedien ( Kap. 7), die Situationsanalysen bzw. -diagnosen ( Kap. 5), Situationsinterventionen ( Kap. 9) sowie deren Axiologie, Praxeologie und Theorie,
• setzt spezifische Kompetenzen bei Fachkräften voraus ( Kap. 10 und Kap. 11) und
• ist die Basis für eine verständigungsorientierte Intersubjektivität im Handeln zwischen Klienten und Fachkräften ( Kap. 4.6).