Читать книгу Die letzte Lektion - Friedrich Wulf - Страница 12

Neun

Оглавление

Guido war nicht unbedingt ein sexuelles Genie. Er gehörte zu den Männern, die ihren Freunden bedauernd sagen mussten, nein, sie hätten kein Päckchen dabei und wüssten auch nicht, ob es einen Automaten auf der Toilette gäbe. Und was sollte er sagen, wenn ein Freund ihm vertraulich zuflüsterte: „Ich glaube da läuft was, du weißt ja, wie das ist.“ Nun, wie war das? Wie war das möglich, dass die Freunde nach einer Stunde des Kennenlernens sagen konnten, dass man noch auf ein Glas Milch in die Wohnung der Frau geladen würde. Sicher, so Vorstellungen, die hatte er schon, war ja nicht doof, konnte ja lesen und fernsehen. Theoretisch hatte er die Einzelheiten sogar in einem erstaunlich frühen Alter gemeistert. Aber die Praxis, mit der Praxis da haperte es gewaltig, die war ein chronisches Desaster.

„Ich mag dich wirklich, Guido. Ich hätte niemals geglaubt, dass es zwischen Männern und Frauen Freundschaft geben könnte“. Das waren die immer wiederkehrenden Worte, die er hörte, wenn er Absichten hatte. Und noch etwas ließ ihn aus tiefer Seele seufzen. „Aber ich habe wirklich keinerlei sexuellen Phantasien, wenn ich mit dir zusammen bin.“ Guido lächelte dann matt, fühlte sich missverstanden, fühlte sich in der falschen Zeit, er lebte doch nicht in den Fünfzigern, als noch die Reinheit der Jugend gepriesen und gepredigt wurde.

An das Thema nicht zu denken, half auch nicht. Guido lebte allein in einem Apartment im Riemeke. Über ihm wohnte ein vitales Paar, das lautstark verliebt war. Jeden Morgen um 6.29 - mit erstaunlicher Pünktlichkeit übrigens - erwachte Guido zu den lallenden Lauten der Lust. Er zog das Daunenbett über den Kopf und biss regelmäßig ins Kissen. Am Morgen wurden seine Ohren erotisiert und tagsüber seine Augen, denn der weibliche Part des Lustspiels liebte es augenscheinlich im Haus in BH und Höschen lustzuwandeln. War es noch Gedankenlosigkeit oder schon Sadismus? Guido fühlte sich jedenfalls gequält.

Das Hirn ist ein plastisches Gebilde und er wusste: Neurons that fire together wire together. Und so feuerten seine fickerigen Neuronen auch dann, wenn nüchternes und vernünftiges Urteilsvermögen gefragt war, wenn er Reden entwarf. Ein Ghostwriter, sollte er sein Geld wert sein, musste immerzu verblüffende Bilder erfinden. Wenn er sich nicht damit zufriedengeben wollte, in der dritten Liga seines Berufs zu spielen, durfte er nicht Zuflucht suchen zu Klischees wie Unsere große Bewegung oder Der Mann auf der Straße. Seine Kunst bestand natürlich auch darin, Creme-Peierstorf in weiten Schleifen nichts sagen zu lassen. Was die Öffentlichkeit jedoch komplett unterschätzte, war die enorme Anstrengung, die Guido darauf verwendete, einen Riesenvorrat von Nichtssagendem anzulegen, aber so frisch formuliert, dass es Schlagzeilen machte oder aus dem Munde des Nachrichtensprechers einfach klasse klang.

Selbst an Tagen tiefer Ausgeschlafenheit war das kein Kinderspiel und jeder Ghostwriter war fortwährend darum bemüht, elegante Formulierungen zu finden, egal womit er sonst gerade beschäftigt war. Was aber feuerten seine Neuronen unablässig? Nackte Bilder von rohem Sex draußen und drinnen, im Liegen und Stehen. Kopulation beim Bungeespringen. Kamen ihm keine geilen Bilder in den Sinn, dann war er hibbelig, weil ihm ein beruhigender Fick fehlte. Folglich wurden die bildhaften Formulierungen in den Reden Gero Creme-Peierstorfs, ums gelinde auszudrücken, mehrdeutig, wenn nicht schlüpfrig.

Die Rede über Wirtschaftspolitik und Bankenkrise fing gut an. Das Geschwafel, die Banker wären die unschuldigen Opfer der öffentlichen Wut, die sich eigentlich gegen die wahnwitzige Wirtschaftspolitik richten müsse, ging runter wie Ahornsirup. Guido konnte es kaum fassen, wie gut der Blödsinn bei den Leuten ankam.

Allerdings nahm die Rede dann eine Wendung, auf die das Publikum - Frauenverband der Reform-Partei - komplett unvorbereitet war. „Wollen wir uns weiterhin damit zufriedengeben, die Voyeure des Durchwurstelns zu sein?“, fragte Creme-Peierstorf. Guido sah, wie die Damen wach wurden, wie sie ihre Ohren spitzten, als der Redner seine Frage selbst beantwortete: „Meine Damen, es kommt nicht darauf an passiv zu glotzen, sondern zusammen können wir die Matratzen des Finanzwesens quietschen lassen“. Der politische Kommentator der ZEIT nannte die Rede eine „erfrischend originelle ökonomische Analyse“, was Guido gern las und ihn beflügelte.

Die letzte Lektion

Подняться наверх