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Achtzehn
ОглавлениеAllein gelassen, pfiff Guido Dylan zur Ehre den Song Desolation Row. Bevor Creme-Peierstorf hereingerollt war, war es ein passabler, produktiver Tag gewesen. Die Rede zur Rettung der Finanzmärkte war ein Meisterwerk und für ein weiteres hatte Guido schon Material gesammelt. Das Thema war günstig, war so undurchsichtig, dass man fast alles sagen konnte und alles Undurchschaubare war maßgeschneidert für Reden, Reden für die Reform-Partei.
Die Bundeswehr war ebenfalls ein dankbarer Anlass im Nebel zu stochern. Die Reform der Bundeswehr wird im Chaos enden, solange sie in den Händen von Stümpern liegt. Wir - die Reform-Partei - wir sind prädestiniert die Bundeswehr in die Professionalität zu führen, denn wir sind die Profis für Veränderung, der Parteiname sagt doch schließlich alles.
Dann geschah das, woran er Tag und Nacht gedacht hatte, was aber im Augenblick, da es ihm widerfuhr, völlig überraschend kam. Eine Erscheinung, eine Fata Morgana in der Wüste seiner sexuellen Frustration stand im Türrahmen. Blond die langen Haare, prächtige Brüste und grün-goldene Augen.
Oh, du blonder Himmel, dachte Guido. Sie trug einen niederschmetternden Hosenanzug. Ihre Stimme war etwas angeraut und dennoch weiblich melodiös. Damit die Welt im Gleichgewicht blieb, schwebte Guidos Stimme in die Höhe, Ausgleich zur tief schwingenden Stimme der Erscheinung.
„Hallo“, sprach die Erscheinung.
„Hallo“, quiekte Guido zurück.
„Ich bin die neue Assistentin, aber das werden Sie ja wohl wissen.“
Guido wusste nichts von einer Assistentin. Dort, wo sonst seine Gedanken sich tummelten und miteinander Sex hatten und sich also vermehrten, dort war nun nichts: Leere, ein gewaltiges Vakuum. Drüsen und Hormone taten ihre Schuldigkeit und seine gesammelten sexuellen Frustrationen ließen seinen Leib erzittern.
An dieser Stelle, der Erzähler gesteht es ein, hat er gewisse Schwierigkeiten. Denn es gibt kein Wort, das auch nur in Ansätzen angemessen wiedergäbe, was Guido dann äußerte.
Mit viel ausdichtender Phantasie konnte man dem, was Guido hervorgurgelte entnehmen, dass er Bescheid wisse, sein Sprechstottern lief jedoch aus in einem animalischen Lustgrunzen. Der Erzähler täte Guido unrecht, wenn er berichtete, sein kehliger Lustlaut habe geklungen wie: gchor, gchor. Auf der anderen Seite aber verbietet die Genauigkeit zu sagen, es habe entfernt geklungen wie: „Aber natürlich, kommen Sie herein.“ Vielleicht käme „Qoargh“ der Wirklichkeit recht nahe, wenngleich „oglohoho - wauh“ kam auch vor. Wie dem auch sei, ganz offenbar steckte Guido im Schraubstock eines Qualgefühls.
Die neue Assistentin hingegen verhielt sich höflich, sachlich und kühl und Guido konnte sich nicht vorstellen, dass es je anders sein könnte.
Sie hieß Lucy von Notenstetten und war die Tochter des Ehrenvorsitzenden der Reform-Partei, der in seiner Zeit als Abgeordneter für die Partei mit dem Spitznamen Mono Ton leben musste, weil er der langweiligste Volksvertreter im Parlament war. Den Göttern sei Dank, war der Apfel weit vom Baum gefallen, dachte Guido. Jedes ihrer Worte, jede Handbewegung, und die Wimpernschläge erst, „oglohohowauwau“ machten aus Guidos Seele ein Saitenspiel und schlottern tat er, bibbern vor bunter Seligkeit.
An jenem nervösen Nachmittag war nichts schwieriger für Guido als darüber nachzudenken, wie es möglich wäre, junge Menschen für den Tod zu begeistern. Nicht mit einer Zeile konnte er den Vortrag über die Bundeswehrreform voranbringen. Am Ende strich er einen Gedankenstrick. Etwas Drastisches musste geschehen.
Guido entschuldigte sich für einen Moment und lief den Korridor rauf und runter. Er klemmte seinen Schwanz zwischen die Beine und lehnte sich an die Treppe. Von oben kamen die üblichen Geräusche, die ihn ein wenig beruhigten. So wollte er nicht klingen, dann lieber zölibatär weiterwursteln. Er war doch kein jaulendes Tier, nein, so weit würde es mit ihm nicht kommen, dass er sich von irgendwelchen Hormonen, die in irgendwelchen Drüsen ganz ohne seinen Willen produziert wurden, abhängig machte. Er legte seine Hände über die Ohren, wollte das Gewinsel von oben nicht und wollte auch seine Seufzer nicht hören. Er versuchte zu denken. Kalte Duschen sollten nützlich sein. Gab’s im Büro aber nicht.
Das Rauf- und Runtergehen im Schlauch des Korridors tat ihm auch nicht gut, überhaupt nicht gut. Beim ersten Schritt zur Küche stand ihm sein eigenwilliges Organ wieder im Weg. Er schaute sich um, sah den Kühlschrank, wusste, dass darin keine Leber zu finden wäre, die kühlschrankkalt auch keine pure Lust erlauben würde. Der Spülstein konnte Linderung bringen. Schließlich war er allein, und dass Lucy sich herablassen würde, eine Küche zu betreten, war ausgeschlossen. Sie sah aus, als wäre sie in ihrem Leben noch nie in einer Küche gewesen. Eine lokale Dusche konnte die Lösung bringen. Wenn nicht das, womit sonst sollte er den glühenden Knopf kühlen?
Es kam selten vor, dass Creme-Peierstorf noch einmal zurückkehrte, wenn er sich einmal auf den Weg gemacht hatte. Er war gegen Bewegungen, zu der er die eigene Kraft und Anstrengung benötigte. Ganze Tage vergingen, ohne einen Auftritt seiner Opulenz in der Rathenaustraße. Bei dieser Gelegenheit jedoch war es ihm in den Sinn gekommen, dass er ein wenig kurz angebunden gewesen war gegenüber seinem jungen Ideenschmied. Ein paar in Zuckerwatte gewickelte Worte würden ihn vielleicht aufmuntern. Egal, es wäre nicht verkehrt, noch mal reinzuschauen. Hinzu kam ein Gefühl, das er nicht recht deuten konnte, sich aber anfühlte, als habe er Guido seit Wochen versäumt, von einer wichtigen Neuerung im Büro zu sprechen.
Auch wenn sie nicht mehr zeitgemäß waren, ganz sicher gab es exzellente Benimmbücher. Wie man einen Erzbischof begrüßt, konnte man darin lernen oder wie man mit einer Herzogin tanzt. Sie mochten einen auch unterrichten, wie man Krustentiere knackt, ohne die Gäste zu bekleckern. Doch alle diese Ratgeber vereinigte ein verblüffender Mangel. Keines dieser Bücher für höheres Benehmen und für die feineren Fragen des Miteinanders enthielt ein Kapitel mit dem Titel: „Was tun, beim Erwischtwerden während der Ständerkühlung über der Küchenspüle.“ Für solch einen Rat hätte Guido seine Unschuld gegeben. Und wie äußerte er sich? Guido dem wortmächtigen Redenschreiber, was fiel ihm ein? „Oh!“, sagte er, fühlte sofort, dass es unangemessen war, riss sich am Riemen, wiederholte aber nur: „Oh, oh!“ Er konnte nicht hoffen, dass sein Oh etwas an der Situation rettete, milderte, rechtfertigte. „Oho!“
Schlimmer noch als Guidos Lage war die Creme-Peierstorfsche, dem Guido immer vorgab, was er zu sagen hatte. Und also stand er da, überrascht, vollkommen sprachlos und tat das, was er am besten konnte, er übernahm, was Guido sich ausgedacht hatte und sagte: „Oh!“ und „Oho!“
„Oh, oh, oh“, antwortete Guido.
Von kreativer Inspiration ergriffen, antwortete Creme-Peierstorf:
„Ah, hu, aha!“
„Oh je“, sagte Guido.
„Ah, oh je“, sagte Creme-Peierstorf.
Lucy quetschte sich am korpulenten Parteivorsitzenden vorbei und fragte:
„Kann ich etwas für Sie tun?“
„Nein, alles im Lot“, behauptete Guido.
„Weshalb ich zurückgekommen bin, Lucy, ja aber ihr habt euch ja schon bekannt gemacht. Ich hatte das erwähnt, nicht wahr? Und bedanken wollte ich mich für all deine Bemühungen. Er ist mein Ghostwriter“, wandte er sich an Lucy. „Er steht ziemlich unter Dampf, eine neue Rede. Schwierig, schwierig! Eine Rede zugunsten des Todes.“