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2.

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Das Abendessen verlief nicht so unbeschwert und fröhlich, wie man es sonst in der Familie gewohnt war. Fathwa schien gewusst zu haben, was Yussuf an der Küste vorgehabt hatte, denn als er erzählte, dass er ein Schiff gefunden habe, das die ganze Familie samt Dienerschaft nach Marokko bringen würde, nickte sie. »Das ist gut. Du weißt, wie schwer es mir fällt, alles hier zurückzulassen, doch das Leben meiner Familie ist durch nichts aufzuwiegen.« Sie legte ihre Hand liebevoll auf den Arm ihres Mannes und lächelte ihn traurig, aber zu allem entschlossen an. Ridha, Mohammeds jüngerer Bruder, warf seinem Vater einen fragenden Blick zu.

Yussuf nickte ernst. »Ja, Ridha, es ist so, wie du denkst. Wir werden dieses Land verlassen. Hab keine Angst, unser Vermögen ist groß genug, um in Marokko ein neues gutes Leben zu beginnen.«

Ridha schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wegen des Geldes oder dieses Hauses. Ich bedaure nur, dass ich all meine Freunde zurücklassen muss. Ich werde sie vermissen.«

Yussuf betrachtete gütig die besorgte Miene seines jüngeren Sohnes. »Du bist jung. Fünfzehn Jahre sind kein Alter, du wirst nicht nur eine neue Heimat bekommen, sondern ganz sicher auch neue Freunde finden.«

Ridha nickte nachdenklich, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht, als er sich an seinen Bruder wandte. »Und du, alter Mann, wirst du deine ganzen Bewunderinnen vermissen? Ab einem gewissen Alter ist es ja nicht mehr so leicht, die Damen zu betören?« Er duckte sich in Erwartung des Klapses, und er tat gut daran. Mohammed erwischte trotzdem gerade noch Ridhas Scheitel. Ridha grinste. »Nun, du bist im reifen Alter von achtundzwanzig, viel Zeit bleibt dir nicht mehr.«

»Ein wenig mehr Respekt vor deinem großen Bruder, wenn ich bitten darf!« Mohammed zerzauste die Lockenmähne seines Bruders. »Es ist nicht sicher, dass auch ich das Land verlasse. Noch habe ich mich nicht entschieden.«

Schweigen folgte auf diese Ankündigung, Schweigen und ein erstickter Laut seiner Mutter. Fathwa schlug erschrocken die Hand vor den Mund. »Das kann nicht dein Ernst sein, Mohammed! Erkennst du nicht, wie ernst die Lage ist? Siehst du die Zeichen nicht? Sie drohen uns mittlerweile ganz offen! Sie wollen unser Land, sie wollen unseren Besitz und sie wollen unser Leben. Ich flehe dich an, mein Sohn, sei vernünftig! Bitte, ich möchte dich nicht verlieren.«

»Du wirst mich nicht verlieren, Mutter. Du wirst sehen, dass alles gut wird. Ich werde meinen Plan zu Ende führen und dann folge ich euch. Hab keine Angst. Ich kann auf mich aufpassen.« Sein Blick in die Runde brachte nicht ganz das, was zu sehen Mohammed gehofft hatte. Offenbar war es ihm nicht gelungen, die eigene Zuversicht auch seiner Familie zu vermitteln. Sein Vater hatte den Blick abgewandt und aß schweigend weiter, ohne auch nur noch einmal aufzusehen. In den Augen der Mutter glitzerte es verdächtig, und Asma sah ihn an, als hätte er soeben verkündet, er würde in den Krieg ziehen.

Asma widersprach. »Nein, Mohammed, du kannst nicht bleiben! Du bist mein großer Bruder, du hast versprochen, immer bei mir zu sein und mich zu beschützen, also musst du mit, ob du willst oder nicht!«

Angesichts dieser klaren Ansprache seiner kleinen Schwester wurde Mohammed dann doch etwas seltsam zumute. Er erinnerte sich gut an den Augenblick, als er – kaum dass Asma richtig laufen konnte – ihr versichert hatte, immer auf sie zu achten. Das war sein Versprechen gewesen, nachdem er sie von einem Baum gepflückt hatte, auf den sie wohl hinauf-, nicht aber wieder heruntergekommen war und bitterlich weinend in den Ästen gehangen hatte.

»Ach, Augenstern, für die kurze Zeit, die wir getrennt sind, passt Ridha auf dich auf. Er wird das ganz wunderbar machen.«

Verärgert und enttäuscht warf Asma ihre schwarze Lockenpracht zurück. »Wenn uns etwas passiert, dann bist du schuld!«

»Es wird nichts passieren. Bitte, Kleines, vertrau mir doch.«

»Pah!« Asma war ausdrücklich verärgert.

Langsam drohte ihn die Atmosphäre bei Tisch zu erdrücken. So schwer hatte er es sich nicht vorgestellt, seine Pläne in die Tat umzusetzen! Der Rest des Abendessens verlief in Stillschweigen und Mohammed war froh, als alle ihr Mahl beendet hatten und er aufstehen konnte. »Seid mir nicht böse, ich habe eine Einladung von Donna Sonja. Ich möchte mich dort zumindest für eine Weile sehen lassen, um nicht unhöflich zu erscheinen.«

Es war Yussuf anzumerken, dass er gern widersprochen und seinen Sohn genötigt hätte, zu bleiben, doch er wusste ebenso, dass dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt sein würde. Daher bat er Mohammed nur um eines. »Ich möchte nicht, dass du auch nur im Entferntesten etwas über unsere Pläne verrätst. Wir möchten unbehelligt und so schnell wie möglich unsere Abreise bewerkstelligen. Also, bitte keine Andeutungen – zu niemandem! Auch nicht zu Donna Sonja und – dies bitte ich dich besonders zu beherzigen – nicht zu Herzogin Ana.«

Mohammed zuckte zusammen. Woher konnte sein Vater wissen, dass auch Ana anwesend sein würde? Allerdings hatte er sich schon vor geraumer Zeit abgewöhnt, zu hinterfragen, woher sein Vater Dinge wusste, die er eigentlich nicht wissen konnte. »Ich werde schweigen wie ein Grab, Vater. Das verspreche ich dir.«

Gerade, als die Familie sich von ihren Plätzen erhoben hatte und jeder seiner Wege gehen wollte, klopfte es leise, und ein leichtes Räuspern kündigte Fathi, Yussufs Leibdiener, an. Fathi galt als Schatten seines Herrn – wo immer Yussuf war, befand auch er sich in der Nähe. Seit über dreißig Jahren schon war er an seiner Seite.

Yussuf betrachtete Fathi mehr als Freund denn als Diener, daher reagierte er zuerst erfreut, als er den großen, dunklen Mann in dem gewohnt schwarzen Gewand erblickte. »Fathi, komm herein! Was führt dich her? Ich sagte doch, du sollst dich von der Reise erholen.«

»Das habe ich schon, Herr. Ich habe keine guten Nachrichten. Als ich sofort nach unserer Rückkehr die Anweisung zum Packen gab, tat ich dies auch in den Stallungen. Als ich soeben nachsah, wie weit sie seien, entdeckte ich, dass Juan und Pedro samt all ihrer wenigen Habseligkeiten verschwunden sind. Soll ich sie suchen, Herr?«

Yussuf schüttelte traurig den Kopf. »Nein, Fathi, die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Damit musste man rechnen.«

Fathi wiegte bedächtig den Kopf hin und her. »Wenn die Ratten das Schiff nur verlassen, dann wäre das nicht so schlimm. Ich traue den beiden aber nicht. Sie haben immer gut verdient und hatten hier ein angenehmes Leben. Ihren Familien ging es prächtig. Aber seit die Unruhen zunehmen und die Rufe nach einem christlichen Andalusien immer lauter werden, haben sie sich verändert. Ich bin misstrauisch.«

Yussuf winkte ab. »Lass gut sein, Fathi. Sammle die Getreuen und dann werden wir die Abreise eben beschleunigen. Je schneller, desto besser. Lieber warten wir einen Tag am Hafen.«

Fathi nickte. »Sehr wohl, Herr. Ich werde für heute Nacht Wachen aufstellen und ich werde nur unsere Männer nehmen. Sonst habe ich keine ruhige Minute. Den Christen traue ich nicht mehr.«

»Als ob du das jemals getan hättest!«

Fathi überhörte den letzten Satz seines Herrn geflissentlich und war verschwunden, ehe jemand etwas sagen konnte.

Mohammed kam diese Stimmung so gar nicht entgegen und daher beeilte er sich, ebenfalls das Weite zu suchen. Die Entwicklungen der letzten Stunden waren nicht nach seinem Sinn und standen seinen Plänen enorm im Weg. Er entschuldigte sich bei seiner Familie und eilte in seine Räume, um sich umzukleiden. Wenn er ehrlich war, dachte er keine Sekunde daran, sich den Abend bei Donna Sonja entgehen zu lassen. Er wusste, dass die Damen der Gesellschaft ihn gern bei sich hatten. Schönheit öffnete viele Tore – auch solche, die ansonsten verschlossen geblieben wären.

Er bürstete das lange, dichte Haar und band es mit einem Seidenband zu einem Zopf. Sein leichtes Hemd tauschte er gegen eine dunkelblaue, mit Silberfäden durchwirkte Tunika und legte dann die breiten silbernen Armreifen an, die den Damen immer Verzückungsschreie entlockten. Er war durchaus zufrieden mit seinem Äußeren. Warum sollte er sein Aussehen nicht für seine Zwecke nutzen? Was Allah ihm gegeben hatte, durfte ein Mann ja wohl nicht sinnlos vergeuden. Eine Freundin seiner Mutter hatte einmal zu ihm gesagt, sein Gesicht sei das Schönste, was sie jemals gesehen hätte. Abgesehen davon, dass er – damals noch ein halbes Kind – dunkelrot angelaufen war vor Scham, war ihm dieser Satz nie wieder aus dem Kopf gegangen. Mit der Zeit hatte er gelernt, dass Schönheit in dieser oberflächlichen Gesellschaft unglaublich wichtig war. Lediglich Ana hatte einmal sehr heftig erklärt, dass Schönheit ohne Verstand und ohne Herz eine vergeudete Gabe Gottes sei. Für diese Äußerung liebte und bewunderte er sie nur umso mehr.

Als er das Haus verließ, kam ihm seine Mutter mit einem Arm voller Blumen entgegen. Sie versuchte, es zu verbergen, doch er sah sofort, dass sie geweint hatte. Das war etwas, das er überhaupt nicht ertragen konnte. Seine geliebte Mutter durfte nicht weinen, alles, nur das nicht! Vorsichtig, um die Blumen nicht zu zerdrücken, schloss er sie in die Arme. »Māmā, es wird alles gut! Bitte glaube mir. Ich verspreche es! Habe ich dich schon angelogen? Jemals?«

Fathwa schüttelte nur schweigend den Kopf.

»Siehst du, und auch jetzt lüge ich nicht. Hab Vertrauen, ich werde alles so einrichten, dass du wieder glücklich bist.«

Seine Mutter nickte zwar, aber er konnte erkennen, dass sie zweifelte. Lächelnd zog er einen Zweig mit duftenden Jasminblüten aus dem Strauß, küsste seine Mutter auf die Wange und sprang kurz danach auf seinen weißen Hengst, den Fathi ihm zuvor wortlos bereitgestellt hatte.

Fathwa sah ihrem Sohn nach, bis er mit der Dunkelheit verschmolzen war, erst dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

Kinder der Dunkelheit

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